Egal, ob sich Vorstände oder Abteilungsleiter treffen, zu Konferenzen zum Beispiel oder zu einfachen Meetings: Überall liegen schicke iPads vor den Entscheidern auf dem Tisch. Mit einer Handbewegung aufgedeckt, sind die Tablets sofort bereit zu ... Ja, wozu eigentlich?
Wer sich die Indiskretion erlaubt, den Nutzern – zum Beispiel in einer Konferenzpause – mal über die Schulter zu schauen, stellt schnell fest, dass iPads zum Surfen benutzt werden, um Mails zu lesen, Bilder anzusehen oder eine Präsentation. Aber für Business-Anwendungen? Eher nicht.
Stört niemanden, denn dazu wurden die iPads ja nicht angeschafft. Sondern weil sie schick sind, Spaß bringen, und sich seine Benutzer trendig, vorne und jung fühlen. Genauso vermarktet Apple die Geräte ja auch.
Wichtig: eigenes Tablet-Know-how aufbauen
Wie effizient sich die Flachmänner darüber hinaus für Business-Anwendungen nutzen lassen, "davon war Apple anfangs selbst überrascht", sagt Mirko Saul, Projektleiter von LiMO (Lidl Mobile Office) und Leiter IT-Koordination International. Es gibt eben – unglaublich, aber wahr – Hersteller, die im Privatkundengeschäft so viel Geld verdienen, dass sie die Business-Anwender links liegen lassen können.
Firmen, die dennoch iPads einsetzen wollen, müssen eigenes Know-how aufbauen. Genau das hat der Lebensmitteleinzelhändler Lidl aus Neckarsulm getan, und damit auch Apple schlauer gemacht.
Der Projektstart 2012
Aber der Reihe nach. Angefangen hatte das Projekt vor mehr als zwei Jahren auf Anregung des Lidl-Vertriebs. Der störte sich daran, dass die Verkaufsleiter so viel Zeit mit Administrativem verbringen mussten. Mit Notizen auf Klemmbrettern, die anschließend per Fax oder Mail an die Regionalgesellschaft oder die Zentrale gesendet wurden, manchmal auch per Mobiltelefon.
Diese Kommunikation mit Medienbrüchen verschwendete nicht nur Arbeitszeit, sie machte den Job auch wenig attraktiv für den dringend benötigten Nachwuchs. Verkaufsleiter ist eine typische Einstiegsposition von Hochschulabgängern, für Menschen also, die ein Leben weitgehend ohne Medienbrüche führen (wollen). Klemmbretter und Faxgeräte sind für sie Relikte aus staubiger Vergangenheit.
Laptops kamen nicht in Frage
Normale Laptops kamen als Lösung des Problems nicht in Frage. Aufklappen, hochfahren, online gehen: viel zu umständlich, außerdem sind die Geräte zu schwer. Lidls Verkaufsleiter - zuständig für fünf bis sechs Filialen – sind immer unterwegs, müssen vor Ort den Vertrieb steuern und intensiven Kontakt zu Mitarbeitern pflegen. Tablets zu benutzen, lag bei dieser Arbeitsplatzbeschreibung nahe.
Und die Idee setzte sich in rasendem Tempo durch: Im Herbst 2010 startete der Discounter mit Sitz in Neckarsulm bei Heilbronn das Projekt LiMO offiziell, anschließend gab es einen Praxistest. Im Mai 2012, also vor ziemlich genau zwei Jahren, waren 300 Geräte im Einsatz.
Heute arbeiten sämtliche Verkaufsleiter bei Lidl sowie die beiden Ebenen darüber (Vertriebsleiter und Geschäftsführer) mit Tablets, insgesamt nutzen im Unternehmen etwa 5000 Menschen in 26 Ländern iPads für ihre tägliche Arbeit.
17 Prozent Arbeitszeit gespart
Die Lösung umfasst zwei Komponenten:
Erstens die mobile Informationsteilung ("VL mobil"): Mit dieser Anwendung checken die Verkaufsleiter den Warenaufbau und -bestand in den Filialen. Sie sehen auf dem Bildschirm die Verkaufsflächen-Planung und können sie vor Ort mit dem Istzustand einer Filiale abgleichen.
Zweites Element ist das sogenannte Cockpit: Es erlaubt den Zugriff auf das Data-Warehouse, also zum Beispiel auf die Abverkaufsdaten auf vortagesaktuellem Stand. Aus vordefinierten Berichten lassen sich Kennzahlen bis hinunter auf die Artikelebene herauslesen, für jede Filiale und auf Wunsch auch im Vergleich zum Vorjahr. So lässt sich die Verkaufsflächenplanung wenn nötig kurzfristig anpassen. Mit den leichten Tablets in der Hand sind die Mitarbeiter beweglich, die Geräte sind ständig online und sofort betriebsbereit.
Um neben aller Begeisterung auch die quantitativen Effekte zu belegen zu können, musste eine Gruppe von Verkaufsleitern detailliert dokumentieren, wie viel Arbeitszeit des Tages sie ohne den Einsatz von iPads wofür verwandten. Denn setzte dieselbe Gruppe die Tablets ein und maß wieder, welcher Vorgang wie lange dauerte.
Ergebnis: Weil die rein administrativen Teile der Arbeit sehr viel schneller zu erledigen waren, benötigten sie insgesamt 17 Prozent weniger Zeit für ihr Tagespensum, Zeit, die höchst nutzbringend in Verkaufsoptimierung und Mitarbeiterführung investiert wurde.
Datenpflege und Kategorisieren wichtig und arbeitsintensiv
Möglich wurde dieser Gewinn allerdings erst durch umfangreiche Datenpflege. Alles musste so kategorisiert werden, dass bei der Übertragung tatsächlich Medienbrüche vermieden wurden. Damit der Verkaufsleiter, der gerade vor dem Tiefkühlregal steht, tatsächlich nur noch jene Daten sendet und empfängt, die für diese Produktgruppe relevant sind.
Mirko Saul: "Das Kategorisieren war viel Arbeit, aber wir haben damit eine riesige Hebelwirkung erzeugt. Und zwar nicht nur in den Filialen, sondern auch in den Regionalgesellschaften, die viel Zeit mit Ausdrucken und Sortieren verbracht hatten. Früher standen ja Tiefkühl, Obst und Getränke oft auf einem Fax."
Die Gründe gegen Android und Windows
Für all das Apple-Technologie zu nutzen und nicht etwa Android- oder Windows-Tablets, dafür gab gute Gründe. Projektleiter Mirko Saul nennt hier als erstes die einheitliche Plattform, will sagen vom Betriebssystem gibt es anders als bei Android nicht gleichzeitig mehrere leicht unterschiedliche Spezifikationen. IOS werde dafür öfter aktualisiert, außerdem sei die Technik abwärtskompatibel und besser als andere gegen das Eindringen über ungesicherte Verbindungen geschützt.
Trotzdem eigne sich diese Tablet-Technologie nicht als Rückgrat der gesamten Unternehmens-IT, auch weil Apple nach Lage der Dinge keine eigenen Business-Anwendungen – wie zum Beispiel ERP-Systeme - plant.
"iPads haben einfach von Beginn an Begeisterung ausgelöst"
Der wichtigste Vorteil hat allerdings mit Technik nichts zu tun, oder jedenfalls nicht direkt. Mirko Saul: "Die iPads haben einfach von Beginn an Begeisterung ausgelöst, und zwar auch bei denen, die vorher noch nie so ein Gerät in der Hand hatten."
Anders als in Großbritannien oder Skandinavien, wo Apple-Produkte im privaten Einsatz weit verbreitet sind, gibt es in Süd- und Osteuropa viele auch junge Menschen, die damit noch nicht in Berührung gekommen sind. "Das intuitive Konzept erweist sich als großer Vorteil", sagt Mirko Saul, "die Bedienung lässt sich blitzschnell erlernen."
Dennoch war intensive Schulung notwendig: "Wir wollten auf jeden Fall vermeiden, dass die Verkaufsleiter die neuen Geräte wie ein Faxgerät verwenden, also dass sie für den Datentransfer Mails mit PDF-Anhängen verwenden."
Auch Apple hat gelernt und stellt Business-Support bereit
Auch Apple hat durch das Projekt gelernt, zum Beispiel wie man einen professionellen Support für Business-Anwender bereitstellt. Zu Beginn von LiMO gab es den nicht. "Mittlerweile arbeitet Apple mit normalen Key-Account-Managern, und der Service ist dem anderer Anbieter absolut vergleichbar".
Auch bei der Weiterentwicklung seiner Software hat Apple mittlerweile Business-Anwender im Fokus. "Mit jeder neuen iOS-Version gibt es mehr Funktionen, die die zentrale Verwaltung vieler Geräte erleichtert."
Lidls Mobil Office funktionierte allerdings auch schon zu jener Zeit recht gut, als Apples Unterstützung noch mau war. Denn viele Mitarbeiter wussten durch ihre privaten Erfahrungen sehr gut, wie iPads funktionieren und was bei Problemen zu tun ist. So entstand bei Lidl schnell eine Menge eigenes Knowhow.
Apple ist aber keine Entscheidung für die Ewigkeit
Aus Sicht von Mirko Saul ist Apple "die richtige Plattform für die kommenden Jahre. Für unsere Zielgruppe und unseren Zweck sehe ich aktuell nichts Besseres." Dennoch sei das keine Entscheidung für die Ewigkeit, schon weil man in der IT nie sagen könne, "das lassen wir jetzt für die nächsten zehn Jahre so. Man muss den Markt immer beobachten, und das tun auch wir in Sachen Tablet-Technologie."
Die Lessons Learned aus dem iPad-Projekt
Das Projekt LiMO ist mit vergleichsweise wenig Fantasie auf andere Unternehmen und auch auf andere Branchen übertragbar. Die wichtigsten Learnings fasst Projektleiter Mirko Saul zusammen:
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iPads für Immobilien, Bewerber und Personalstammdaten
Bei Lidl hat "LiMO" auch grundsätzliche Änderungen bewirkt. Beispielsweise bedienen sich Mirko Saul und sein Team jetzt des "Mobile First"-Prinzips: Neue Anwendungen werden als erstes für die Nutzung auf mobilen Endgeräten getestet und optimiert, die Anpassung an den PC folgt erst danach. Sauls Abteilung ist mittlerweile ein "Competence Center Mobility", das weitere Einsatzmöglichkeiten der mobilen Endgeräte ausloten soll.
Die haben sich natürlich längst über ihr ursprüngliches Einsatzgebiet im Vertrieb hinaus verbreitet. Das Lidl-Top-Management studiert seine Kennzahlen auf iPads, und die Immobilienabteilung – bei ca. 10.000 Standorten ein wichtiger Akteur – ruft auf den Geräten Infos für die Auswahl und die Errichtung neuer Filialen ab: Bebauungspläne, Kaufkraft am Standort, mögliche Wettbewerber etc.
Außerdem können sich die Verkaufsleiter auf dem iPad Bewerbungen spannender Kandidaten oder auch die Personalstammdaten vorhandener Mitarbeiter ansehen. Weitere Einsatzgebiete sind vorstellbar.
iPad hat Signalwirkung für Bewerber
Bleibt die Frage, wie sehr das Projekt beim Recruiting von Führungsnachwuchs hilft. "Natürlich vermarkten wir unsere Jobs in erster Linie über den Aufgabeninhalt", sagt Mirko Saul. "Aber das iPad hat eine Signalwirkung, es zeigt, dass bei Lidl auch moderne Arbeitsmittel eine wichtige Rolle spielen."
Diese Botschaft verbreitet das Unternehmen auch in Stellenanzeigen oder auf Bewerbermessen. Schließlich sind IT-Mitarbeiter ein heiß umkämpfter Markt, gerade in Süddeutschland. Mit einem Mangel an guten Bewerbern muss sich auch Kaan Bludau, Business Unit Manager bei der Hager Unternehmensberatung, immer wieder auseinandersetzen.
Spannendes Arbeitsumfeld wichtiger als ein Firmenwagen
Die Personalberater arbeiten seit Jahren übergreifend IT-seitig für Lidl. "Das iPad kann neben Entscheidungskriterien wie Standort, Einkommen, Entwicklungsperspektive und Unternehmenskultur des künftigen Arbeitgebers durchaus ein Argument für den Wechsel von einem anderen Unternehmen zu Lidl sein", so Bludau. "Darüber hinaus ist ohnehin ein flexibles und spannendes Arbeitsumfeld für viele junge Menschen heute wichtiger als zum Beispiel ein Firmenwagen."
Der Projektsteckbrief LiMO - Lidl Mobile Office
Branche | Handel |
Zeitrahmen |
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Mitarbeiter | Am Projekt beteiligt: phasenweise fünf bis zehn interne Mitarbeiter aus Fachbereich Vertrieb, (IT-)Consulting und Informationstechnik |
Aufwand | für Hardware, Rollout, Schulung und Entwicklung: einstelliger Millionenbetrag in Euro (alle 26 Länder) |
Produkte |
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Dienstleister | Apple, MobileIron, Excelsis Business Technology AG, Sovanta AG, MicroStrategy |
Einsatzort | Europa |
Internet |