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Scheer ist raus aus dem Gläubigerschutz und konsolidiert sich

01.04.2015 von Karin Quack
So will August-Wilhelm Scheer sein Lebenswerk in eine erfolgreiche Zukunft retten: Die IDS Scheer Consulting GmbH und die Scheer Management GmbH sollen bis Ende April zur Scheer GmbH verschmelzen und "Prozesse aus der Steckdose" anbieten.

Vor knapp sechs Jahren glaubte Scheer, Gründer des Prozessmodellierungsspezialisten IDS Scheer, "eine Lebensphase abgeschlossen" zu haben: Ein Vierteljahrhundert lang hatte er das Unternehmen geleitet, das aus seiner Forschungsarbeit an der Universität Saarbrücken entstanden war und mit "Aris" die marktführende Prozessmodellierungssoftware auf den Markt gebracht hatte.

August-Wilhelm Scheer will sein Lebenswerk in eine erfolgreiche Zukunft retten.
Foto: Scheer Group GmbH

2008 hatte sich die Gewinnsituation jedoch dramatisch verschlechtert, und Scheer signalisierte die Bereitschaft zum Verkauf des Unternehmens. Den Zuschlag bekam die Software AG, obwohl es laut Scheer eine Reihe anderer Interessenten – zumeist aus dem Ausland – gab: "Ich wollte eine deutsche Option. Als BITKOM-Präsident hatte ich mich immer für den Standort Deutschland stark gemacht. Da wäre es schon komisch gewesen, das von mir gegründete Unternehmen ins Ausland zu verkaufen."

Einmal Software AG und zurück

Im Sommer 2009 übernahm die Software AG das Produkt Aris und das Beratungsgeschäft der IDS Scheer AG mitsamt etwa 3.000 Mitarbeitern. Der Kaufpreis für das Unternehmen, das damals 400 Millionen Euro im Jahr umsetzte, lag bei 500 Millionen Euro.

Nach wie vor ist die Software AG Eigentümerin der Aris-Software, die sie weiterentwickelt und mittlerweile auch aus der Cloud anbietet. Mit dem Beratungsgeschäft konnte sie offenbar nicht so viel anfangen, denn ziemlich genau fünf Jahre nach der Übernahme verkaufte sie es wieder. Die beiden rechtlichen Einheiten, die Österreich und den Raum Deutschland/Schweiz bedienen, sicherte sich Scheer.

Die 500 verbliebenen Mitarbeiter wechselten ebenfalls. Allerdings hat sich Scheer inzwischen von einem Fünftel der Belegschaft getrennt. Eine der Sanierungsmaßnahmen, die er für notwendig hielt, um die deutsch-schweizerische Einheit wieder in die Gewinnzone zu bringen. Im Zuge der Schrumpfung hätten sich einige Positionen von selbst überflüssig gemacht, erläutert er.

Die Sanierung geschah unter dem hierzulande noch wenig genutzten Gläubigerschutz "Erleichterung der Sanierung von Unternehmen", kurz ESUG. Ende September 2014 stellte Scheer den Antrag auf das deutsche Chapter-11-Pendant (--> wir berichteten).

"Das ist ein geregeltes Verfahren für im Kern erhaltenswerte Unternehmen", führt der Informatikprofessor und Unternehmensgründer aus: "Der Unterschied zur Insolvenz besteht darin, dass die Geschäftsführung dieselbe bleibt." Sie bekomme allerdings einen Rechtsanwalt als Chief Restructuring Officer zur Seite gestellt. Am 3. März dieses Jahres wurde die Akte wieder geschlossen. IDS Scheer Consulting gilt als saniert; der Eingliederung in die Scheer Group steht nun nichts mehr im Weg.

Die größten Pleiten in der ITK-Branche in den vergangenen Jahren
IDS Scheer Consulting (September 2014)
Das IT-Beratungshaus IDS Scheer Consulting, das erst im Juni von der Software AG an die Scheer Group verkauft wurde, steht vor der Insolvenz. Jeder vierte Mitarbeiter muss gehen.
Printer Care (Juli 2014)
Einer der wichtigsten Online-Händler für Drucker und Zubehör hat Insolvenz angemeldet. Geschäftsführer Claus Grünig glaubt aber fest an eine Zukunft von Printer Care.
mStore (Juli 2014)
Gegen den Apple-Händler mStore wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Die zunächst angestrebte Sanierung in Eigenverantwortung ist damit gescheitert. Noch in dieser Woche sollen die meisten Filialen der Kette geschlossen werden.
Vitec (Juli 2014)
Der britische AV-Distributor Imago will alle Mitarbeiter des insolventen Multimediaspezialisten Vitec übernehmen. Die Geschäfte sollen unter Vitec-Gründer Dr. Wilhelm Mettner am Standort Mainz weitergeführt werden.
ACI Supplies (März 2014)
Die Telefone stehen still bei ACI Supplies in Ratingen. Grund: Die Unternehmensmutter ACI Adam BV mit Sitz in Maastricht, hat Insolvenz angemeldet. Der Distributor ist in Zahlungsschwierigkeiten geraten.
DiTech (März 2014)
Mit weit über 100 Millionen Euro Umsatz ist der österreichische Multichannel-Händler DiTech alles andere als ein Leichtgewicht. Im März 2014 musste das Unternehmen ein Sanierungsverfahren zur Abwendung einer Insolvenz einleiten.
Getgoods (November 2013)
Nachdem sich die Hinweise auf eine bevorstehende Insolvenz des Elektronikversender Getgoods gehäuft hatten, hat das Unternehmen Mitte November seine Zahlungsunfähigkeit offiziell bestätigt. Der Geschäftsbetrieb soll allerdings aufrechterhalten werden.<br>
BHS Binkert (November 2013)
Der auf das Imaging-Segment spezialisierte Distributor BHS Binkert hat einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Wie es weitergeht, ist derzeit noch ungewiss.<br>
Loewe (Juli 2013)
Nur wenige Wochen vor der IFA in Berlin ist Aushängeschild der deutschen Fernsehproduktion, Loewe, in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten geraten: Um einer Insolvenz vorzubeugen, hat sich das Unternehmen nun für ein Schutzschirmverfahren entschlossen.<br>
Chips and More (Juli 2013)
Der Freiburger Distributor Chips and More musste im Sommer 2013 Insolvenz anmelden. Der Grossist war unter anderem durch seine Eigenmarke CnMemory bekannt.
Niedermeyer (Mai 2013)
Sanierungskosten von bis zu 10 Millionen Euro – so viel war auch dem deutschen Onlinehändler Cyberport sein österreichischer Partner im stationären Handel nicht wert: Die Investorensuche für die Elektronikkette Niedermeyer blieb erfolglos, die verbleibenden 45 Filialen des einst 98 Standorte starken Filialnetzes mussten schließen.
Devil und COS (April 2013)
Nachdem die Kreditversicherer sowohl für Devil als auch für COS die Limits gekürzt hatten, mussten die beiden Distributoren im April 2013 Insolvenz anmelden.<br> Sechs Wochen später war die Zukunft von COS in Pohlheim gesichert: Der Api-Konzern wird das Unternehmen unter dem Namen COS Computerhandels GmbH weiterführen. Und im Juli 2013 wurde bekannt, dass der polnische Distributor Action S.A. den Braunschweiger Grossisten Devil übernehmen wird.<br>
b.com (März 2013)
Der Kölner Distributor B.com musste beim Amtsgericht Köln einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen. Ein bereits erarbeiteter Sanierungs- und Restrukturierungsplan sollte an die neue Situation angepasst werden.<br> Kurz Zeit später wurde mit der Wortmann AG ein Retter gefunden.<br>
Jet Computer (März 2013)
Auch der Spezialdistributor Jet Computer Products war in finanzielle Schieflage geraten und musste beim Amtsgericht Hannover einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Vertrieb und Support sollten zusammen mit den Herstellern aufrechterhalten werden.<br>
BT Kopier (Dezember 2012)
Nachdem Büroring angekündigt hat, sich aus dem übernahmegeschäft mit BT Kopier zurück zu ziehen, musste der Büromaschinenspezialist beim Amtsgericht Duisburg Insolvenz anmelden.<br>
H&S (Oktober 2012)
Im Oktober 2012 hatte die H & S Entwicklungsgesellschaft Nettetal GmbH vor dem Amtsgericht Krefeld Insolvenz angemeldet. Besser bekannt war die Firma allerdings unter dem vormaligen Namen Terratec. <br>
Neckermann (Juli 2012)
Während die Rettung von Neckermann scheiterte, gab es zumindest für einen durch die Insolvenz in Bedrängnis geratenen Partner-Shop eine neue Zukunft: Der zum Distributor Wave gehörende Elektronikversender Alternate wollte den Onlinehändler Styleon.de weiterführen.<br>
ADA – Das Systemhaus (März 2012)
Das zu diesem Zeitpunkt siebtgrößte Systemhaus Deutschlands musste im März 2012 Insolvenz anmelden. Zum 1. Juli 2012 übernahm Ricoh das operative Geschäft und machte ADA zu einer Business Unit.<br>
PC live (Januar 2012)
Das Peripherie-Label Typhoon schien dem kein Glück zu bringen: Mit PC live wurde schon die dritte Eigentümerfirma insolvent. <br>
Asdis Software (Juni 2010)
Auch Thomas Benz, Geschäftsführer des Systemhauses Asdis Software, musste im Juni 2010 den Gang zum Insolvenzverwalter antreten.<br>
RZNet (August 2009)
Mit Lothar Papenberg, Vorstand der RZNet AG, musste ein weiterer Systemhaus-Chef im August 2009 den Gang zum Insolvenzgericht antreten.<br>
TDMi (Juli 2009)
Deutschlands drittgrößtes Systemhaus, die TDMi-Gruppe, musste im Juli 2009 Insolvenz anmelden. Betroffen waren die TDMi-Tochter Comparex, die Muttergesellschaften TDMi Deutschland Holding GmbH und die TDMi AG.<br>
COS (Juli 2009)
Besonders wild ging es bei der COS-Pleite im Juli 2009 zu: Erst verkaufte Firmenmutter Tiscon den Distributor an den russischen Investor Green Gold, der COS wohl entgegen den getroffenen Absprachen in die Insolvenz schickte. Als rettender Engel für die COS erwies sich ausgerechnet der Braunschweiger Wettbewerber Devil.<br>
Trekstor (Juli 2009)
Im Juli 2009 mussten auch die Trekstor-Geschäftsführer Daniel und Shimon Szmigiel (Foto) Insolvenz anmelden.<br>
Tandberg Data (April 2009)
Weil der Speicherspezialist Tandberg Data Kredite an den Investor Cyrus Capital nicht zurückzahlen konnte, musste das Unternehmen im April 2009 Insolvenz anmelden. Im Zuge der Restrukturierung verließen Deutschland-Chef Frank Roszyk und eine ganze Reihe führender Manager das Unternehmen und gründeten den direkten Wettbewerber Actidata.<br>
Finanzielle Schieflage
Auf den nächsten Seiten gibt es eine Auflistung der wichtigsten ITK-Distributoren, -Systemhäuser, -Hersteller, und -Händler die in letzter Zeit Insolvenz anmelden mussten oder pleite gingen.<br>
Netsquare (Juli 2015)
Distributor und PC-Fertiger Netsquare ist zahlungsunfähig. Ob der Geschäftsbetrieb weitergehen kann, ist laut Insolvenzverwalter noch nicht absehbar.
Weltbild (Juli 2015)
Also will die aus der Insolvenzmasse der Weltbild erworbenen Logistikaktivität nicht mehr finanziell unterstützen. Damit droht in Augsburg die Insolvenz.
Atelco (Juli 2015)
Das Sparprogramm, das die Atelco-Gruppe nach anhaltenden Umsatzrückgängen und Verlusten eingeleitet hatte, ist gescheitert. Nachdem Investorengespräche nicht schnell genug abgeschlossen werden konnten, beantragte das Unternehmen im Juli 2015 die Insolvenz.

Prozesse aus der Steckdose

Zu dieser Unternehmensgruppe zählt eine Handvoll jüngerer Unternehmen, die sich unter anderem mit E-Learning (IMC) undmit der Entwicklung von Integrationsplattformen (E2E) beschäftigen. Außerdem hat Scheer nach dem Verkauf von IDS Scheer die Scheer Management GmbH gegründet, deren rund 130 Mitarbeiter sich auf Strategieberatung spezialisiert haben. Sie soll nun mit den von der Software AG zurückerworbenen Beratern zur Scheer GmbH fusionieren.

In dem Rückabwicklungs-Deal mit der Software AG enthalten sind auch die SAP-Implementierungsgruppe, die Aris-Berater sowie ein Rechenzentrum in Freiburg. Auf diese Weise sieht sich Scheer in der Lage, ein Komplettangebot zu offerieren: von der Strategieberatung über Prozessberatung und -implementierung sowie Integration bis zu Managed Services und Hosting. Quasi Geschäftsprozesse aus der Steckdose.

Oder auch Smart Services, um mal wieder ein CeBIT-Buzzword zu strapazieren. Denn die Dienstleistungen, die Scheer anbietet, basieren auch oder vor allem auf Aris: "Man muss nicht ein Produkt besitzen, um damit Services anzubieten."

Erweiterung Richtung Mobility

In diesem Jahr plant Scheer einen Umsatz von 70 Millionen Euro ein – mit rund 500 Mitarbeitern. Der Industrie-4.0-Trend komme ihm dabei entgegen: "Wir können auf unserer Kernkompetenz aufbauen; wir wissen, wie Industrieunternehmen funktionieren." Seine Truppe wolle den Kunden auch dabei helfen, ein Geschäftsmodell zu finden, das sich lohne.

Mit der Software AG unterhalte er gute partnerschaftliche Beziehungen, beteuert Scheer. Dank der offenen Schnittstelle könne sein Team auch an der Weiterentwicklung von Aris mitarbeiten. Beispielsweise habe es eine Weiterentwicklung in Richtung Mobility geschaffen.

Aus Scheers Sicht war es auch kein Fehler, sein Unternehmen an die Software AG zu verkaufen: "Nur weil man sich scheiden lässt, heißt das doch nicht, dass man nicht hätte heiraten sollen. Damals war das genau die richtige Entscheidung." Genauso richtig sei es jetzt aber, das Beratungsgeschäft zurückzunehmen – "auch wenn die vergangen fünf Monate nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig waren".