Mussten Sie kürzlich Arbeitgeber-bedingt ihr Handy wechseln, von Samsung zu Apple? Oder haben Sie kürzlich Windows 10 installiert? Beides kostet unglaublich viel Nerven, denn Sie müssen plötzlich wichtige Funktionen suchen oder Sie sehen vor lauter zusätzlichen Möglichkeiten die entscheidenden Programme nicht.
Vor 20 Jahren besaßen Nutzer noch so etwas wie Entdeckerleidenschaft: Es war selbstverständlich, dass sie sich Zeit nehmen, um ein neues Programm oder Gerät kennenzulernen - mehr oder weniger gut geführt durch Handbücher.
Neue Produkte müssen sofort handhabbar sein
"Die Erwartungshaltung ist heute eine andere", stellt Constanze Richter fest, Professorin für Technische Dokumentation an der FH Aalen, "wenn wir ein Gerät einschalten, ein neues Programm nutzen oder eine Website aufrufen, erwarten wir, dass uns alles sofort klar ist und funktioniert".
Einerseits sind die Produktions- und damit Nutzungszyklen von Software so kurz geworden, dass wir nicht mehr so viel Zeit investieren wollen. Andererseits können wir es uns in unserem durchgetakteten Arbeitsalltag nicht mehr leisten, mehrere Tage allein mit der Bedienung der neuen Software zu verbringen. Dabei steigt die Komplexität der Programme, die mehr leisten und vor allem mit einer wachsenden Zahl anderer Programme kompatibel sein sollen.
Hinzu kommt, dass die IT-Branche bisher kaum einfache Standards entwickelt hat im Gegensatz etwa zur Automotivbranche. An einem Auto ist die Fahrertür in aller Regel links. Dort befindet sich auch das Lenkrad. Die Fußpedale sind immer gleich angeordnet. Rechts ist die Schaltung. In der Mittelkonsole sind Navigation und Musik untergebracht. Am linken Lenkradhebel befinden sich Blinker und Lichtfunktionen. Die Zündung liegt rechts hinter dem Lenkrad. Damit ist der Fahrer bis auf wenige Ausnahmen orientiert und kann losfahren.
Wissen, was der User will
Eine wichtige Aufgabe eines Softwareunternehmens ist es heute, Usern den Einstieg in ein Programm so leicht wie möglich zu machen und ihnen dann eine "intuitive" Nutzung anzubieten, damit sie es trotz zunehmender Funktionen möglichst einfach haben. Neben der klassischen Nutzungsanforderung, was soll gemacht werden, müssen diese Unternehmen sich verstärkt mit den Menschen beschäftigen, die mit der Software umgehen, mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und ihren unterschiedlichen Arbeitsweisen. Ich bin mir sicher, dass diese User Experience als Scharnierstelle zwischen Kunden und Programmentwicklern künftig über den Unternehmenserfolg entscheiden.
Momentan gibt es einige Zertifizierungskurse und wenige Masterstudiengänge wie in Aalen, die Kenntnisse aus der IT, Psychologie, Gestaltung, Kundenorientierung und Produktentwicklung verbinden. In unserem Unternehmen haben wir im vergangenen Jahr die Abteilung "Customer Experience Center" gegründet, die sich vor allem mit diesem Thema auseinandersetzt. Die aktuell sechs Mitarbeiter beschäftigen sich mit
Usability,
Benutzerfreundlichkeit,
Kundenwünschen,
UX-Design,
Dokumentation,
Produktdesign und natürlich
User Experience.
Sie bringen Kenntnisse und Erfahrungen aus Marketing, Produktmanagement oder Technischer Redaktion mit. Was macht dieses Team?
Schon in der Entwicklungsphase wird der Wunsch des Kunden aufgenommen und genau analysiert - enger Kundenkontakt und Kommunikation sind sehr wichtig.
Eine passende Lösung wird erfasst und eventuell noch komplettiert.
Es wird recherchiert, ob es diese oder ähnliche Lösungen bereits gibt. Falls nicht, wird die neue Lösung strategisch geprüft.
Es wird ein grobes Bedienkonzept skizziert und für den Kunden durch Bild und Grafik veranschaulicht.
Das Customer Experience Center und der Kunde stimmen sich ab, ob das entstandene Konzept, den Wünschen und Erwartungen entspricht.
Erst dann wird das Projekt an das Entwicklungsteam weitergegeben. Das soll bewerten, ob die Softwarelösung machbar ist und eine grobe Dateneinschätzung abgeben.
Jetzt kann ein Angebot für den Kunden erstellt werden.
Gemeinsam und frühzeitig den Weg festlegen
Die enge Verbindung zwischen Softwarehaus und Kunden vor der eigentlichen Entwicklung spart oft Ressourcen, weil frühzeitig der einzuschlagende Weg festgelegt wird. Nach dem Motto: Überlege erst, wohin Du gehen willst, und packe dann deinen Rucksack und ziehe los. Und: Die intensiven Gespräche führen zu einer engeren Kundenbindung, weil der Kunde im Idealfall eine individuelle Lösung erhält. Außerdem ist es sinnvoll, Kunden so schnell wie möglich erste Entwürfe zu zeigen, weil dadurch bei den Bedienern die Abwehrhaltung gegen "alles Neue" sinkt und die Akzeptanz steigt: Er ist beteiligt.
Lesetipp: Wie App-Entwickler ihre Nutzer ausspähen
Dass die Funktionalität etwas zurücktritt, liegt an zwei Dingen, zum einen sind Nutzer mit der Fülle der Möglichkeiten oft überfordert, zum anderen wird Software vergleichbarer. Mit dem Bild von Autos gesprochen: Ob jemand Audi, BMW oder Mercedes fährt ist eine Geschmacksfrage, keine Frage der Leistung. Entwickler sollten dafür sorgen, dass Kunden nur das bekommen, was sie wirklich benötigen, was sie schnell, einfach und logisch finden und leicht bedienen können. Alles andere kostet zunächst Geld und später Nutzerzeit. Vor allem: Wenn die Software zu ihm passt, dann wird er auch eine emotionale Bindung eingehen. Sie wird für ihn so schick wie ein Audi, BMW oder Mercedes.