Sage Deutschland blickt in diesem Jahr auf ein Vierteljahrhundert Firmengeschichte zurück. Im Gespräch mit den Channel-Partner-Redakteuren Dr. Ronald Wiltscheck und Alexander Roth berichtet Deutschland-Chef Peter Dewald über das sich wandelnde Geschäft mit betriebswirtschaftlicher Software.
Sie sind jetzt acht Jahre bei Sage. Haben Sie an ERP überhaupt noch Spaß?
Peter Dewald: Ja, denn die Verantwortung des Jobs reizt mich immer noch. Genau genommen ist es überhaupt nur einer der wenigen Jobs in der deutschen IT-Landschaft mit einer so enorm breiten Verantwortung. Ich habe zum Beispiel Einfluss auf die Entwicklung unserer deutschen Produkte.
Sie waren zuvor bei Apple als Geschäftsführer und konnten das Unternehmen in seiner Entwicklung beobachten. Finden Sie es nicht schade, dass Sie nicht mehr bei Apple sind?
Dewald: Die Jahre bei Apple will ich nicht missen. Es war eine sehr interessante und intensive Zeit, für mich auch erstmalig in der Position des Geschäftsführers. Ich durfte nicht nur bei schönem Wetter segeln, sondern musste auch durch reichlich hartes Wasser fahren. Das hat mich geprägt. Dennoch bereue ich nicht, gewechselt zu haben.
Was zeichnet Sage besonders aus?
Dewald: Ich denke, wir sind ein äußerst zuverlässiger Lieferant für unsere Fachhändler.
War das schon immer so?
Dewald: Als ich bei Sage einstieg, ging dort gerade eine größere Umstrukturierung vor sich. Das Geschäft wurde von Quantität auf Qualität umgestellt - in mehrerlei Hinsicht, sowohl was die Produktentwicklung betraf als auch den Vertrieb. Wir hatten ein recht unübersichtliches Vertriebsnetz von 3.000 Händlern. Es galt herausfinden, wie sich die Spreu vom Weizen trennen ließ und wie überhaupt autorisierte Händler gewonnen werden konnten. Und wir sagten etlichen Fachhändlern ade.
Warum hat sich Sage vom Free-Licensing-Verfahren verabschiedet, bei dem ein Fachhändler ein Paket bei Ihnen kaufen und dann beliebig oft zu einem beliebigen Preis wieder verkaufen konnte?
Dewald: Als KHK in diesem Geschäft anfing, stellte sich tatsächlich noch die Frage, wie sich betriebswirtschaftliche Software überhaupt als Produkt darstellen lässt. Die Antwort lag im Free-Licensing-Verfahren, das ja auch einen Zugang zum Quellcode der Software lieferte. Für die damalige Zeit war das eine wesentliche Grundlage zur starken Marktexpansion, 1990 hatte das Unternehmen bereits über 100.000 Kunden. Es gab aber bald ein Problem: Etliche Händler taten sich schwer, ihre meist fünfstelligen Investitionen wieder zu amortisieren. Das Thema Qualifizierung wurde damals leider nicht sehr groß geschrieben. Diese Situation konnten wir in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Maßnahmen und Investments in unseren Partner-Channel glücklicherweise komplett ändern.
Der Marktdruck im Mittelstand steigt zunehmend. Hat sich die Erwartung an ERP geändert, seit Sie zu Sage gekommen sind?
Dewald: Mittelständler erwarten heute deutlich mehr von Software als noch vor einigen Jahren. Früher reichte ein bisschen Buchhaltung und Rechnungsstellung. Das Stichwort war Excel, selbst der Lohn wurde damit erfasst. Betrachtet man heute den kleinen Mittelstand mit maximal 200 Mitarbeitern - bei dem mit drei Viertel unseres Umsatzes der Schwerpunkt von Sage Deutschland liegt -, so sind gerade in diesem Segment erstaunliche Entwicklungen geschehen. Man redet hier heute ganz selbstverständlich über Themen wie CRM, BI (Business Intelligence) und PPS (Produktionsplanungs- und Steuerungssystemen, Anm. der. Red.), wenn es um betriebswirtschaftliche Software geht. Die Kunden sind weit anspruchsvoller geworden!
Was hat stärker zu diesem Wandel beigetragen: der höhere technische Standard oder die Industrie, die nachgeliefert hat, weil eben der Anspruch gestiegen ist?
Dewald: Ich denke, die Antwort lautet: Beides. Die Kunden haben zum einen durch eigene Erfahrungen bemerkt, dass sie optimieren müssen. In einer Boom-Phase müssen sie sich weniger um das Kundenmanagement kümmern, in schlechten Zeiten dafür umso mehr. Zum anderen war es unserer Job, Software, die ursprünglich im Großkundensegment vorhanden war, mittelstandsgerecht zu machen. Es reicht nicht, eine Software links und rechts abzuschneiden und mit den altbewährten Methoden im Mittelstand anzubringen. Ich glaube, Sage hat hier einen großen Beitrag geleistet, was die Softwareentwicklung angeht und das "Dem Kunden näherbringen" angeht. Ein Beispiel ist unser "Schnell-Check", bei dem Kunden herausfinden können, wo sie im IT-Vergleich zu anderen Firmen stehen.
Mittlerweile liegt die Anzahl der qualifizierten Sage-Partner nicht mehr bei 3.000, wie bei Ihrem Einstieg, sondern bei rund 400. Reicht das aus, um den Markt abzudecken?
Dewald: Wir haben im Markt für mittelständische Betriebssoftware bereits den größten Vertriebskanal in Deutschland. Dennoch lautet die Antwort auf Ihre Frage: Wir suchen Händler. Das ist aber weniger eine Frage der regionalen Abdeckung - hier fühlen wir uns ausreichend aufgestellt - als eine Frage des zusätzlichen Know-hows oder der angebotenen Überregionalität der Partner. Wenn es also Handelspartner gibt, die eine Ergänzung zu ihrem Portfolio suchen, das etwa bis dato stark auf Infrastruktur ausgerichtet ist, dann sind sie bei uns richtig. Auch was BI oder CRM betrifft, haben wir noch Partnerbedarf. Zudem suchen wir auch für unsere Entwicklungsplattform, die Office Line Evolution, weitere Partner.
Das Geschäft für Business-Software wird unübersichtlicher. Fachhändler haben aber nur begrenzte Ressourcen. So stellt sich immer häufiger die Gretchenfrage: Spezifizierung oder Allround-Wissen? Wie sollten sich Reseller aus Ihrer Sicht verhalten?
Dewald: Das hängt von der Größe und Wachstumsfähigkeit des Partners ab. Ich will nicht verschweigen, dass es oft schwieriger ist als zuerst gedacht, sich zum "Allrounder" auszubilden. In kleinen Betrieben macht es aber oft keinen Sinn, deshalb rate ich zu Partnerschaften. Wir sehen hier oft noch Scheu. Dabei teilen doch die meisten kleineren Händler sowieso schon ihren Kunden mit anderen Häusern.
Unterstützen Sie diese Partnerschaften als Hersteller?
Dewald: Entsprechende Herstellerangebote werden nur begrenzt angenommen. Wenn es um Partnerschaften unter kleinen Händlern geht, läuft das meist per Handschlag, Augenkontakt und Vertrauen. Das ist auch gut so.
Wie lief das Channel-Jahr 2008 für Sage?
Dewald: Wir sind sehr zufrieden mit unserem 50+50-Programm. (Anm. der Red.: Sage unterstützt dabei Partnerunternehmen bei der Rekrutierung von Nachwuchspersonal). Bereits 50 Personen konnten wir von außen in unser Ökosystem ziehen. Darüber hinaus gibt es den "Sage DoppelPass": Zwei Jahre lang begleiten wir hier Partner beim Einstieg in ein neues Thema. Auch hier ernten wir die ersten Früchte.
Das sind alles Programme, die in die interne Struktur der Partner eingreifen.
Dewald: Ja, wir bewegen uns entsprechend den neuen Anforderungen des Marktes. Alleine Kundenveranstaltungen durchzuführen ist nicht unser Ding. Man könnte kurz sagen: Mit unseren Vertriebswerkzeugen bereiten wir den Händler vor, er setzt es dann um.
Heißt das, moderner ERP-Vertrieb sieht so aus: Ganz oder gar nicht?
Dewald: Hier hat sich nichts geändert. Deshalb haben die meisten unserer Handelspartner auch nur einen einzigen ERP-Lieferanten.
Der vertriebliche Anspruch an ERP hat sich also nicht geändert?
Dewald: Der Fokus hat sich geändert. Früher drehte sich der Vertrieb um das Produkt, heute geht es um das Prozesswissen. Betrachten Sie nur CRM: Wie hat der Kunde eine solche Lösung einzusetzen? Allein mit Beratung lässt sich hier eine Stange Geld verdienen.
Sollten sich grundsätzlich alle auf Business-Software spezialisierten Fachhändler zu betriebswirtschaftlichen Beratern umschulen?
Dewald: Schwer zu sagen. Ich denke, es wird in diese Richtung gehen. Sich frühzeitig darauf einzustellen kann einen Wettbewerbsvorteil bringen. Vergessen Sie aber nicht das Stichwort "SOA": Eine größere Offenheit in den Systemen wird es ermöglichen, dass mehr unterschiedliche Produkte zusammenarbeiten können. Auch hier wird seitens des Fachhändlers zusätzliches Wissen nötig sein.
Stichwort Kleinkundengeschäft. Wenn es um den bloßen "Box-Vertrieb" geht, verderben E-Tailer dem Fachhandel auch im ERP-Business zunehmend die Preise. Wie sollten hier die Fachhändler reagieren?
Dewald: Im Einstiegssegment haben wir in der Tat Box-Produkte, für die es keine Autorisierungsvoraussetzungen gibt. Hier läuft alles über die Distribution oder über den Direktvertrieb aus unserem Haus. Da wir aber feste Listenpreise haben, versauen sich die entsprechenden Unternehmen damit selbst das Geschäft. Wir könnten höchstens die Marge reduzieren.
Werden Sie mit der Plattform SageCRM.com selbst zum Internetanbieter, der dem Handel das Geschäft stiehlt? Offiziell bieten Sie das Produkt zwar indirekt an, doch nicht alle Fachhändler sehen klar, wie sie langfristig mitverdienen können.
Dewald: Wir sollten die Kirche im Dorf lassen: Es gibt viel Hype um das Thema, aber noch nicht sehr viel Geschäft. Es gibt Kunden, die werden CRM direkt übers Internet kaufen, das lässt sich nicht verhindern. Wir selbst gehen einen Weg, der bei der Beratung, der Prozessoptimierung und auch beim Verkauf den Handel mit einschließt. Bei Sage kann der Fachhändler so doppelt profitieren: Erstens von der Provision, die er erhält, wenn er seinen Bestandkunden vom CRM-Einstieg überzeugt - egal ob auf eine Online-Mietversion oder auf eine Inhouse-Lösung. Und zweitens von der Lizenz, falls der Kunde von einer Online-Version auf eine Inhouse-Lösung umsteigt, was in der Tat immer wieder vorkommt.
Wie ist ihre langfristige Einschätzung zum Thema CRM aus der direkten Hand der Hersteller?
Dewald: Wenn es dazu kommen sollte, dass Kunden Produkte gefallen, die direkt erhältlich sind, dann lässt sich das nicht ändern - ob das dem Handel gefällt oder nicht. Das ist eine natürliche Sache - komplexe Lösungen werden einfacher, was dem Handel nicht zugute kommt. Beim beratungsintensiven CRM ist da aber meine Sorge nicht so groß: Genügend Unternehmen sind auf die Nase gefallen, weil sie dachten, Kundenmanagement sei mit einer bloßen Softwareinstallation getan. Es verhält sich eben anders.
Sie befürchten keinen Trend zu Software-as-a-Service (SaaS)?
Dewald: Natürlich beobachten wir den Markt. Wird es dazu kommen, dass 50 Prozent des Softwaremarkts über das Internet abgehandelt wird, werden wir als Hersteller mit Sicherheit nicht danebenstehen und zuschauen.
Wo sehen Sie in einem solchen Fall die Rolle des Händlers?
Dewald: Die Art der Beratung wird sich ändern. Dienstleistungen und Prozessberatung werden stärker gefordert, während das Lizenzgeschäft zurückgeht. Darüber hinaus ist der Fachhandel gefordert, ein Angebot aus verschiedenen Quellen zusammenzustellen: Dank offener Standards, wie sie etwa Service-orientierter Architekturen bieten, kann der Fachhändler hier dem Kunden mit einer Best-of-breed-Strategie einen echten Mehrwert bieten - und zwar durch das Know-how, über das er selbst verfügt.
Welche weiteren Trends in Sachen Business-Software sehen Sie auf uns zukommen?
Dewald: Man könnte hier "Mobility" erwähnen. Wir bieten hier bereits eine Reihe von zusätzlichen Leistungen an, die auch aus Herstellerkooperationen stammen. Doch ich warne: Immer wieder stelle ich fest, dass Händler schnell auf ein Thema springen, ohne dass sie sich vorher damit auseinandersetzen. Man sollte genau wissen, was der Lösungsbereich überhaupt bringt und was er an Investitionen erfordert. Ich kenne Händler, die sich zum Beispiel in vertikale Lösungen gestürzt und sich darin verrannt haben.
Sage drängt in neue Märkte, etwa in den gehobenen Mittelstand mit der Bäurer-Sparte. Setzt sich die Konsolidierung im Markt für ERP-Lösungen fort?
Dewald: Kurze Antwort: Ja. Als ich anfing, staunte ich über die extreme Fragmentierung des Marktes mit damals über 200 Herstellern. Ohne jemanden zu nahetreten zu wollen, fallen mir heute nicht mehr als ein Dutzend ernst zu nehmende Lieferanten ein.
Woran liegt das?
Dewald: Was wir produzieren, betrifft das Herz der Unternehmen. Hardwareanbieter bieten dagegen nur die Kleidung, die austauschbar ist. Doch beachten Sie: Man vertraut zwar immer weniger Herstellern, doch die Anzahl der Produkte hat sich kaum geändert. Vereinheitlichung findet zwar statt, aber sie braucht ihre Zeit. Die Kunden schätzen ihre jeweils eingesetzten Produkte einfach zu sehr. Dafür sehe ich den Trend zur Standardisierung auf Plattformebene. Wir werden im ERP-Umfeld bereits in absehbarer Zeit eine überschaubare Zahl von Plattformen haben, die die Basics - Betriebssystem, Buchhaltung oder Rechnungsstellung - bereitstellen. Vor allem vertikale Anbieter werden auf solche Anwendungsumgebungen aufbauen, denn es ist einfach zu teuer, jedes Mal das Rad neu zu erfinden. Rund um die "Office Line" bietet Sage übrigens auch ein großes Entwicklerprogramm.
Wie sehen Sie die Zukunft von Sage Deutschland? 2007 konnte Sage seinen Umsatz hierzulande um 36 Prozent auf knapp 80 Millionen Euro steigern, dieses Jahr gab es nur ein Plus von drei Prozent.
Dewald: Durch die die Umsatzsteuererhöhung und die Akquisition des Softwarehauses Bäurer haben wir 2007 einen einmaligen Wachstumsschub erreicht, der sich nicht so schnell wiederholen lässt. Wir wollen aber auch weiterhin anorganisch, also durch Zukäufe, wachsen. Die großen Übernahmen der vergangenen Jahre haben wir verdaut. Akquisitionen sind wieder interessant für uns - über alle Geschäftsbereiche. Wir denken hier vor allem an Branchenlösungen. Was unseren Gesamtumsatz angeht, so haben wir für die kommenden Jahre einen dreistelligen Millionenbetrag fest ins Visier genommen.
Welche Rolle wird die Anfang Oktober neu vorgestellte Lösung für den gehobenen Mittelstand, Sage ERP X3, spielen?
Dewald: Ich bin fest davon überzeugt, dass Sage ERP X3 in den kommenden Jahren einen wichtigen Beitrag zum Umsatzwachstum von Sage in Deutschland beitragen wird. Denn die neue Lösung, die wir zunächst nur direkt vertreiben werden, begegnet der ständig steigenden Nachfrage nach international einsetzbaren Softwarelösungen, da deutsche Unternehmen zunehmend Teile ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten ins Ausland verlagern.
Arbeiten Sie eigentlich privat mit einem Windows- oder einem Mac-Rechner?
Dewald: Ich habe privat beide Systeme im Einsatz, auch wenn das vielleicht wenige verstehen. Ich sagte das auch zu meinen Mitarbeitern. Die stellten mir doch tatsächlich bei meinem ersten Sage-Arbeitstag einen Macintosh auf meinen Schreibtisch, weil ich ja der ehemalige Apple-Chef war. Aber ich kann doch nicht einen Macintosh benutzen, wenn meine Firma Windows-Software herstellt …