Siemens-Distribution jenseits offizieller Wege

Raecom - ungeliebt und doch erfolgreich

02.12.2009
Der TK-Distributor Raecom macht mit Siemens-Produkten gute Geschäfte - und das an den offiziellen Distributionswegen des Herstellers vorbei. Dumping-Preise allein können den Erfolg nicht erklären.

Seit klar wurde, dass sich der Siemens-Konzern von der ungeliebten TK-Tochter Siemens Enterprise Communications trennen will, befindet sich die Sparte im ständigen Umbruch. Das bekommt auch der Channel zu spüren: Nach dem Verkauf der Mehrheitsanteile an die Gores Group und der Verheiratung mit Enterasys Networks in SEN Group umbenannt, beliefert das Unternehmen seit 2008 in Deutschland alle zertifizierten Partner nur noch über die Distributoren NT plus, Komsa und Partners in Europe. Im Oktober dieses Jahres kam der Netzwerkspezialist Westcon dazu, der vor allem die Unified-Communications-Lösungen vertreiben soll. Mit dem weltweit gültigen Partnerprogramm "Go forward" stellt der Anbieter hohe Anforderungen an seine Partner, die sich vielen Schulungen und Zertifizierungen unterziehen müssen. Das schafft Unmut, aber auch Freiräume, derer sich findige Distributoren bedienen.

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Einer, der diese Freiräume nutzt, ist Klaus Raesig. Der TK-Experte, aus seiner längjährigen Tätigkeit bei Partners in Europe bestens mit den Siemens-Produkten und -Vertriebswegen vertraut, gründete 2004 den Distributor Raecom. Das Unternehmen beliefert neben 200 Resellern vor allem Großhändler, die ihrerseits wieder als TK-Vollsortimenter große Unternehmen betreuen. "Wir bedienen vor allem Marktsegmente, die von den offiziellen Siemens-Distributoren kaum abgedeckt werden", sagt Raesig.

Händler schätzen bei Raecom vor allem den unkomplizierten Umgang, den Service und die Zuverlässigkeit: "Wir bekommen Ware über Raecom auf kurzem Weg zu sehr attraktiven Preisen", sagt Stefan Schmautz, Geschäftsführer des Systemhauses Telenova, das sich auf Siemens- und Swyx-Kommunikationsplattformen spezialisiert hat. Schmautz ist nicht nur von der Lieferfähigkeit der offiziellen Siemens-Kanäle enttäuscht: "Während von uns Partnern extrem hohe Qualitätsstandards abverlangt werden, hat der Service bei SEN stark nachgelassen."

Obwohl vom Hersteller ungeliebt, ist der Anteil des von Raecom und anderen aufgebauten Parallelvertriebs am Gesamtgeschäft nicht unerheblich: Laut Raesig macht der Umsatz, den er und zwei weitere Distributoren damit erwirtschaften, rund ein Viertel dessen aus, was über die offiziellen Hauptdistributoren umgesetzt wird. Konkret waren es nach eigenen Angaben bei Raecom 2008 knapp fünf Millionen Euro. In diesem Jahr werden es krisenbedingt wohl nur 3,5 Millionen Euro - kein Problem für Raesig: "Wir sind mit nur drei Mitarbeitern extrem schlank aufgestellt."

Florian Judith, Leiter Indirekter Vertrieb Deutschland: "Das Geschäftsmodell von Raecom bietet keinen Mehrwert."

Bei SEN versucht man indes, die Bedeutung von Raecom und seinesgleichen herunterzuspielen: "Das Geschäftsmodell bietet keinen Mehrwert", sagt Florian Judith, Leiter Indirekter Vertrieb Deutschland. "Wir bedienen die Kanäle, die wir bedienen wollen - und das exzellent."

Zweites Standbein Duophon

Raecom will sich nicht auf das Siemens-Geschäft allein verlassen: "Wer weiß schon, was die Gores Group im kommenden Jahr vorhat", sagt Raesig. Deshalb sucht der Unternehmer ständig nach innovativen und vermarktbaren Produkten. Fündig wurde er unter anderem beim Akustikspezialisten Duophon, der als Siemens-Zulieferer bereits Erfahrung mit den Produkten des Herstellers hat.

Was zunächst als Telefonkonferenzlösung für die OpenStage-Modelle von Siemens entwickelt wurde, steht nun in einer Variante zur Verfügung, die sich mittels diverser Adapter und Kabel auch mit den Telefonen anderer Hersteller koppeln lässt. Das System, das aus einem radial abstrahlenden Lautsprecher und bis zu drei Mikrofonen besteht, lässt sich über das Systemtelefon steuern. Im Unterschied zu Konferenztelefonen ist also keine zusätzliche Einarbeitung in Funktionen und Benutzerführung nötig - ein Riesenvorteil, wie Raecom-Partner Schmautz findet: "Man muss sich nicht bei jeder Telefonkonferenz in ein anderes System reindenken."

Raesig hat schon weitere Pläne. Ein Bundle mit einer Aufzeichnungssoftware ist ebenso in der Planung wie eine reine Freisprecheinrichtung auf Basis des Duophon-Systems und eine Weiterentwicklung, bei der die Mikrofone in das Kabel integriert sein werden.

Meinung des Redakteurs

Unternehmen wie Raecom nutzen den europäischen Binnenmarkt aus, um offizielle Distributionswege zu unterlaufen. Das mag für Hersteller zwar ärgerlich sein, ist aber in einem freien Handelssystem unvermeidbar. Dass Händler sich aber bei Lieferfähigkeit, Service und Betreuungsqualität von Raecom besser bedient fühlen als von SEN selbst, sollte dem Anbieter doch sehr zu denken geben.