Die Digitalisierung erreicht immer mehr Branchen, der Mittelstand investiert verstärkt in neue Projekte, selbstständige IT-Experten unterstützen Firmen in der digitalen Transformation. Auf Einladung der COMPUTERWOCHE diskutierten wichtige Akteure der IT-Personalvermittlung, vor welchen Herausforderungen sie stehen und was sie beschäftigt.
Personaldienstleister suchen selbst Mitarbeiter
"Nach 15 Jahren in der Branche haben wir uns den Status eines ,Robin Hood' erarbeitet. Den Großen wollen wir das ,Jagen' immer mehr erschweren", sagt René Troche, Geschäftsführer von Westhouse Consulting, selbstbewusst. Doch der 40-Jährige sucht auch neue Mitarbeiter für die fünf Standorte in Deutschland. Keine leichte Aufgabe, wie er berichtet. Das Unternehmen beschäftigt 87 Mitarbeiter, es arbeite pragmatisch, entscheide ergebnisorientiert und zeichne sich durch Schnelligkeit aus, wie Troche betont.
"Wir suchen junge, hungrige Mitarbeiter, die die gestandenen Kollegen ein bisschen auf Trab bringen", so der Geschäftsführer. Gut qualifizierte Freiberufler zu finden und an sich zu binden sieht Troche als weitere Herausforderung an. "Der Wettbewerb um die besten Leute ist groß. Hinzu kommt, dass wir alle im selben Teich fischen", merkt er an. Zurzeit beschäftigt Westhouse Consulting rund 1287 IT-Freiberufler in unterschiedlichen Projekten.
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Recruiter kann ein anstrengender Job sein
Auch Luuk Houtepen, Director Business Development von SThree für die D-A-CH-Region, treibt diese Frage um. SThree beschäftigt 840 interne Mitarbeiter, im Jahr 2020 sollen es 1.000 sein. "Wie haben viel versucht und wollten mit Studien herausfinden, was die Generation Y und Z interessiert", berichtet der 35-Jährige. Klare Antworten lieferten die Analysen nicht.
Heute setzt das Unternehmen auf Authentizität. "Wir wollen junge Leute mit unserer Kultur überzeugen und nicht verschweigen, dass der Job anfangs anstrengend ist", sagt Houtepen. Auch die rund 2.200 IT-Freiberufler, die für SThree im Einsatz sind, will Houtepen langfristig an das Unternehmen binden und neue hinzugewinnen. Entscheidend für die Bindung sei nicht allein das Honorar, sondern spannende Projekte und die Chance, sich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln.
Geschäftsmodell ist erklärungsbedürftig
Die Liste der beliebtesten Arbeitgeber für Informatiker dominiert seit vielen Jahren Google, auch Automobilhersteller wie BMW sind nach wie vor beliebt, doch eine Personalvermittlung schaffte es nicht unter die Top 10. Solcom, ein mittelständischer Projektdienstleister mit Hauptsitz in Reutlingen und bundesweit sieben Niederlassungen, spezialisiert auf die Vermittlung von Freiberuflern im IT- und Ingenieursegment, beschäftigt intern 219 Mitarbeiter und arbeitet mit rund 900 IT-Freiberuflern zusammen.
Auch Solcom will weiter wachsen und sucht in der Region Stuttgart engagierte Mitarbeiter. "Unser Geschäftsmodell ist erklärungsbedürftig. Wir bewegen uns im B2B-Umfeld, das ist für Bewerber oft nicht sexy. Dabei bietet unsere Branche gute Perspektiven", sagt Maxim Probojcevic, verantwortlich für das Marketing von Solcom.
Freiberufler-Plattform für 150.000 Selbständige
Entspannt zurücklehnen kann sich dagegen Stefan Oberdörfer von freelance.de aus München, wenn es darum geht, neue Mitarbeiter zu finden. "freelance.de wird am Markt als cooles, attraktives Internetunternehmen gesehen und nicht als klassischer Personaldienstleister, das lockt junge und gute Leute an", sagt Oberdörfer, Chief Brand & Sales Officer von freelance.de. Auch das Geschäftsmodell von Freelance unterscheidet sich von dem der anderen Akteure. Der Online-Marktplatz freelance.de bringt Freiberufler und suchende Unternehmen zusammen. Rund 150.000 Selbstständige haben auf der Plattform ihr Profil hinterlegt, etwa 25.000 Unternehmen nutzen die Plattform, um freiberufliche Experten zu finden, so Oberdörfer.
Gerade experimentiert das Unternehmen mit Künstlicher Intelligenz (KI). Auch wenn Oberdörfer noch nicht allzu viel verraten möchte, sieht er das Projekt als zukunftsweisend. "Eines der Ziele unseres KI-Projekts ist es, dass Freiberufler auf Basis ihres Profils automatisiert auf sie zugeschnittene Projektvorschläge erhalten", sagt der 42-Jährige. Dass ein intelligentes Programm bald den Personalvermittler ersetzt, glaubt dagegen keiner der Diskussionsteilnehmer.
Ersetzt KI bisheriges Personal-Recruiting?
Luuk Houtepen ist skeptisch: "KI als Ersatz für das Personal-Recruiting halte ich derzeit für unrealistisch. Die Technologie kann die Vorauswahl von Kandidaten verbessern. Wenn unsere Berater nur noch zehn statt 100 Freiberufler anrufen müssen, ist das ein Vorteil. Doch uns allen fehlt die Datenbasis, über die beispielsweise Xing (13,3 Millionen Mitglieder) oder LinkedIn (500 Millionen Mitglieder) verfügen."
Freelance-Mann Oberdörfer verteidigt das Engagement seines Unternehmens, denn Digitalisierung und KI sind Themen, die auch viele Kunden bewegen. Ähnlich pragmatisch denkt Maxim Probojcevic von Solcom. Für ihn geht es bei der Digitalisierung auch um Serviceangebote für Kunden. Der Marketingchef kann sich zudem intelligente Algorithmen à la Amazon vorstellen, die den Kunden Vorschläge für Projekte unterbreiten, oder Tools, um mit Freiberuflern in Kontakt zu bleiben.
Doch die Personalauswahl und das Matching von Projekt und Freiberufler möchte der 38-jährige Probojcevic ebenso wenig wie die anderen Diskussionsteilnehmer an Maschinen delegieren, auch wenn er weiß, dass es in der Vermittlung auf Schnelligkeit ankommt. "Geschwindigkeit ist ein Wettbewerbsfaktor. Aber wenn uns ein Kunde am Telefon erklärt, wen er sucht und welches Projekt er umsetzen möchte, kann keine Maschine beurteilen, welcher Freiberufler passt. Um die Situation richtig einzuschätzen, braucht es auch Empathie und soziale Kompetenz, und das können nur Menschen", sagt Probojcevic.
Großbritannien setzt aus Managed-Service-Provider-Plattformen
Auch Luuk Houtepen setzt auf menschliche Recruiter, die ihr Handwerk gründlich erlernt haben. Allerdings erlebt der SThree-Geschäftsführer, dass Großkunden beginnen, für Projekte so genannte MSP-Plattformen (Managed Service Provider) zu nutzen. "In Großbritannien wird ein Drittel des Umsatzes damit gemacht. Die Plattformen sind neutral, Auftraggeber stellen dort ihre Anfragen ein, und Projektnehmer müssen ihr Angebot hochladen. Es gibt Fragebögen, alles ist standardisiert. Es findet oft kein persönliches Gespräch mehr statt, alles wird digital abgewickelt."
Für Houtepen ähneln diese Plattformen schwarzen Löchern. Es sei viel Aufwand nötig, die im System hinterlegten Kästchen auszufüllen, die Auswahlkritierien sind jedoch keineswegs transparent. Für einfache Ausschreibungen wie "Suche einen Java-Entwickler für drei Monate" sei das System passend, für komplexe Projekte hält es Houtepen dagegen für ungeeignet. Doch der Plattformtrend könne von der britischen Insel auch auf Europa überschwappen, vermutet er.
Individuelle Verhandlung oder Plattform?
Für René Troche, dessen Kunden hauptsächlich aus dem Mittelstand kommen, wären solche Plattformen ein Graus. Faszinierend am Personal-Recruiting und an der Vermittlung von Freiberuflern ist für ihn neben dem menschlichen Faktor auch das kaufmännische Denken.
"Aus meiner Erfahrung ist ein individueller Verhandlungsprozess immer noch das beste Modell. Und das macht den Unterschied zur Massenabfertigung. Bei uns ist der Mensch keine Massenware. Mit den Plattformen würde das nicht mehr funktionieren. Da werden nur noch stereotyp Daten eingegeben, und am Ende kommt eine Mail: Du hast gewonnen … oder auch nicht. Ich kenne weder meine Mitbewerber noch weiß ich, ob es 20 oder 80 Wettbewerber gibt. Was ist der Sinn einer solchen Black Box?", fragt Troche in die Runde und blickt in ratlose Gesichter.
"Die Preise drücken" könnte eines der Argumente für solche Plattformen sein. In den vergangenen Jahren etablierten viele Konzerne zentrale Einkaufsabteilungen, die vom Bleistift über den Bürostuhl bis zum IT-Spezialisten Waren und Dienstleistungen einkaufen. Maxim Probojcevic kann dem Konzept durchaus etwas abgewinnen. "Klare Prozesse haben Vorteile; wenn nicht alle Fachabteilungen wild durcheinander einkaufen, hilft das auch uns", sagt der Solcom-Mann.
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Kein Kampf um Honorare der Freiberufler
Aber welche Rolle spielen Honorare in der Personalvermittlung? Die Geschäfte laufen gut, da sind sich alle Diskutanten einig, einen echten Preiskampf gebe es kaum. "Es geht nicht um den Preis, wenn Kunden einen IT-Experten suchen, sie wollen ein Problem lösen. Wichtig ist dem Kunden die Projekterfahrung, die jemand mitbringt. Wir bewegen uns im Hochtechnologiesegment, und da ist die Qualität entscheidend und in erster Linie nicht der Preis", sagt Probojcevic. Wenn ein zentraler Einkäufer die Preise drücken wolle, die Fachabteilung aber Wert auf Qualität lege, werde in den Unternehmen oft intensiv diskutiert. "Die Fachabteilung eskaliert dann das Problem gerne intern", weiß der Marketingchef von Solcom.
Gerade weil die Digitalisierung noch am Anfang steht, gehen die Aufträge keineswegs aus. Doch zu wenige junge Talente wagen der Schritt in die Selbstständigkeit. Jedes Unternehmen versucht, gute Mitarbeiter und Freiberufler an sich zu binden. Die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, sich gelegentlich bei den Freelancern zu melden, ohne sie zu nerven, treibt alle um. Eine aktuelle und gut gepflegte Datenbank bildet das Herzstück einer erfolgreichen Vermittlung, doch der persönliche Kontakt ist ebenfalls wichtig. "Unsere Industrie war stark vom Telefon geprägt. Das ist an sich nicht schlecht, denn Freiberufler wollen gerne angesprochen und umworben werden, während des Projekts aber auch in Ruhe arbeiten. Wir nutzen heute ganz unterschiedliche Kanäle wie Facebook, LinkedIn, Xing oder Twitter und laden zu Round-Table-Diskussionen ein", sagt Houtepen.
Vermittler dürfen nicht zu penetrant sein
Stefan Oberdörfer erklärt, dass freelance.de seine Freiberufler permanent anhält, ihre Profile zu pflegen. "Unsere Mitglieder wünschen sich alle relevanten Kanäle wie beispielsweise WhatsApp, um informiert zu werden und selber zu agieren." Das Unternehmen baue sein Angebot an mobilen Kommunikationswegen weiter aus, so Oberdörfer. Solcom lädt auch zu Präsenzveranstaltungen ein, um ein enges Band zu seinen Freiberuflern zu knüpfen. Doch Probojcevic vertraut auch auf deren Sozialkompetenz. "Ein Freelancer ist ja nicht auf den Kopf gefallen. Er kennt den Markt, die Akteure, und weiß natürlich, wann er sich wegen eines neuen Projekts melden muss." Probojcevic empfiehlt: "Man darf als Personalvermittler nicht zu penetrant sein und die Freiberufler nicht ständig anrufen, das mögen sie nicht. Sie von Zeit zu Zeit anstupsen und auffordern, ihr Profil zu aktualisieren, das funktioniert auch digital ganz gut."