Machine Learning und Co.

Smarte Technologien revolutionieren den Handel

12.06.2020 von Enzo Hanke
Effiziente Prozesse im Einzelhandel sind angesichts fortschreitender Digitalisierungsinitiativen verstärkt an die gezielte Verwertung der anfallenden Datenbestände gekoppelt. Hier ergeben sich durch die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning-Konzepten (ML) neue Gestaltungsspielräume.
Machine Learning-Algorithmen helfen Spar die Regale der Supermärkte rechtzeitig mit den richtigen Waren zu befüllen.
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Viele Supermarktketten und andere Einzelhandelsunternehmen stehen vor der Frage, wie sie Ertragseinbußen und Absatzhemmnisse in ihren Geschäften verorten und ihnen entgegenwirken können. Ein Lösungsansatz besteht darin, Standorte mit ähnlichen Rahmenparametern zu gruppieren und den Absatzdifferenzen innerhalb einzelner Gruppen auf den Grund zu gehen. Zusätzlich können gezielte Analysen zu einzelnen Produkten wertvolle Informationen liefern, wie sich bestimmte Anomalien verringern lassen. Eine solche Anomalie wäre beispielsweise der außergewöhnlich hohe Abverkauf einer Rotweinsorte in bestimmten Filialen. Hier kann Machine Learning (ML) einen entscheidenden Beitrag leisten, die Gründe für die Diskrepanz zur Norm zu analysieren und etwaigen Versorgungsengpässen vorzubeugen.

Cluster-Bildung sorgt für Vergleichbarkeit

Für den effektiven Einsatz von Machine Learning bietet es sich an, einzelne Märkte mithilfe von Standort-Clustern etwa nach den Unterscheidungskriterien Shop-Größe oder geografische Lage zu erfassen. Die tägliche Analyse der Verkaufsanteile in den Shop-Clustern erlaubt es, Abweichungen bis hinab auf Artikelebene automatisiert zu berechnen und miteinander zu vergleichen. Auf diese Weise gelingt es mithilfe von ML, einerseits die Filialen nach ihrer Performance zu bewerten und einzuteilen sowie andererseits unternehmensweit die Artikel mit den größten Ertragseinbußen pro Shop und Kontrollgruppe ausfindig zu machen. So können Schwächen im Sortiment, der Logistik-Abwicklung, Personalplanung und in den Arbeitstechniken erkannt und Rückschlüsse daraus gezogen werden.

Wenn beispielsweise deutlich wird, dass in mittelgroßen Shops zu wenig frisches Brot für den Abverkauf am Nachmittag vorhanden ist, lassen sich Prozesse entsprechend ganzheitlich optimieren, damit ausreichend Bäckerei-Mitarbeiter mit dem entsprechenden Wareneinsatz rechtzeitig mit der Vorbereitung des Backvorgangs beginnen können.

Großes Potenzial für Verkaufsaktionen

Was sich im Standard-Tagesgeschäft als überaus hilfreich erweist, macht sich auch in saisonalen Verkaufsperioden wie zum Beispiel der Vorweihnachtszeit bezahlt. Mithilfe von Machine Learning lässt sich nicht nur der Umsatz prognostizieren, sondern es können auch vollautomatisiert Nachbestellungen ausgelöst werden. Zudem zeigen sich Stärken des ML-Ansatzes bei Aktionsmengen-Bestellungen: Spezielle Verkaufsaktionen bilden für viele Einzelhändler das wichtigste Zugpferd, um zusätzliche Kunden in den Laden zu locken. Allerdings ist es aufwendig und kompliziert, die benötigten Artikelmengen der Aktionsware im Vorfeld zu bestimmen, mit den Lieferanten und Händlern die Preise auszuhandeln und die Waren kosteneffizient den Kunden zur Verfügung zu stellen.

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Doch es geht auch besser: Durch die Etablierung von ML-Prozessen lassen sich Arbeitsabläufe automatisieren und effizient gestalten. Dadurch ist es in Einzelfällen möglich, dass wöchentlich bis zu acht Stunden pro Standort eingespart werden können - Zeit, die an anderer Stelle dringend benötigt wird.

KI und ML in der Praxis: Welcher Wein wann besonders oft gekauft wird

Um den ML-Prozess aufzusetzen und den Bedarf an Aktionsprodukten bestimmbar zu machen, wird eine zentrale Datenplattform benötigt, die die Daten aufbereitet und Features verwaltet. Mithilfe einer detaillierten Datenanalyse können etwa neue Erkenntnisse über benötigte Aktionsmengen getroffen werden. Dabei gilt es, das bereits vorhandene Datenmaterial zu analysieren und Rückschlüsse auf zu erwartende Absätze und Nachfragemengen zu ziehen.

Das Handelsunternehmen Spar Österreich setzt ML in Mittel- und Osteuropa ein und erzielte unter anderem in ihrer Landesorganisation Ungarn mithilfe eines Algorithmus verblüffende Erkenntnisse: Eine recht teure Rotweinsorge reagierte viel stärker auf die Promotion und wurde fünfmal häufiger gekauft als im regulären Betrieb, das günstigere Bier immerhin zweimal häufiger. Bei einem Energy-Drink blieb die Nachfrage hingegen nahezu unverändert, trotz Promotion wurde dieser nur 1,2 mal häufiger verkauft als vorher.

Gerd Karnitschnig, Leiter Software Solutions International bei der Aspiag (Austria Spar International AG): "Wir haben die Notwendigkeit erkannt, mit Machine Learning-Komponenten unsere Prozesse zu optimieren."
Foto: ASPIAG Management AG

Mithilfe der Datenanalyse ließ sich zudem nachweisen, dass eine bestimmte Weinsorte am Donnerstag besonders häufig verkauft wurde. "Wir haben deutlich die Notwendigkeit erkannt, den Aufwand zu minimieren, der in den einzelnen Filialen im Rahmen von Verkaufsaktionen entstanden war, und unter Einsatz einer Spezialistentruppe sowie unter Zuhilfenahme von Machine Learning-Komponenten die Prozesse zu optimieren", erklärt Gerd Karnitschnig, Leiter Software Solutions International bei der Aspiag (Austria Spar International AG). "Dabei werden nicht nur Machine Learning-Algorithmen verwendet, sondern auch historisches Datenmaterial, um die Ergebnisse via Datenabgleich schrittweise zu verbessern."

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Im Zuge der Etablierung des ML-Modells hat Spar gezielt Spezialisten in bestimmten Bereichen des Sortiments als Mitarbeiter des neuen Forecast-Teams rekrutiert. Dabei kamen unterschiedliche Methoden zur Datenaufbereitung und mehrere Machine Learning-Modelle in den einzelnen Sortimenten zum Einsatz. Für die Aufbereitung wurden alle Aktionsaktivitäten innerhalb einer Woche erfasst und die Aktionsartikel klassifiziert. Mithilfe der neuen Aufbereitungsmethoden war es möglich, automatisiert ähnliche Shops mit ähnlichen Artikeln zu vergleichen und aufgrund der hohen Geschwindigkeit bestehende Anomalien zeitnah aufzudecken.

Eine derartige Analyse ohne die Zuhilfenahme von ML würde weitaus länger dauern und wäre dabei längst nicht so effizient. "Innerhalb unseres Warenwirtschaftsmanagements erfolgt die gesamte Aufbereitung von Daten aus unterschiedlichen Quellen in der Umgebung einer einzigen Datenbankplattform. Von dort ausgehend werden sämtliche benötigten Daten verarbeitet", erläutert Karnitschnig.

Neuer Workflow mit Best Practice-Potenzial

Für das Forecast-Team stellt sich der Bearbeitungsdialog in der Praxis folgendermaßen dar:

Die Ergebnisse von mehreren ML-Algorithmen werden unterschiedlich gewichteten starken historischen Wochenumsätzen gegenübergestellt. Abhängig von weiteren Parametern, wie der Jahreszeit oder dem Uplift (Umsatzreaktion je nach Preisdifferenz) entsteht eine Entscheidungsmatrix. Der ML-gestützte Workflow kombiniert eine Vielzahl von KPIs, anhand derer sich ein Überblick gewinnen lässt. Darunter fallen die Hochrechnungslogik der Filial-Lagerbestände (wie viel Wein ist in Filiale X vorrätig?), die Mengenverteil- und Anliefer-Split-Logik (Optimierung der Auslieferung) und die voraussichtliche Abverkaufskurve über die Tage in der Aktionsperiode.

Ein lernendes System: Abgleich von Forecast und tatsächlichen Ergebnissen

Im Nachgang des Bearbeitungsdialogs kann der Anwender genaue Aussagen darüber treffen, ob der Forecast mit dem tatsächlichen Resultat übereingestimmt hat oder in welcher Richtung und welchem Umfang es zu Abweichungen kam. Auf diesem Weg gelingt es, die durch den ML-Prozess ermittelten Werte im Hinblick auf Anomalien zu untersuchen und folgende Fragestellungen auszumachen: Wann wurde der Wein wo besonders gut verkauft, wie hoch war der Umsatzanteil im Vergleich zur Vorwoche und an welchen Tagen lief es nicht so gut? Dies liefert die Grundlage, die unterschiedlichsten Faktoren in das ML-Modell einzuspeisen, um den Absatz-Erfolg eines Produkts zu prognostizieren. Die Erfahrungen können ebenfalls genutzt werden, um das Modell (den Forecast) immer weiter zu verfeinern.

"Die Entscheidungsfindung für Aktionsmengenbestellungen von den Filialen in die Zentrale zu verlagern, markiert einen großen Schritt und wir sehen, dass die Ergebnisse, die unter anderem mithilfe des ML-Modells erzeugt werden, größtenteils besser sind als bei dem früheren dezentralen Prozedere. Das vergrößert die Entscheidungssicherheit in der Zentrale deutlich und entlastet die Belegschaft in den Filialen", resümiert Karnitschnig. "Die ersten Schritte in diese neue Richtung sind erfolgreich verlaufen - und wir haben große Erwartungen an die Implementation der neuen Datenbankversion in unsere bestehenden Prozesse und Strukturen, um perspektivisch Datenauswertungen für weitere Anwendungsfälle komfortabel 'on the fly' durchführen zu können."

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Durch die Verwendung von KI- und ML-Anwendungen in Kombination mit einer leistungsfähigen Datenplattform können zuverlässige Vorhersagen und Analysen erstellt werden. Sie führen unter anderem dazu, dass Lagerzeiten von Waren effizient gestaltet oder Sonderangebote zum idealen Zeitpunkt beworben werden können. In einem Business mit traditionell sehr geringen Margen und einem intensiven Wettbewerb machen bereits kleinste Optimierungen den Unterschied aus und sorgen zum Beispiel für eine höhere Kundenzufriedenheit, steigende Umsätze und sinkende Kosten.