Erfolge zum kleinen Preis

Open-Source-Software für den mittelständischen Handel

31.10.2016 von Björn Rafreider und Christoph Plessner
Wer im digitalen Handel Erfolg haben will, muss mit der Analyse der Kundenbedürfnisse beginnen. Wichtig sind gesamtheitliche und vernetzte Business-Software-Lösungen. Die Open-Source-Gemeinde stellt jede Menge gute Hilfsmittel bereit.
 
  • Der digitale Handel bedeutet eine starke Veränderung klassischer Geschäftsmodelle - mit Risiken und großen Chancen
  • Ausgangspunkt einer Positionierung muss die Analyse der Kundenbedürfnisse sein
  • E-Commerce-Tools allein helfen nicht weiter; Händler sollten vernetzte, Datenbank-basierte Lösungen wählen - gerne auch Open Source

Die Digitalisierung wird oft als Zukunftsthema beschrieben nach dem Motto: "Rüsten Sie sich heute für die digitale Welt von Morgen!" In Wirklichkeit ist - insbesondere im Handel - die Digitalisierung längst da. So sind heute die meisten Konsumenten im Netz und nutzen Smartphone und Co., um einzukaufen oder sich zu informieren. Laut Google Consumer Barometer von 2014/15 werden heute schon 54 Prozent der Einkäufeim Web recherchiert oder abgeschlossen. Die Online-Geschäfte wachsen rasant, und das geht zu Lasten des stationären Handels.

Damit sind digitale Geschäftsmodelle und Informationsplattformen Pflicht - nicht nur für große Handelskonzerne, sondern auch für den Mittelstand. Dort verhindern jedoch oft fehlendes Know-how und geringe Investitionsbereitschaft schnelle Fortschritte. So verpassen viele Betriebe die Chance, ihre Umsätze kontinuierlich zu steigern und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Heute gibt es eine Reihe bereits etablierter Open-Source-Lösungen, mit denen sich Prozesse digitalisieren und in Kombination auch digitale Geschäftsmodelle schnell, einfach und wirtschaftlich umsetzen lassen. Vor der Auswahl eines Systems müssen Unternehmen jedoch erst einmal verstehen, was die digitalen Kunden wollen. Erst dann gilt es, das Geschäftsmodell zu transformieren.

Wissen, was der Kunde will

Die Begriffe Big Data, Smart Data und Business Intelligence sind in aller Munde. Auch Mittelständler müssen sich Gedanken machen, welche Daten sie erheben und wirtschaftlich nutzen wollen. Dabei kann es sich beispielsweise um Transaktionsdaten, Supportanfragen, Reklamationen, Antworten aus Umfragen, Äußerungen in Foren oder Social-Media-Mitteilungen handeln.

Entscheidend ist es, alle Informationen, die die grundlegenden Bedürfnisse an ein Produkt beschreiben, zusammenführen und anschließend bewerten zu können. Dabei geht es um die Fragen:

Im Idealfall sind diese Bedürfnisdaten mit den vorhandenen Kundendaten verknüpft. Nur dann lassen sich die erhobenen Daten mit Kunden und Kundengruppen in Beziehung setzen und sinnvoll analysieren. Unternehmen können so bei der Gewichtung von Bedürfnisdaten zwischen unterschiedlichen Zielkunden differenzieren.

Digitales Geschäftsmodell ableiten

Wenn Unternehmen die Bedürfnisse ihrer Kunden verstanden haben, können sie damit beginnen, Geschäftsmodelle abzuleiten, die diese Bedürfnisse erfüllen. Diese müssen keineswegs ganze Branchen auf den Kopf stellen wie etwa die vielzitierte Taxi-App Uber. Es geht vielmehr mehr darum, das bestehende Geschäftsmodell ständig mit den sich ändernden Bedürfnissen der Kunden abzugleichen und es gegebenenfalls zu transformieren.

Doch was sind eigentlich digitale Geschäftsmodelle? Sie sind mittlerweile so alltäglich geworden, dass sie uns gar nicht mehr auffallen: Online-Abonnements für den Zugriff auf die täglichen Zeitungsinhalte, die digitale Erstellung von Fotobüchern oder Einladungskarten, individuelle Konfigurationen des neuen Laptops, Apps, Musik-Downloads, Webinare und vieles mehr.

Der Vorteil von diesen digitalen Geschäftsmodellen ist die Skalierbarkeit - oder auch die einfache und schnelle Reproduzierbarkeit für die Masse. Das Produkt lässt sich einmal standardisieren und dann online anbieten und vermarkten. So kann eine riesige Kundschaft mit geringem Aufwand und schnellen Reaktionszeiten bedient werden.

Ein gutes Beispiel sind Anbieter von Fotobüchern, etwa Cewe: Der bisherige analoge Prozess sah vor, Fotos entwickeln und drucken zu lassen, ein Fotoalbum anzuschaffen, die Bilder zu sortieren, einzukleben und zu beschriften. Heute müssen die Kunden nur noch ihren PC hochfahren, ihre Kamera anschließen, das Fotobuch digital erstellen und dann bestellen. Das ist ein bekanntes, aber dennoch exzellentes Beispiel für die gelungene digitale Transformation eines Geschäftsmodells.

Open-Source-Systeme für die Digitalisierung einsetzen

Die richtige IT-Lösung für das digitale Geschäftsmodell zu finden, ist gar nicht so einfach. Es gibt viele Anbieter mit individuellen Schwerpunkten und Preismodellen. Besonders günstig in der Anschaffung sind kostenfreie oder kommerzielle Open-Source-Lösungen, die sich von der eigenen IT-Abteilung erweitern und anpassen lassen. So können Unternehmen vermeiden, teure Anpassungen hinzukaufen zu müssen.

Bei der Anschaffung eines Systems sind allerdings nicht nur die Initialkosten zu beachten. Vor allem die Anpassung eines Systems an die eigenen Prozesse kann hohe Kosten verursachen. Daher ist es wichtig, Open-Source-Lösungen miteinander zu vergleichen und ein System auszuwählen, das sich flexibel und einfach an die eigenen Prozesse anpassen lässt.

In mittelständischen Betrieben führt der Einsatz verschiedener Tools mit jeweils eigenen Datenbanken oft zu einer doppelten und somit ineffizienten Datenhaltung. Deshalb sind Unternehmen gut beraten, auf spezialisierte Insellösungen zu verzichten und mit passender All-in-one-Software zu starten. Dieser Softwaretypus verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der die internen Prozesse unternehmensweit effizienter und vernetzter gestaltet.Es gibt viele Open-Source-Lösungen, die einzelne Schwerpunkte abdecken, etwa Kundenverwaltung, Rechnungswesen und Buchhaltung oder Marketing, Vertrieb und Kundenservice. Zentrale Anforderung sollte jedoch sein, dass sämtliche Daten, die im Zusammenhang mit einem Kunden entstehen, über individuelle Reports ausgewertet werden können. Serviceanfragen, Transaktionsdaten, gekaufte Produkte oder Marketingmaßnahmen liefern wichtige Hinweise darauf, wie Firmen ihre Produkte und ihren Kundenservice kontinuierlich verbessern und Kunden gezielter ansprechen können.

Hier müssen Unternehmen Prioritäten setzen und sich dann ein Tool aussuchen, das ihre oberste Priorität am besten unterstützt. Etablierte Unternehmenslösungen für kleine und mittelständische Unternehmen aus dem Open-Source-Bereich sind hier 1CRM, Odoo, sugarCRM oder vtiger. Siehe auch den Beitrag "CRM-Vielfalt durch Open Source")

Diese vier Open-Source-CRM-Systemesind besonders verbreitet.
Foto: Visual4

Die Vernetzung aller Kundendaten ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung und Smart Data. Haben Unternehmen diese Grundlage für effizientere Prozesse und ein besseres Kundenverständnis geschaffen, werden sie ihre Wettbewerbsposition nachhaltig verbessern können.

Open-Source-Systeme für den digitalen Vertrieb

Einfache Geschäftsmodelle wie der Online-Verkauf von Kleidung und Sportartikeln oder die Bereitstellung von Downloads sind mit einer Open-Source-Lösung, die einen voll integrierten Online-Shop oder Self-Service-Bereich mitbringt, bereits gut bedient. Dieser integrierte Ansatz führt den Gedanken einer zentralen Lösung konsequent zu Ende. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass diese integrierten Shops oft nicht den Funktionsumfang erreichen, den etablierte und verbreitete Online-Shops bieten. Hinter diesen steht eine große Community, die die Software stetig weiterentwickelt und für fast jeden Anwendungszweck eine Erweiterung bereitstellt.

Mit solchen Shops lässt sich nahezu jedes digitale Geschäftsmodell abbilden.Doch wer solch einen etablierten Online-Shop verwendet, muss, um dauerhaft erfolgreich zu sein, ebenfalls dem ganzheitlichen und vernetzten Ansatz Rechnung tragen. In diesem Fall ist es wesentlich, die E-Commerce-Lösung tief in die zentrale Unternehmenssoftware zu integrieren. Informationen aus Transaktionen, Kontaktformularen oder Newsletter-Registrierungen müssen direkt in der Unternehmenssoftware gespeichert werden, damit sie analysiert und weiterverarbeitet werden können.Um Kunden auf das Angebot aufmerksam machen und Vertrauen aufbauen zu können, ist es zusätzlich wichtig, eine Website oder einen Blog mit dem Vertriebskanal verbinden zu können.

Auf diese Shop-Systeme setzen Open-Source-Anhänger.
Foto: Visual4

Das kann ebenfalls ein entscheidender Faktor bei der Auswahl eines Systems sein. Über hochwertige Produktbeschreibungen, Ratgeber und unterhaltsame Geschichten lassen sich Kunden - und auch Suchmaschinen - davon überzeugen, die bessere Verkaufsplattform vor sich zu haben.Gängige Open-Source-Lösungen im Bereich E-Commerce sind vor allem ePages, Gambio, Magento, und WooCommerce. Die führende Position in Deutschland nimmt dabei WooCommerce ein. Das rührt nicht zuletzt daher, dass es das flexible Content-Management-System WordPress um einen mächtigen Shop erweitert. Produkte lassen sich perfekt in Szene setzen, gleichzeitig greifen Website und Shop nahtlos ineinander.

Produktvarianten effizient mit Produktkonfiguratoren abbilden

Der Erfolg vieler Produkte hängt davon ab, ob sie individualisierbar und in verschiedenen Varianten angeboten werden können. Kunden können sich zum Beispiel nahezu jedes Detail ihres Fahrzeugs, ihres Möbelstücks oder ihrer Brille online selbst konfigurieren und bestellen. Kunden möchten von interaktiven Produktpräsentationen profitieren und Zwischenstände einer Konfiguration jederzeit im Online-Shop speichern. Für Anbieter hat dieser Trend auch Vorteile. Sie können zunehmend on Demand produzieren und dadurch Kosten für Lagerhaltung und Beratung einsparen.

WooCommerce vor Gambio und Magento - in dieser Reihenfolge favorisieren deutsche Anwender Open-Source-Tools für den Online-Handel.

In der einfachsten Form lässt sich ein Online-Konfigurator als Formular umsetzen. In einem Drop-down-Menü können sich Kunden zum Beispiel Farbe, Größe oder Material eines Produkts auswählen. Wer so konfiguriert, geht allerdings Risiken ein, weil er das entstehende Produkt nicht sieht. Visuelle Online-Konfiguratoren hingegen zeigen dem Kunden an, wie das Produkt in der ausgewählten Konfiguration aussieht. Hier lassen sich 2D- oder 3D-Konfiguratoren unterscheiden. Insbesondere für teure individualisierbare Produkte bieten sich die umfangreichen 3D-Konfiguratoren an. Der Kunde kann sich damit verschiedene Ausführungen konfigurieren und diese von allen Seiten betrachten und Details ansehen. Wenn er sicher ist, dass er genau die passende Konfiguration gefunden hat, bestellt er.

Dem Variantenreichtum und der Komplexität sind hier keine Grenzen gesetzt. Variantenreiche Produkte mit vielen Konfigurationsmöglichkeiten in Produktkatalogen überhaupt abzubilden, ist bereits sehr komplex und dem Kunden oftmals nicht zumutbar. Visuelle Online-Konfiguratoren hingegen unterstützen den Kunden bei der Auswahl: zum einen durch das visuelle Feedback und zum anderen durch Vorkonfigurationen und einen Schritt-für-Schritt-Ansatz. Produktkonfiguratoren sollten daher ebenfalls mit der gesamten IT-Lösung vernetzt sein, damit sich auswerten lässt, welche Kundengruppe welche Vorkonfiguration bevorzugt. Unternehmen können so nicht nur Privatkunden, sondern genauso ihre Business-Kunden bedienen. Komplexe Produktkataloge dürften somit endlich der Vergangenheit angehören.

Mit vernetzter Open-Source-Lösung und agilen Prozessen digital erfolgreicher sein

Haben Unternehmen ihre Daten zusammengeführt, einen digitalen Vertrieb aufgebaut und bieten ihren Kunden Informations- und Konfigurationsmöglichkeiten, sind sie für den wachsenden Wettbewerb gewappnet. Um jedoch im digitalen Wettbewerb weit vorne mitzuspielen, sollten Unternehmen hier nicht aufhören. Ist eine geeignete IT-Lösung implementiert, kommt es darauf an, die Werkzeuge Smart Data, Marketing und Online-Vertrieb richtig einzusetzen.

Die digitale Transformation ist also kein einmaliger Prozess, sondern sollte agil und iterativ umgesetzt werden. Die Auswertung von relevanten Kundendaten spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Denn wer verändert, der schafft Lösungen, die funktionieren oder auch nicht. Die Erfolge und Niederlagen zu dokumentieren und daraus zu lernen, ist das Entscheidende. Mit einer Open-Source-Lösung, die alle Informationen unternehmensweit zusammenführt und bündelt, ist diese Voraussetzung kostengünstig geschaffen.

Literaturempfehlung:
Walter, Olga: CRM für Online-Shops. Make Big Data Small - Erfolgreiches Customer Relationship Management im E-Commerce, 2016