"Man sollte keine Dummheit zweimal begehen, die Auswahl ist schließlich groß genug", soll der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre empfohlen haben. Andererseits ist allseits bekannt, dass man aus den eigenen Fehlern am meisten lernt. Vielfach bekommt man im Online-Handel aber keine zweite Chance. Das ist bei Rakuten anders. Und Fehler genug hat das Unternehmen in der Vergangenheit wahrlich gemacht, um sein Vorhaben jetzt weiser angehen zu können.
Das Unternehmen ist riesengroß, breit aufgestellt und kann finanziell auch ein paar Misserfolge verkraften. Schwieriger als die finanziellen Einbußen dürfte daher der Vertrauensverlust beim Online-Handel durch frühere, groß angekündigte, dann aber doch weitgehend im Sande verlaufene Ansätze sein, den deutschen Markt zu erobern und sich als Alternative zu Amazon zu etablieren.
Nach intensiver technischer Aufrüstung, dem Ausbau des Ökosystems - zum Beispiel des eigenen Affiliate-Netzwerks, dem Ausbau der Marketing-Aktivitäten in Europa durch Sponsoring des FC Barcelona und mit einer auf mehrere Jahre angelegten Zusammenarbeit mit Ex-Nationalspieler Lukas Podolski sowie seit Anfang 2018 mit neuem Management in Deutschland hat Rakuten unverändert ehrgeizige Ziele. Trotz guter Zuwächse in den Jahren 2017-2018 im mittleren zweistelligen Bereich schlägt der Marktplatzbetreiber jetzt jedoch leisere Töne an: Aus den Fehlern der Vergangenheit habe man gelernt und die Besonderheiten des deutschen und europäischen Marktes nun auch in der Zentrale im fernen Japan verstanden.
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Statt großer Worte auf aufwändigen Konferenzen gab es 2019 das erste Mal eine Roadshow - passenderweise zum Sportsponsoring des Konzerns - durch mehrere deutsche Stadien. Dabei erklärte das Team um Stefan Winter, Director Sales & Business Development bei Rakuten Deutschland, jeweils rund 50 potenziellen Marktplatzteilnehmern die neue Strategie. In deren Mittelpunkt stehen ganz klar die Leistungen, die der Marktplatzbetreiber für seine Partner erbringt.
"Wir sind Partner, kein Konkurrent - wenn Sie nichts verkaufen, verdienen wir auch nichts", beschreibt Winter die Motivation. Denn im Gegensatz zum hierzulande übermächtig erscheinenden Mitbewerber Amazon tritt Rakuten auf seinem Marktplatz nicht selbst als Anbieter auf und ist damit kein Konkurrent für seine derzeit rund 5.500 Händler und deren insgesamt rund 21 Millionen Produkte.
Faire Gebühren und persönliche E-Commerce-Berater
Weitere Händler will Rakuten durch "faire und transparente Gebühren" und vor allem eine umfassende, persönliche Unterstützung gewinnen. "Wir sind weltweit ein Riesen-Laden, aber nicht so arrogant, um uns nicht die Zeit zu nehmen, mit Ihnen persönlich zu sprechen", verspricht Winter.
In der Praxis bedeutet das, dass jeder Händler seinen persönlichen E-Commerce-Berater bekommt, der mit ihm zusammen bemüht ist, das Geschäft zu optimieren und weiterzuentwickeln. Kosten fallen lediglich bei möglicherweise gebuchten Dienstleistungen an - etwa der Nutzung des Affiliate-Netzwerks. Die Beratung selbst ist dagegen kostenfrei. "Nutzen Sie die Consultants, die sind dabei, wenn Sie eine Geschäftsbeziehung mit uns aufbauen", forderte Winter zum Abschluss der Rakuten Stadion-Tour die anwesenden Händler in München auf.
Im Einsteiger-Tarif, dem Basic-Paket, fällt bei Rakuten bei einer Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten eine monatliche Grundgebühr von 39 Euro netto an. Die einmalige Einrichtungsgebühr beträgt 49 Euro. In Kategorien wie Computer, Elektronik und Foto liegt die Verkaufsgebühr bei fünf, in anderen Bereichen bei maximal neun Prozent. Für die Beteiligung am Loyality-Programm "Rakuten Superpunkte" sowie für die Nutzung des Affiliate-Netzwerks wird jeweils ein Prozent des Umsatzes fällig.
Im Gegenzug sorgt Rakuten für Zahlungssicherheit, indem sich der Marktplatzbetreiber selbst um die Bezahlung bestellter Ware kümmert. Er informiert rechtzeitig vorab über die für den eigenen Shop relevanten Gesetzesänderungen sowie die deshalb zu ergreifenden Maßnahmen der Händler und bietet zwölf Bezahlfunktionen an, deren Kommission bereits mit den anderen Gebühren abgedeckt ist.
Professionelle Tarife mit weiteren Leistungen lassen sich individuell vereinbaren. Denkbar ist etwa die Unterstützung durch die Kundendienstmitarbeiter von Rakuten in Bamberg. Die können als Ansprechpartner in Zeiten einspringen, in denen Shop-Betreiber selbst das nicht können. Und auf Anfrage führen die Rakuten-Consultants für ihre Händler auch eine Preisanalyse über deren gesamtes Portfolio durch, um dabei Produkte zu identifizieren, die sie zu teuer anbieten, aber auch jene, für die sie mehr verlangen könnten.
Online-Käufern gemeinsam Alternativen bieten
Klugerweise erhebt Rakuten als Herausforderer keinen Anspruch auf eine Exklusivbeziehung zu seinen Händlern. Ziel ist es eher, sie zunächst einmal zur Teilnahme am Marktplatz zu bewegen und dann durch Leistungen zu überzeugen. Nur zwischen den Zeilen ist herauszuhören, dass Händler, die sich selbst mehr engagieren, auch Aussicht auf mehr Unterstützung haben. Der Ansatz ist aber nachvollziehbar. Angesichts der geringen Einstiegshürden dürfte sich für viele zumindest der Versuch lohnen, sich ein weiteres Standbein aufzubauen.
Dass Rakuten verstanden hat, für die überwiegende Mehrzahl seiner Händler noch lange nicht die einzige Plattform zu sein, zeigt der Marktplatzbetreiber durch eine Kooperation mit Plentymarkets. Den auf der Rakuten-Roadshow gezeigten Zahlen des Unternehmens zufolge gewinnen andere Marktplätze als Amazon und Ebay - also etwa Otto.de, Real.de oder auch Rakuten und im benachbarten Ausland Angebote wie bol.com oder cdiscount und der inzwischen auch in Deutschland aktive Schweizer Online-Primus Digitec Galaxus langsam aber stetig an Boden gut und setzen Händler zunehmend auf zusätzliche digitale Vertriebskanäle auf.
Um davon zu profitieren, wirft Rakuten sein anderswo erhebliches Gewicht auch hierzulande in die Waagschale. So wird demnächst zum Beispiel auf Fernbedienungen neuer Fernseher von Philips, LG und Samsung eine Rakuten-Taste zu finden sein. Über das hauseigene Streaming-Angebot will das Unternehmen seine Bekanntheit steigern und so einmal angesprochene Nutzer auch auf die E-Commerce-Plattform holen. Ähnlich soll das beim Messaging-Dienst Viber funktionieren. Der hat laut Rakuten-Sprecher Winter in Europa bereits einen Marktanteil von 22 Prozent und wird allmählich auch in Deutschland relevanter.
Schließlich spielen die Aktivitäten der großen Anbieter dem Herausforderer in die Karten. Im Frühjahr habe Amazon angefangen, in so genannte "Product Listing Ads" zu investieren, was die Preise drastisch erhöht habe. Kleinere Händler könnten gerade in margenschwachen Segmenten nun kaum noch mithalten.
Eine weitere Bedrohung sind derzeit in Frankreich laufende Versuche von Google, bei Produktsuchen den Kauf direkt über Google aus dem jeweils hinter einem Suchergebnis liegenden Shop zu ermöglichen. Damit schränkt der Konzern die Möglichkeiten der Händler, sich Kunden zu präsentieren, erheblich ein. Ob das den Segen der ohnehin schon mit Argusaugen auf Google schauenden EU-Wettbewerbshüter findet, ist fraglich. Dennoch kann es ein paar Jahre dauern, bevor die Praxis eingeschränkt wird - was für einige Händler möglicherweise schon zu lange gewesen sein könnte. Wer schon jetzt eine solide Multi-Plattform-Strategie aufbaut, dürfte damit langfristig seine Wettbewerbschancen deutlich erhöhen.