Das Dorf Wacken im Kreis Steinburg kann man kaum verfehlen. Von Hamburg geht es erst nordwestlich Richtung Pinneberg, dann weiter nach Elmshorn, und hinter Itzehohe fährt man von der A 23 runter. Östlich von Wacken liegen die Tagebau-Restlöcher "Alsens Tongrube", und im Westen schwabbelt der Kanal zwischen Nord- und Ostsee.
Anfang August war in Wacken wieder die Hölle los. Mehr als 80.000 zahlende Besucher strömen für drei Tage aus ganz Europa zum "Wacken Open Air" (W:O:A), mit Sonderzügen aus der Schweiz und Bussen aus Österreich, Autos aus Skandinavien und Fahrrädern aus Moorhusen. Sie wollen zum größten Metal-Festival der Welt, dessen Anspruch "Louder than Hell" lautet und das traditionell schon im Vorjahr ausverkauft ist.
Die Cloud-Software soll das Chaos beherrschbar machen
Wie jedes Jahr hat Jürgen Lochbrunner als Production Chief Stagemanager das Chaos zwischen Musik, Alkohol und Dixi-Klos in geordnete Bahnen gelenkt. "Ich habe Regen, Schlamm, Stahl, Lastwagen, Technik und ausgelassene Menschen gesehen", erinnert sich der Projektleiter an frühere Jahre, "und ich habe viel Arbeit gesehen." Lochbrunner ist Chef der Bühnenproduktion, er kontrolliert als technischer Administrator des Züricher Event-Organisators Habegger AG acht Bühnen, 140 Bands und eine Million Details.
Die Bühnenproduktion ist das Herzstück. Jede Band hat eine eigene Anweisung mit einem Umfang von bis zu 30 A4-Seiten, in der alle Geräte aufgelistet werden. Klar ist aber auch: "Es sind viele Menschen beteiligt, die mit Projektmanagement nicht viel zu tun haben und in ihrem Leben als Künstler oder Musiker andere Prioritäten setzen", sagt Stagemanager Jürgen Lochbrunner.
"Entscheidend ist, dass alle Beteiligten die gleiche Dateiversion haben"
Zum Glück erleichtert die Technik vieles: Über ein Online-Meeting diskutiert er beispielsweise mit dem Lichtdesigner einer Band die richtigen Effekte für den Auftritt oder bestimmt die Positionen auf der Bühne. Durch die Freigabe der Maus kann man seinem Gegenüber auf einem anderen Kontinent direkt zeigen, auf welche Stellen der Bühne die Spots gerichtet werden.
Mit einer Zusammenarbeit auf Basis von E-Mails und Druckern lässt sich die Aufgabe schon seit Jahren nicht mehr bewältigen. Profile von Kontaktpersonen, Crew-Listen der 16 Technikdienstleister, Bühnenanweisungen der Bands und Geräteverzeichnisse, CAD-Zeichnungen, Lagepläne oder Brandschutzvorschriften werden inzwischen an einer zentralen Stelle vorgehalten und dort bearbeitet. "Entscheidend ist, dass alle Beteiligten die gleiche Dateiversion haben", sagt Lochbrunner.
In Summe geht es um rund 230 Personen, die im Stage-Management-Team arbeiten. Zugriff auf die Software "Projectplace", mit der W:O:A gesteuert wird, haben rund die Hälfte davon – die sind allerdings über die halbe Welt verteilt. Band-Manager sind ebenso dabei wie Techniker, Behördenvertreter, Rettungsdienste oder Journalisten. "Projektrelevante Dateianhänge in E-Mails sind bei uns verboten, denn sie kosten Zeit und verursachen Fehler."
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Glasfaser liegt unter dem Acker
Über die Freigabefunktion des Dokumenten-Managements lässt sich automatisch belegen, wer wann welche Informationen gesehen und bestätigt hat. "Die Kommunikation wird viel schneller und klarer", sagt Lochbrunner, "und freigegeben ist freigegeben." Tauchen dennoch Unstimmigkeiten auf, können diese über eine Kommentarfunktion im Dokumentenverlauf von Projectplace für alle sichtbar diskutiert werden. Präzise Planung im Vorfeld ist das A und O des Festivals, auf jeder Bühne stehen Funkuhren zur Kontrolle der "Running Order", des Ablaufplans. "Wir produzieren wie eine Show im Fernsehen, fast minutengenau über alle acht Bühnen im Wechsel."
Möglich wird die technische Umsetzung vor Ort durch eine Infrastruktur, die in rund 1,50 Metern Tiefe unter den ansonsten bewirtschafteten Äckern verlegt wurde: "Das Gelände ist komplett mit Glasfaserleitungen und Patch-Schränken versorgt", sagt Lochbrunner. Gebraucht wird das Netz etwa für Kassensysteme, Barcode-Scanner an den Einlassschleusen und natürlich auch für den Zugriff auf die Projectplace-Software – diese wird schließlich "as a Service" bereitgestellt, also aus der Cloud. Selbst Geldautomaten werden für das Festival auf die Wiese gekarrt.
Da überrascht es nicht, dass inzwischen auch der mobile Zugriff auf die Projektsteuerung möglich ist – per App vom iPhone oder einem Android-Gerät aus. Mobile Einsatz- und Rettungskräfte wie Sanitäter, Polizisten und Security-Mitarbeiter können schnell auf ihren Geräten erkennen, in welchen Planquadraten der über 270 Fußballfelder große Festivalfläche umgehend Hilfe nötig ist.
Nach W:O:A 2013 folgt das Debriefing, dann kommt gleich der Kick-off für 2014. "Nach Wacken ist vor Wacken", sagt Lochbrunner. Bühnen würden verändert und die Online-Besucherumfrage ausgewertet, um das Besuchererlebnis zu optimieren – und ein bisschen Zeit bleibt dem Wahlschweizer auch, seine bevorzugte Musik zu hören: "Wenig Metal – ich bin persönlich mehr bei Jazz zu Hause." (tö)
Autor: Alexander Freimark