Software Defined Networking könnte die Netze revolutionieren

SDN zwischen Hype und Realität

27.06.2013 von Bernd Reder
Marktforscher sehen in Software Defined Networking eine Technik, die Unternehmensnetze und Carrier-Infrastrukturen revolutionieren könnte. Entsprechend groß ist der Hype, den Anbieter von Netzkomponenten um diese Technik entfacht haben. Doch es gibt unterschiedliche Herangehensweisen und Produktstrategien in Bezug auf SDN.

Von Hartmut Wiehr

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Foto: Heinz Waldukat - Fotolia.com

Die Aufmerksamkeit, die das Thema Software Defined Networking (SDN) auf sich zieht, ist ungebrochen. Gerade in den ersten vier Monaten des Jahres 2013 überschlugen sich die Hersteller von IT-Komponenten geradezu mit Ankündigungen von SDN-Strategien und entsprechenden Produkten. Neben etablierten Netzwerkfirmen wie Alcatel-Lucent, Arista, Cisco Systems, Dell, Juniper Networks, IBM und VMware kündigten auch Halbleiterfirmen wie Intel SDN-Produkte und "Blaupausen" für entsprechende Produkte an. Hinzu kommen kleine, hoch spezialisierte Anbieter von SDN-Komponenten. Dazu zählt Pica8. Das Unternehmen hat eine "hardwarelose" SDN-Referenzarchitektur vorgestellt.

Entwicklungstrends im Rechenzentrum: Laut IDC zählt SDN neben 100-Gigabit-Ethernet zu den Technologien, die das Data Center in den kommenden Jahren maßgeblich prägen werden.
Foto: IDC

Auch Firmen aus Asien, etwa NEC (Japan) oder der chinesische IT-Konzern Huawei, sind auf den SDN-Zug aufgesprungen. Derzeit sind laut "SDNCentral" etwa 50 SDN-Produkte auf dem Markt verfügbar. Bis Mitte 2013 dürften nochmals an die 25 Switches, Controller, SDN-fähige Router und weitere Komponenten hinzukommen.

Die Marktforschungs- und Beratungsgesellschaft Gartner rechnet in ihrem aktuellen "Magic Quadrant" für Data Center und Netzwerke HP, Brocade, Juniper Networks, Alcatel-Lucent und Arista zu den Vorreitern bei SDN. Cisco Systems befindet sich laut Gartner in einer Lauerposition. Firmen wie Dell, IBM, Avaya, Enterasys oder Huawei zählt das Beratungshaus eher zu den Nischenanbietern.

Über die Entwicklung des SDN-Marktes gehen die Meinungen unter den Marktexperten auseinander. Einig sind sie sich in einem Punkt: Der Umsatz mit SDN-Produkten wird in den kommenden Jahren drastisch steigen. IDC geht davon aus, dass SDN 2016 ein weltweites Marktvolumen von 3,6 Milliarden Dollar aufweisen wird. Fast das Zehnfache, sprich 35 Milliarden Dollar, prognostiziert eine Studie, die Plexxi, Lightspeed Ventures und SDNCentral durchgeführt haben, für 2018. Allerdings sind in dieser Summe alle Produkte, also Hardware, Software und Services, enthalten, die einen Bezug zum Software Defined Networking aufweisen.

SDN trennt die Control- und Forwarding-Ebene, die in einem Switch eine Einheit sind. Die Steuerung (Control) übernimmt ein externer Controller.
Foto: ONF/Stanford University

Welche Bedeutung SDN mittlerweile hat, zeigt sich auch auf einem anderen Gebiet. Bislang galt die Non-Profit-Organisation Open Networking Foundation (ONF) als maßgebliche Instanz im Bereich SDN. Der ONF gehören unter anderem die Deutsche Telekom, Facebook, Google, Microsoft und Yahoo an, aber auch Hersteller von Netzwerkhardware und -software wie Alcatel-Lucent, Arista, Brocade, Cisco, Dell, Extreme Networks, Huawei, IBM, Juniper und andere. Die ONF ist für die Weiterentwicklung des SDN-Protokolls OpenFlow zuständig. Sie zählt mehr als 80 Mitglieder (Stand Ende April 2013).

Umstrittenes Konsortium der Hersteller

Anfang April 2013 formierte sich mit dem OpenDaylight Project ein Konsortium unter Führung von Cisco und IBM. Es hat sich die Förderung von Software Defined Networking und die Entwicklung von Open-Source-Software auf die Fahnen geschrieben, mit der sich eine SDN-Infrastruktur aufbauen lässt. In der IT- und Netzwerk-Branche ist das Projekt, das derzeit von 19 Netzwerkfirmen unterstützt wird, umstritten. Kritiker vermuten, dass insbesondere Cisco Systems und IBM mithilfe von OpenDaylight verhindern wollen, dass sie bei SDN ins Hintertreffen geraten, vor allem bedingt durch den Erfolg von OpenFlow.

Cisco hat zwar mit Cisco ONE eine eigene SDN-Lösung. Diese ist jedoch stark auf das hauseigene Netzportfolio zugeschnitten - durchaus legitim, aber nicht im Sinne einer Strategie, die einen herstellerunabhängigen Ansatz bei Software Defined Networking forciert. Joe Skorupa, Vice President und Analyst bei Gartner, vermutet denn auch, dass sich im OpenDaylight-Projekt etliche Netzwerkhersteller zusammengefunden haben, weil sie die Entwicklung von SDN bremsen möchten.

Solchen Attacken halten die OpenDaylight-Protagonisten entgegen, dass ihr Projekt darauf abziele, SDN-Lösungen zu entwickeln, die sich in Unternehmensnetzen einsetzen lassen und nicht nur in den Großrechenzentren von Service-Providern wie Telekom, Google, Facebook oder Yahoo. Das Ziel seien Standards für SDN-Controller, zudem Normen für Programmierschnittstellen, die die Netzwerkinfrastruktur an den SDN-Orchestration-Layer anbinden.

Nach Einschätzung von HP etabliert sich SDN in etwa zwei Jahren.
Foto: HP

Offen ist, ob diese Aktivitäten eine Ergänzung der Arbeiten des ONF sind oder ob das Resultat ein separater SDN-"Industriestandard" sein wird. In jedem Fall hinterlässt der Vorstoß des OpenDaylight Project einen zwiespältigen Eindruck. Dan Pitt, Executive Director der ONF, die OpenFlow entwickelt, hält sich allerdings in der Sache ONF versus OpenDaylight bedeckt. In Gesprächen am Rande des Open Networking Summit Mitte April betonte er, man müsse abwarten, wie sich die Arbeit von OpenDaylight entwickle, bevor ein Urteil möglich sei.

Allerdings monierte Pitt, dass die OpenDaylight-Protagonisten auf der Konferenz in ihren Präsentationen vor allem herstellerspezifische Ansätze von Programmierschnittstellen (APIs) zeigten. Über diese soll dann die Kommunikation zwischen einem SDN-Controller und den angeschlossenen Netzwerkgeräten laufen ("Southbound API"). Juniper (Junos Space), Cisco (OnePK) oder Brocade (OpenScript Engine) haben solche herstellerspezifischen APIs entwickelt, die OpenFlow außen vor lassen.

Schwächen von Software Defined Networking
Fokussierung auf Switches und Vernachlässigung von Server-Endpoints und damit der Anwendungsschnittstellen.
Schwächen von Software Defined Networking
Unzureichendes Management von IT-Ressourcen über mehrere Domains hinweg.
Schwächen von Software Defined Networking
Stärkere Belastung des Netzes durch die Kommunikation zwischen den Controllern: Sie steigt um etwa drei bis vier Prozent.
Schwächen von Software Defined Networking
Mangelnder Support von optischen Netzen mit leistungsvermittelnder Übertragung. Hier müssen Erweiterungen der OpenFlow-Spezifikation weiterhelfen.
Schwächen von Software Defined Networking
Skalierbarkeit: In großen Netzen fallen Millionen von Flows an. Das erfordert hoch skalierbare Controller. Bislang fehlen jedoch die Erfahrungswerte mit solchen Systemen beziehungsweise großen Netzen.
Schwächen von Software Defined Networking
Single Point of Failure durch zentralen Controller: Redundanz lässt sich durch den Einsatz mehrerer Controller erreichen. Das erhöht jedoch die Kosten und den Managementaufwand.
Stärken von Software Defined Networking
Einfaches Verschieben von Virtual Machines (VM) im Netzwerk.
Stärken von Software Defined Networking
Geringere Komplexität der Netzwerkinfrastruktur, da weniger Switch-Ports und Kabel erforderlich sind. Das reduziert zudem Kosten.
Stärken von Software Defined Networking
Komplette Sicht auf Anwendungen, Netzwerkelemente und Datenströme (Flows)
Stärken von Software Defined Networking
Kein Mapping von Servicedefinitionen auf physikalische Netzwerk-Ports. Das verringert den Konfigurationsaufwand.
Stärken von Software Defined Networking
Flexiblere Konfiguration von Services: Über Einträge in Flow Tablets lassen sich Dienste und Eigenschaften wie etwa Quality-of-Service-Merkmale und VLAN-Einstellungen konfigurieren, was in herkömmlichen Netzen mittels Scripts nicht möglich ist.
Stärken von Software Defined Networking
Bereitstellung von Anwendungen und Netzdiensten innerhalb von Stunden, nicht Tagen.
Stärken von Software Defined Networking
Zentrale Steuerung von Switches, Routern, virtualisierten Switches (vSwitches), WLAN-Access-Points und anderen Netzsystemen.
Stärken von Software Defined Networking
Offener Ansatz: Der Controller ist kein herstellerspezifisches System. Er lässt sich nach Bedarf durch Netzwerkfachleute konfigurieren und programmieren.

Fazit

Großunternehmen und Service-Provider werden die Ersten sein, die ihre Rechenzentren mit SDN-Architektur ausstatten. (Foto: HP)
Foto: HP

Nach wie vor befindet sich Software Defined Networking im Anfangsstadium seiner Entwicklung. Daran ändern auch optimistische Prognosen von Marktforschern und vollmundige Produktankündigungen von Netzausrüstern nichts. SDN hat durchaus das Potenzial, die festzementierten Strukturen der vorhandenen Netzwerkarchitekturen aufzubrechen und den Anforderungen von Anwendungen, die diese Infrastrukturen nutzen, mehr Gewicht zu verschaffen.

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Software Defined Networking derzeit vor allem in großen Netzen Vorteile bietet, in denen Switches, Router und Gateways unterschiedlicher Anbieter zum Einsatz kommen. Durch die Trennung von Control und Data Plane wird es einfacher, einzelnen Anwendungen die erforderliche Bandbreiten oder Quality-of-Service-Parameter zur Verfügung zu stellen. Denn herstellerspezifische Technologien in Switches und Routern werden durch SDN gewissermaßen "ausgebremst".

Allerdings sind es vor allem Großunternehmen und Service-Provider, die solche heterogenen Netze betreiben. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass sich Anbieter von IT- und TK-Services wie etwa Deutsche Telekom, BT oder Telefónica in hohem Maße bei SDN und OpenFlow engagieren.

Anders sieht es in kleinen und mittelgroßen Netzen aus. Dort dominieren häufig Monokulturen, etwa Netzwerke auf Basis von Cisco, HP, Brocade, IBM oder Dell. Die Hersteller fördern diese Entwicklung, indem sie integrierte Netzwerk-, Server- und Storage-Pakete anbieten. Man denke beispielsweise an HPs FlexNetwork-Architektur oder Ciscos Unified Computing Platform. Ähnlich wie Anwender, die komplett auf Windows und Microsoft-Anwendungen setzen, können auch Unternehmen mit Netzwerklösungen aus einer Hand durchaus die für sie passende Lösung finden - auch dann, wenn sie sich dadurch an einen Hersteller binden.

Flexibler sind Anwender jedoch, wenn sie die Wahl zwischen Netzkomponenten unterschiedlicher Anbieter haben und wenn sie mithilfe von SDN das Netz präziser auf ihre Anwendungsumgebung abstimmen können. Deshalb ist Software Defined Networking ein Schritt in die richtige Richtung. (bw)

Dieser Artikel basiert auf einem Bericht der ChannelPartner-Schwesterpublikation Computerwoche.