Was ist guter Service? Und sind Kunden- und Serviceorientierung das gleiche? Das wissen viele Unternehmen nicht. Deshalb betrachten sich manche als serviceorientiert, nur weil sie ihren Kunden (auch) Dienstleistungen anbieten. Andere offerieren ihren Kunden Serviceleistungen, die diese gar nicht brauchen.
Deutschland ist eine Servicewüste. Diese Aussage liest man oft in Artikeln und Büchern zum Thema Kunden- und Serviceorientierung. Meist werden in ihnen zunächst mehrere Beispiele geschildert, wie Unternehmen durch ihr Verhalten Kunden vor den Kopf stoßen. Und danach folgt die Botschaft: Es geht auch anders. Das heißt, nun werden Beispiele von Unternehmen aufgelistet, die ihren Kunden einen "Top-Service" bieten. Etwa, weil sie alle Autos, die sie reparieren, auch waschen und reinigen. Oder weil sie ihren Kunden eine "lebenslange" Produktgarantie bieten.
Untersucht man diese Bücher und Artikel, dann merkt man laut Vinzenz Baldus, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Servicepeople in Stockum-Püschen im Westerwald:
- Die Begriffe Service- und Kundenorientierung werden meist synonym verwendet. Und:
- Die als Vorbilder erwähnten Unternehmen werden meist für kostenlose Zusatzleistungen gelobt, die sie ihren Kunden bieten. Service wird also weitgehend mit Zusatzleistungen gleichgesetzt.
Zugleich geistert aber ein zweiter Service-Begriff durch fast alle Publikationen zum Thema. So zum Beispiel, wenn die Kellner eines Hotels als Servicemitarbeiter bezeichnet werden. Oder die Mitarbeiter, die Büromaschinen bei den Kunden warten, als Servicetechniker. Hier wird jede Dienstleistung - entsprechend dem englischen Begriff "services" - als Service verstanden.
Nicht jede Dienstleistung ist ein Service
"Diese begriffliche Unklarheit führt oft zu Verwirrung", moniert Uwe Reusche, Geschäftsführer des Institut für Salesmanagement (IFSM) mit Sitz in Urbar, Rheinland-Pfalz. "Manch Unternehmen glaubt: Ich muss meinen Kunden nur möglichst viele Zusatzleistungen bieten und schon bin ich service- und kundenorientiert." Andere wiederum erliegen dem Irrglauben: Wir sind kunden- und serviceorientiert, weil wir unseren Kunden neben dem eigentlichen Kernprodukt auch Dienstleistungen wie zum Beispiel die Wartung der verkauften Maschinen anbieten. Ein Irrglaube, der in den Köpfen vieler Servicemanager lebt.
Doch was ist Service? Diese Frage ist schwieriger zu beantworten als sie sich zunächst anhört. Ist es zum Beispiel Service, wenn ein Frisör seinen Kunden die Haare schneidet? "Nein", lautet die Antwort von Vinzenz Baldus. "Denn dann würde jeder Dienstleister, der seinen Job gut macht, seinen Kunden auch einen guten Service bieten. Damit wäre die gesamte Servicediskussion überflüssig." Deshalb sollten nach seiner Auffassung festgehalten werden: Nicht jede Dienstleistung ist eine Serviceleistung. Des weiteren: Ein Frisör, der seinen Kunden die Haare schneidet, erledigt zwar seinen Job. Er bietet seinen Kunden aber noch keinen Service - selbst wenn er die Haare gut schneidet. Dann kann man dem Frisör zwar attestieren, dass er sein Handwerk versteht. Serviceorientiert ist er deshalb noch lange nicht.
Dies ist der Frisör selbst dann nicht, wenn er
- sich bei seinen Kunden vor dem Haareschneiden genau erkundigt, wie sie die Haare gerne geschnitten hätten,
- ihnen vor dem Schneiden ein Frisiertuch umhängt und
- ihnen zum Schluss die abgeschnittenen Haare mit einem Pinsel aus dem Nacken streicht.
Denn dies ist aus Kundensicht ein Bestandteil der von ihm angebotenen Leistung. Also erwarten sie ein entsprechendes Verhalten ganz selbstverständlich von ihm.
Selbstverständlichkeiten sind kein Service
Obige Ausführungen mögen manchem Leser selbstverständlich erscheinen. "Sie sind es aber nicht", betont Marga K. Recker. Die Trainerin und Beraterin aus Mönchengladbach, die sich auf Dienstleistungs- und Handelsunternehmen spezialisiert hat, weiß aus Erfahrung: "Manche Verkäufer betrachten es bereits als Service, wenn ihr Haus Waren umtauscht, die Mängel aufweisen oder den Kunden zu Hause nicht mehr gefallen." Folglich werden diese Kunden wie Bittsteller behandelt. Dabei ist das Unternehmen per Gesetz zur Rücknahme verpflichtet.
Von Service kann laut Recker erst gesprochen werden, wenn ein Kaufhaus oder Fachgeschäft seine Kunden auch beim Umtausch zuvorkommend behandelt und die gekaufte Ware selbst dann umtauscht, wenn die Umtauschfrist verstrichen und der Kunde den Kassenzettel verloren hat. Dann sagt der Kunde: "Die haben einen guten Service."
Bezogen auf den Frisör bedeutet dies: Einen guten Service bietet er seinen Kunden in deren Augen erst, wenn er beispielsweise
- sie nach dem Betreten des Frisiersalons höflich begrüßt,
- ihnen auch ohne Termin die Haare sofort schneidet oder sie zumindest darüber informiert, wie lange sie warten müssen,
- ihnen für die Wartezeit einige Zeitschriften zur Lektüre bringt,
- sie während des Haarschneidens (falls der Kunde dies wünscht) in ein kurzweiliges Gespräch verwickelt,
- ihnen einen Kaffee oder ein Wasser anbietet, und, und, und.
Der Kunde erlebt also nicht das Haareschneiden selbst als Service, sondern die Art, wie der Frisör den Dienstleistungsprozess gestaltet. Das heißt: Als Service erlebt der Kunde nur Leistungen, die über die Leistungen hinausgehen, die er ganz selbstverständlich erwartet.
Serviceerwartung variiert
Doch wann bietet ein Unternehmen einem Kunden mehr Leistung als erwartet? Vinzenz Baldus schildert dies an einem Beispiel: Eine junge Mutter kommt nach dem Einkauf mit ihren drei Kindern in eine McDonald´s-Filiale. Sie geht zur Theke und bestellt mehrere Portionen Pommes, zwei Junior-Tüten, drei Cheeseburger und vier Getränke. Deutlich sieht man der Mutter beim Bezahlen an, dass sie überlegt: Wie soll ich die Einkaufstüten, meine Kinder und das Tablett gleichzeitig zu einem der Tische bringen? Doch Rettung naht. Eine McDonald´s-Mitarbeiterin bietet der Frau an: "Ich trage Ihnen das Tablett zum Tisch." Das ist für die junge Mutter ein "guter" Service. Warum? Kein Kunde erwartet in einem Fastfood-Restaurant, dass ihm ein Mitarbeiter das Essen an den Tisch trägt.
Anders wäre dies laut Baldus in einem normalen Restaurant. Dort hätte die junge Frau es nicht als Service empfunden, wenn der Kellner ihr das Essen zum Tisch getragen hätte. Dort wäre dieselbe Handlung für sie ein Bestandteil der offerierten Leistung gewesen. Das heißt: Was Kunden als guten Service empfinden, hängt davon ab, was sie als Kernprodukt/-leistung eines Unternehmens betrachten und welche Erwartungen sie an die Produkte und Leistungen haben.
Was folgt daraus für das Thema Serviceorientierung? Laut Sven Wulf, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Schneider & Wulf in Babenhausen bei Darmstadt, ist ein Unternehmen serviceorientiert, "wenn es die Erwartungen seiner Kunden nicht einmalig, sondern regelmäßig übertrifft." Das setzt voraus, dass die Verantwortlichen zunächst genau analysieren: Wer sind unsere Kunden, und welche Erwartungen haben sie an uns und unsere Leistung? Denn erst dann können sie laut Wulf alle Abläufe und Prozesse so gestalten, dass sämtliche Erwartungen ihrer Kunden erfüllt werden. Sie können darüber hinaus die Abläufe und Prozesse so gestalten, dass regelmäßig das "Mehr" produziert wird, das aus Kundensicht einen sehr guten von einem guten Dienstleister unterscheidet. Die Qualität des Services darf also laut Wulf zum Beispiel nicht abhängig davon schwanken,
- wann ein Kunde den IT-Dienstleister Schneider & Wulf kontaktiert und
- von welchem Mitarbeiter er betreut wird.
Die Servicequalität muss sozusagen garantiert sein - "selbst wenn sie in keinem Vertrag zugesichert wurde".
Auch aus folgendem Grund: Kunden gewöhnen sich schnell an jeden Service. Er wird für sie selbstverständlich - also erwarten sie ihn. Deshalb sollten Unternehmen, mahnt Wulf, regelmäßig überprüfen, ob sich die Serviceerwartungen ihrer Kunden eventuell verändert haben und ihre Abläufe und Prozesse gegebenenfalls optimieren. Sonst erlebt sich das Unternehmen irgendwann noch als serviceorientiert, obwohl es dies in der Augen seiner Kunden schon lange nicht mehr ist.
Die Kernleistung muss stimmen
Bleibt die Frage: Ist ein Kunde automatisch zufrieden, wenn ein Unternehmen ihm einen guten Service bietet? "Nein", antwortet Uwe Reusche vom IFSM und erläutert dies an einem Beispiel.
Vor einem Jahr kaufte ein Inhaber einer Druckerei beim Vertragshändler eines Herstellers von Luxuslimousinen einen Neuwagen. Vom Service des Unternehmens war er begeistert. Alles stimmte. Er durfte den Wagen lange Probe fahren; die Mitarbeiter des Vertragshändlers erklärten ihm ausführlich die Funktionen des Fahrzeugs. Der Händler war sogar bereit, einige Ausstattungsmerkmale ohne Aufpreis zu verändern. Die Begeisterung des Druckereiinhabers legte sich aber wenige Tage nach der Auslieferung des Fahrzeugs, als er feststellte, dass einige elektronische Bauteile zeitweise aussetzen. Also fuhr er erneut in die Niederlassung. Dort sagte der Verkaufsleiter, das Problem sei bis zum nächsten Morgen behoben. Ohne Zögern stellte er dem Unternehmer sogar ein Fahrzeug der nächst höheren Klasse als Ersatz zur Verfügung. Erneut war der Kunde entzückt. Weniger begeistert war er aber als er einige Tage nach der Reparatur feststellte, dass die elektronischen Fensterheber nicht funktionierten. Der Kunde fuhr erneut in die Niederlassung; der Verkaufsleiter entschuldigte sich vielmals. Er stellte dem Unternehmer wiederum einen Ersatzwagen zur Verfügung. Doch nun war der Kunde von diesem Service nicht mehr begeistert; er war und blieb vielmehr genervt, weil sein Wagen schon wieder muckte. Mittlerweile fährt der Druckereibesitzer das Fahrzeug ein Jahr. Und trotz des guten Services, den die Niederlassung ihm bietet, wird er einen Wagen dieser Marke nicht mehr kaufen, weil er sich immer wieder fragt: Was passiert als nächstes?
Das Beispiel zeigt laut Reusche: "Der beste Service nutzt wenig, wenn der Kunde mit dem Kernprodukt beziehungsweise der Kernleistung eines Unternehmens unzufrieden ist. Dann sagt er sich irgendwann: Die sollten sich lieber den Service-Schnickschnack sparen, und dafür sorgen, dass ihre eigentliche Leistung stimmt." Ähnlich sieht dies IT-Dienstleister Sven Wulf. Nach seiner Auffassung muss jedes Unternehmen kundenorientiert sein - "sonst überlebt es auf Dauer nicht". Es muss sich also gezielt fragen: Was sind die zentralen Bedürfnisse unserer Kunden, die wir auf alle Fälle erfüllen müssen, damit unsere Kunden zufrieden sind? Wie serviceorientiert ein Unternehmen sein muss, hängt seiner Ansicht nach hingegen primär davon ab, in welchem Marktsegment ein Unternehmen zu Hause ist. Zählt es zum Beispiel eher zu den Billig- oder den Premiumanbietern?
Jeder Service hat seinen Preis
Daraus folgt: Kundenorientierte Unternehmen müssen ihren Kunden nicht automatisch auch viel Service bieten. Im Gegenteil. Viele kundenorientierte Firmen zeichnen sich laut Vinzenz Baldus gerade dadurch aus, dass sie ihren Kunden bewusst wenig Service bieten, um deren zentrale Bedürfnisse besser befriedigen zu können. Als Beispiel nennt Baldus den Discounter Aldi - "ein extrem kundenorientiertes Unternehmen". Die Kette hat genau analysiert: Welche Erwartungen haben unsere Kunden? Dabei kamen die Verantwortlichen zum Ergebnis: Unsere Kunden erwarten beim Einkauf in unseren Filialen weniger Service als wenn sie einen Einzelhändler aufsuchen. Also reduzierte das Unternehmen gezielt den Dienstleistungsanteil an seiner Leistung, um seinen Kunden den gewünschten Hauptnutzen bieten zu können: Gute Ware zu einem möglichst günstigen Preis.
Deshalb kann man zwar sagen, Aldi bietet seinen Kunden weniger Service als die meisten Einzelhändler, weniger kundenorientiert ist es aber nicht. Warum? Das Unternehmen erfüllt die Erwartungen seiner Kunden. Deshalb beschwert sich auch kein Aldi-Kunde darüber, dass das Unternehmen ihm wenig oder einen schlechten Service bietet. Im Gegenteil. Das Unternehmen hat seine eigene Fangemeinde.
"Viele Unternehmen", so Marga K. Recker, "machen sich diese Zusammenhänge nicht ausreichend bewusst." Deshalb glauben sie: Je mehr Service wir unseren Kunden bieten, um so kundenorientierter sind wir. Die Folge: Sie versprechen ihren Kunden stets mehr Service und erzeugen so bei ihnen eine Serviceerwartung, die sie nur schwer erfüllen können - "und erzeugen so letztlich unzufriedene Kunden". Andere wiederum begehen den Denkfehler: Mehr Service macht uns automatisch für Kunden attraktiv. Sie vergessen dabei: Jeder Service hat letztlich seinen Preis - weshalb die in Artikeln und Büchern als Vorbilder für einen guten Service erwähnten Unternehmen zumeist auch im hochpreisigen Marktsegment zu Hause sind. (Bernhard Kuntz/mf)
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