Im Normalfall, so könnte man sagen, benötigt ein Mensch kein Testament. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt dann durch Gesetz, wie die Hinterlassenschaften, Werte aber auch Schulden auf Kinder, Eltern und nahe Verwandte aufzuteilen sind.
Auch bezüglich E-Mail-Postfächern oder Community-Profilen in sozialen Netzen lässt das BGB zivilrechtlich keinen Zweifel. Die Erben werden Gesamtrechtsnachfolger und treten damit in jeden bestehenden Vertrag des Verstorbenen ein. Insofern könnten sie auch jederzeit Zugriff auf die Leistungen des Internet-Anbieters fordern, bei dem der Verstorbene einen Account angelegt hatte. Und damit auch Zugang zu den dort gespeicherten Daten erlangen.
Doch es mehreren sich die Stimmen die dazu raten, schon zu Lebzeiten nicht nur eine Patientenverfügung, sondern auch eine Regelung des digitalen Nachlasses zu hinterlegen.
Denn ein E-Mail-Postfach ist etwas anderes, als die Schreibtischschublade des Erblassers. Während im normalen Leben durchaus selektiert und nur wenig Briefpost gezielt jahrelang aufgehoben wird, findet sich in deutschen E-Mail-Postfächern oft ein Datenbestand, der nicht selten Jahrzehnte zurückreicht.
Der digitale Nachlass gibt Persönliches preis
Vieles davon ist belanglos - einiges aber nicht. Innere Gedanken, Briefwechsel, schnell dahingeschriebene Äußerungen. Aber auch Datenspuren zu Bekannte, Freunden und Liebschaften finden sich darin. Und Dank zahlreicher Status-Mails verschiedener Communities, Foren und Themenportale lässt sich leicht ein sehr umfassendes Interessen- und Vorlieben-Profil des Nutzers erstellen.
Doch nicht nur von ihm: Auch von seinen Kommunikationspartnern wird Höchstpersönliches in einem Umfang archiviert und damit auch preisgegeben, wie es in anderen Lebensbereichen undenkbar wäre.
Natürlich streben Eltern nach Erinnerung, wollen festhalten, was Ihnen vom eigenen Kind noch geblieben ist, egal ob minderjährig oder erwachsen. Und als Provider mit Eltern konfrontiert zu sein, die ihren erwachsenen, aber einzigen Sohn erst wenige Tage zuvor beim Autounfall verloren haben, ist eine äußerst beklemmende Angelegenheit. Nun als Anbieter darüber entscheiden zu müssen, ob höchst intimen Daten herausgegeben werden können, ist ein moralisches Dilemma Sondergleichen.
Wollte der Verstorbene das alles preisgeben?
Denn: Wollte der Verstorbene das? Immerhin war er zunächst Nutzer des jeweiligen Dienstes und der Anbieter sollte sich ihm gegenüber verpflichtet fühlen. Soll der Provider interpretieren, in welchem Verhältnis sich die Familie zueinander befunden hat? Gibt es einen Unterschied zwischen einem tragischen Unfalltod eines Erwachsenen und einem Selbstmord, der ratlose Eltern überrascht und ahnungslos zurücklässt, während das E-Mail-Postfach Aufklärung bringen könnte?
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Zivilrechtliche Erbschaftsregeln hin oder her: Hier geht es nicht mehr um die Aufteilung der materiellen Werte und Hinterlassenschaften, wie es das BGB seit jeher im Sinn hat. Das digitale Profil eines jeden Nutzers ist heutzutage dermaßen umfassend, dass es tief in die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten eingreift. Schon zu Lebzeiten muss ein Nutzer darauf vertrauen können müssen, dass Privates privat bleibt. Ansonsten beginnt er sich anders - vorsichtiger - zu verhalten. Das wären Auswirkungen auf die Gedanken- und Meinungsfreiheit, die gesellschaftlich nicht akzeptiert werden können.
Doch wie kann das Dilemma gelöst werden? Neben Rechtsanwälten bieten auch Verbraucherzentrale Beratung zum digitalen Nachlass. Auch bestünde die Möglichkeit, eine besonders vertrauenswürdige Person mit einer Generalvollmacht zum Löschen der Konten bei Amazon, Facebook oder Paypal auszustatten - oder sie anzuweisen, das eigene Profil wo möglich in einen "Gedenk-Modus" zu versetzen und damit der Nachwelt ausdrücklich zu erhalten.
Auch professionelle Anbieter wie Semno haben dieses Problem erkannt und können - nach umfassende Beratung über das Für und Wider der verschiedenen Möglichkeiten - per Vollmacht als digitaler Nachlassverwalter beauftragt werden.
Doch die Hürde für eine wirkliche testamentarische Regelung ist hoch. Die meisten Menschen kümmern sich erst spät in Ihrem Leben darum. Und so kann kaum darauf vertraut werden, dass heutige Nutzer rechtzeitig Regelungen für ihren digitalen Nachlass gefunden haben.
Verantwortungsvolle Anbieter ergreifen die Initiative
Dabei kann die Sache so einfach sein, wenn Anbieter die Initiative ergreifen: Ihre Kunden könnten jederzeit selbst angeben, wie mit ihrem digitalen Nachlass umzugehen ist. Während in Nutzerprofilen heute fassend umfassend alles mögliche einzustellen ist, fehlen Aussagen zum digitalen Nachlass erstaunlicherweise fast überall.
Eine wirksame juristisch Regelung ist indes nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint: Da die Erben mit in den Vertrag eintreten, könnten sie jede frühere Regelung des Verstorbenen widerrufen und unwirksam machen - und damit sogar ein etwaiges Herausgabeverbot.
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Einen möglichen Lösungsweg zeigt der Berliner E-Mail-Anbieter mailbox.org: Dessen Kunden können eine aufschiebend bedingte Löschungsanweisung für das dortige Online Konto hinterlassen, die mit dem Tod des Nutzers in Kraft tritt. Änderungsanweisungen der Erben kämen dann in jedem Fall zu spät. Im umgekehrten Fall kann auch ausdrücklich klargestellt werden, dass Zugangsdaten an etwaige Erben oder auch frei benannte Dritte herausgegeben werden sollen. Auch das ist für alle Beteiligten eine moralisch entlastende und erleichternde Regelung.
Ob und wie solche Konstrukte auf Dauer auch höchstrichterlich Bestand haben werden, wird sich vielleicht - hoffentlich? - nie klären. Denn eines stellen diese Regelungen zumindest eindeutig klar: Was der Verstorbene selbst gewollt hätte. Und damit erhalten Hinterbliebene ebenso wie auch der Provider den eindeutigen Rahmen, wie in Würde und Andenken im Sinne des Verstorbenen zu entscheiden ist - Rechtsfragen hin oder her.