Ist das wirklich der richtige Kandidat für die vakante Stelle? Das fragen sich Personalverantwortliche oft nach Vorstellungsgesprächen. Denn dort versucht sich jeder Bewerber so gut wie möglich zu verkaufen. Deshalb ist eine professionelle Gestaltung des Auswahlverfahrens, einschließlich Gesprächsvorbereitung und -führung, wichtig.
Klaus Meyer, Inhaber eines mittelständischen Unternehmens, war glücklich. Nach langer Suche hatte er endlich den scheinbar passenden Vertriebsleiter gefunden. Doch dann trat der Neue seine Stelle an. Und schon nach wenigen Tagen hatte Meyer erste Zweifel: Habe ich wirklich den besten Kandidaten ausgewählt? Denn immer wieder traten Pannen bei der Vertriebsplanung auf. Und zunehmend häuften sich bei ihm die Klagen der Verkäufer im Innen- und Außendienst: "Der Neue hat doch von Tuten und Blasen keine Ahnung. Und wie er mit uns umspringt, das lassen wir uns nicht gefallen." Zwei Monate später war Meyer erneut auf der Suche nach einem Vertriebsleiter. Sein "Traumkandidat" hatte sich als Fehlgriff erwiesen.
Solche Fehlgriffe können für Unternehmen verhängnisvoll sein - nicht nur, weil dann alle Ausgaben für die Personalsuche und -auswahl Fehlinvestitionen waren. Schwerer wiegen in der Regel die "Chaoskosten", die entstehen, wenn Schlüsselpositionen in Unternehmen längere Zeit verwaist bleiben oder nicht adäquat wahrgenommen werden. Denn dann werden häufig wichtige Entscheidungen zu spät getroffen und umgesetzt. Oder Kunden werden nicht angemessen betreut. Oder ... Deshalb leiden Unternehmen oft noch Monate, zuweilen sogar Jahre unter den Problemen, die sich aus einem personellen Fehlgriff ergeben.
Ein detailliertes Anforderungsprofil erstellen
Doch warum erweisen sich Wunschkandidaten so oft als Flops? Eine Ursache ist: Viele Unternehmen investieren zu wenig Zeit und Energie in das systematische Erstellen eines Anforderungsprofils an den neuen Mitarbeiter. Das beginnt bei den fachlichen Anforderungen. Nur selten untersuchen Unternehmen zum Beispiel gezielt die Frage: Welche speziellen Fähigkeiten muss der künftige Mitarbeiter aufgrund unserer Unternehmens- und Kundenstruktur haben? Oder aufgrund der von uns praktizierten Verfahren? Und noch seltener fragen sie sich: Was für ein Typ sollte der neue Controller oder Vertriebsleiter oder Disponent sein? Eher ein "kleinkarierter Erbsenzähler" oder ... ? Eher jemand, der das, was auf dem Schreibtisch landet, abarbeitet, oder ...? Eher jemand, der mit Nachdruck auf das Umsetzen von Entscheidungen pocht, oder ...?
Da Unternehmen dies oft nicht klar ist, können sie dies im Auswahlprozess auch nicht erkunden. Und kommt es dann zu einer Fehlbesetzung, klagen sie: "Der Neue ist ein Blender. Leider haben wir ihn zu spät durchschaut." Das Unternehmen sucht den Fehler also beim neuen Mitarbeiter. Faktisch wusste es aber nicht genau, wen es suchte. Deshalb wurde die Personalauswahl zu einer Fahrt ins Blaue.
Einen Gesprächsleitfaden erstellen
Eine weitere Ursache von Fehlbesetzungen ist: Auf die Personalauswahlgespräche selbst und deren Vorbereitung wird oft zu wenig Sorgfalt verwendet. So werden Vorstellungsgespräche zum Beispiel häufig zwischen zwei andere Termine "gequetscht" und die Bewerbungsunterlagen vorab nur eines flüchtigen Blickes gewürdigt. Oft entwickeln die Verantwortlichen, nachdem das Anforderungsprofil steht, auch keinen Leitfaden für die Auswahlgespräche. Ein solches Strukturieren und Standardisieren der Gespräche ist aber wichtig - unter anderem damit sie Bewerber nach den Gesprächen vergleichen können, weil alle gewisse Kernfragen beantwortet haben. Außerdem tappen Sie als Interviewer dann nicht so leicht in die Falle, sich von sympathischen oder eloquenten Bewerbern das Ruder aus der Hand nehmen zu lassen, sodass letztlich der Bewerber und nicht Sie das Gespräch führt.
Ihre Auswahlgespräche sollten, damit sie optimal verlaufen, in der Regel wie folgt aufgebaut sein: Nach dem kurzen Smalltalk, der auf die Begrüßung folgt, sollten Sie den Kandidaten zunächst bitten, sich kurz vorzustellen und den beruflichen Werdegang zu schildern. Danach sollten Sie Fragen zum Lebenslauf stellen. Zum Beispiel: "Warum wählten Sie den Studienschwerpunkt ...?" oder "Warum wechselten Sie nach drei Jahren den Arbeitgeber?" "Warum entschieden Sie sich ...?"
Allgemeine Aussagen hinterfragen
Ist der Lebenslauf abgeklopft, sollten Sie die speziellen beruflichen Erfahrungen und Fähigkeiten des Bewerbers erkunden. Zum Beispiel mit Fragen wie: "Vor welchen speziellen Herausforderungen standen Sie bei Ihrer Arbeit als ...?" oder "Was haben Sie bei den Projekten, die Sie durchgeführt haben, gelernt?" Dann sollten Sie ermitteln, was für ein Typ der Bewerber ist und welches Selbstbild er von sich hat. Vermeiden Sie soweit möglich Standardfragen wie "Was sind Ihre Stärken oder Schwächen?". Hierauf haben die meisten Bewerber vorgefertigte Antworten parat. Weniger verfälschte Antworten erhalten Sie auf Fragen wie: "Wenn Sie Ihr Chef wären, wie würden Sie sich beschreiben?" Doch Vorsicht: Geben Sie sich nicht mit so allgemeinen Antworten wie "Ich bin entscheidungsstark" zufrieden. Fragen Sie nach: In welchen Situationen zeigt sich das? Wenn es um Neuanschaffungen geht? Oder wenn es um das Treffen und Verkünden von Entscheidungen geht, die "schmerzhaft" sind? Entsprechendes gilt, wenn ein Bewerber sagt: "Ich bin teamfähig." Dann sollten Sie zum Beispiel nachfragen: "Woran würden Ihre künftigen Kollegen dies merken? Denn erst dann wird die Floskel "teamfähig" operationalisiert. Sie sprechen also über konkrete Verhaltensweisen.
Nicht vorschnell zu viel Information preisgeben
Vermutlich haben Sie gemerkt: Bisher war in dem Bewerbungsgespräch nur vom Kandidaten die Rede. Über Ihr Unternehmen und die zu besetzende Position wurde hingegen noch kaum ein Wort gesprochen. Das sollte bei einem Auswahlgespräch auch so sein. Häufig begehen Interviewer den Fehler, dass sie dem Kandidaten zunächst ausführlich das Unternehmen, die vakante Position und die Aufgaben, die auf den künftigen Stelleninhaber zukommen, schildern - auch aus Gründen der Höflichkeit. Deshalb weiß der Bewerber, wenn das eigentliche Interview beginnt, schon, was auf den Stelleninhaber zukommt und was von ihm erwartet wird. Also passt er sein Antwortverhalten den Erwartungen an. Und Sie? Sie können nicht mehr unterscheiden: Entspricht der Kandidat tatsächlich Ihren Vorstellungen oder präsentiert er sich nur wie gewünscht?
Leiten Sie das Gespräch erst dann auf die vakante Stelle über, wenn Sie bereits ein recht konkretes Bild vom Bewerber haben. Diese Gesprächsphase können Sie zum Beispiel mit den Worten einleiten: "Sie haben sich bei uns als ... beworben. Wie stellen Sie sich Ihre künftige Tätigkeit bei uns vor?" Oder: "Wir sind ein mittelständischer Betrieb (oder "Wir sind spezialisiert auf ..."). Was schätzen Sie, welche speziellen Anforderungen an den künftigen Stelleninhaber sich hieraus ergeben?" Das heißt: Auch nun sollten Sie den Kandidaten zunächst kommen lassen, bevor Sie ihm endlich das Unternehmen vorstellen und dezidiert die vakante Position beschreiben.
"Was würden Sie tun, wenn ...?"
Hat der Bewerber diese Information, sollten Sie ihm erneut Fragen stellen - und zwar zu typischen Situationen und Herausforderungen, mit denen der künftige Stelleninhaber konfrontiert sein wird. Zum Beispiel: "Stellen Sie sich vor, ein Schlüsselkunde beschwert sich darüber, dass ... und droht die Zusammenarbeit zu beenden. Was würden Sie tun?"
Insbesondere wenn es um das Besetzen von Schlüsselpositionen geht, sollten sich Ihre Fragen nicht nur auf die aktuelle Unternehmenssituation beziehen. Schließlich soll der neue Mitarbeiter viele Jahre für Ihr Unternehmen arbeiten und seinen Beitrag zu dessen Weiterentwicklung leisten. Stellen Sie ihm also auch Fragen wie: "Wir möchten unsere Reaktionszeit auf Kundenanfragen verkürzen. Wie würden Sie dieses Thema angehen?" Wenn beim Gespräch auch ein Kollege aus dem betreffenden Fachbereich anwesend ist, können Sie den Bewerber auch kurz mit diesem über die mögliche Lösung diskutieren lassen, um sich anschließend zu fragen:
- Welche neuen Erkenntnisse habe ich gewonnen?
- Wie reagierte der Bewerber auf andere Meinungen? Und:
- Wie verarbeitete er neue Informationen?
Dann wird meist schnell klar, ob der Kandidat der "Richtige" ist.
Wer bei Bewerbern hinter die Fassade blicken möchte, sollte einigermaßen routiniert im Führen von Gesprächen und Interviewen von Personen sein. Sonst reißen eloquente und selbstbewusste Bewerber schnell die Gesprächsführung an sich. Gerade untrainierte Führungskräfte sollten deshalb, wenn Bewerbungsgespräche anstehen, überlegen: Ziehe ich zum Gespräch einen Kollegen hinzu? Dies hat auch den Vorteil, dass im Gespräch eine Arbeitsteilung möglich ist. Während Sie zum Beispiel primär das Gespräch führen, achtet Ihr Kollege vor allem auf die nonverbalen Aussagen des Bewerbers, die oft aussagekräftiger als die verbalen sind. Außerdem notiert er sich stichwort-artig die wichtigsten Aussagen und Beobachtungen. Sonst ist die Gefahr groß, dass nach dem fünften Interview niemand mehr weiß, was der erste Bewerber sagte und wie er reagiert hat.
Nachbereitung nicht vergessen
Wichtig ist auch eine sorgfältige Nachbereitung der Gespräche. Ergänzen Sie nach jedem Gespräch sofort Ihre Notizen - am besten auf einem anhand des Anforderungsprofils erstellten Formblatt. Denn dann können Sie, wenn alle Auswahlgespräche geführt sind, die Ergebnisse am leichtesten miteinander vergleichen.
Bevor Sie Ihre Entscheidung treffen, sollten Sie alleine oder mit dem Kollegen, der an den Gesprächen teilnahm, ein Ranking der besten Bewerber erstellen. Dann haben Sie Alternativen parat, wenn Ihr Wunschkandidat absagt. Sprechen Sie beim Erstellen des Rankings mit Ihrem Kollegen auch darüber, warum Sie beim Bewerber A, obwohl er formal alle Kriterien erfüllt, ein "eher schlechtes Gefühl" haben. Und Sie hingegen beim Bewerber B den Eindruck haben, er könne der bessere Mitarbeiter sein, obwohl er einzelne Anforderungen nicht ganz erfüllt. Denn selbst mit der besten Vorbereitung und Gesprächsführung können Sie bei Auswahlgesprächen nie absolut objektive Ergebnisse erzielen.
Die Entscheidung absichern
Gerade beim Besetzen von Schlüsselpositionen kann es deshalb sinnvoll sein, die tatsächliche Ausprägung von Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen eines Kandidaten durch wissenschaftlich fundierte Analyseverfahren wie zum Beispiel Tests festzustellen. Diese Verfahren basieren immer auf folgendem Prinzip: Die individuellen Leistungs- und Persönlichkeitsmerkmale des Kandidaten werden in Beziehung gesetzt, zu den Durchschnittswerten einer hinsichtlich Bildungsgrad, Alter und beruflicher Position adäquaten Vergleichs- oder Normgruppe. So lässt sich feststellen, in welchen Bereichen der Bewerber tatsächlich über über-durchschnittliche Fähigkeiten verfügt. Derartige Verfahren gehören jedoch in die Hände von Experten, die dafür qualifiziert sind, den Auswahlprozess entsprechend den in der DIN 33430 formulierten Qualitätsmerkmalen (www.din33430portal.de) zu gestalten. (oe)
Der Autor Dr. Joachim Kolbert ist Diplom-Psychologe und arbeitet als Personalberater für die Adensam Managementberatung, Ludwigshafen, die auf die Arbeitsfelder New- und Outplacement sowie Executive Placement spezialisiert ist.
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Tel.: 0621/59895-0, E-Mail: anfrage@adensam.de, Internet: www.adensam.de oder über Bernhard Kuntz, Büro für Bildung & Kommunikation, Tel.: 06151-896590, E-Mail: info@bildung-kommunikation.de, In-ternet: www.bildung-kommunikation.de