Digitaler Zwilling

So begleiten Sie Ihre Kunden zum Digital Twin

28.04.2021 von Raimund Schlotmann  IDG ExpertenNetzwerk
Die Erstellung eines digitalen Zwillings ist derzeit noch sehr aufwendig. Dienstleister sollten mit ihren Kunden daher bereits vor dem Start des Projektes die Ziele klären.

Laut Gartner sollen bis 2021 die Hälfte aller großen Industrieunternehmen digitale Zwillinge einsetzen. Das kommt wohl darauf an, wie weitgehend man "digitaler Zwilling" definiert. Muss es und kann es überhaupt gleich ein vollwertiger digitaler Zwilling sein?

Digitale Zwillinge können über den gesamten Produkt Lebenszyklus eingesetzt werden, von der Produktplanung bis zum Betrieb und sogar bei der Verschrottung. Das kann die Simulation vor der Produktentstehung sein, bei der man Eigenschaften virtuell testet bevor die teure reale Entwicklung startet, oder es könnte die vorausschauende Wartung im Betrieb sein, die Stillstandszeiten verringert, indem die Wartung eingeleitet wird, bevor ein Teil defekt ist.

Lesetipp: FAQ Digital Twinn - Wer braucht den Digitalen Zwilling wirklich?

Ein dreidimensionaler digitaler Zwilling lässt sich in Präsentationen gut zeigen und verheißt Wunder. Die Realisierung bedeutet aber nicht unerhebliche Investitionen. Aus diesem Grund sind eine Zielklärung und die Frage nach der Wirkung also nach dem "so-what?" unerlässlich.

Digitaler Zwilling - "so-what?"

Fragen Sie nach dem "so-what" um zu Business-getriebenen Entscheidungen zu kommen. Es wäre ganz wunderbar, wenn die Autowerkstatt ständig einen digitalen Zwilling von fahrenden Autos sehen könnte und die Kunden in die Werkstatt rufen würde, bevor das Auto defekt ist. Vielleicht reicht aber auch erst einmal die Online-Abfrage von ein paar Sensoren aus, um das Geschäftsmodell "Vorausschauende Wartung" (Predictive Maintenance) umzusetzen? Um an den Kern des Nutzens zu gelangen, lassen Sie Ihr digitaler-Zwilling-Vorhaben am besten auf der "so-what-Geschäftsmodell-Ebene" pitchen, wie das Startups bei ihren Investoren müssen.

Bevor ein Unternehmen das Projekt digitaler Zwilling startet, sollten klare Ziele definiert werden und dabei können Dienstleister wie z.B. Systemhäuser unterstützen.

Wenn sie den Grundgedanken des digitalen Zwillings erst einmal verinnerlicht haben, kommen Ihnen höchst wahrscheinlich naheliegende Ideen, die im Hier und Jetzt umgesetzt werden können. Wenn Ihr Kunde z.B. die Wartungsanleitung eines Motors per QR Code auf seinem Tablet abrufen können soll, benötigen Sie erst einmal nur einen digitalen Informationszwilling.

Es macht Sinn, sich zunächst drei Vertiefungsebenen von digitalen Zwillingen zu verdeutlichen:

1. Der Informationszwilling

Mechanische 3D Modelle sind Standard. Ein echter digitaler Zwilling benötigt aber nicht nur das mechanische Modell, sondern auch die Elektrik, Elektronik und Software - und das Ganze in einem kombinierten Modell.

Stellt man sich einen digitalen Zwilling eines Menschen vor, wäre ein 3D-Abbild von Knochen und Haut ohne Blutbahnen und der Software im Kopf kein vollständiger digitaler Zwilling. Er würde aber schon einmal ausreichen, um alle zur Verfügung stehenden Wartungsinformationen den Körperteilen zuzuordnen. Das wäre dann ein Digitaler Informationszwilling einer Person - alle Informationen über den Körper sind dem digitalen Abbild zugeordnet. Für eine Maschine, eine Anlage oder ein Gebäude funktioniert das nicht anders.

Digitaler Informationszwilling einer Bohrinsel
Foto: Elnur - shutterstock.com

2. Simulation bzw. Kinematisierung

Mit dem Schritt Simulation und Kinematisierung kommt Bewegung in den digitalen Zwilling. Das heißt zum Beispiel: ein Förderband oder ein Ausleger bewegt sich wie das Original. Dabei kann z.B. analysiert werden, ob Teile irgendwo kollidieren, bevor die Maschine oder Anlage gebaut wird. Dieser Schritt setzt auf Simulationstechniken.

Die Kinematisierung eines 3D Modells kann wertvolle Erkenntnisse für die spätere Inbetriebnahme liefern. Eine weitgehende Umsetzung eines digitalen Zwillings nutzt zum Beispiel Steuerungsprograme einer Anlage oder Gebäudetechnik und kann helfen diese bereits zu verbessern, bevor die Anlage steht.

Aufwand und Nutzen müssen abgewogen werden. Für kritische Infrastrukturen spielt dabei z.B. der Nutzen durch erhöhte Sicherheit eine große Rolle. Die Zeitersparnis durch verkürzte Produktentstehungszyklen kann relevante Wettbewerbsvorteile bringen.

3. Betriebs-/Steuerungszwilling

Für einen solchen vollwertigen Betriebs- und Steuerungszwilling der sogenannten As-Built-Variante eines Produktes, eines Gebäudes oder einer Anlage werden Echtzeitdaten aus dem Betrieb benötigt. Auf diesem Weg entsteht ein Abbild eines realen und laufenden Objektes. Hierzu benötigt man nicht nur das Produktdatenabbild des Produktes oder Plans, sondern das Datenabbild des konkreten Objektes, so wie es gebaut und installiert wurde. Dummerweise vielleicht vor fünf Jahren - als noch keiner an digitale Zwillinge gedacht hat.

Und selbstverständlich müssen die Echtzeitdaten der konkreten Maschine, Anlage oder der Gebäudetechnik überhaupt abzugreifen sein. Eventuell gibt es die notwendigen Sensoren gar nicht. Damit wären wir dann beim Thema Industrial Internet of Things (IIoT). Solange ein digitaler Zwilling kein natürliches Abfallprodukt der täglichen Produktentstehung ist, ist ein Schritt für Schritt Vorgehen unerlässlich.

Projektaufgaben für das Systemhaus und den Kunden

Suchen Sie nach ersten Schritten, deren Geschäftsmodell sich rechnet und die dem Kunden eindeutig und klar einleuchten. Je stärker die Produktentstehung in Zukunft auf Basis kinematisierter 3D Modellen arbeitet, je einfacher wird es sein, im ganzen Unternehmen an digitalen Zwillingen zu arbeiten. Damit wird die Schwelle zur Anwendung von digitalen Zwillingen sinken.

Wenn allerdings heute noch nicht einmal die vorhandenen Produktdaten und Informationen unternehmensweit zur Verfügung stehen und die Dokumentationsabteilung oder das Marketing für den Produktfilm mühsam nach der letzten und gültigen 3D-Zeichnung suchen muss, liegt die Hausaufgabe schon einmal klar auf dem Tisch - und diese kann heute bearbeitet werden und hat einen sofortigen Nutzen.

Der Weg zu digitalen Zwillingen führt nämlich über saubere Stammdaten, 3D-Modellierung und Simulation sowie durchgängiges Arbeiten auf einem Produktdatenmodell - über den gesamten Lebenszyklus und im gesamten Unternehmen. (bw)