Winterliche Straßenverhältnisse

"Schneeflöckchen" und Tempo 80

22.11.2021 von Renate Oettinger und Andreas Th. Fischer
Tempolimit auch ohne Schnee? Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung auch dann gilt, wenn es nicht schneit.
Gelegentlich reagieren die Sensoren an Autobahnen zu sensibel und reduzieren automatisch die Maximalgeschwindigkeit. Autofahrer müssen sich auch bei bester Sicht daran halten.
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Auch wenn ein Tempolimit widersinnig scheint, gilt es. So ist es nach Informationen des Bayerischen Rundfunks (BR) mehrfach vorgekommen, dass die modernen Verkehrsleitsysteme auf deutschen Autobahnen bei strahlendem Sonnenschein schlechte Sicht festgestellt und die maximale Geschwindigkeit auf 80 km/h reduziert haben. Aufgewirbelter Staub durch Mähdrescher oder auch nur ein Spinnennetz vor einem Sensor sei die Ursache dafür gewesen.

In einem solchen Fall müssen erst die Mitarbeiter der Autobahndirektion ausrücken und die Sensoren putzen und die Systeme manuell wieder umstellen. Bis dahin gilt das angezeigte Tempolimit. Alexander Kreipl, verkehrspolitischer Sprecher beim ADAC zum BR: "Sobald da Tempo 80 steht, ist Tempo 80 gültig - ganz egal, ob die Schneeflocke dabei ist oder nicht". Warum ist das so?

Mit oder ohne Schneeflocke

Das Zusatzschild "Schneeflocke" zu einer Geschwindigkeitsbegrenzung erlaubt auch bei nicht winterlichen Straßenverhältnissen keine höhere als die angeordnete Geschwindigkeit. Darauf hat Klaus Schmidt-Strunk, Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Limburg und Vizepräsident des VdVKA - Verband deutscher VerkehrsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Kiel, unter Hinweis auf die Mitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 14.10.2014 zu seinem rechtskräftigen Beschluss vom 4.9.2014 (1 RBs 125/14) verwiesen.

Im Winter wird auf den Straßen die Geschwindigkeit heruntergeregelt. Doch wann das Tempolimit einzuhalten ist, ist zuweilen umstritten.
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Der Fall: Der Betroffene aus Rennerod befuhr im Januar 2014 mit seinem Pkw Seat in Burbach die B 54, von der BAB 45 kommend. An dem Tag begrenzte ein elektronisch gesteuertes Verkehrszeichen die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h. Unter diesem Verkehrszeichen war – ohne weitere Zusätze – das Zusatzschild "Schneeflocke" angebracht.

Bei einer polizeilichen Geschwindigkeitskontrolle fiel der Betroffene auf, weil er mit seinem Fahrzeug 125 km/h fuhr. Diese Geschwindigkeitsüberschreitung ahndete das Amtsgericht, der Bußgeldkatalogverordnung entsprechend, mit einer Geldbuße von 160 Euro und einem einmonatigen Fahrverbot. Der Betroffene legte daraufhin Rechtsbeschwerde ein. Er meinte, dass ihm keine Geschwindigkeitsüberschreitung von 45 km/h angelastet werden könne, weil keine winterlichen Straßenverhältnisse herrschten. Die mit dem Zusatzschild "Schneeflocke" angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h sei deswegen zumindest irreführend gewesen.

Mit oder ohne Hinweis gültig

Die vom Betroffenen gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde blieb jedoch erfolglos. Der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm hat die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt. Das eine "Schneeflocke" darstellende Zusatzschild enthalte bei sinn- und zweckorientierter Betrachtungsweise lediglich einen – entbehrlichen – Hinweis darauf, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung Gefahren möglicher winterlichen Straßenverhältnisse abwehren soll.

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Das bestätigte auch ADAC-Verkehrsexperte Kreipl gegenüber dem BR: "Die Schneeflocke ist nur ein Hinweis, warum es an dieser Stelle gefährlich werden kann." Das könne etwa auf Brücken oder in Waldgebieten der Fall sein. "Rein theoretisch kann es auch im Juni oder Juli zu Temperaturstürzen kommen: In Kombination mit kalten Winden kann es dann überfrierende Nässe geben", so Kreipl. Das unterscheide die Schneeflocke vom Zusatz "bei Nässe", die dem Autofahrer einen "gewissen Raum" für eine persönliche Einschätzung lasse.

Akzeptanz soll erhöht werden

Mit dem Hinweis solle lediglich die Akzeptanz der angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung erhöht werden. Der Hinweis bezwecke nur die Information der Verkehrsteilnehmer. Er enthalte – anders als das Schild "bei Nässe" – keine zeitliche Einschränkung der angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Kraftfahrer müssten die Anordnung zur Geschwindigkeitsbegrenzung daher auch bei schneefreier Fahrbahn beachten.

Schmidt-Strunk empfiehlt, in derartigen Fällen rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen. Dabei verweist er unter anderem auch auf den VdVKA - Verband deutscher Verkehrsrechtsanwälte e. V. (www.vdvka.de).

Weitere Informationen und Kontakt: Kanzlei Klaus Schmidt-Strunk, Siemensstr. 26, 65549 Limburg, Tel.: 06431 22551, E-Mail: rechtsanwalt@schmidt-strunk.de, Internet: www.schmidt-strunk.de