Mit dem neuen, abgespeckten Internet Explorer 9 strebt Microsoft wieder zurück auf die Erfolgsstraße und möchte Marktanteile gegen Firefox und Google Chrome zurückgewinnen. Doch viele Unternehmenskunden plagen sich derzeit mit ganz anderen Sorgen herum: Sie stecken immer noch fest in der Inkompatibilitätsfalle des Internet Explorer 6 und suchen händeringend nach einer vertretbaren Lösung, um die fast zehn Jahre alte Browser-Zumutung los zu werden. Insbesondere der früher oder später notwendige Umstieg auf Windows 7 erfordert zwingend einen Wechsel des Browsers, da der IE6 unter Windows 7 nicht mehr läuft. Laut Analystenschätzungen liegt der Marktanteil des Uralt-Browsers IE6 in deutschen Unternehmen noch immer bei 30 Prozent.
Schuld an der Misere ist eigentlich der große Erfolg von Windows XP, der damals dem Internet Explorer 6 zu einer dominierenden Marktposition verhalf. Microsoft nutzte diesen Umstand aus, und pushte den IE6 als proprietäre Anwendungsplattform für Unternehmen. Anstelle vermeintlich plattformunabhängiger Browser-Applikationen entstanden so weltweit abertausende von Geschäftsanwendungen, die regen Gebrauch von IE6-Spezialiäten bei Javascript, Active-X sowie der Java-Virtual-Machine machten.
Als sich Microsoft später im Zuge seiner neue Firmenpolitik zu offenen Standards und Interoperabilität bekannte und mit dem IE7 erstmals einen Webstandard-konformen Browser präsentierte, lag das Kind schon im Brunnen: Ein Großteil der auf IE6 zugeschnittenen Applikationen läuft trotzt diverser Kompatibilitätsmodi nicht in den nachfolgenden Browsergenerationen.
Über kurz oder lang müssen nun betroffene Firmen - nicht zuletzt wegen zwangsläufiger Sicherheitslücken eines Uralt-Browsers - reagieren und einen Weg aus dieser Sackgasse finden. Sogar Microsoft selbst propagiert neuerdings die Abkehr vom IE6 und bietet mit der Website "Internet Explorer 6 Countdown" eine Art Ausstiegsprogramm, das über die aktuelle Situation sowie Migrationsmöglichkeiten informiert.
Weiterhin hoher Marktanteil
Nach wie vor liegt der weltweite Marktanteil des IE6 laut der Net-Applications-Statistik bei 11,3 Prozent. Über alle Versionen hinweg betrachtet gehört den Microsoft-Browsern aktuell 56,7 Prozent vom Kuchen, gefolgt von Firefox mit 21,7 und Google Chrome mit 10,9 Prozent. Bezogen auf den deutschen Markt lieferten die Analysten der Experton Group kürzlich aktuelle Zahlen, wonach bei den Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern immer noch 31 Prozent den Browser-Oldie einsetzen. 25 Prozent der IE6-Anwender planten innerhalb der nächsten 12 Monate einen Wechsel auf eine neuere Version des Internet Explorer, weitere zehn Prozent wollen auf einen andern Browser wechseln - zumeist auf Firefox. Die restlichen Unternehmen allerdings verweigern sich einer Migration oder wollen den Umstieg so lange wie möglich aussitzen.
Interessant ist eine weitere Erkenntnis der Studie, wonach die tatsächlichen Kompatibilitätsprobleme weniger gravierend seien als allgemein angenommen. So gaben lediglich 20 Prozent der IT-Entscheider an, dass ihre Applikationen nicht mit einem neueren Browser liefen. Weitere 17 Prozent schätzen den Anpassungsaufwand als zu hoch ein.
Die restlichen Befragten hingegen seien überzeugt, dass sich der Browser bewährt habe und sehen keine Veranlassung für Veränderung. Axel Oppermann, Senior Advisor bei Experton, hält das für sehr bedenklich: "Diese Einstellung ist nicht nur grob fahrlässig, sondern stellt Organisationen spätestens zum Ende des Lebenszyklus von Windows XP im Jahr 2014 vor Herausforderungen."
Unternehmen sollten unbedingt eine Migrationsplanung aufsetzen, rät der Experton-Mann. Neben strategischen Planungen gehöre dazu auch eine umfassende Testphase mit einer Shortlist von drei bis vier Browsern. Hierbei sollten neben Faktoren wie Sicherheit, Geschwindigkeit und Stabilität auch Themen wie Verteilung und Rechtemanagement in die Betrachtung einbezogen werden.
Verschiedene Lösungen zum IE6-Ausstieg
Für Unternehmen, die das IE6-Dilemma lösen wollen, bieten sich unterschiedliche Optionen an. Die naheliegendste ist zunächst, die betroffenen Browser-Anwendungen zu analysieren und gegebenenfalls anzupassen, um sie in neueren Browsern weiterbetreiben zu können. Um den erforderlichen Aufwand abschätzen zu können, bietet Microsoft ein Dokument, das die Unterschiede zwischen IE6 und IE8 auflistet. Jedoch scheidet in vielen Fällen eine solche Überarbeitung aus Kostengründen aus, oder aber der Softwarelieferant will oder kann die Anpassungen nicht durchführen.
Scheidet eine Anpassung aus, muss ein geeigneter Weg gefunden werden, um den IE6 oder eine Virtualisierung desselben innerhalb einer aktuellen Windows-Version einzurichten. Hierzu bieten sich verschiedene Lösungsansätze an, die jeweils mit gewissen Vor- und Nachteilen verbunden sind.
IE-6-Austreibung - der Microsoft-Weg
Microsoft trommelt seit Vista lautstark für den Umstieg von XP, ohne ernsthaft die IE6-Probleme zu adressieren. Mit Windows 7 änderte sich das grundlegend, indem der "XP-Mode" als Lösung für alle problematischen Altanwendungen eingeführt wurde. Es handelt sich dabei um ein komplettes, kostenloses Windows XP, das in einer virtuellen Maschine unter Windows 7 läuft. Darin laufen nun alle XP-optimierten Programme - einschließlich des IE6. Um die Benutzer nicht zu verwirren, bleibt dieses Parallelsystem in der Regel unsichtbar. In XP installierte Programme erscheinen automatisch im Windows-7-Startmenü, und der IE6 wird alle anderen XP-Programme einfach in einem eigenständigen Fenster auf den Windows-7-Desktop publizieren.
Diese Lösung wirkt auf den ersten Blick elegant, doch beschert sie Unternehmen einen Rattenschwanz an IT-Aufrüstungen. So benötigen die Windows-7-Clients wegen der virtuellen Maschine mehr Prozessorleistung und Arbeitsspeicher. Des Weiteren steigt der Wartungsaufwand für die IT-Abteilung, da solche XP-VMs zunächst auf die Clients verteilt und anschließend auch mit Patches und ähnlichem gewartet werden müssen. Dabei eignet sich der XP Mode ohnehin nur für kleinere Umgebungen, in größeren Client-Landschaften empfiehlt Microsoft das Paket für Desktop-Virtualisierung MED-V. Der Vorteil hierbei ist, dass sich bestimmte URLs von IE6-Anwendungen gezielt auf diesen Browser umleiten lassen, der Rest läuft über den lokalen Browser. Voraussetzung auf Lizenzseite ist allerdings eine Software Assurance sowie das Microsoft Desktop Optimization Pack (MDOP).
Somit summieren sich laut Gartner die Kosten für MED-V und MDOP auf etwa 50 US-Dollar pro PC und Jahr, wobei eventuelle Hardwareaufrüstungen noch nicht berücksichtigt sind. Gartner-Analyst Michael Silver urteilt denn auch im Report "Solving the IE6-Dilemma for Windows 7", dass der Aufwand unangemessen sei, wegen eines Browser-Problems eine gesamte zusätzliche Betriebssystemumgebung mitzuschleppen.
Die alternative Empfehlung von Microsoft lautet, den IE6 über einen Terminal-Server bereitzustellen. Das kann zwar zentral erfolgen und erübrigt Client-Eingriffe, hat jedoch andere Tücken: Weil der IE6 nicht kompatibel ist mit dem Windows Server 2008 (R2), muss für das Browser-Hosting der veraltete Server 2003 (R2) aufgesetzt werden. Hier wiederum lassen sich keine Zuständigkeiten für lokale und externe URLs festlegen, um etwa alte Anwendungen automatisch im IE6 aufzurufen.
IE 6 parallel installieren
Wie bereits erwähnt lässt sich der Internet Explorer 6 nicht als eigenständiges Programm parallel zu einem anderen Browser installieren. Aufgrund der tiefen Verankerung in das Betriebssystem wären DLL- und Registry-Konflikte vorprogrammiert.
Einen Ausweg bieten Tools zur Anwendungsvirtualisierung, die eine isolierte Sandbox-Umgebung für Applikationen bieten. Virtualisierte Programme arbeiten wie jedes lokal installierte Programm, im Hintergrund werden jedoch Zugriffe auf Dateisystem und Registry umgeleitet, so dass keinerlei Beeinflussung auf das Betriebssystem erfolgt. Microsoft hat selbst mit App-V ein solches Werkzeug im Portfolio, weitere Vertreter sind Symantec Workspace Virtualization und VMware ThinApp. Sowohl Symantec als auch VMware stellen im Web Anleitungen zur Verfügung, die das Prozedere zu einer IE6-Bereitstellung detailliert erklären.
Allerdings betrachtet Microsoft diese Form der IE6-Bereitstellung mit Argusaugen und hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass dabei geltende Lizenzbestimmungen verletzt werden. Der Hersteller vertritt den Standpunkt, dass der Browser als integraler Bestandteil des Betriebssystems nicht einzeln lizensiert werden kann. Noch sind keine rechtlichen Schritte gegen Unternehmen erfolgt, allerdings rät Gartner dazu, im Falle der beschriebenen IE6-Virtualisierung eine Vereinbarung mit Microsoft zu treffen, um rechtliche Risiken zu vermeiden.
IE6 als IE8-Tab
Einen völlig anderen als die bisher geschilderten Wege zur IE6-Virtualisierung beschreitet das junge US-Unternehmen Browsium mit der Software Unibrows. Das von einem ehemaligen Microsoft-Mitarbeiter gegründete Startup entwickelte eine Erweiterung für den Internet Explorer 8, die die Funktionen des IE6 innerhalb eines IE8-Browser-Tabs zur Verfügung stellt. Laut Browsium-CEO Matt Heller handelt es sich dabei nicht um eine Virtualisierung, stattdessen arbeitet eine komplette IE6-Rendering-Engine innerhalb des IE8. Der IE6-im-IE8 unterstützt alle bekannten Funktionen wie etwa die Active-X-Controls des IE6 oder dessen Java-Script-Rendering.
Somit lassen sich auch alle existierenden IE6-Anwendungen ohne Einschränkung betreiben. Die vom Anbieter versprochene Kompatibilität erscheint angesichts der technischen Hintergründe plausibel: Unibrows basiert auf original Microsoft-Bibliotheken, für die der Toolanbieter die entsprechenden Lizenzen erworben hat. Als Tochterprozess des IE8 unterliegt Unibrows übrigens auch den Gruppenrichtlinien, die vom Administrator vergeben wurden. Der Browser-Zusatz läuft unter allen IE-8-kompatiblen Windows-Versionen - also XP, Vista und Windows 7.
Der Beitrag stammt von der ChannelPartner-Schwesterpublikation Computerwoche. Autor ist Wolfgang Miedl von der Website sharepoint360.de.