IT-Unternehmer versuchen ihre Firma meist ausschließlich über sogenanntes organisches Wachstum zu vergrößern. Gründe dafür gibt es viele. Die wichtigsten sind, dass man so jederzeit alles selbst in der Hand hat, dass die Unternehmensrisiken sehr gut bekannt sind und Liquidität und Finanzierung bei Investitionen in Vertrieb und Marketing gut planbar sind und damit übersichtlich bleiben.
Diese Argumente treffen natürlich alle zu. Es gibt aber auch Faktoren, die sich aus der Marktpositionierung der IT-Unternehmen ergeben und die für einen Unternehmenszukauf sprechen. Sie werden an den folgenden beiden Beispielen erklärt.
Übernahmen bei Unternehmen für Branchensoftware
Branchensoftwareunternehmen bewegen sich in sogenannten vertikalen Markt-Slots. Sie sind spezialisiert und die Marktanteile sind zu einem großen Prozentsatz bereits an die Softwareanbieter in dem Marktsegment aufgeteilt. Insofern ist organisches Wachstum oft nur mit möglich, wenn Kunden zum Beispiel aufgrund ihrer Anforderungen ein anderes Softwaresystem benötigen (größeres/kleineres IT-System). Branchenexperten schätzen dieses Marktpotential auf 8 bis 12 Prozent jährlich.
"Alle 10 Jahre wechseln Kunden von ERP-Systemen ihren Softwareanbieter, weil die bestehende Lösung nicht mehr zu ihnen passt", fasst Maximilian Pöhnl die Kernaussage zusammen. Er ist Geschäftsführer von Pöhnl & Schottler in Frankfurt am Main, einem auf die strategische Beratung von Softwareunternehmen und Vertriebstrainings in der IT-Branche spezialisierten Unternehmen. Aus diesem Grund wird es immer schwerer Marktanteile hinzuzugewinnen und organisch zu wachsen.
Im Jahr 2025 werden ca. 1,3 Millionen Bundesbürger das 65. Lebensjahr erreichen. In den Jahren zuvor sind es kaum weniger. Gerade bei inhabergeführten Firmen ist die Unternehmensnachfolge in der Softwarebranche oft schwierig. Dies wird eine nie dagewesene Welle von Unternehmensverkäufen und Unternehmensstillegungen mit sich bringen. Daraus ergibt sich ein interessantes Potenzial an möglichen "Übernahmekandidaten".
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Die größeren Unternehmen mit einem Umsatz über 5 Millionen Euro werden aufgrund ihrer Größe relativ schnell einen Käufer finden. In der Regel sind diese Unternehmen gut organisiert und aufgestellt. Für die kleineren, vor allem für die mit einem Jahresumsatz unter 2,5 Millionen Euro, kann dies anders aussehen. Personelle Abhängigkeiten vom Geschäftsführer, einzelnen Mitarbeitern im Vertrieb und in der Softwareentwicklung machen es aus Käufersicht schwer, das Übernahmerisiko einzuschätzen. Außerdem sind die Kaufpreisvorstellungen dieser Unternehmen meist unrealistisch. Das macht sie unverkäuflich.
Viele Softwareunternehmer schließen deshalb einen Unternehmenszukauf für sich aus. Dabei würde eine andere Sichtweise auf einen Unternehmenszukauf gegebenenfalls zu einem ganz anderen Ergebnis führen. Die voreilige Fokussierung auf einen Kaufpreis führt schnell dazu, dass ein Zukauf verworfen wird. Legen IT-Unternehmer mehr Wert auf die Betrachtung möglicher Synergieeffekte vor einem Zukauf und stellen Betrachtungen an, wie man das Unternehmen integriert und erfolgreich weiterführt, sieht der Zukauf unter Umständen viel interessanter aus - und ist auch mehr "wert".
Welche Synergieeffekte können bei einem Zukauf entstehen?
Komplementäre Produkte, die für die eigenen Kunden interessant sind
Substitutionsprodukte, die das eigene Produkt in Gänze oder in Teilen ersetzt (z.B. eine Neuentwicklung auf Cloud-Basis)
Zugang zu neuen Kunden-/Zielgruppen
Gewinnung strategischer Kunden, die das Wachstum fördern
Neue Technologien
Ablösung eines veralteten Produktes durch das eigene
Die Wahrnehmung im Markt wird durch die neue Größe des Unternehmens besser und trägt dazu bei, mehr Interessenten zu gewinnen
In den letzten Monaten beobachten wir zunehmend Unternehmenskäufe von Family Offices und Private-Equity-Unternehmen, die sich gezielt in Branchen "einkaufen". Zum Beispiel Bidequity, dass in Branchensoftware für die Sozialwirtschaft investiert hat, oder auch Elvaston, das sich an Step Ahead, Godesys und anderen ERP-Anbietern beteiligt hat. Allein aus diesem Grund halten wir es für ratsam, dass sich Branchenanbieter nicht darauf verlassen, dass neue Marktbegleiter die Marktregeln durcheinander bringen.
Unser Ergebnis: "Was ist risikoreicher, zukaufen oder weitermachen wie bisher?".
Übernahmen bei Systemhäusern
Auch Systemhäuser sind vom anstehenden Generationswechsel betroffen. In Deutschland gibt es davon ca. 10.000 - vom Ladengeschäft bis zu den großen Systemhäusern wie Bechtle. Im Systemhausmarkt sind mehrere Unternehmensgruppen unterwegs, die sehr stark durch Unternehmenszukäufen gewachsen sind, zum Beispiel die österreichische ACP.
Unternehmenszukäufe im Systemhausbereich erfolgen meist unter folgenden Prämissen:
Regionale Präsenz vergrößern (Einzugsbereich)
Gewinnung von zusätzlichem Produkt-Know-how (Erweiterung der Leistungspalette)
Neue Unternehmensgröße ermöglicht Professionalisierung des Unternehmens
Neue strategischer Kunden und/oder Zielgruppen in unterschiedlichen Branchen zu gewinnen
Abhängigkeit von einzelnen Kunden und/oder Branchen zu reduzieren
Auslastung der Mitarbeiter zu erhöhen
Profitabilität des zugekauften Unternehmens durch die Integration zu steigern
Da viele mittelständische Systemhäuser regional aufgestellt sind, sollten diese ihren regionalen Markt sehr gut analysieren und daraufhin untersuchen, welcher der Marktbegleiter am besten zu ihm passt. Es wäre ärgerlich, wenn eine Chance für einen Zukauf verpasst würde, die sinnvoll und bezahlbar wäre.
Unternehmenszukäufe haben zuweilen lange Vorlaufzeiten. Daher ist es vorteilhaft, wenn man schon frühzeitig das Gespräch mit den infrage kommenden Unternehmen geführt und gepflegt hat.
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Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung von möglichen Unternehmenszukäufen. Aufgrund der niedrigen Zinsen gibt es interessante Alternativen - vom Bankkredit bis zu nachrangigen Darlehen-, die es ermöglichen, einen wesentlichen Anteil des Kaufpreises über Fremdkapital zu finanzieren. Eine weitere Möglichkeit ist die Aufnahme eines neuen Mitgesellschafters, der allerdings die eigenen Anteile "verwässern" würde.
Unser Ergebnis: Das Wachstum durch Unternehmenszukauf sollte zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensstrategie werden. Nur dann ist gewährleistet, dass Risiken vermieden werden und eine klare Vorstellung davon existiert, welche Synergien tatsächlich gehoben werden können.
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