Balanced Scorecard & Work-Life-Balance

So halten Sie die Balance

24.03.2016 von Renate Oettinger
Balanced Scorecard, Work-Life-Balance – das Thema, die rechte Balance zwischen den verschiedenen Zielen zu bewahren, spielt in der Managementdiskussion eine wachsende Rolle. Und zwar unabhängig davon, ob es darum geht, als Manager Unternehmen zu steuern oder als Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit und Lebensfreude zu bewahren, sagt Dr. Georg Kraus.

Wie steuere ich die Entwicklung des mir anvertrauten Unternehmens - und zwar so, dass dieses kurz- mittel- und langfristig in der Erfolgsspur bleibt? Auf diese Frage müssen alle Top-Manager eine Antwort finden. Folglich wurden hierfür auch schon zahlreiche Instrumente und Systeme entwickelt - zum Beispiel die Balanced Scorecard (BSC). In diesem von Robert S. Kaplan und David P. Norton entwickelten System sahen viele Führungskräfte jahrelange das Mittel, um den Erfolg ihres Unternehmens(-bereichs) zu steuern. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Managementsystemen, die einseitig den (kurzfristigen) finanziellen Ertrag betonen, verbindet das BSC-Konzept folgende vier erfolgsrelevanten Perspektiven miteinander:

  1. Finanzen (Was erwarten die Kapitalgeber?),

  2. Kunden (Worauf legen die Kunden Wert?),

  3. Prozesse (Wie müssen die Abläufe gestaltet sein?),

  4. Mitarbeiter/Entwicklung (Welche Potenziale brauchen wir künftig?).

Balanced Scorecard - Heute top und morgen ein Flop

Die Euphorie, die vor einigen Jahren noch bei vielen Managern bezüglich des Balanced Scorecard-Konzepts herrschte, ist heute zwar verflogen. Doch wenn es um das Führen von Unternehmen geht, stößt es immer noch auf eine große Resonanz. Aus folgendem Grund: Viele Unternehmensführer - speziell von Kapitalgesellschaften - sind heute mit Anforderungen konfrontiert, die sich nur schwer miteinander vereinbaren lassen. So wird zum Beispiel die Qualität ihrer Arbeit weitgehend an den jeweils aktuellen Quartalszahlen gemessen. Weisen Umsatz und Ertrag gegenüber dem Vorjahr keine Zuwachsraten auf, sinken nicht nur die Aktienkurse, auch ihre Kompetenz wird hinterfragt. Schnell wird dann aus dem "Manager des Jahres" der "Absteiger des Jahres".

Wer die Balance halten will, muss sich fragen, welche Anforderungen von außen an ihn herangetragen werden.
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Dies veranlasst manche Unternehmensführer dazu, ihre Alltagsarbeit einseitig am kurzfristigen Ertrag zu orientieren statt auch den langfristigen Erfolg im Visier zu haben. Damit ist auf Dauer ihr Scheitern vorprogrammiert. Denn wenn die nötigen Investitionen zum Beispiel für Produktentwicklung, Markterschließung und Mitarbeiterqualifizierung unterbleiben, sinken langfristig auch die Erfolgschancen eines Unternehmens.

Eher Getriebene als Akteure

Wie diesem Dilemma entgehen? Auf diese Frage haben zahlreiche Top-Manager keine Antwort. Denn in ihrem Arbeitsalltag sehen sie sich zunehmend nicht nur mit Heerscharen von Analysten und (Finanz-)Journalisten konfrontiert, die ihr Handeln hinterfragen, sondern auch Vertretern von Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften, die auf kurzfristige Renditesteigerungen pochen. Entsprechend kurzatmig agieren manche Unternehmensführer. Ein Strategiewechsel folgt auf den nächsten - wobei die Top-Manager meist weniger Akteure als Getriebene sind.

Das spüren auch die Unternehmensführer selbst. Bereitwillig greifen sie deshalb nach Managementinstrumenten, die ihnen versprechen, die Zügel wieder in den Händen zu halten. Besonders attraktiv wirken diese, wenn sie wie die Balanced Scorecard alle strategischen Zielsetzungen mit Kennzahlen hinterlegen, die top-down heruntergebrochen werden. Denn dann erscheint die Entwicklung des Unternehmens wieder von oben steuerbar - zumindest in der Theorie!

Anders ist dies in der Unternehmenspraxis. Hier lässt sich auch mit der BSC die kurz- und langfristige Entwicklungsperspektive oft nur schwer verbinden. Ein Indiz hierfür: Fast ein Drittel der Unternehmen, die mit der Balances Scorecard arbeiten, verzichten in ihrer Scorecard auf die Lern-/Entwicklungs- beziehungsweise Mitarbeiterperspektive, wodurch aus dem Instrument zur Erfolgssteuerung ein Controllinginstrument wird. Die gewünschte Balance zwischen kurz- und langfristigen Zielen erreichen die Unternehmensführer so nicht.

Work-Life-Balance - Selbst-Unternehmertum gefragt

Doch nicht nur die Unternehmenslenker haben zunehmend Balance-Probleme - ähnlich verhält es sich mit den anderen Leistungsträgern in den Unternehmen. Auch ihnen fällt es zunehmend schwer, allen an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden - weshalb sich das Thema "Work-Life-Balance" zu einem Standardthema der betrieblichen Weiterbildung entwickelt hat.

So verschieden die Angebote in diesem Bereich auch sind, zwei Kernfragen lauten bei ihnen:

  1. Wie gelingt es mir, allen an mich gestellten Anforderungen gerecht zu werden? Und:

  2. Wie gelingt es mir, die rechte Balance zwischen meinen beruflichen und privaten Zielen zu wahren?

Der Grund: Vielen Leistungsträgern in den Unternehmen fällt es aufgrund des gestiegenen Arbeitsdrucks und der beruflich geforderten Flexibilität und Mobilität zunehmend schwer, ihre verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen und (mit ihren Lebenspartnern) langfristige Lebenspläne zu entwerfen. Denn als beruflich stark engagierte Personen sind sie mit ähnlichen Anforderungen wie die Unternehmensführer konfrontiert: Einerseits sollen sie kurzfristig einen möglichst hohen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leisten, andererseits dafür sorgen, dass langfristig ihre Qualifikation gefragt und ihre Leistungskraft gewahrt bleibt.

Dies setzt nicht nur eine kontinuierliche Weiterbildung und persönliche Weiterentwicklung voraus. Vielmehr gilt es auch, durch eine entsprechende Lebensführung gesundheitliche und psychische Probleme zu vermeiden. Doch auch das regelmäßige Joggen und das Pflegen der familiären sowie freundschaftlichen Bande, die emotionalen Halt vermitteln, erfordern Zeit. Diese Zeit fehlt vielen beruflich stark engagierten Männern und Frauen immer häufiger - weil ihre Arbeitszeit kontinuierlich steigt. Doch nicht nur dies. Aufgrund der im Betriebsalltag zunehmend dominierenden Projektarbeit sind Arbeitsbeginn und -ende immer weniger planbar.

Deshalb plagt viele Arbeitnehmer zunehmend das Gefühl: Irgendetwas kommt stets zu kurz. Wenn ich versuche, den beruflichen Anforderungen gerecht zu werden, kommen meine Familie und meine Hobbys zu kurz. Wenn ich hingegen meinen privaten Interessen die gewünschte Aufmerksamkeit schenke, werde ich den beruflichen Anforderungen nicht gerecht. Dies ist kein Einzelschicksal. Das zeigt sich darin, dass immer mehr Leistungsträger von Unternehmen über Burn-out-Symptome klagen oder den Wunsch äußern, bereits vor dem Rentenalter aus dem Berufsleben auszusteigen - alles Indizien dafür, dass die betreffenden Personen "Balance"-Probleme haben.

Kernkompetenz: Balance wahren

Diese Entwicklung wird sich fortsetzen - nicht nur wegen der fortschreitenden Globalisierung und der rasanten technologischen Entwicklung, sondern auch, weil aufgrund der wachsenden Bedeutung der Finanzmärkte der kurzfristige Ertragsdruck, der auf den Unternehmen(-sführern) und somit auch den Personen, die Schlüsselfunktionen ihnen inne haben, steigt. Deshalb ist die These nicht gewagt: Die Fähigkeit, die rechte Balance zu wahren, wird sich zu einer Schlüsselkompetenz entwickeln - auf der unternehmerischen und der individuellen Ebene.

Noch gibt es keine Patentrezepte, wie die Balance hergestellt und gewahrt werden kann - hierfür sind neben den Unternehmen vermutlich auch die handelnden Personen zu verschieden. Deutlich ist aber bereits: Künftig müssen alle beruflich stark engagierten Personen - unabhängig davon, welche Position sie in ihrem Unternehmen innehaben - genauer analysieren: Welche Anforderungen werden von außen an mich herangetragen und auf welche will und kann ich reagieren? Sonst werden sie zum Spielball der Kräfte, die auf sie einwirken.

In diesem Zusammenhang wird auch das Thema Persönlichkeit weiter an Bedeutung gewinnen - denn sie ist ein zentraler Erfolgsfaktor, wenn es um das Wahren der erforderlichen Balance geht. So werden zum Beispiel die Unternehmensführer künftig ein noch stärkeres Rückgrat als bisher brauchen, um sich zumindest teilweise den kurzfristigen Forderungen der (Kapital-)Märkte zu entziehen und gegen alle, gerade aktuellen Managementtrends ihre eigene unternehmerische Strategie zu verfolgen.

Entsprechendes gilt für alle Arbeitnehmer: Sie müssen eine Lebensvision entwickeln und nach dieser handeln. Das heißt, auch sie müssen lernen, zu Anforderungen, die an sie gestellt werden, mal "Nein" zu sagen. Sonst ist die Gefahr groß, dass sie mittelfristig "ausgebrannt" sind und vom Arbeitsmarkt ausgespuckt werden.

Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.