Die Deutsche Bundesbank ist 65 Jahre nach ihrer Gründung mit Teuerungsraten auf Rekordniveau konfrontiert. Als Teil des Eurosystems stemmen sich die Währungshüter gegen die hohe Inflation. "Die immer noch sehr expansive Ausrichtung der Geldpolitik muss zügig beendet werden, und die nun beschlossene Leitzinsanhebung ist dafür ein erster, wichtiger Schritt", sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel der Deutschen Presse-Agentur. "Preisstabilität ist kein Selbstläufer, sondern muss entschlossen verteidigt werden." Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB), dem Nagel angehört, hatte am 21. Juli die erste Zinserhöhung seit elf Jahren beschlossen.
Teuerung darf sich nicht verfestigen
Stabiles Geld - das ist das höchste Gut der Deutschen Bundesbank seit nunmehr 65 Jahren. Derzeit scheint dieses Ziel so weit entfernt wie seit Jahrzehnten nicht. Was kann und muss die Geldpolitik tun, um die Inflation zu senken?
Nagel: Die derzeit sehr hohen Inflationsraten belasten viele von uns und machen deutlich, wie wichtig Preisstabilität ist. Die Geldpolitik ist jetzt gefordert. An den Hauptursachen - Krieg und Pandemie - kann sie zwar nichts ändern. Aber wir können und müssen jetzt alles daransetzen, um zu verhindern, dass sich die aktuell so hohe Teuerung verfestigt. Dazu braucht es eine klare Kommunikation. Und den Worten müssen Taten folgen: Die immer noch sehr expansive Ausrichtung der Geldpolitik muss zügig beendet werden, und die nun beschlossene Leitzinsanhebung ist dafür ein erster, wichtiger Schritt. Sonst laufen wir Gefahr, die Zinsen später umso abrupter und stärker erhöhen zu müssen. Das lehrt uns auch die Geschichte der Geldpolitik.
Die Europäische Zentralbank hat in der Tradition der Bundesbank begonnen. Wie fest steht die europäische Geldpolitik ihrer Einschätzung nach noch auf diesem Fundament?
Nagel: Bei der Einführung des Euro entschied man sich für ein unabhängiges Zentralbanksystem nach dem Vorbild der Bundesbank, das in erster Linie auf Preisstabilität verpflichtet ist. Und auf diesem festen Fundament steht die Geldpolitik im Euroraum nach wie vor. Die Gefahren für Preisstabilität und die Instrumente, mit denen die Geldpolitik ihnen begegnet, können sich über die Zeit durchaus ändern. Das liegt an neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch an Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds, etwa bei der Globalisierung oder bei der Knappheit von Rohstoffen. Was unverändert gilt und sich auch gerade wieder zeigt: Preisstabilität ist kein Selbstläufer, sondern muss entschlossen verteidigt werden. Die Bundesbank und die Kolleginnen und Kollegen, die hier mit großem Engagement arbeiten, werden nicht nachlassen, sich für Stabilität einzusetzen. Auf diesen Einsatz bin ich sehr stolz.
Mitgliedstaaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden
Die Bundesbank ist eine gewichtige Stimme im Chor der europäischen Notenbanken, manch einer wünscht sich allerdings mehr Einfluss Deutschlands in der gemeinsamen Geldpolitik. 2023 wird der Kreis der Euroländer noch größer. Macht das eine gemeinsame Geldpolitik für den Euroraum nicht noch komplizierter?
Nagel: Die Bundesbank ist und bleibt eine starke Stimme der Stabilitätskultur und sie wird gut gehört. Wir bringen unsere Expertise und unsere Überzeugungen selbstbewusst in die Debatten ein. Im Übrigen halte ich Vielfalt von Perspektiven und Kenntnissen nicht für eine Schwäche, sondern eine Stärke. Deshalb freue ich mich, wenn im kommenden Jahr Kroatien in den Kreis der Euroländer eintritt. Was uns im EZB-Rat eint, ist das gemeinsame Streben nach Preisstabilität im Euroraum. Klar ist aber auch: Damit die Währungsunion ein Erfolg bleibt, müssen die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung gerecht werden. Das betrifft die Wirtschaftspolitik, aber auch die Finanzpolitik.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Errungenschaften der Deutschen Bundesbank in den vergangenen 65 Jahren und worin sehen Sie die Schwerpunkte für die kommenden Jahre?
Nagel: Die größte Errungenschaft der Bundesbank ist sicherlich, dass sie eine Kultur des stabilen Geldes geprägt und in der Bevölkerung verankert hat. Die Bürgerinnen und Bürger haben über viele turbulente Jahre hinweg auf die Stabilität unserer Währung bauen können. Denken Sie nur an die Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren und an die Herausforderungen bei der Wiedervereinigung. Bei der Geburt des Euro hat die Bundesbank diese Stabilitätsorientierung sozusagen in die Wiege gelegt. Jetzt ist es unsere Aufgabe, zusammen mit den anderen nationalen Zentralbanken und der EZB dafür zu sorgen, dass unsere gemeinsame Währung stabil bleibt. Wir arbeiten mit aller Kraft daran, die Inflationsrate wieder auf den Zielwert von zwei Prozent zu senken. Und dort wollen wir sie halten, auch wenn uns Klimawandel und Energiewende, demografischer Wandel und Digitalisierung als Zentralbanken herausfordern. Die Menschen vertrauen der Bundesbank, und das sollen sie weiterhin können.
Bei Ihrer Amtseinführung haben Sie sich dafür ausgesprochen, finanzielle Risiken aus Klimawandel und Klimapolitik in der Geldpolitik stärker in den Blick zu nehmen. Wie viel ist da aus Ihrer Sicht bereits erreicht und was muss noch geschehen?
Nagel: Wir sind auf einem guten Weg, klimabezogene finanzielle Risiken bei der Umsetzung der Geldpolitik besser zu berücksichtigen. Damit leisten wir auch einen Beitrag zum Klimaschutz. Wir alle können es uns einfach nicht leisten, die Folgen des Klimawandels auszublenden. Der EZB-Rat hat dazu in diesem Sommer ein Maßnahmenpaket beschlossen. Das betrifft zum Beispiel die Unternehmensanleihen in unseren geldpolitischen Portfolios. Fällige Anleihen werden wir künftig so ersetzen, dass Unternehmen mit einer besseren Klimabilanz ein stärkeres Gewicht bekommen. Außerdem werden wir unsere Kriterien für Sicherheiten anpassen und klimabezogene Transparenzpflichten einführen. Vieles ist also angestoßen und wird nun nach und nach umgesetzt. (dpa/ad)