Die Digitalisierung trifft in naher Zukunft auch den stationären Einzelhandel. Verschiedene Einzelhändler verwenden zum Beispiel schon das sogenannte "Dynamic Pricing", das heißt, dass sich der Preis auf digitalen Preisschildern per Knopfdruck jederzeit ändern lässt. Personalisierte Werbung soll das Einkaufserlebnis unterstützen: Greift der Kunde zu den Nudeln im Regal, wird ihm auf der Werbetafel gleich das passende Rezept für die Sauce vorgeschlagen - natürlich ebenfalls mit dem Hinweis auf bestimmte Produkte.
Zurzeit werden auch Werbesysteme erprobt, die Alter und Geschlecht einer Person erkennen, darauf reagieren und eine zielgruppenorientierte Werbung anzeigen. Durch die Auswertung des individuellen Konsumverhaltens im stationären Handel, wird zukünftig individualisierte Werbung möglich sein, wie man sie aus dem Onlinehandel schon seit längerem kennt.
Ebenfalls bereits - wenn auch nur selten in Deutschland - im Einsatz sind bargeldlose Bezahlsysteme wie Applepay, Google Wallet und Android Pay. Amazon geht sogar noch einen Schritt weiter und bietet mit "Amazon Go" einen Supermarkt, der komplett ohne Personal auskommt. Kameras, RFID-Chips und ähnliche Sensortechniken erkennen, welche und wie viele Produkte der Kunde aus dem Regal nimmt. Zum Schluss kann der Kunde bequem über sein Smartphone bezahlen.
Zum Video: Rechtliche Fallstricke bei der Digitalisierung des Einzelhandels
Alle diese Vorgänge und Vorgehensweisen müssen aber an den europäischen und deutschen Gesetzesvorgaben ausgerichtet werden. Dabei sind eine Vielzahl von verbraucherschutz-, wettbewerbs- und datenschutzrechtlichen Regelungen bei der Umsetzung eines "Supermarkts der Zukunft" zu beachten.
Es zeigt sich aber, dass die rechtlichen Regelungen die Digitalisierung nicht verhindern. Allerdings geben sie konkrete Wege vor, wie diese zu erfolgen hat.
Lesetipp: Kunden teilen Ihre Daten - wenn die Gegenleistung stimmt
Dynamic Pricing - Fluch oder Segen?
Insbesondere an der dynamischen Preisgestaltung scheiden sich die Geister: Zum einen ist die Verwendung digitaler Preisschilder nicht nur eine erhebliche Arbeitserleichterung gegenüber den bisherigen Papierschildern, sondern kann auch zu einer vorteilhaften Anpassung der Preise an das jeweilige Kundenprofil führen. Einzelne Supermarktbereiber haben bereits mit speziellen Kundenkarten experimentiert, die auf den jeweiligen Kunden zugeschnittene Rabattaktionen verfügbar machten. Solche Angebote werden auch als "Personal Pricing" bezeichnet.
Zum anderen können diese Methoden aber auch zum Nachteil der Kunden verwendet werden. So gibt es bereits Ankündigungen von Unternehmen, dass in den von Ihnen belieferten Tankstellen die Preise per digitaler Preisschilder für die Zeit zwischen 5 und 22 Uhr erhöht werden sollen. Aber auch kurzfristige Preiserhöhungen, zum Beispiel vor einem Fußball-WM-Spiel für Grillsachen, Bier, Chips etc., sind denkbar.
Auf den ersten Blick scheinen diese Vorgehensweisen unbedenklich. Unterschiedliche Preise für unterschiedliche Kunden - auch ohne sachlichen Grund - sind nicht verboten, sondern geradezu ein Kernelement der freien Marktwirtschaft. Die Preisangabenverordnung zum Beispiel enthält nur Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise der Information über die jeweiligen Preise, nicht jedoch hinsichtlich der Höhe oder der Stabilität der Preise. Sie soll die Preiswahrheit und -klarheit sicherstellen, nicht aber eine Preisgleichheit.
Auf den zweiten Blick stellt es sich jedoch komplizierter dar. Gemäß Paragraf 19 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) darf keine Benachteiligung unter anderem aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts oder des Alters erfolgen. Hier könnten zum Beispiel personalisierte Rabatte, die nur eine bestimmte Altersklasse oder nur Frauen oder nur Männer zur Verfügung stehen, einen Verstoß darstellen.
Ein solcher Verstoß gegen das AGG in Verbindung mit Paragraf 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) würde gleichfalls zu einem wettbewerbsrechtlichen Verstoß führen. Mitbewerber des Supermarktes oder Verbände (z. B. die Verbraucherzentralen) könnten diese Verstöße dann mittels Abmahnung und Unterlassungsklage verfolgen. Der Einsatz solcher personalisierten Rabatte und Preise sollte daher stets genauestens geprüft werden.
Datenschutz im Supermarkt - Kein "Supersonderangebot"
Durch die neuen Technologien werden umfassend Daten gesammelt und verarbeitet. Unweigerlich müssen sich die Betreiber derartiger Technologien mit den datenschutzrechtlichen Fragen auseinandersetzen. Dabei ist zu beachten, dass das Datenschutzrecht nicht per se fortschrittsfeindlich ist und jede Datenverarbeitung untersagt. Vielmehr lassen sich derartige Technologien häufig datenschutzkonform einsetzen, wenn der Datenschutz unmittelbar zu Beginn berücksichtigt wird.
Jede Personalisierung kann nur auf der Grundlage von hinreichend vielen Daten erfolgen. Erst dann kann das Unternehmen dem Kunden auf ihn zugeschnittene Angebote und Werbung unterbreiten. Hierfür bedarf es jedoch auch personenbezogener Daten, zum Beispiel bei der Verknüpfung der bisherigen Einkaufs- oder Bestellhistorie (bei Vorhandensein eines Online-Shops) mit dem Kundenkonto, die zu einer Identifizierbarkeit des Kunden führen können. Vor der besagten Verknüpfung bedarf es jedoch der ausdrücklichen Einwilligung des Kunden gem. § 13 Abs. 2 Telemediengesetz (TMG) beziehungsweise § 4a Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).
Zu beachten ist hier außerdem, dass ab 25. Mai 2018 die europäische Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) gilt. Dort sind insbesondere die Art. 6 und 7 DSGVO relevant für die Erteilung einer Einwilligung.
Aber auch die Kameraüberwachung und die Sensortechnik in personalfreien Märkten wie "Amazon Go" wirft datenschutzrechtliche Probleme auf. Bei der Verarbeitung von Daten stellt sich zunächst die Frage, ob überhaupt eine Einwilligung erforderlich ist. Denn es existieren - stets mit Blick auf die EU-DSGVO - diverse Ausnahmeregelungen für das Einwilligungserfordernis. So ist eine Einwilligung der Kunden gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 DSGVO entbehrlich, wenn
die Verarbeitung für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich ist, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen (lit. b);
die Verarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt (lit. c);
die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt (lit. f).
Hier ließe sich am Beispiel von "Amazon Go" durchaus argumentieren, dass die Überwachung durch Kameras und andere Sensortechniken zur Erfüllung der Kaufverträge, der damit verbundenen rechtlichen Verpflichtungen des Unternehmens als "Verantwortlicher" im Sinne der DSGVO sowie zur Wahrung seiner berechtigten Interessen (z. B. Diebstahl- und Betrugsschutz) eingesetzt würde und erforderlich sei.
Es bedürfte dann keiner Einwilligung des Kunden.
Andererseits sehen sowohl die DSGVO als auch das neugefasste BDSG spezielle Regelungen für die optisch-elektronische Beobachtung von öffentlichen Räumen vor, die nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig ist. Hier wird man im Einzelfall beleuchten müssen, wie und in welchem Umfang diese Maßnahmen eingesetzt werden dürfen. Auch eine Praxis hinsichtlich Kindern und Jugendlichen - dürfen diese dann überhaupt noch in solchen Supermärkten einkaufen? - muss erst noch gefunden werden. Hier heißt es, die ersten richterlichen Urteile abzuwarten.
Jedenfalls müssen Händler, wenn sie denn personenbezogene Daten verarbeiten, umfassend über die Datenverarbeitung informieren. Wie diese Information unterbreitet werden kann, muss in der Zukunft noch geklärt werden.
Hier könnte, ähnlich wie dies bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich ist, ein Aushang am Eingang über die Datenverarbeitung aufklären. Dabei ist auch hier Sorgfalt geboten. eine unvollständige oder gar falsche Datenschutzerklärung bei kommerziellem Handeln kann sowohl zu einem Verstoß gegen Datenschutzrecht, als auch zu einem Verstoß gegen Wettbewerbsrecht führen.
Insbesondere die Sanktionen der DSGVO sind gegenüber den bisherigen Regelungen im BDSG deutlich verschärft worden. Bei Verstoß zum Beispiel gegen Informationspflichten können Geldbußen von bis zu 20 Millionen Euro oder, im Fall eines Unternehmens, von bis zu 4 Prozent seines gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs verhängt werden, je nachdem, welcher der Beträge höher ist (Art. 83 Abs. 5 DSGVO).
Der Supermarkt der Zukunft - Technisch möglich, rechtlich schwierig
Neben den dargestellten Themengebieten existieren natürlich eine Vielzahl weiterer Fragestellungen. Beispielhaft seien hier der (rechts-)sichere Einsatz digitaler Zahlungsdienste und -mittel, wie zum Beispiel Bitcoin. Auch seien hier die personalisierte Werbung anhand von Merkmalen eines Kunden, sowie die strafrechtliche Behandlung von Diebstahl/Betrug in Ladengeschäften ohne Kassierer genannt.
Es lässt sich also festhalten: Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch rechtlich unbedenklich. Im Hinblick auf die zunehmende Verschärfung der Sanktionen - insbesondere auf europäischer Ebene - ist der stationäre Handel bei der Digitalisierung also gut beraten, jede Anwendung und jede Datenverarbeitung rechtlich gut zu durchdenken und zu überprüfen. Sollte es jedoch gelingen, nicht nur ein technisch, sondern auch rechtlich solides Fundament zu schaffen, steht einer Weiterentwicklung zum rechtssicheren "Einzelhandel der Zukunft" nichts im Wege.