Schon wieder mussten wir uns nach wenigen Monaten von einem neuen Bereichsleiter trennen. Dabei schien er unser Traumkandidat zu sein." Diese Klage hört man oft von Geschäftsführern und Personalverantwortlichen. Personelle Fehlgriffe kommen die Firmen im wahrsten Sinne des Wortes teuer zu stehen: Schätzungen gehen von Kosten in sechs- oder gar siebenstelliger Höhe aus. Darunter fallen die Ausgaben für die Personalsuche und -auswahl sowie die Folgekosten einer nicht oder falsch besetzten Position.
Doch warum erweisen sich "Wunschkandidaten" oft als Flops? Häufig aufgrund mangelnder Sorgfalt bei der Personalauswahl. Da wird ein Vorstellungsgespräch zwischen zwei andere Termine "gequetscht", und die Bewerbungsunterlagen werden nur eines flüchtigen Blickes gewürdigt. Da werden Gespräche ohne Konzept geführt. Und die Ergebnisse der Gespräche werden mit nur zwei, drei Stichpunkten festgehalten, sodass nach dem fünften Bewerber nur noch die vage Erinnerung bleibt: "Hat mich nicht überzeugt" oder "Könnte passen".
Nicht nur aufs Fachliche achten
Ein weiterer Fehler: Häufig wird bei der Auswahl nur auf die fachliche Qualifikation geachtet. Denn diese lässt sich anhand der (Arbeits-) Zeugnisse und der Herausforderungen, die der Bewerber in seiner bisherigen beruflichen Laufbahn bewältigte, relativ leicht bewerten. Anders ist dies bei Faktoren wie:
Findet der Bewerber mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Draht zu den Kunden, Mitarbeitern oder Lieferanten, mit denen er zusammenarbeiten muss?
Kann er andere für nötige Veränderungen begeistern, ohne die Leistung seiner Vorgänger zu schmälern?
Hat er das nötige "Feeling" für die Notwendigkeiten und Empfindlichkeiten im Haus, und bewahrt er trotzdem seinen eigenen Stil?
Dies zu ermitteln erfordert Zeit und Energie. Deshalb: Investieren Sie genügend Zeit in die Personalauswahl. Dieser Prozess beginnt beim Formulieren der Anforderungen an den "Neuen". Sagen Sie zum Beispiel nicht einfach: "Ist doch klar, was ein Vertriebsleiter können muss." Überlegen Sie vielmehr, was ein Vertriebsleiter in Ihrem Unternehmen leisten muss. Denn der Vertriebsleiter eines großen Konzerns benötigt andere Kompetenzen als sein Kollege bei einem Mittelständler.
Anforderungsprofil erstellen
Ermitteln Sie im Vorfeld genau, welche Anforderungen der "Neue" erfüllen muss - zum Beispiel, indem Sie den bisherigen Stelleninhaber, Führungskräfte oder Mitarbeiter befragen. So lassen sich Ereignisse und Situationen bestimmen, die für die ausgeschriebene Position typisch sind und die der künftige Stelleninhaber meistern muss.
Fragen Sie sich auch: Wodurch unterscheidet sich der ideale Stelleninhaber vom Kandidaten, den wir keinesfalls einstellen möchten? Delegiert der "Wunschkandidat" zum Beispiel möglichst viele Aufgaben, während der andere das meiste selbst erledigt? Hat die "Traumbesetzung" Spaß am Kundenkontakt, während sich ihr Pendant am liebsten vor jedem Kundentermin drückt? Analysieren Sie außerdem:
Welche Einstellung braucht der Neue, damit er das tun kann, was von ihm erwartet wird?
Welche Konflikte können sich mit wem ergeben, wenn er das tut, was er tun soll?
Welche persönlichen Eigenschaften braucht er, um diese Konflikte zu meistern?
So können Sie neben den fachlichen Qualifikationen auch die sozialen, kommunikativen sowie persönlichen Eigenschaften ermitteln. Doch Vorsicht! Begnügen Sie sich nicht mit oberflächlichen Beschreibungen wie "entscheidungs- und umsetzungsstark". Analysieren Sie auch: Geht es nur darum, fix zu entscheiden, welcher PC angeschafft wird, oder muss der Neue auch unangenehme Personalentscheidungen treffen und umsetzen?
Beim Entwickeln des Anforderungsprofils sollten Sie neben den aktuellen auch die künftigen Anforderungen berücksichtigen. Schließlich soll sich Ihr Unternehmen weiterentwickeln. Wollen Sie beispielsweise mittelfristig neben Standardsoftware auch IT-Beratung verkaufen? Dann sollte der Bewerber auch gut erklären und souverän präsentieren können.
Gesprächsleitfaden entwickeln
Wenn Sie das Anforderungsprofil definiert haben, sollten Sie hieraus einen Interviewleitfaden ableiten, der in allen Auswahlgesprächen genutzt wird. Das Strukturieren und Standardisieren der Gespräche gewährleistet, dass Sie am Schluss die Bewerberprofile gut vergleichen können, weil alle Bewerber bestimmte definierte Kernfragen beantwortet haben. Außerdem entgehen Sie so der Falle, dass Sie sich von sympathischen oder rhetorisch besonders gewandten Bewerbern das Ruder aus der Hand nehmen lassen und nach dem Gespräch mit Schrecken feststellen: "Wie ärgerlich, das habe ich nicht gefragt."
Achten Sie beim Erstellen des Leitfadens darauf, unterschiedliche Fragetypen und Aufgabenstellungen miteinander zu kombinieren. Mit biografiebasierten Fragen können Sie ermitteln, wie sich der Bewerber bisher in bestimmten Situationen verhalten hat. Aus der Antwort können Sie schließen, wie sich der Bewerber vermutlich in Ihrem Betrieb verhalten würde.
Greifen Sie außerdem typische Situationen aus Ihrem Unternehmen auf: "Stellen Sie sich vor, nächste Woche ist eine wichtige Messe, aber Ihr Exponat ist noch nicht reif für die Präsentation. Was würden Sie tun?" Durch solche Fragen erfahren Sie, wie der Bewerber für Ihr Unternehmen typische Problemstellungen lösen würde.
Ungewöhnliche Fragen stellen
Stellen Sie auch Fragen zur Persönlichkeit des Bewerbers beziehungsweise solche, die Ihnen einen Einblick in dessen Wertesystem ermöglichen. Vermeiden Sie dabei die üblichen Standardfragen wie: "Was sind Ihre Stärken?". Denn hierauf sind Bewerber in der Regel vorbereitet und haben sich Antworten zurechtgelegt. Weniger verfälschte Antworten erhalten Sie auf Fragen wie: "Wenn Sie Ihr Chef wären, was würden Sie über sich sagen?" Wichtig ist dabei nicht nur, was der Bewerber erwidert, sondern auch, wie er reagiert. Denn im Arbeitsalltag werden Mitarbeiter in Schlüsselpositionen häufig mit Situationen und Fragestellungen konfrontiert, auf die sie sich nicht vorbereiten konnten, und müssen diese souverän meistern.
Bewährt hat es sich auch, Bewerbern aktuelle Aufgaben zu stellen, vor denen das Unternehmen steht. Zum Beispiel: "Wir möchten ein Customer-Relationship-Management-System einführen. Wie würden Sie das angehen?" Alternativ können Sie den Bewerber mit einem Kollegen über die beste Lösung diskutieren lassen.
Auf die eigene Darstellung achten
Um zu erkennen, welcher Bewerber der richtige ist, sind Gesprächsführungs- und Interviewtechnik sehr wichtig. Untrainierte Führungskräfte erzählen in Bewerbungsgesprächen oft mehr über sich und ihr Unternehmen, als sie fragen. Doch wer vorschnell zu viele Infos preisgibt, der riskiert, dass der Bewerber seine Antworten genau den Anforderungen anpasst. Wer beispielsweise betont, wie wichtig Teamarbeit im Unternehmen ist, hört vom Bewerber sicher, dass er ein guter Teamplayer ist, selbst wenn er als Einzelkämpfer arbeitet. Deshalb sollten ungeübte Interviewer vorher die richtige Gesprächsführung trainieren. Dies zahlt sich auch bei anderen Gelegenheiten aus, beispielsweise bei Kundengesprächen.
So vorbereitet kann im Auswahlgespräch nicht viel schief gehen. Einige Dinge sollten Sie aber noch beachten: Verlassen Sie sich nie ausschließlich auf Ihr Urteil. Ziehen Sie mindestens einen Kollegen hinzu. Denn dann kann die Person, die gerade nicht das Gespräch führt,
auf die nonverbalen Aussagen des Bewerbers achten, die oft aussagekräftiger sind als die verbalen, und
Stichworte notieren, denn nach dem fünften Interview weiß sonst niemand mehr, was der erste Bewerber sagte.
Behandeln Sie jeden Bewerber mit Respekt und Wertschätzung. Schaffen Sie eine möglichst angenehme Atmosphäre. Nehmen Sie sich Zeit für das Gespräch. Denn nur wenn der Bewerber Ihnen Vertrauen schenkt, öffnet er sich und offenbart Ihnen seine wahren Motive für einen Jobwechsel. Dann verhält er sich auch so, wie es seiner Persönlichkeit entspricht, anstatt fürs Vorstellungsgespräch einstudierte Verhaltensweisen zu zeigen.
Bedenken Sie außerdem: In jedem Auswahlgespräch präsentiert sich auch Ihr Unternehmen. Der Eindruck, den Sie beim Bewerber hinterlassen, hat auf dessen Entscheidung, ob er den Job annimmt, einen starken Einfluss. Und wenn Ihre Wege nicht zusammenführen - weil Sie sich gegen den Bewerber oder er sich gegen Sie entscheidet - , dann hängt es vom hinterlassenen Eindruck ab, ob sich die betreffende Person gegenüber ihren Verwandten und Bekannten positiv oder negativ über Ihr Unternehmen äußert. Dass Sie sich als attraktiver Arbeitgeber profilieren, ist gerade in Zeiten, in denen gute Fach- und Führungskräfte rar sind und bei der Stellensuche mehr oder weniger freie Auswahl haben, sehr wichtig.
Nachbereitung nicht vergessen
Ebenso wichtig ist eine sorgfältige Nachbereitung. Ergänzen Sie nach jedem Gespräch oder am Ende jedes Bewerbertags Ihre Notizen. Und stellen Sie die Ergebnisse so zusammen, dass Sie die Bewerberprofile gut mit dem Anforderungsprofil vergleichen können. Schlafen Sie anschließend mindestens eine Nacht, bevor Sie sich entscheiden.
Bevor Sie die Entscheidung treffen, erstellen Sie ein Ranking der drei oder fünf besten Bewerber. Dann haben Sie Alternativen parat.
Beim Erstellen des Rankings sollten Sie mit Ihren Kollegen auch darüber sprechen, warum Sie beim Bewerber A, obwohl er formal alle Kriterien erfüllt, eventuell ein "eher schlechtes Gefühl" haben, und beim Bewerber B den Eindruck, er könne der bessere Mitarbeiter sein, obwohl er einzelne Anforderungen nicht ganz erfüllt. Denn selbst mit der besten Vorbereitung und Gesprächsführung können Sie bei Auswahlgesprächen nie absolut objektive Ergebnisse erzielen. Außerdem bilden Auswahlgespräche nie den Arbeitsalltag ab. Deshalb sollten Sie auch auf Ihren Bauch hören, wenn er Ihnen sagt: "Nein, dieser Bewerber ist es trotz aller Vorzüge nicht" - jedoch nie ohne sich zuvor zu fragen: Warum sträuben sich mir bei diesem Bewerber die Nackenhaare? Ansonsten ist die Gefahr groß, dass Sie die funktionalen Anforderungen aus dem Blick verlieren und letztlich doch rein nach Sympathie oder Ähnlichkeit entscheiden - was zu den meisten Fehlbesetzungen führt. MF