Einige Hersteller kommen vorsichtig mit einzelnen SDN-fähigen Netzwerkprodukten auf den Markt. Jetzt sind es die Systemhäuser, die das Thema zu den Kunden bringen müssen. ChannelPartner fragte nach dem Stand der Dinge. Der Begriff Software Defined Networking ist Providern, Hostern, Banken und Versicherungen mittlerweile ein Begriff. Ob CIOs mittelständischer Unternehmen bereits von dieser Architektur gehört haben - geschweige denn sich über einen Einsatz in ihrem Netzwerk Gedanken gemacht haben -, ist aber fraglich. Zu neu ist das Thema, und noch fließen von allen Seiten eher spärliche Informationen.
Doch Systemhäuser müssen bereits jetzt ihr Know how aufbauen und den Markt nach verfügbaren Produkten durchforsten. Dann stellt sich die Frage, welche ihrer Kunden von dieser Technologie profitieren können. "Grundsätzlich ist SDN für alle Branchen interessant. Allerdings haben die verschiedenen Kundensegmente - etwa Universitäten, Enterprise-Kunden oder Service-Provider - ganz unterschiedliche Anforderungen", sagt Melanie Schüle, Leitung Geschäftsentwicklung Networking Solutions & Business Architect Transformation Programm bei Bechtle.
"Enterprise-Kunden zum Beispiel sind an einer Vereinfachung des Betriebs und größerer Automatisierung interessiert. Service-Provider hingehen schauen mehr auf Skalierbarkeit und Flexibilität. Wir stellen fest, dass zu den sogenannten Early Adoptern derzeit Kunden mit großer Rechenzentrumsinfrastruktur, Cloud-Anbieter, Provider und Universitäten gehören. Mittelfristig dürfte sich das Interesse aber auf jeden Kunden ausdehnen, der eine Unified-Communication-Lösung einsetzt. Auch Unternehmen mit weit verteilten Standorten profitieren von SDN", so Schüle weiter.
Zwei der Argumente sind also die Kosten- und Nutzeneffizienz, aktuell eher noch in Verbindung mit großen Netzwerkinfrastrukturen. Mit diesen Argumenten geht auch Computacenter zu seinen Großkunden. Frank Witte, Solution Manager Borderless Network - Consulting Services bei Computacenter, zählt die Kunden auf: "Wir sehen SDN in der Anwendung für sehr große Netzwerkinfrastrukturen und im Rechenzentrum. Aus unserer Sicht hat es das Potenzial, Netzwerkinfrastrukturen und -betriebe zu vereinfachen und deren Effizienz zu steigern. Das sind auch die Anforderungen unserer Kunden aus unterschiedlichen Segmenten. Einsatzgebiete sind beispielsweise die Rechenzentren von Banken und Versicherungen, die großen verteilten Netzwerke von Industrieunternehmen wie der Automobilbranche oder von öffentlichen Auftraggebern sowie Unternehmen aus dem Service-Provider-Umfeld."
Das hört sich alles bisher sehr gut an. Die Nutzenargumente gegenüber den Kunden und die Kundenzielgruppen selbst sind definiert. Doch sitzen alle Systemhäuser und Handelspartner bereits fest im Sattel? Aufgrund der noch überschaubaren Produktangebote und der noch sehr spärlichen Dokumentationen und Case Studies wird es noch einige Zeit dauern, bis sich das Thema bei den potenziellen Kunden und auch bei den Systemhäusern wirklich etabliert hat.
Sven Kreussel, System Engineer bei der Netzlink Informationstechnik GmbH, spricht es aus: "SDN ist ein noch sehr offenes Feld. Die Definitionen dafür sind noch nicht wirklich weit genug ausformuliert. Teilweise befinden wir uns hier noch auf der grünen Wiese, was natürlich für die weitere Entwicklung von Vorteil sein kann. Interessant ist SDN vor allem für Kunden im Data-Center-Bereich, also Kunden, die auch eine hohe Daten-Performance benötigen."
Data Center mit Lastspitzen im Bereich bestimmter Anwendungen, wie sie in Rechenzentren mit vielen parallelen Cloud-Anwendungen auftreten, seien ein idealer Anwendungsbereich für SDN. "Interessant ist es definitiv für Kunden, die sehr affin für neue Technologien sind. Die Flexibilität, die diese Systeme bietet, ist enorm. Interessant ist es vor allem für den Bereich Entwicklung. SDN ermöglicht es schnell und ohne Anschaffung neuer Komponenten, verschiedene heterogene Szenarien zu entwickeln und zu testen", betont Kreussel.
Das große Ganze im Blick
Mehr Flexibilität und Vereinfachung der Netzwerkinfrastruktur sind zwei weitere Stichworte, die im Zusammenhang mit SDN stehen. Flexibles softwaregesteuertes Handling der Datenströme - je nach aktuellen Abrufszenarien - bringt nicht nur den Anwendern auf der einen Seite mehr Geschwindigkeit, sondern entlastet auf der anderen Seite die Systemadministratoren.
"Netzwerke in Unternehmen sind über die letzten Jahre immer komplexer und damit auch fehleranfälliger geworden. Die Netzwerke werden durch SDN flexibler und gleichzeitig näher an die Anforderungen von Applikationen, zum Beispiel im Cloud-Bereich, gebracht. Man muss von den klassischen Strukturen abweichen und das Große, das Gesamte, betrachten. Die Steuerung von Datenpaketen in Bezug auf Priorität und Regeln wird durch SDN weitestgehend von der Netzwerktopologie und Transportebene entkoppelt. Dadurch bietet es vor allem die Option, die eigenen Ressourcen effizienter zu nutzen", fasst Netzlink-Manager Kreussel zusammen.
Weitere Vorteile nennt Bechtle-Managerin Schüle: "Die Möglichkeit, dynamisch direkte Datenpfade zu bestimmen, führt zu einer deutlich verbesserten Performance - das merken die Anwender. Der Administrator profitiert von größeren Layer-2-Umgebungen, dem Verzicht auf komplexe Protokolle und einem hohen Automationsgrad. In Summe ergeben sich signifikante Kosteneinsparungen bei Layer-3-Lizenzen."
Dass Netzwerke, die unter SDN laufen, sowohl Vorteile für den Endanwender bringen als auch die Administration entlassen, sieht auch Computacenter-Manager Witte: "Die Vorteile für unsere Kunden möchte ich aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Auf der einen Seite wird der Endanwender den Einsatz von SDN daran erkennen, dass sich die 'User Experience' verbessert. Das heißt, Datenströme beispielsweise für geschäftskritische Anwendungen werden gezielt gesteuert und optimiert. Auf der anderen Seite gibt SDN IT-Administratoren neue Möglichkeiten, Betriebsabläufe zu vereinfachen und IT-Anforderungen umzusetzen."
So gesprächsbereit sind bisher die Kunden
Die Vorteile für den Einsatz sind also vielfältig und flexibel einsetzbar. Doch bisher werden sich wohl nur vereinzelt Kunde finden lassen, die sich bereits mit dem Thema beschäftigen - geschweige denn einen Einsatz von SDN aktiv in Erwägung ziehen. Der Markt ist noch jung, die Informationen fließen noch spärlich, und auch die Kompatibilität der einzelnen Komponenten ist noch fraglich.
Entsprechend unterschiedlich fallen nach Aussagen der Systemhäuser auch die Kundenmeinungen aus: "Es besteht bereits großes Interesse. Gleichzeitig gibt es noch sehr viele unterschiedliche Meinungen über Nutzen und Einsatzmöglichkeiten von SDN. Wir sehen unsere Aufgabe daher auch darin, unsere Kunden über SDN und die damit verbundenen Möglichkeiten zu informieren und zu beraten. Aktuell werden vor allem SDN-Controller nachgefragt, um bestehende Infrastrukturen zu optimieren. Noch gibt es nur wenige komfortable Applikationen, die für spezifische Szenarien und Umgebungen das Potenzial von SDN voll ausschöpfen. Wir sind aber überzeugt, dass die Zahl bald steigen wird", meint man bei Bechtle.
Auch die Großkunden und öffentlichen Auftraggeber, die Computacenter betreut, sind vorerst noch zurückhaltend. Zu wenig definiert scheinen mögliche Anwendungsszenarien oder eine klare, auf den Kunden zugeschnittene Installation zu sein. Dieser Situation tritt Computacenter entgegen und plant bereits, mögliche Anwendungen für seine Kunden (be)greifbar zu machen. "Wir sprechen aktuell mit unseren Kunden aus den Segmenten Large Enterprise und Öffentliche Auftraggeber sowie mit Service-Providern über SDN", erklärt der Computacenter-Netzwerkspezialist Witte.
Inhaltlich liege das Interesse meist darin, sich zunächst einen Überblick über das Thema zu verschaffen und gemeinsam mit Computacenter die Einsatzmöglichkeiten und den Nutzen im speziellen Kundenumfeld zu erarbeiten. "Unsere Kunden erhoffen sich überwiegend Kosteneinsparungen bei Investitionen und eine Ressourcenoptimierung im Betrieb. Großes Potenzial stehen wir in der Effizienzsteigerung zum Beispiel durch die verstärkte Automation von Betriebsabläufen und einer durchgängigen Provisionierung von IT-Services im Rechenzentrum. Computacenter hat zu SDN ein herstellerübergreifendes Beratungsangebot im Portfolio. Zudem planen wir in unserem Solutioncenter die Bereitstellung einer Testumgebung für unsere Kunden, um verschiedene Lösungen "Proof of Concept" durchführen zu können", so Witte weiter.
Bei Netzlink Informationssysteme gibt es derzeit noch keine Kunden mit tieferem Interesse. Die Vorteile der Nutzung dieser neuen Technologie müssten erst in den Köpfen der Entscheidungsträger ankommen. "Aller Voraussicht nach bieten sich Lösungen im Bereich von SaaS, Data Center sowie Forschung und Entwicklung an. Hürden ergeben sich möglicherweise im Bereich der Implementierung in bestehende Infrastrukturen und bei den damit verbundenen Kosten. Insbesondere die Art der Implementierung als Switch-, Oberlay- oder Hybridansatz entscheidet über die Folgekosten", so Kreussel zu den Chancen.
Flickenteppich statt durchgängige Struktur
International beschäftigen sich derzeit rund ein Dutzend Hersteller mit der Bereitstellung von SDN-fähigen Produkten. Einige stehen mit ihrer Strategie noch am Anfang, während manche großen Hersteller bereits einzelne Produkte anbieten (siehe Seite 20). Aus dem bestehenden Angebot die richtigen Komponenten für einen Kunden zu finden scheint für die Systemhäuser derzeit noch keine einfache Sache zu sein.
Das bestätigt auch der Computacenter-Manager: "Unsere Analysen zeigen, dass zwischen den Marketingaussagen sowie den damit verbundenen Erwartungen einerseits und der Realität andererseits noch eine große Lücke besteht. Einige Lösungen liefern bereits ganz brauchbare Ansätze, um die gewünschten Kundenanforderungen zu bedienen. Die große Hürde ist jedoch die Integration in die bestehende IT-Infrastruktur und Organisationsstruktur." Wie jedes Hype-Thema werde sich auch SDN in der Praxis gewähren müssen, meint Witte, und weiter: "SDN ist derzeit ein heiß diskutiertes Thema. Alle marktrelevanten Hersteller haben es auf ihrer Roadmap und einige davon stellen auch bereits Produkte zur Verfügung. Der Markt ist jedoch noch sehr jung und daher versuchen sich die Hersteller entsprechend zu positionieren."
Für Systemhäuser heißt es daher, diesen Markt so gut wie möglich zu verfolgen und die Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren. Derzeit sind durch den Austausch ursprünglicher Netzwerkkomponenten durch SDN-fähige Hardware zwar bereits partitielle Verbesserungen zu erreichen - es fehlt aber das große Ganze. Bechtle-Managerin Schüle sieht dem positiv entgegen: "Hier wird sich noch viel tun. Es sind umfassende Lösungen gefragt, die eine einheitliche Architektur aus Hardware und Software darstellen. Wichtig ist vor allem, dass schnell SDN-fähige Nodes verfügbar sind. Vor allem die Verbesserung und Standardisierung von vorhandenen proprietären Lösungen kommt dem SDN-Trend zugute."
Ob es die alteingesessenen Netzwerkhersteller sein werden, die sich bei SDN hervortun werden und damit einen Teil ihres eigenen bisherigen Angebotes kannibalisieren oder ob neue Anbieter mit innovativen Lösungen das Rennen machen werden, steht aktuell noch in den Sternen. Einen Austausch unter den Herstellern hält Bechtle-Managerin Schüle daher für sehr wichtig: "Bedeutend ist das Open-Daylight-Konsortium, in dem alle wichtigen Hersteller vertreten sind. Ihr erklärtes Ziel ist, die Anwendungen und Innovationen von SDN voranzubringen. Dazu gehört die Etablierung eines gemeinsamen herstellerübergreifenden Frameworks für SDN. Standardisierung wird ebenfalls ein wichtiger Faktor sein. Unter den Hardwareherstellern ist bei HP, Juniper und Alcatel ein starker Fokus auf SDN erkennbar. Auch Cisco unterstützt in den aktuellen Produkten Open Flow."
Das von Schüle angesprochene Open-Daylight-Konsortium ist in der IT- und in der Netzwerkbranche allerdings umstritten (siehe dazu Seite 16 dieser Ausgabe). Zumindest kann man aber davon ausgehen, dass sich die an diesem Konsortium beteiligten Unternehmen auf einheitliche Standards einigen können, was es sowohl den Kunden als auch den Systemhäusern einfacher machen wird, bestehende Strukturen zu ergänzen oder zu modifizieren.
"Man muss über den Tellerrand der klassischen Architektur der Infrastrukturen schauen. Hersteller wie Cisco, IBM, Juniper oder Brocade werden in diesem Segment eine große Rolle spielen. Wichtig sind dann vor allem standardisierte Schnittstellen und deren Definition", wünscht sich Netzlink-Manager Kreussel.
Computacemter-Mann Witte nennt zwar keine Herstellernamen, allerdings hat sein Unternehmen bei der bisherigen Analyse der Entwicklung zwei Richtungen erkannt, aus denen die Impulse kommen: "Wir beobachten den Markt aus unserem Ende-zu-Ende-Portfolioansatz heraus. Dabei lassen sich zwei Strömungen erkennen: Auf der einen Seite stehen die Netzwerkinfrastrukturhersteller, die SDN durch die Implementierung von Openflow beziehungsweise eines herstellerspezifischen Ansatzes realisieren."
Auf der anderen Seite, so Witte weiter, treiben die Software- und Datacenter-Hersteller den Ansatz des Software Defined Datacenters voran, um die nächste Stufe der IT-Industrialisierung für eine rechenzentrumsübergreifende Automation von IT-Services voranzubringen. "Wir sehen, dass die marktführenden Netzwerkhersteller durch innovative, auf SDN fokussierte Konkurrenten stark unter Druck gesetzt werden. Das erhöht den Druck, Neuerungen einzuführen. Die Produkt-Roadmaps und Neuankündigungen der Hersteller fokussieren auf den hybriden Ansatz, die klassischen Netzwerkprotokolle mit SDN-Funktionalitäten zu ergänzen. Somit hat der Kunde die Wahl, seine heutigen Infrastrukturen um SDN-fähige Komponenten zu ergänzen oder die neue Technologie nur für Teilbereiche einzuführen - und damit Investitionssicherheit."
Stolpersteine
Software Defined Networking ist eine Technologie, die nicht nur den Systemhäusern einiges an Know-how abverlangt. Auch auf Herstellerseite muss noch viel getan werden, um für die Kunden umfassend zufriedenstellende Lösungen generieren zu können. "Sowohl das Produktportfolio als auch allgemeine Informationen sind bei den Kunden noch nicht weit durchgedrungen. Hier wären insbesondere Schulungen und Informationsveranstaltungen seitens der Hersteller wünschenswert, um dem Thema mehr Auftrieb zu verleihen", wünscht sich Netzlink-Manager Kreussel.
Auch Witte setzt auf Kontakt untereinander: "Die größten Herausforderungen für alle Marktteilnehmer sind aus unserer Sicht zum einen die Unsicherheit, wie schnell sich dieser Hype in der Realität gewinnbringend für Kunden umsetzen lässt. Zum anderen stellt SDN neue Forderungen an die Kenntnisse von Netzwerk- und Data-Center-Personal. Hier wird es notwendig sein, näher zusammenzurücken und den Transfer von Software- beziehungsweise Programmier- und Produktkenntnissen in der IT-Organisation zu forcieren." (bw)