Stabilität für die Lieferkette

Robuste Distributoren

05.08.2022 von Armin Weiler
Eines haben die Krisen der vergangenen zwei Jahre deutlich gezeigt: Für die IT-Branche ist die Distribution ein systemrelevanter Faktor, der wesentlich dazu beigetragen hat, die gestörten Lieferketten zu stabilisieren.

Deutschlands Distributionslandschaft ist nach wie vor vielfältig. Zwar gab es 2021 einige Übernahmen und Fusionen, doch flächendeckende Konsolidierungen oder gar Pleiten blieben aus. So haben sich die ITK-Grossisten trotz der Krisen der letzten zwei Jahre äußerst robust präsentiert.

Den Distributoren wurden in den Krisenzeiten der letzten zwei Jahre viel Flexibilität abverlangt, doch sie konnten sich so als wesentlicher Stabilitätsfaktor für die gestörten Lieferketten etablieren.
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Im Rahmen der von Context durchgeführten "Channel Excellence"-Studie haben insgesamt 2.350 Systemhausvertreter und Fachhändler aus Deutschland ihre bevorzugten Hersteller und Distributoren bewertet. Dabei hat sich auch gezeigt, dass in Zeiten volatiler Verfügbarkeiten Reseller eher bereit, auf neue Bezugsquellen auszuweichen. In der Context-Erhebung gaben immerhin fast 40 Prozent der Händler an, nun mit mehr Distributoren zusammenzuarbeiten. So haben unterschiedlichste Grossisten einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, Lieferketten zu stabilisieren und Warenverfügbarkeit zu gewährleisten. "Wir hatten im Frühjahr 2020 bereits frühzeitig mit Beginn der Coronapandemie reagiert und weitreichende Maßnahmen mit einem ausgefeilten Pandemieplan eingeleitet, um Kontinuität und einen möglichst reibungslosen Geschäftsverlauf sicherzustellen", berichtet Alexander Maier, Senior Vice President und Chief Country Executive Ingram Micro Deutschland und Österreich. Der Ingram-Chef setzt dabei weiterhin auf vorausschauendes Handeln und frühzeitiges Ordern, um "bestmögliche" Warenverfügbarkeit zu gewährleisten. "Die ITK Branche ist aber ja bekanntlich sehr gut durch die Corona Zeit gekommen und diese Tendenz sehen wir auch bei uns", freut sich Konrad Seebauer, Vice President Operations DACH & Endpoint Solutions Deutschland bei Tech Data. Man habe in vielen Bereichen Marktanteile gewinnen und sich für die Zukunft gut positionieren können.

Verfügbarkeitsprobleme und Lieferschwierigkeiten haben dazu geführt, dass viele Reseller nun mit mehr Herstellern und Distributoren zusammenarbeiten.

Herausforderung Homeoffice

Für die Vertreter der großen Broadline-Distributoren war eine der großen Herausforderungen die allerorts durch die unvermittelte Einführung von Homeoffice-Modellen explosionsartig gestiegene Nachfrage nach entsprechendem Equipment. "Die Bewältigung des 'plötzlichen' Homeoffice für viele Hunderttausende Menschen während der Pandemie in puncto Hardware-Ausstattung, Kommunikation, Organisation und Sicherheit war sicher die größte Herausforderung, sowohl für die Reseller wie für unsere Mitarbeitenden" bestätigt Mike Rakowski, Managing Director Services bei Also Deutschland. Die Reseller haben laut Rakowski "da wirklich Starkes geleistet" und die Transformation zum hybriden Arbeiten exzellent gemeistert.

So mussten die Distributoren sich auf den sich täglich verändernden Mark einstellen, um die Verfügbarkeit sicherzustellen. "Es war anfangs kaum planbar, aber die enge und langjährige Zusammenarbeit mit unseren Herstellern und die engen Beziehungen auf lokaler Ebene haben es uns ermöglicht, die hohe Nachfrage in speziellen Bereichen trotzdem sehr gut zu erfüllen", erzählt Konrad Seebauer von Tech Data.

„Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gezeigt, dass Größe nichts mit mangelnder Flexibilität zu tun hat“, Konrad Seebauer, Vice President Operations DACH & Endpoint Solutions Deutschland bei Tech Data
Foto: Tech Data

Flexibilität auch bei Broadlinern

Flexibilität nennt nahezu jeder Distributor, wenn er nach dem Erfolgsrezept in Krisenzeiten gefragt wird. Kleinere und mittelständische, oft inhabergeführte Grossisten, verweisen gerne auf den größeren Spielraum, der stark an Kennzahlen orientierten Broadline-Distribution fehle. Das greift Tech-Data-Manager Seebauer gerne auf: "Ich denke, dass wir speziell in den vergangenen zwei Jahren gezeigt haben, dass Größe nichts mit mangelnder Flexibilität zu tun hat. Wir konnten in dem sich dramatisch schnell verändernden Markt hervorragende Ergebnisse liefern und innerhalb kürzester Zeit den Bedarf für unsere Vertriebspartner anpassen", meint er. Eine gewisse Größe brauche einfach Prozesse, de gehe "nichts mehr unstrukturiert". Und das sei auch gut so, denn "so unterliegen unsere Services keinen Schwankungen und unsere Kunden können neben finanzieller Stabilität auch auf Sicherheit und Verlässlichkeit in unserem Tun vertrauen", verspricht Seebauer.

Ähnlich sieht das Also-Director Rakowski: "Wir sind im Markt bekannt dafür, schnell und agil zu reagieren. Natürlich braucht es belastbare Prozesse, aber wenn die mit flachen Hierarchien und kompetenten Mitarbeitern gepaart werden, kann man sehr flexibel sein, ohne Gefahr zu laufen, den Kurs zu verlieren", ist er sich sicher. Ingram-Chef Maier bemerkt dabei entscheidende Vorteile in der Marktmacht des Unternehmens: "Als großer Player im Markt haben wir die Portfoliobreite und -tiefe sowie spezialisierte Teams, um gleichzeitig das Tagesgeschäft und die technologischen Trendthemen zu treiben und so die Distribution der Zukunft zu gestalten", betont er. Die zurückliegenden und zukünftigen umfangreichen Herausforderungen habe und werde man "in engem Austausch mit den Partnern" meistern. "Wir investieren, um diese auf zukünftige Anforderungen vorzubereiten und justieren basierend auf den Bedürfnissen des Marktes unser Angebot immer wieder neu. Dazu braucht es die Größe, Stärke und Stabilität eines global agierenden Unternehmens", bekräftigt Maier.

„Zu den zukünftig erfolgreichen Unternehmen gehören diejenigen, die es verstehen, Partnerschaften als eine bessere Version ihrer selbst einzugehen“, Alexander Maier, Senior Vice President und Chief Country Executive Ingram Micro Deutschland und Österreich
Foto: Ingram Micro

Beschleunigte Transformation

Es ging in den vergangenen zwei Jahren aber nicht nur um Hardware-Produkte, die in ständig wechselnden Nachfrageszenarien disponiert werden mussten. "Die Digitalisierung und viele Transformationsprozesse haben sich zwangsläufig beschleunigt, entsprechend kam es in unserem Geschäft zu Verschiebungen. Manche Technologien und Innovationen haben sich in den letzten paar Jahren schneller etablieren können, als dies sonst der Fall gewesen wäre", beschreibt Mike Rakowski, Managing Director Services bei Also Deutschland, die Marktsituation. Trotzdem habe sich das breitgefächerte Ökosystem als extrem wichtig erwiesen. "Dank dem großen Also-Produkt- und Vendoren-Portfolio inklusive aller Services und Plattformen und last but not least der Zusammenarbeit unserer mittlerweile 29 Also-Länder können wir viele Unwägbarkeiten auf- und abfangen. So finden Partner beispielsweise beim Thema Verfügbarkeiten problemlos alternative Angebote und Lösungen", erklärt er.

Auch Alexander Maier geht in der aktuellen Situation mit anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie und massiven geopolitischen Spannungen davon aus, dass sich der tiefgreifende Wandel der Märkte und der digitalen Technologien weiter beschleunigen wird. "Die Digitalisierung läutet somit die nächste Welle der Globalisierung ein. Dabei geht es um ein Umdenken im gesamten Business-Ökosystem durch digitale Technologien, Automatisierung und Partnernetzwerke" so Maier. Ziel sei es, mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten, den lokalen Bedürfnissen besser gerecht zu werden und Angebotsschwankungen besser auszugleichen, unabhängig von der Unternehmensgröße.

Reseller wollen Trainings

So wandeln sich die Anforderung an die Distributoren rasant, für manche zu schnell. Nur gut jeder zweite Reseller fühlt sich laut Context bei der digitalen Transformation seiner Kunden ausreichend durch die Distributoren unterstützt. Um As-a-Service-Leistungen verkaufen zu können, wünschen sie sich insbesondere Schulungs- und Trainingsangebote von ihren Distributoren.

Nahezu die Hälfte der von Context befragten Reseller fühlt sich von der Distribution bei der digitalen Transformation ihrer Kunden nur unzureichend unterstützt.

Alexander Maier von Ingram Micro nimmt den Wunsch nach mehr Training gerne auf: "Wir unterstützen unsere Partner und ihre Kunden in der Digitalen Transformation mit einem umfassenden Beratungs- und Serviceangebot. Schon vor Ausbruch der Coronapandemie zeichnete sich ab, dass zukünftiger Erfolg davon abhängt, ob Unternehmen in der Leistungserbringung auf ein Netzwerk von externen Mitarbeitern, Lieferanten und Partnern zurückgreifen können", weiß er. Hier will Maier mit Fachexpertise und Lösungskompetenz ansetzen, um gemeinsam mit den Partnern die Risiken zu minimieren und die vielfältigen Herausforderungen zu meistern.

Für Also-Manager Mike Rakowski ist die Unterstützung der Partner ein "Hauptanliegen", in das man sehr viel Energie stecke, auch weil man wisse, wie herausfordernd die IT-Branche mit ihren ständigen Veränderungen sein kann. "Unsere Trainings- und Beratungsangebote sind umfangreich. Wir tun unser Möglichstes, um unsere Partner zu unterstützen und ihnen zu helfen, auch ganz individuell und persönlich", verspricht er.

Doch all das gibt es nicht zum Nulltarif: "Falls mit Unterstützung die kostenlose Erschließung dieses Marktes und der entsprechenden Endkunden gemeint ist, können wir das Umfrageergebnis nachvollziehen. In unserer Sandwich-Position zwischen den Herstellern und Vertriebspartnern, die deutlich höhere Margen erzielen, können wir diese Leistung nicht kostenlos oder on top anbieten", gibt Konrad Seebauer von Tech Data zu bedenken. Er ist sich aber sicher, dass viele Partner "die gemeinsam mit uns wachsen und neue Bereiche in Business Modellen erschließen, in denen alle partnerschaftlich profitabel arbeiten", dies anders sehen. Zudem werde es auch einen gewissen Teil geben, der die Digitalisierung auch selbst schafft und dabei nicht auf die Distribution angewiesen ist.

Fachkräfte gesucht

Wie der gesamten Branche macht den Distributoren aber die Situation auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen: "Wie alle Marktteilnehmer spüren wir massiv den Fachkräftemangel, halten uns jedoch im Branchenvergleich noch recht gut", stellt Chief Country Executive Maier fest und verweist auf die Auszeichnung "Great Place to Work", die Ingram 2021 verliehen bekommen hat. Die wohl größte Herausforderung im Werben um Fachkräfte sieht Maier im kulturellen Wandel, den Unternehmen bewerkstelligen müssen. Denn was heute richtig ist, könne morgen schon ganz falsch sein. "Deswegen ist es wichtig, uns selbst und unsere Organisation immer wieder zu hinterfragen und eine offene Fehler- und Feedbackkultur zu pflegen", bekräftigt er. Dies sei "nicht immer angenehm", lohne sich aber, weil es Fortschritt bedeutet. "Wir leben eine Unternehmenskultur, in der wir einen wertschätzenden Umgang miteinander pflegen, als Team zusammenarbeiten und berufliche Weiterentwicklung fördern", sagt Maier.

Für Michael Görner, Vice President Advanced Solutions & Maverick AV Solutions Deutschland bei Tech Data, liegt der Schlüssel darin, sowohl bestehende Mitarbeiter zu halten als auch neue zu gewinnen. "Hierzu zählen spezifische Aus- und Weiterbildungsprogramme. Für Young Talents bieten seit ca. zehn Jahren vielfältigste Möglichkeiten der Ausbildung - von der klassischen Ausbildung über Abiturienten- und Traineeprogramme bis hin zu Dualen Studien", berichtet Görner. Besonders hebt er die den Bereich Weiterbildung mit der exklusiven Ausbildung zum IT Security hervor, die dem Unternehmen eine große Anzahl an Security-Spezialisten sichert. Zudem habe das Management einen hohen Fokus auf Diversity und Inclusion. "Dies sollte meines Erachtens selbstverständlich sein, aber wir stellen immer wieder fest, dass andere Arbeitgeber hier keinen oder nur geringen Schwerpunkt darauf haben", beklagt der Tech-Data-Manager.

„Für Young Talents bieten seit ca. zehn Jahren vielfältigste Möglichkeiten der Ausbildung - von der klassischen Ausbildung über Abiturienten- und Traineeprogramme bis hin zu Dualen Studien“. Michael Görner, Vice President Advanced Solutions & Maverick AV Solutions Deutschland bei Tech Data
Foto: Tech Data

Mike Rakowski von Also ist optimistisch, dass das man durch das Ökosystem des Unternehmens den Vorteil hat, eine Vielzahl von Aufgabenfeldern anbieten zu können und gleichzeitig die Arbeit mit großen, bekannten Herstellern in die Waagschale werfen kann. "Das macht uns durchaus attraktiv für Bewerber", meint er.

Wachstum durch Diversifizierung

Neue und bestehende Fachkräfte wird die Distribution brauchen, um die künftigen Aufgaben zu bewältigen. Auch die Broadliner haben sich viel vorgenommen. "Auch in Zukunft wird es noch transaktionales Geschäft geben, aber unsere Arbeit beschränkt sich schon lange nicht mehr auf die Distribution von Hard- und Software", erklärt Rakowski. Als Technologie-Anbieter redet Also heute mit den Partnern über Anwendungen aus dem Internet of Things, Künstliche Intelligenz, Robotic Process Automation und Gamification. "Diese Diversifizierung bietet dem gesamten Channel hervorragende Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten", ist sich Rakowski sicher.

„Manche Technologien und Innovationen haben sich in den letzten paar Jahren schneller etablieren können, als dies sonst der Fall gewesen wäre“, Mike Rakowski, Managing Director Services bei Also Deutschland
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Bei den klassischen Geschäftsmodellen der Distribution werden laut Tech-Data-Manager Konrad Seebauer Themen wie Effizienzsteigerung, Kostendruck und eine zunehmende Geschwindigkeit in allen Prozessen der Supply-Chain das Geschehen bestimmen. Und es kommen neue Themen hinzu: "Die Nachhaltigkeit und Schonung der Umwelt ist eines, und das liegt uns sehr am Herzen. Wir sind hier im engen Austausch mit unseren bestehenden und auch neuen Herstellern, suchen nach Produkten, die länger halten, weniger Abfall verursachen und deren Reparatur Index gering ist. Mit der ISO 14001-Zertifizierung werden wir einmal mehr Prozesse im Fokus Nachhaltigkeit beleuchten und weiter optimieren", verspricht er.

Alexander Maier geht davon aus, dass der tiefgreifende Wandel von Märkten und Technologien weiter an Fahrt aufnehmen wird. "Umso wichtiger ist ein flexibler strategischer Rahmen, der sich an die täglichen Ereignisse und neuen Prognosen anpassen lässt, ohne dabei unsere übergeordneten Ziele aus den Augen zu verlieren", fordert er. Ingram habe bereits das etabliertes Geschäftsmodell in den Jahren 2018 bis 2021 "mit sehr guten Ergebnissen" transformiert. Daran will Maier anknüpfen und das etabliertes Geschäftsmodell in ein digitales Plattformmodell überführen. "Der künftige Wettbewerb wird sich von klar definierten Branchen, die unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen anbieten, hin zu breiteren Technologie-Ökosystem-Plattformen verlagern, die umfassende Wertangebote liefern, von Autos zu Mobilitätslösungen, von Banken zu Fintech-Lösungen. "Dieser Trend ist jetzt überall zu beobachten und er beschleunigt sich noch", hat Maier beobachtet. Hier will mit einem integrierten Plattform-Ecosystem ansetzen. "Zu den zukünftig erfolgreichen Unternehmen gehören diejenigen, die es verstehen, Partnerschaften als eine bessere Version ihrer selbst einzugehen", lautet seine Prognose.

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