SAP hat in den zurückliegenden Monaten bei seinen Kunden mit Preislistenänderungen und unerwarteten Forderungen für viel Unruhe und Widerstand gesorgt. Die Kunden mussten Position beziehen: Sie müssen sich entweder dem Druck der SAP unterwerfen oder sich gegen ihren ursprünglichen Partner zur Wehr setzen. Das Grundvertrauen zwischen dem strategischen Lieferanten SAP und seinen Kunden ist Misstrauen und der regelmäßigen Verletzung von "gefühltem Recht" gewichen.
Aus Mangel an Präzedenzfällen fehlt Rechtssicherheit und damit eine objektive Grundlage für Forderungen des Herstellers der dominierenden unternehmenskritischen Software in der Mehrzahl deutscher Unternehmen. Mit der aktuell angekündigten Preisliste öffnet SAP die Tür, die willkürlich anmutenden Forderungen in jüngster Vergangenheit durch neue Regeln (gegen Aufpreis) zu ersetzen oder die Koexistenz auf Basis der einzelvertraglichen Historie fortzusetzen. Es liegt nun bei den SAP Kunden, die Möglichkeiten des neuen Regelwerks mit einzelvertraglichen Reglungen in der Vergangenheit zu vergleichen und eine Entscheidung zu treffen.
Italienischer Abend
Stellen Sie sich vor, Sie gehen in das italienische Restaurant um die Ecke, in dem Sie seit Jahren schöne Abende verbracht haben. Heute lockt Sie das Buffet-Angebot, welches auf dem Schild vor dem Lokal - wie jeden Freitagabend - beworben wird. Der Wirt, den Sie seit Jahren kennen, begrüßt Sie herzlich. Auf dem Buffet finden Sie all Ihre Lieblingsspeisen. Das Angebot ist reichlich. Sie nutzen die Chance, von allem einmal zu probieren. Dazu noch ein Viertel von Ihrem Lieblingswein. Zum Schluss noch eine Variation von süßen Nachspeisen. Der Espresso dazu kostet extra, aber der ist jeden Cent wert. Einen zweiten Espresso gönnen Sie sich zusammen mit einer Zigarette vor der Tür. Ein gelungener Abend. Zufrieden winken Sie dem Wirt und bitten ihn um die Rechnung.
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Der Preis kann ja eigentlich keine große Überraschung sein. Sie kommen ja schon seit Jahren freitags hier her. Einmal Buffet, ein Viertel von Ihrem Wein und zweimal Espresso. Doch dieses Mal ist die Rechnung etwas länger. Die Nachspeisenspeisen sind separat ausgewiesen und nicht mehr im Buffetpreis enthalten - einzige Ausnahme ist die Tiramisu. Beim Dessert wird auf einmal jede Süßspeise einzeln abgerechnet. Diese Position ist besonders kostspielig, da der Wirt Ihres Vertrauens gerade erst gestern die Preise für Süßspeisen deutlich angehoben hat. Der zweite Espresso ist teurer als der erste, da der Preis eines Espresso nun nach der Art des Konsums - "indoor" oder "outdoor" - unterschieden wird. Eine Gebühr für die Benutzung der Garderobe schließt die Rechnung ab.
Das Vertrauen in Ihren Lieblings-Italiener ist dahin. Wut und Zorn gewinnen die Oberhand. Mit einem "Ich habe mir schon gedacht, dass Sie sich aufregen!" kommt er schon auf Sie zu und erklärt Ihnen die Rechnung: "Grundlage der Rechnung ist unsere Speisekarte. Dort wird beim Buffetpreis nur auf unsere reichhaltige Auswahl an italienischen Hauptspeisen und Desserts verwiesen. Von Vorspeisen war nicht die Rede. Die haben wir nur früher nie berechnet. Bei den Nachspeisen haben wir die italienischen Desserts nicht berechnet. Der Fruchtsalat und die Creme Brulée sind keine italienischen Desserts. Und bevor Sie fragen: Nein, wir haben den Preis für die Creme Brulée nicht erhöht. Es ist nun eine "Creme Brulée nach Art des Hauses" und damit ein neues Produkt, welches einfach einen anderen Preis hat. Den Preis für die Garderobe finden Sie auf der Speisekarte gleich hinter den Grappas. Hätte ich Sie darauf hinweisen müssen? Es gilt doch immer die aktuelle Speisekarte. Das wissen Sie doch!" Ihre Sprachlosigkeit wird von einem selbstlosen Angebot Ihres Wirts unterbrochen: "Noch einen Grappa auf's Haus?" Sie lehnen dankend ab.
Stabiles Fundament SAP-Vertrag?
So manche Diskussion von SAP-Anwenderunternehmen mit ihrem Softwarelieferanten zu neuen Forderungen nach einer Vermessung dürfte diesem Besuch beim Lieblings-Italiener ähneln: Hat ein Unternehmen in der Vergangenheit einen SAP Vertrag abgeschlossen, so ist es davon ausgegangen, dass es mit dem Erwerb der Lizenzen ein stabiles Fundament für seine zukünftige Systemlandschaft schafft. Über Jahre wurden Unternehmensprozesse auf SAP ausgerichtet. Über Zusatzentwicklungen und intelligente Add-Ons wurden Prozesse optimiert. Nun soll sich die Investition auszahlen - und genau daran will die SAP nun erneut profitieren: Die über Jahre entwickelten Schnittstellen, die von SAP und SAP-Partnern ohne jeden Hinweis auf zusätzliche Lizenzkosten implementiert wurden, sind auf einmal lizenzpflichtig. Vermessungsergebnisse, die nie reklamiert wurden, führen auf einmal zu Nachforderungen. Kurz zuvor wurden Metriken und Preise, auf denen diese Forderungen basieren, für SAP Kunden signifikant kostspieliger.
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Die gute Nachricht ist nun, dass Sie die "Speisekarte" (= Preisliste) von SAP nur dann lesen müssen, wenn Sie ein Produkt neu erwerben oder in das aktuelle Lizenzmodell migrieren. Hätten Sie also mit Ihrem Italiener einen Vertrag geschlossen, in dem Leistungsumfang und Preise auf Basis der damaligen Speisekarte vereinbart sind, müssen Sie sich nur noch für die Speisekartenänderungen für den Wein und den Espresso interessieren. Diese Positionen sollten Sie sich in der aktuellen Speisekarte genau anschauen. Die Garderobennutzung ist dann gebührenfrei, wenn diese in der damaligen Speisekarte mit "im Preis inklusive" vermerkt wurde.
Ihr Lieblings-Italiener wird es sich nicht leisten, Sie mit solchen Forderungen zu konfrontieren, da er dann sicher sein kann, Sie als Kunden zu verlieren. Sie müssen nun also nicht zur Vorsicht Gutscheine bei Ihrem Wirt kaufen und zur Sicherheit die zum Kauf gültige Speisekarte mitnehmen. Die schlechte Nachricht für die Anwenderunternehmen ist, dass SAP davon ausgeht, sich solche Forderungen gegenüber ihren Bestandskunden leisten zu können, da der Wechsel eines ERP-Anbieters nicht so leicht fällt wie der Wechsel in ein neues Stammlokal. SAP-Anwenderunternehmen müssen nun darauf achten, die Vorteile ihrer Einzelverträge auf Basis alter Preislisten in die neue S/4HANA Welt zu retten und neue Risiken frühzeitig zu erkennen und im Zweifel einzelvertraglich zu lösen.
SAP Vermessung nach tatsächlicher Nutzung oder nach Berechtigungen?
Die Ankündigung der SAP, zukünftig alle Kunden nach Berechtigungen ihrer User vermessen zu wollen, hat viel Unruhe im Markt erzeugt. Das häufig prognostizierte "Lizenzunheil" wurde von Andreas Oczko, DSAG-Vorstand Operations / Service & Support und stellvertretender Vorstandsvorsitzender, in einer Stellungnahme mit Recht auf die rationale vertragliche Grundlage reduziert: SAP kann bestehende Verträge nicht ignorieren. Solche Verträge basieren meist noch auf Userdefinitionen, die nicht von "Berechtigungen" sondern von "Nutzung" sprechen. Je nach Grundlage eines SAP Kundenvertrages gilt die Formulierung der damals aktuellen Preisliste. Ist hier die "Nutzung" als Basis der Userdefinition festgelegt, gibt es keinen Grund, das Berechtigungskonzept auf links zu drehen, um dem Anspruch zu genügen, dass aus Berechtigungen die günstigste Userlizenz ableitbar ist.
Selbst wenn sich herausstellt, dass ein Kunde gemäß seiner Berechtigungsprofile die Lizenztypen zuordnen muss, so sind die Berechtigungsprofile gegen eine Interpretation der Userprofile in Transaktionsnutzungen abzugrenzen. Dies ergibt im Zweifel die Notwendigkeit, großzügig ausgelegte Berechtigungsprofile funktional einzugrenzen. Hierzu ist lediglich ein Abgleich der möglichen Transaktionen eines Berechtigungsprofils gegen die tatsächliche Nutzung der berechtigten User zu erstellen. Wenn notwendig, ist dies ärgerlich, aber mit der richtigen Interpretation der Userprofile, in Form von zugelassenen Transaktionen pro Userprofil, kein Hexenwerk. Um in unserem Bild des italienischen Buffets zu bleiben: In jedem Fall wird man nur für das bezahlen, was man konsumiert - "all you can eat" nicht "all you could eat"!
Neue Formen der Lizenzierung für indirekte Nutzung?
Seit Monaten erleben wir eine Achterbahnfahrt zur Lizenzierung der externen Anlage von Aufträgen in SAP. Wurden in der Vergangenheit im Wesentlichen B2C-Aufträge über beispielsweise Webshops nach "Sales & Service Order Processing" mit zehn Cent pro Auftrag lizenziert, so wurden diese durch Neudefinition der Metrik in "Sales & Service Order Execution" zunächst auf 20 Euro pro Auftrag erhöht. Offensichtlich hat SAP hier ihren Fehler schnell erkannt und bereits drei Monate später den Preis - nein, nicht wieder gesenkt - sondern auf 30 Euro pro Auftrag erhöht. Nach massiver Gegenwehr der Kunden ruderte SAP zurück und reduzierte die Preiserhöhung schließlich auf zehn Euro pro Auftrag. Nachdem diese Preiserhöhung im Markt etabliert wurde, fordert SAP mit den Vermessungen auch die Lizenzierung der EDI Nachrichten im B2B-Szenario.
Wie Sie den Durchblick im SAP-Lizenzdschungel behalten, lesen Sie in unserem kostenlosen Dossier
Mit der Preisliste aus dem zweiten Quartal 2018 kündigt SAP nun die Umstellung der Lizenzierung nach sogenannten "Documents" an. Diese Metrik stellt eine Ausweitung des obigen Sales & Service Order Szenarios auf sämtliche Objekte dar, die über Schnittstellen in SAP erzeugt werden können: Finanzbelege, Fakturen, Materialbelege, etc. Dies geht weit über die zu lizenzierenden Szenarien vergangener Preislisten hinaus und verursacht nun für jede Form der Interaktion mit NonSAP Systemen volumenbasierte Folgekosten. Aber auch hier gilt die Logik "Einzelvertrag auf Basis alter Preisliste geht vor neuer Preisliste". Sind viele Schnittstellen nach alter Definition der indirekten Nutzung noch kostenfrei, so stellt die neue Metrik eine vollständige Lizenzierung des eingehenden Datenverkehrs dar und torpediert damit jeden Business Case für digitale Szenarien. Folglich müssen Umstellungen in diese Richtung gut überlegt und kalkuliert sein, denn sonst werden erhoffte Kostenvorteile schnell hinfällig.
Analog zu unserem Beispiel des Restaurants bedeutet dies: Bei der Nachspeisenvariation gilt ab sofort die Vergütung einer jeden Position, während im "Sales & Service Order Execution" noch die Zusammenstellung verschiedener Dessertpositionen in Summe zu vergüten gewesen wäre.
Zusätzliche Forderungen durch das S/4HANA Lizenzmodell
SAP bietet seinen Kunden aktuell die Option, in das neue S/4HANA Lizenzmodell zu migrieren - also ein Neukauf auf Basis der aktuellen Preisliste unter Anrechnung des Lizenzbestandes - oder mit dem Kauf der HANA Datenbank und einer Zahlung von einmalig 9000 Euro die Nutzungsrechte für neue S/4HANA Enterprise Management Applikationen für die bestehenden ERP Lizenzen zu erwerben. Auf den ersten Blick erscheint die Migration denkbar unattraktiv. Eine neue Investition, die kurzfristig keinen Mehrwert erzeugt, erfüllt keinen Business Case. Mit der Migration verzichtet ein SAP Kunde auf die Vorteile der alten Preisliste und öffnet der SAP Tür und Tor für Forderungen, die in der Vergangenheit nicht notwendig waren. Darüber hinaus unterwirft sich ein SAP Kunde der neuen Vermessungs- und Audit-Logik der SAP.
Möchte man nun an der SAP Strategie festhalten, gilt es, die Vorteile der alten Verträge in die neue Welt zu retten und gleichzeitig Investitionsschutz für die bestehenden SAP Investitionen zu erreichen. Eine Entscheidung für die zukünftige SAP Lizenzstrategie hängt zum einen von einer (kostenunabhängigen) Applikations-Strategie unter Berücksichtigung der S/4HANA Produktstrategie (on premise und on demand) ab, zum anderen basiert eine kostenoptimierte Strategie auf einer Kalkulation der Belegvolumina im Rahmen einer digitalen Unternehmensstrategie. Beide Kriterien gilt es zu objektivieren und auf dieser Basis eine Lösung zu finden, die langfristig die Compliance sicherstellt.
Pasta oder Tapas?
Übersetzt heißt dies: Möchten Sie bei Ihrem Lieblings-Italiener bleiben und finden einen Weg, wie Sie Ihre Freitagabende wieder bei gutem Essen und Ihrem Lieblingswein genießen und offen sind für neue Leckerbissen, die Sie vom Buffet probieren können? Oder bestellen Sie bei Ihrem Lieblings-Italiener zukünftig nur noch die "sicheren Hauptgerichte", probieren aber anschließend die neue Eiskreation im Café nebenan und treffen sich mit Freunden zum Abschluss des Freitagabend in der Bar um die Ecke zu einem guten Malt Whiskey anstelle des traditionellen "Grappa auf Kosten des Hauses"? Oder kehren Sie der italienischen Küche gar komplett den Rücken und erkunden Sie die Welt spanischer Tapas und finden dort bald Ihren Lieblings-Rioja, der zukünftig Ihren Freitagabend abrundet?
Der Anbietermarkt bietet zahlreiche Optionen. So sehr Sie sich an einen geregelten optimalen Freitagabend gewöhnt haben, bleibt die Entscheidung letztendlich doch Ihnen überlassen. Geben Sie Ihrem Lieblings-Italiener die Macht, den Preis für einen gelungenen Freitagabend zu diktieren? Oder entscheiden Sie sich für einen entspannten Freitagabend, in dem Sie selbst bestimmen, was Sie sich wo zu welchem Preis gönnen - mit oder ohne Pizza und Pasta?