"Unsere Schichtleiter und Industriemeister brauchen keine aufwendige Aus- und Weiterbildung" – dieser Auffassung sind viele Unternehmensführer. Denn weil ihre Schreibtische in den Büroetagen stehen, haben sie meist keine Vorstellung davon, wie gefordert zum Beispiel Schichtleiter in ihrer Führungsfunktion sind.
Diese stehen in ihrem Arbeitsalltag oft vor Führungsfragen, für die es keine einfachen Antworten gibt. Zum Beispiel:
- Wie halte ich die leistungsstarken Mitarbeiter bei Laune, und wie gehe ich mit "Lau-Männern" um?
- Wie fange ich den Frust meiner Mannschaft auf – zum Beispiel darüber, dass Teile der Montage ins Ausland verlagert wurden?
- Wie bringe ich meine Schicht dazu, "freiwillig" am Samstag zu arbeiten, weil Lieferengpässe bestehen?
- Was mache ich mit Zeitarbeitern, deren Hoffnung auf Übernahme enttäuscht wurde, weshalb der Ausschuss steigt?
- Wie gehe ich mit aus mangelnden Deutschkenntnissen resultierenden Kommunikations- und Abstimmungsproblemen um?
- Wie reagiere ich, wenn ein Mitarbeiter mit einer Alkoholfahne zur Arbeit kommt?
- Wie spreche ich ein mangelndes Sozial- und Leistungsverhalten so an, dass sich der Mitarbeiter nicht krank meldet?
Die Mannschaft ist eine heterogene Truppe
Die Liste der kniffligen Führungsaufgaben, vor denen Führungskräfte auf der operativen Ebene stehen, ließe sich beliebig verlängern. Denn auf der Shopfloor-Ebene der Unternehmen trifft sich ein "buntes Volk": Facharbeiter und Angelernte, Festangestellte und Zeitarbeiter, Eigenbrötler und Selbstdarsteller, Familienväter und alleinerziehende Mütter, Menschen unterschiedlichster Nationalität, Jung und Alt.
Und die Schichtleiter? Sie müssen die heterogene Gruppe zusammenhalten. Sie müssen für Ausgleich und Verständnis sorgen. Sie müssen Managemententscheidungen umsetzen, an denen sie nicht beteiligt waren. Sie müssen Sicherheits- und Qualitätsregeln durchsetzen. Sie müssen Mitarbeiter unterweisen und einarbeiten. Sie müssen Besprechungen führen und Verbesserungen anstreben. Sie müssen alle bei Laune halten, selbst wenn die Arbeit laut, monoton und stressig ist. Und: Sie müssen die Produktionsziele im Blick haben und erreichen.
Kurz gesagt: Führungskräfte auf der operativen Ebene müssen oft mehr Führungskompetenz zeigen als Führungskräfte in den Angestellten-Bereichen der Unternehmen. Denn ihre Mannschaft ist viel heterogener – unter anderem bezogen auf Ausbildung, Sozialisation und kulturellem Hintergrund. Doch nicht nur dies! Sie müssen oft auch unternehmerischer denken und handeln als manch Teamleiter in den Stabsabteilungen.
Kann das jede Führungskraft auf der Shopfloor-Ebene ohne eine entsprechende Ausbildung und Unterstützung? Einige, wenige Naturtalente können dies. Doch diese zehn Prozent sind die Ausnahme. Alle anderen müssen es lernen.
Anderer Führungsstil als im Büro gefragt
Erfahrene Unternehmensführer wissen: Gute Meister halten den (Produktions-)Betrieb am Laufen. Trotzdem können sich nur wenige Manager vorstellen, wie fordernd das Führen der operativen Mitarbeiter ist. Denn sie sind meist von "Wissensarbeitern" umgeben – oft mit einem akademischen Background. Und die ticken anders als Werker.
Werker schätzen Klartext mehr als langatmige Besprechungen. Denn diese halten sie von der Arbeit ab und belasten die Stückzahl. Und sie respektieren Vorgesetzte, die vormachen können, wie der richtige Handgriff geht. Wer als Schichtleiter hingegen fachliche Schwächen zeigt und im Gespräch nicht auf den Punkt kommt, bekommt schnell keinen Fuß mehr auf den Boden.
Schichtleiter müssen zudem selbstverständlich anpacken, wenn Not am Mann ist. Deshalb verstehen sich viele auch nicht als "Führungskraft". Wer gleich nach der ersten Ansage als Schichtleiter hört "Jetzt hänge mal nicht den Boss raus" braucht viel Courage und Rollenklarheit, um keinen Rückzieher zu machen. Doch wie man sich Respekt als Führungskraft erwirbt, das lernt man weder auf der Schulbank noch an einem Seminartag.
Sandwich-Position erfordert Rollenklarheit
Schichtleiter sind am Puls des Unternehmens. Sie vertreten es an einer zentralen Stelle – nämlich dort, wo die eigentliche Wertschöpfung erfolgt. Sie können positiv auf die Stimmung der Mannschaft einwirken und dem Management spiegeln, wo der Schuh drückt. Sie erklären, begründen, übersetzen die Ziele und repräsentieren die Werte des Unternehmens. Und wenn sie hinter einer Entscheidung stehen, dann gehen auch die Mitarbeiter mit.
Vorausgesetzt stets, die operativen Führungskräfte werden als Führungskräfte respektiert und nicht als Kumpel oder Hilfssheriff des Betriebsleiters gesehen. Die Basis dafür ist Führungspersönlichkeit. Entsprechend wichtig ist die Auswahl der richtigen Personen als Führungskraft. Doch dies schafft nur die Basis. Danach gilt es durch eine fundierte Qualifizierung die "Roh-Diamanten" zu schleifen.
Schichtführer lernen anders
Für das Trainieren von Praktikern wie Schichtleitern gilt: Sie schlafen ein, wenn in Trainings zu akademisch über Führung gesprochen wird. Und sie langweilen sich, wenn die Inhalte nicht auf ihren Alltag herunter gebrochen werden. Zudem brauchen sie spätestens nach drei Stunden ein Aha-Erlebnis. Doch besteht ein guter persönlicher Draht zu den Teilnehmern, dann kann auch Tacheles geredet werden.
Werden Industriemeister richtig angesprochen, dann sind sie meist zu einem Verändern ihrer Denk- und Verhaltensmuster bereit. Denn als pragmatische Macher haben sie ein feines Gespür dafür, wo es bei ihrer Führungsarbeit noch klemmt. Außerdem erfahren sie jede betriebliche Förderung auch als Zeichen der Wertschätzung – viel stärker als Mitarbeiter im Angestellten-Bereich. Denn sie erachten es nicht als selbstverständlich, gefördert und zu Fortbildungen geschickt zu werden.
Deshalb erhöht ein aktives Unterstützen der Führungskräfte auf der operativen Ebene auch ihre Identifikation mit dem Unternehmen – ein Faktor, den es in Zeiten, in denen hoch qualifizierte und motivierte Industriemeister rar sind, auch zu bedenken gilt.
Mitarbeit: Hubert Hölzl ist Inhaber des auf den Mittelstand spezialisierten Trainings- und Beratungsunternehmens Hölzl & Partner, Lindau.
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