Digital Signage

Schlüsseltechnologie zur digitalen Transformation des Handels

16.02.2016 von Michael Köster und Julia Ortlib
Die Investition in Digital Signage ist ein guter Einstieg in die schrittweise Digitalisierung deutscher Ladenlokale. Der Artikel beschreibt die Substanz von Digital Signage, verschiedene Herausforderungen bei der Umsetzung und erfolgreiche Cases der Early Adopter.

Während neue Oberklasselimousinen bereits mit Gestensteuerung ausgestattet sind, folgt ein Besuch im deutschen Ladenlokal bis heute überwiegend analogen Gesetzen. Anders als im Ausland sind digitale Innovationen im deutschen Einzelhandel meist nur prototypisch oder halbherzig implementiert. Die digitale Transformation des Handels kommt in Deutschland bislang nicht recht voran.

Die allgemeine Digitalisierung, und insbesondere die Verbreitung von Smartphones und Tablets, setzen die Retail-Branche jedoch zunehmend unter Druck. Aus selbstverständlich gewordenen Online-Gewohnheiten, wie dem Zugriff auf die umfangreiche Produktpalette und aussagekräftigen Preisvergleichen, erwächst eine gesteigerte Erwartungshaltung an die Convenience des stationären Verkaufs.

Per Smartphone die Schnäppchen im Einkaufszentrum finden. Das ist heute noch eine Zukunftsvision.
Foto: gpointstudio - shutterstock.com

Es gibt diesbezüglich zwar eine Reihe vielversprechender Trends, wie etwa Self-Checkout-Services, virtuelle Offline-Anproben oder interaktive Shopping-Walls. Bislang investieren aber nur sehr wenige Handelsunternehmen in ein schlüssiges und ganzheitliches Konzept. Daher ist es derzeit tatsächlich schwer vorhersehbar, welche der digitalen Services sich am deutschen Markt letztendlich durchsetzen werden.
Es steht aber fest: Jede Interaktion mit dem Konsumenten beruht zwingend auf einem Transmitter-Medium – dem Bildschirm. Digital Signage wird damit das Schlüsselkonzept für die digitale Transformation des stationären deutschen Einzelhandels.

Konkret: Was ist Digital Signage?

Der Begriff Digital Signage (DS) beschreibt den "Einsatz von digitalen Anzeigesystemen zur Kommunikation mit Menschen im öffentlichen Raum". Der knappen Definition steht eine große Bandbreite möglicher Einsatzszenarien gegenüber. Unter DS lassen sich so unterschiedliche Konzepte wie elektronische Preisetiketten (electronic shelf labels, ESL), Lichtelemente, großformatige LC-Displays, Leuchtschriften oder auch Terminals subsumieren. DS im engeren Sinne ist eine Kombination aus zentral gesteuerten interaktiven und mittel- bis großformatigen Screens mit inhärent dynamischen Inhalten.

Digital Signage ist folglich mehr als bloß ein Hyperonym einer Reihe verschiedenartiger Anwendungen. Durch die Vernetzung mit remote steuernden Media-Playern, Content-Management-Systemen, entsprechenden Device-Konsolen und zielgerichtet erstellten Inhalten, besteht die Basis für echte digitale Innovation am Kunden. Es werden themen- und zeitgesteuerte Umgebungen erschaffen, welche die richtige Atmosphäre passend zum geeigneten Produkt erzeugen. Und aufbauend auf der Digital Signage-Technologie existieren prototypisch schon heute digitale Wegfinder, Checkout-Systeme oder Online-Stores am Terminal.

Derzeit gehen Experten davon aus, dass sich Digital Signage insbesondere auf dem Werbemarkt weiter etablieren wird; allerdings mit Produkten, die sich noch stärker als bisher an die individuellen Kundenwünsche anpassen. Die Zeitschrift Absatzwirtschaft (2010) veröffentlichte eine Studie, die besagt, dass 98 Prozent aller Kunden digitale Werbung in Shopping Centern wahrnehmen und sie sich zudem besser einprägt als konventionelle Werbung. Ferner bestätigt das Fachmagazin, dass 70 Prozent der Einkaufsentscheidungen am Point of Sale (PoS) getroffen werden.
Demnach zeigt Digital Signage gerade an diesen Stellen verstärktes Potenzial für positiv beeinflußte Kaufentscheidungen – speziell wenn die vermittelten Informationen den individuellen Bedürfnissen des Kunden entsprechen. Darüber hinaus wird Digital Signage-Systemen zugeschrieben, die Verweildauer des Kunden im Ladengeschäft zu erhöhen und Impulskäufe auszulösen, mit nachhaltigen Steigerungen im Umsatz.

Neben dem rein quantitativen Nutzen bietet DS eine Reihe qualitativer Vorteile. Dazu gehört die Verbesserung der Service-Qualität durch die Kombination von persönlicher und digitaler Beratung und eine verbesserte Werbe-Effektivität durch Echtzeitaktualisierungen, je nach Klientel, Jahreszeit, Tageszeit oder Wetterlage.

Digital-Tristesse in deutschen Einkaufsstraßen

In deutschen Innenstädten ist die Digitale Revolution derzeit noch nicht erkennbar. Obwohl sich seit den neunziger Jahren die Welt außerhalb der Eingangstüren der Einzelhandelsketten stark verändert hat, steht die Zeit innerhalb dieser scheinbar still. Von einem "Einkaufserlebnis" kann kaum gesprochen werden, wenn Modegeschäfte zuallererst geprägt sind von Warteschlangen und Gedränge. Der komparative Konkurrenzvorteil des stationären gegenüber dem Online-Handel liegt in die Beratung durch das Fachpersonal – zu Stoßzeiten meist dünn besetzt.
Hier ließe sich durch digitale Shopping-Assistenten, einem digitalen Produktkatalog mit Filtern im Geschäft oder dem Scannen von Codes für die Anzeige von erweiterten Informationen auf dem Smartphone einiges an Verbesserung erreichen. Einige Informations- und Beratungssysteme sind bereits am Markt verfügbar und werden stetig weiterentwickelt. Der "Magic Mirror" ist ein solches Beispiel für "Interactive Digital Signage".

Mit Hilfe von technischen Assistenten ließe sich zudem auch die Kluft zwischen offline und online verringern. Wenn das Material in Form von aussagekräftigen Beschreibungen, hochwertigen Fotos und – wo sinnvoll – Videos in den Produkt-Informations-Management-Systemen (PIMs) bereits bereit steht, kann es problemlos in beiden Welten zum Einsatz gelangen. Das gleiche Bild spiegelt sich auch beim Bezahlen wieder: Bislang dominiert in Deutschland noch immer Debit-Cash.

Ansätze einer dynamischen Preisgestaltung, wie kürzlich bei Kaufland als Prototyp eingeführt, werden aufgrund fehlender technischer Infrastruktur auch in naher Zukunft schwer umzusetzen sein. Natürlich handelt es sich dabei nicht um universell gültige Beobachtungen – nichtsdestotrotz, in der Kategorie „Shopping-Erlebnis“ ist im deutschen Handel nach oben noch viel Luft.

Grund dafür ist die häufig empfundene Überforderung der Händler mit der Digitalisierung. Laut Computerwoche (2015) sind insbesondere die Omnichannel-Strategien und die damit einhergehenden Prozessanpassungen mit erheblichem Aufwand und Risiken verbunden. Insbesondere das für den Handel so wichtige Retourenmanagement gestaltet sich im Omnichannel als sehr komplex und herausfordernd.

Michael Gerling vom EHI Retail Institute stellt zusätzlich heraus, dass "bestehende Prozesse und Strukturen zumeist für das stationäre Geschäft angelegt und historisch gewachsen sind. Aus diesem Grund sind sie häufig sehr heterogen. Diese Landschaft dann omnichannel-fähig zu gestalten, stellt die IT in den Handelsbetrieben vor große Herausforderungen".

In den vergangenen 20 Jahren hat sich aufgrund der nachvollziehbar schwierigen Anpassungsprozesse ein nebulöses Beklemmungsgefühl des deutschen Handels vor den schnellen Digitalisierungserfolgen und seiner Protagonisten etabliert; namentlich Apple, Amazon und Ebay.

Zudem fehlt es der Branche an aussagekräftigen Use-Cases. Die neue Technologie muss durch Implementierung in der Breite erst messbar gemacht werden, um so das Investment zu rechtfertigen. Darin liegt ein klassisches Henne-Ei-Problem, allerdings auch eine echte Chance für Early-Adopter.

Burberry: Vorreiter des Digital Signage

Das Unternehmen Burberry zeigt, dass es im stationären Handel auch anders geht. Die Luxusmarke hat seinen Flagship-Store auf der Regent Street in London zu einem Mekka der digitalen Revolution verwandelt. Mit 100 Bildschirmen, 500 Lautsprechern und dem bis dato größten Retail-Bildschirm der Welt hat Burberry das 1820 erbaute Gebäude auf den neusten Stand der Technik gebracht. Der Store verfügt über Spiegel, die Bildschirme sind und bei Bedarf Werbung, Informationen oder Live-Übertragungen von Modeschauen aus aller Welt zeigen. Mithilfe von integrierten RFID-Chips werden dem Kunden automatisch multimediale Informationen in Audio und Video zu dem jeweiligen Produkt auf einem Bildschirm platziert. Um einen individuellen Kundenservice zu bieten, rüstet Burberry seine Kundenberater zudem unisono mit Tablets aus, welche in der Lage sind, die Einkaufshistorie und Präferenzen von Bestandskunden zu zeigen.

Burberry beweist damit, wie man den Kunden über alle Sinne hinweg begeistern kann, ohne die persönliche Beratung zu vernachlässigen. Natürlich ist die Implementierung eine große Investition und keine allgemeine Lösung – aber eine gute Inspiration des Möglichen und eine gute Maßnahme die Stärken des Online-Handels in den stationären Handel einzubringen, um das Markenerlebnis zu verstärken.

Digital Signage benötigt durchdachte Planung

Mit der Investition in großformatige Screens allein wird sich der Umsatz allerdings kaum signifikant steigern lassen. Gefragt ist die Umsetzung von ganzheitlichen, neuen Handelsvisionen unter Berücksichtigung aktueller und zukünftiger Technologien. Die erfolgreiche Implementierung eines Digital Signage-Systems setzt dabei eine genaue Planung und definierte Zielsetzung voraus. Zunächst müssen Zielgruppe, Grad der Innovation, Art der Werbung und natürlich das Budget konkret festgelegt werden.

Neben den Vorteilen, die eine Implementierung von Digital Signage in Stores bei einem strategisch überlegten Einsatz bietet, birgt diese auch einige Fallstricke. Die am häufigsten diskutierte Kehrseite ist die sogenannte "Display Blindness". In einer Welt, in der Konsumenten mit mehr Informationen konfrontiert werden, als sie verarbeiten können, springen im Gehirn die "Filter" an – das unbewusste Ausblenden von aufdringlichen Informationen.

Um die gewünschten Effekte zu erzielen, muss die DS-Lösung den Kunden daher möglichst persönlich ansprechen, informieren und reizen, sich näher mit dem Beworbenen auseinanderzusetzen und im besten Fall einen Mehrwert schaffen. Das Erlebnis sollte über alle Sinne hinweg eingesetzt werden. Dabei kann der Kunde visuell, auditiv, haptisch sowie kommunikativ angesprochen werden.

Was kommt als nächstes?

Neuere Technologien, wie Kinect-Sensoren, die Beacon-Technologie oder transparente Touchscreens, ermöglichen es, In-Store-Marketing-Konzepte durch Schnittstellen zwischen Mensch und Computer zu individualisieren und zu optimieren. Bereits weniger umfangreiche aber gezielte Implementierungen können das Gewöhnliche zu einer außergewöhnlichen Erfahrung machen.

Kinect-Sensoren sind dafür ein gutes Beispiel. Diese erfassen Bewegungen, können Körper erkennen und lassen sich mithilfe von Sprache steuern, wie bei Microsofts XBOX 360. Dadurch bieten sie eine Vielzahl von Möglichkeiten um den Kunden interaktiv einzubinden, wie zum Beispiel die virtuelle Anprobe von Modeartikeln. Diese Technik ist bereits aus dem Internet bekannt. Vorreiter ist der Online-Brillenverkäufer Mister Spex, bei dem der Kunde online, mithilfe seiner Webcam, Brillen anprobieren und sich sogar damit bewegen und drehen kann, fast wie bei einer echten Anprobe im Laden.
In-Store kann der nächste Spiegel als Digital-Signage-Implementierung dienen, an dem man den Barcode einscannt und der Sensor den Kunden im ausgesuchten Outfit auf den Bildschirm projiziert. Die Werbeagentur Saatchi & Saatchi testete bereits digitale Billboards in denen die Kinect-Technology verbaut ist. Anzeigetafeln mit integrierten Kameras sollen die Mimik der Passanten erfassen und sich entsprechend der Laune der Zuschauer präsentieren.

Verbreiteter und bekannter als Kinect ist hingegen die Beacon-Technologie. Sie funktioniert prinzipiell über ein simples Sender-Empfänger Prinzip, eröffnet Kunden dadurch jedoch Möglichkeiten in der internen Navigation und kann Signale wie Nachrichten auf einer Distanz von etwa 30-70 Metern versenden, die von mobilen Endgeräten empfangen werden können. Ein Einsatzszenario für den von Apple eingeführten iBeacon-Standard kann eine virtuelle Landkarte des Geschäfts sein. Eine passende App sendet dem Kunden beim Betreten des Ladens den direkten Weg zum Wunschprodukt, inklusive relevanter Produktinformationen, personalisierter Werbung oder Coupons direkt als Push-Mitteilung.

Beispiele zum Einsatz von Beacons in Verbindung mit Digital Signage präsentiert der DS-Software-Solution-Anbieter Scala. Dieser demonstriert am Beispiel eines Whiskey-Herstellers, wie mit Hilfe von Beacons Werbung auf dem Mobiltelefon angezeigt werden kann und gleichzeitig mit Drag & Drop auf Digital Signage-Endgeräte übertragen wird. Die übertragenen Inhalte können dann individuell weitergeblättert werden oder bestimmte Informationen noch detaillierter abgebildet.

Die Verschmelzung von realer und virtueller Welt hat sich die Uhrenmarke Chronoswiss zum Auftrag des Flagship-Stores gemacht. Die physischen Objekte sind dabei direkt eingebettet in die digitale Welt. Die edlen Uhren sind gut geschützt hinter sicherem Glas, das zusätzlich mit einem transparenten Touchscreen versehen ist, welches dem Kunden verschiedene Informationen zum dargestellten Produkt bereitstellt. So wird es dem "Zuschauer" ermöglicht, die für ihn relevanten Informationen, individuell und in Echtzeit abzurufen.

Fazit

Eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation des Einzelhandels ist die Bereitstellung von Screens zur Interaktion mit den Kunden. Digital Signage eignet sich als Instrument für den schrittweisen Einstieg in die Digitalisierung. Mit der Berücksichtigung der Screens im Gesamtkonzept der Store-Architektur, ist eine entscheidende Grundlage für die Implementierung fortschrittlicher Lösungen gelegt. Der strategische Ansatz sollte nicht die Veränderungsbereitschaft der Unternehmen und dessen Mitarbeiter überfordern, sondern ausreichend Zeit für die allgemeine Adaption vor Ort im Geschäft berücksichtigen. Gleichzeitig erhöhen die ansprechend dargestellten Inhalte die Shopping-Experience von Anfang an maßgeblich. (bw)