Vor rund zwei Jahren hat Microsoft Sharepoint 2010 vorgestellt. Seitdem etabliert sich die Software als Collaboration-Zentrale in vielen Unternehmen. Zeit für eine Bestandsaufnahme und die Frage, wie sich die Plattform entwickeln sollte.
von Boris Ovcak (Campana & Schott)
Standen in der Vergangenheit meist einzelne Funktionen von Sharepoint im Fokus der Anwender, so dreht sich heute viel um konkrete Anwendungsszenarien: Wie lassen sich Interaktivität, benutzerspezifischer Inhalt und eine "Search-Driven User Experience" für Inter- und Intranet-Szenarien am effizientesten umsetzen? Was ist beim Bereitstellen von integrierten Prozessapplikationen zu beachten, oder wie kann Social Media in Unternehmen das Wissens-Management sinnvoll fördern?
Kein Werkzeugkasten für Endanwender
Die funktionalen Versprechen hat Microsoft mit Sharepoint 2010 weitgehend erfüllt. Collaboration, Dokumenten-Management, Web-Content-Management, Suche, Social Media, Formulare und Workflow, Business Intelligence - die Funktionen reichen für die meisten Ansprüche aus. Sicher gibt es immer noch Spezialsoftware, die für spezielle Anwendungsfälle mehr Funktionen bietet. Aber in seiner Kombination aus Funktionsvielfalt und Leistungsfähigkeit erfüllt Sharepoint 2010 den eigenen Anspruch, seinen Kunden eine Business-Plattform zu bieten.
Anders verhält es sich dagegen mit Microsofts Marketing-Versprechen, dass der Endanwender in die Lage versetzt werde, sich für seine Bedarfe mit Sharepoint selbst eine Arbeitsumgebung einzurichten. Auch wenn Sharepoint mit dem "Office User Interface" und seinen einfachen Konfigurationsfunktionen grundsätzlich die Möglichkeit hierzu bieten würde, ist die Funktionsvielfalt doch viel zu hoch und sind die Bedarfe zu unterschiedlich und zu komplex, als dass sich dies in der Praxis sinnvoll umsetzen ließe. Außerdem sprechen Governance-Gesichtspunkte dagegen, jedem Anwender einen mächtigen Werkzeugkasten an die Hand zu geben. In der Praxis hat sich bewährt, dass Spezialisten in den Unternehmen Anwendungen konzipieren, initial implementieren und anschließend an Power User übergeben.
Sharepoint braucht Governance
Der Funktionsumfang sowie die daraus resultierenden Einsatzmöglichkeiten machen eine eigene Governance für Sharepoint notwendig. Nur so lassen sich teure Informationssilos vermeiden und die Wartbarkeit gewährleisten. Das ist in vielen Unternehmen angekommen, so dass selten eine Sharepoint-Infrastruktur ohne entsprechende Regelwerke bereitgestellt wird. Allerdings fokussiert sich die Debatte häufig auf die technischen Funktionen. Anwendungsszenarien werden erst im Anschluss diskutiert, bereits getroffene grundsätzliche Festlegungen der Infrastruktur verhindern dann aber oft das Ausschöpfen der Potenziale.
Eine IT-Strategie zu Sharepoint als Ausgangspunkt aller Governance-Überlegungen fehlt häufig. Die Verantwortlichen sollten sich fragen: Welche grundlegenden Bedarfe und Szenarien sollen künftig auf Basis von Sharepoint erfüllt und realisiert werden? Die Ergebnisse dieser Überlegungen sollten die Basis einer Sharepoint-Governance und der Infrastrukturdiskussion sein - und nicht umgekehrt.
Einsatzszenarien werden vielfältiger
Unternehmen haben mittlerweile verstanden, dass Sharepoint mehr als eine Art Web-basierende Dokumentenablage ist. Neben Collaboration-Portalen lassen sich häufig Web-Content-Management-Systeme für das Intranet und Applikationen zur Abbildung von Fachbereichsbedarfen im Kontext von Beantragungs-, Freigabe- und Reporting-Prozessen auf Basis von Sharepoint 2010 in den Unternehmen beobachten:
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DMS: Professionelles Dokumenten-Management mit elektronischen Akten, Langzeitarchivierung und Compliance-Richtlinien wird zwar vereinzelt auf Basis von Sharepoint 2010 betrieben, ist aber eher eine Randerscheinung. Das liegt nicht an der mangelnden Funktionalität. Vielmehr besitzt dieses Spezialgebiet für zahlreiche Anwendungsfälle im Information-Worker-Kontext wenig Relevanz.
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WCM: Auch für die Bereitstellung von Internet-Auftritten ist Sharepoint 2010 eher noch die Ausnahme als die Regel. Dabei bietet die Plattform alle erforderlichen Basisfunktionen und - im Unterschied zu anderen Web-Content-Management-Systemen - den Bedienkomfort der Office-Benutzeroberfläche für die redaktionelle Arbeit.
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Social Media: Ähnlich ist auch die Situation im Umfeld von Social Media. Die notwendige Basisfunktionalität ist vorhanden, wird aber nicht oder nur sehr rudimentär genutzt. Häufig reduzierten sich die ersten Versuche auf die Aktivierung von Blogs, Wikis, My Site und My Profile. Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass eine effiziente Nutzung von Social Media im Unternehmen primär eine organisatorische Herausforderung darstellt, die sich ohne gezieltes Change-Management nur schwer meistern lässt. Grundsätzlich können Anwender die technischen Basisfunktionen von Sharepoint für Social Media genau aufeinander abstimmen.
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Intranet-Portale: Durch Social Media und die Digital Natives zeichnet sich im Bereich Intranet ein Trend zu mehr Interaktivität ab. Das klassische Intranet mit einseitiger Unternehmenskommunikation wandelt sich zunehmend in einen digitalen Arbeitsplatz, in dem Web-Content-Management, Collaboration, Prozessapplikationen und Social Media miteinander verschmelzen. Mit Sharepoint 2010 lassen sich das jeweilige Einsatzszenario isoliert wie auch insbesondere die verschiedenen Szenarien integriert miteinander abbilden. Allerdings schöpfen heute nur wenige Unternehmen das Potenzial vollständig aus. Ein möglicher Grund: Die Sharepoint-Technik ist facettenreich, der technische Reifegrad der Sharepoint-Anwendung in vielen Unternehmen reicht aber oft noch nicht aus, um alle Facetten in erforderlicher Güte abzudecken.
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Search-Driven User Experience: Man kennt das Navigieren durch die Flut von Internet-Inhalten und weiß über die Macht von kontextspezifischen, dynamischen Inhalten aus Internet-Anwendungen wie Amazon.com oder Ebay. Diese Art der Anwendungsgestaltung ist heute jedoch in Unternehmen noch selten anzutreffen. Grundsätzlich können Inhalte via Sharepoint 2010 mit Metadaten klassifiziert und auf Key Words der Suche gemappt werden. Allerdings scheint die Funktionalität Unternehmen und Consultants noch zu überfordern. Vermutlich wird es daher noch eine Generation von Unternehmensportalen benötigen, bis eine Search-Driven User Experience mit dynamischen Inhalten in die Anwendungsgestaltung Einzug hält.
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Mobile: Bislang noch eher ein Randthema, hat die Nutzung von Sharepoint 2010 auf mobilen Endgeräten mit Windows Phone 7 neuen Schwung erhalten. Sharepoint-Seiten lassen sich zwar schon länger für mobile Endgeräte einrichten. Neu ist nun aber die Möglichkeit, Sharepoint-Funktionen über Apps auf mobile Endgeräte zu überführen. Inhalte und Funktionalität werden dabei weiterhin von Sharepoint 2010 bereitgestellt. Denkbare Einsatzszenarien sind Apps, die zum Beispiel ein unternehmensweites Mitarbeitertelefonbuch auf Basis der "Sharepoint Profile Pages" oder einen firmeninternen Kurznachrichtendienst, wie wir ihn von Twitter kennen, auf den mobilen Endgeräten bereitstellen.
Verbesserungspotenziale für die nächste Version
Mit der Bedeutung, die Sharepoint 2010 als zentrale Plattform in Unternehmen mittlerweile erreicht hat, ergeben sich neben weiteren Optimierungen in Detailfunktionen auch neue Bedarfe. Effiziente Transportwege, um Anwendungen auf Basis von Sharepoint 2010 über die verschiedenen Systeme einer IT-Landschaft (Entwicklung, Test, Produktion) zu bewegen, werden beispielsweise in Zukunft gebraucht.
Microsoft muss daher verstehen, dass Sharepoint-Anwendungen einerseits zum Teil geschäftskritisch für Unternehmen sind. Andererseits ist es eine Stärke von Sharepoint, dass sich solche Anwendungen in einem hohen Maß rein mittels Konfiguration beziehungsweise mit einem geringen Anteil an Programmierung bereitstellen lassen. Heutige Transportwege, die zwar programmatisch erstellte Bestandteile unterstützen, bei konfigurierten Komponenten jedoch manuelle Eingriffe erfordern, sind zu wenig.
Auch hinsichtlich der Migration von einer alten auf eine neue Sharepoint-Version muss Microsoft noch nachlegen. Unternehmen haben viel in Sharepoint investiert und tun das weiterhin. Der Anspruch an reibungslose Migrationsverfahren wird wachsen.
(Computerwoche / rb)