Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitnehmer in der Beweislast, wenn er im Zeugnisstreit eine Bewertung wünscht, die über dem Durchschnitt ("befriedigend") liegt. Zur Begründung verwies das Bundesarbeitsgericht auf die allgemeinen Regeln über die Verteilung der Darlegungslast, nachdem jede Partei die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen habe.
Der Anspruch besteht auf Erteilung eines leistungsgerechten Zeugnisses. Erst wenn der Arbeitnehmer dargelegt hat, leistungsgerecht sei ausschließlich eine überdurchschnittliche Beurteilung, hat der Arbeitgeber entgegenstehende Tatsachen vorzutragen. Umgekehrt ist für eine unter dem Durchschnitt liegende Bewertung der Arbeitgeber verpflichtet, Umstände darzulegen und zu beweisen, die diese Beurteilung rechtfertigen.
In der Praxis führte diese Rechtsprechung dazu, dass in der Regel nur das "durchschnittliche" Zeugnis beanstandungsfrei blieb. Die Beurteilung bezieht sich auf den gesamten Verlauf des Arbeitsverhältnisses. Am Ende des Arbeitsverhältnisses ist es den Parteien regelmäßig nicht möglich, das Gesamtbild konkret und nachvollziehbar darzustellen. Von daher haben die Parteien erhebliche Schwierigkeiten, einem Gericht die ihr angelegene Abweichung von der Durchschnittsbenotung darzulegen.
Durchschnittlich oder überdurchschnittlich
In dem Berliner Fall wollte eine Arbeitnehmerin eine überdurchschnittliche Bewertung ihrer Leistungen ("stets zu unserer vollen Zufriedenheit") attestiert erhalten, während der Arbeitgeber lediglich bereit war, die Leistung als Durchschnitt ("zu unserer vollen Zufriedenheit") zu bewerten.
Das Arbeitsgericht bürdete entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte die Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitgeber auf. Nach Auffassung der Berliner Richter sollen empirische Studien zu dem Ergebnis gekommen sein, dass mittlerweile in neuerer Zeit 86,6 Prozent aller Zeugnisse gute und sehr gute Leistungsbeurteilungen enthalten. Hieraus zieht das Gericht den Schluss, dass nicht mehr daran festgehalten werden könne, dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast zuzuweisen, "dass er zu Unrecht in die Gruppe der schwächsten 13,4 Prozent aller Beschäftigten eingereiht worden sei".
Auch in der Rechtsliteratur gibt es Einwände gegen die Annahme einer Normalverteilung der Leistungen als "durchschnittlich". Gleichwohl kann das Urteil nicht überzeugen, da es rein auf nicht näher belegte empirische Quellen verweist und keine rechtsdogmatische Begründung enthält. Tatsächlich ist die von dem Bundesarbeitsgericht angenommene Darlegungs- und Beweislastverteilung praxisgerecht und überzeugend. Es steht deshalb zu erwarten, dass das Berliner Urteil nur ein "Ausreißer" bleiben wird.
Weitere Infos: Klaus-Dieter Franzen ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und für gewerblichen Rechtsschutz und Landesregionalleiter "Bremen" des VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V., www.vdaa.de
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