Seit der Übernahme im vergangenen Jahr kommt Redcoon bei Media-Saturn die Rolle des Online-Tempomachers zu. Im ChannelPartner-Interview berichtet Gründer und Geschäftsführer Reiner Heckel über den deutschen Onlinemarkt, die Konkurrenz durch Amazon und die selektive Vertriebspolitik der Hersteller.
Zunächst hätten wir eine Frage zu Ihrer Biographie: Es heißt immer, dass Sie ein ehemaliger Media Markt Manager sind. Ist das richtig?
Heckel: Ja, das stimmt. Ich war zunächst Geschäftsführer eines Media-Markt-Standorts in Mannheim und dann Landesgeschäftsführer in den Niederlanden. Nach drei Jahren bin ich dort ausgeschieden und habe zusammen mit Partnern Redcoon gegründet. Ich hatte zu dem Zeitpunkt ja bereits einige Branchenerfahrung und habe gesehen, dass die Konsumenten das Internet immer mehr annehmen und auch die Verbindungsgeschwindigkeiten und Ladezeiten ständig besser wurden. Und darauf haben wir erfolgreich angesetzt.
...und haben damit Ihrem ehemaligen Arbeitgeber gezeigt, wie man das Internet-Business richtig angeht. War das eine Motivation für Sie?
Heckel: Das wäre eine zu emotionale Betrachtung. Es ist nun einmal schwer für etablierte Unternehmen, die ein anderes Geschäftsmodell haben, sich auf neue Markttrends einzustellen. Das ist nicht nur Media-Saturn so gegangen, sondern betrifft ebenso andere Handelskonzernen wie etwa Karstadt/Quelle oder jetzt Neckermann. Da wird eng am bisherigen Kurs festgehalten, weil er erfolgreich ist, und man verpasst es, neue Dinge frühzeitig zu erkennen. Aber es ist ja auch menschlich verständlich, dass sich ein erfolgreiches Unternehmen frägt, warum man sich auf einmal ändern soll. Wir haben gezeigt, dass man die Chancen erkennen muss, um erfolgreich zu werden. Wir haben den Apparat durchgemischt, Strukturen aufgebrochen und die Bedürfnisse der Kunden stärker beachtet.
Damit waren Sie auch ausgesprochen erfolgreich und haben über mehrere Jahre hinweg zweistellige Wachstumsraten erzielt. 2011 gelang Ihnen dagegen „nur“ ein Zuwachs von 7,5 Prozent. Hängt das mit der Übernahme durch Media-Saturn zusammen? Ist es dadurch zu einer gewissen Konsolidierung gekommen?
Heckel: Ja, das war eine Art Konsolidierung. Jetzt wachsen wir auch wieder zweistellig, aber nach der Übernahme gab es bei der Industrie eine spürbare Zurückhaltung und es haben sich viele gefragt, was MSH mit Redcoon macht. Das hat zu einer Anpassungsphase geführt und zudem gab es nach der Übernahme viele Umstellungen zu machen. Doch mittlerweile sind wir wieder auf einem guten Weg.
Redcoon ist neben Deutschland auch in neun europäischen Ländern vertreten. Welche Rolle spielt das Auslandsgeschäft für Ihr Unternehmen?
Heckel: Wir sind von Anfang an sportlich an die Auslandsexpansion herangegangen, um nicht nur vom deutschen Markt abhängig zu sein. Wir wollten auch in anderen Ländern ein Bein in der Tür haben und sind bereits 2003 nach Österreich und Spanien expandiert. Das entsprach auch der Überzeugung, dass das World Wide Web kein deutsches Phänomen ist, sondern man mindestens europaweit aktiv sein muss. Inzwischen sind wir nicht nur im Euro-Ausland aktiv, sondern auch beispielsweise in Polen. Dass kann schon manchmal schwierig sein, wenn sich etwa Unterschiede in den Währungskursen einstellen und die Produkte dort dann viel teurer werden. Doch ziehen wir uns aus keinem Land zurück, schließlich hören die Leute wegen einiger Schwankungen auch nicht gleich auf zu konsumieren.
Auf den nächsten Seiten erfahren Sie, was Heckel zur Konkurrenz durch Amazon, zum Thema Multi-Channel und zur selektiven Vertriebspolitik mancher Hersteller sagt.
"Amazon missbraucht seine Marktmacht"
Stärker als andere Onlineshops ist Redcoon auf eBay vertreten. Was sind Ihre Beweggründe für das Engagement auf der E-Commerce Plattform?
Heckel: Wir sehen das recht emotionslos: eBay ist für uns ein Kanal von vielen, genauso wie etwa Preissuchmaschinen, das Affiliate-Geschäft oder Google. Ebay gehört auch heute noch zu den meistfrequentierten Webseiten und wo Frequenz ist, gibt es auch Umsätze zu holen. Auf den Marktplatz eines Wettbewerbers wie Amazon zu gehen, kommt für uns dagegen nicht in Frage, die würden am Ende nur unsere ganzen Unternehmensdaten auslesen. Das Angebot auf eBay ist zwar auch mit Gebühren verbunden, doch kann man sich sicher sein, dass eBay als Plattformbetreiber neutral ist.
Seit Mitte 2011 bieten Sie auch Bücher an. Wie wichtig ist für Sie diese Sortimentserweiterung?
Heckel: Das ist zunächst einmal ein Test. Wir schwimmen hier ja noch nicht in Erfahrungen und wollten das einmal ausprobieren. Es ist auch gut möglich, dass auch eBooks künftig bei uns eine Rolle spielen werden. Unser Ziel ist es, als Fach-Discounter angesehen zu werden und Bücher passen gut zu diesem Image dazu. Aber wir werden sicher niemals unseren Schwerpunkt beispielsweise plötzlich auf Textilien legen.
Redcoon zählt zur Spitzengruppe im deutschen Elektronik-Onlinehandel zusammen mit Anbietern wie Cyberport und Notebooksbilliger.de. Wie schätzen Sie die Marktentwicklung ein: Ist der Markt hier schon konsolidiert oder rechnen Sie auch künftig mit neuen, aggressiven Wettbewerbern?
Heckel: Durch die totale Transparenz ist der Online-Markt sehr hart und aggressiv. Damit meine ich aber gar nicht so sehr die deutschen Mitbewerber als vielmehr den amerikanischen Marktteilnehmer Amazon, der seine Macht missbraucht, um mit Umsätzen ohne Marge eine dominante Stellung zu erobern. Was hier passiert, ist besorgniserregend. Denn der deutsche Markt darf nicht in die USA gehen. Da sehe ich eine große Gefahr.
Ist für Sie also Amazon der eigentliche Wettbewerber – und weniger die deutschen Elektronik-Onlinehändler?
Heckel: Ja, denn ich fürchte keine Konkurrenz auf gleicher Augenhöhe. Aber ich fürchte es, wenn jemand nicht auf Augenhöhe ist und mit Waffen arbeitet, die unter Wirtschaftsleuten nicht als ordentlich gelten. Das ist nicht in Ordnung. Denn auch wenn Amazon heute auf seine Margen verzichtet, werden am Ende doch die Kunden ausgenommen. Aber vorher wird noch der heimische Wettbewerb um die Ecke gebracht.
"Das Thema Multi-Channel hat mich nie gereizt"
Was halten Sie von den Multi-Channel-Strategien von Retailgruppen wie Expert oder Euronics: Wächst hier mittelfristig eine ernsthafte Konkurrenz heran?
Heckel: Es ist nun einmal ein Mega-Trend, dass die Konsumenten heute jederzeit von zu Hause aus einkaufen wollen und keine Lust mehr haben, dafür jedes Mal in ein Geschäft zu fahren. Daher ist es heute die verdammte Pflicht eines jeden Retailers, einen Onlineshop zu haben. Doch hat ein stationärer Retailer eine ganz andere Kostenstruktur und Kalkulation und wird deshalb auch im Internet meistens zu Ladenpreisen verkaufen. Für uns ist das aber kein Thema. Unsere Kunden sind preissensibler und wissen es zu schätzen, dass wir eine viel niedrigere Kostenstruktur haben. Letztlich entscheiden die Kunden je nach Vorliebe, wo sie kaufen. Unser Job ist es, den Kunden Wertschätzung entgegenzubringen und eine gute Leistung zu liefern.
Das Thema Multi-Channel ist für Redcoon, den erklärten Pure-Player in der Konzernaufstellung von Media-Saturn, seit der Übernahme ohnehin passé. Hat es Sie aber auch vorher nie gereizt, ähnlich wie Cyberport oder Notebooksbilliger eigene stationäre Filialen zu eröffnen?
Heckel: Ich nehme zur Kenntnis, was die anderen machen. Aber ehrlich gesagt, hat mich das Thema Multichannel nie gereizt. Wenn man das macht, hat man einen andere Kostenstruktur, einen anderen Preis und andere Kunden. Wir bleiben lieber so, wie wir vor zehn Jahren gestartet sind. Und es ist richtig, wir sind in der MSH-Gruppe nicht für Multichannel zuständig, sondern sind der Pure-Player im Netz. Auch deshalb haben wir so gut zu Media-Saturn gepasst – ein Cyberport wäre ja gewissermaßen die dritte stationäre Retail-Marke bei MSH gewesen.
Redcoon hat gerade eine neue Facebook Shopping-App veröffentlicht. Welche Rolle spielen für Sie E-Commerce Trends wie Social oder Mobile?
Heckel: Wir können heute noch nicht wissen, wie sich der Markt entwickelt und versuchen deshalb das eine oder andere. Auch wenn das heute noch keinen nennenswerten Beitrag zu unserem Unternehmen liefert, ist es doch unsere Verantwortung nicht verbohrt zu sein und auch etwas Neues zu probieren. Allerdings erinnere ich mich an das Beispiel Second Life. Das war vor fünf Jahren ein Riesen-Rummel und hat angeblich den Unternehmenserfolg gefährdet, wer damals nicht dabei war. Heute kräht kein Hahn mehr nach Second Life. Es ist also ratsam, nicht gleich mit voller Kraft auf alles Neue zu springen. Wir machen deshalb erst einmal Tests und schauen, wie es sich entwickelt. Als nächstes werden wir eine Mobile Webseite veröffentlichen.
"Die Industrie macht die Ware für den Onlinehandel knapp"
Den Verkauf einer Mehrheit an Media-Saturn begründeten Sie im vergangenen Jahr auch mit zunehmenden Beschaffungsproblemen angesichts der Wachstumsgeschwindigkeit von Redcoon. Hat sich die Situation seit der Übernahme inzwischen gebessert?
Heckel: In der Tat ist das auch einer der Gründe, warum wir im vergangenen Jahr nur einstellig gewachsen sind. Und auch heute haben wir im Prinzip noch immer zu wenig Ware, da die Industrie die Ware selektiv knapp macht. Es ist nicht so, dass nicht genügend produziert wird, doch beschränkt die Industrie die Waren, die in den Onlinehandel gehen. Die Konsumenten würden dagegen gerne noch mehr online kaufen.
Allzu viel Verständnis scheinen Sie für das Argument der Hersteller, ihre qualifizierten Vertriebskanäle schützen zu wollen, nicht zu haben?
Heckel: Nein, weil das unehrlich ist: Wenn ich heute im stationären Retail bin, bekomme ich Ware ohne Beschränkung. Und wenn ich Retail mache und nebenbei noch online verkaufe, bekomme ich auch unbeschränkt Ware. Dabei liefere ich dann längst an Kunden, die ganz woanders wohnen und deshalb gar nicht persönlich beraten werden können. Für mich verzerrt das den Wettbewerb und ist eigentlich ein Thema für die Wettbewerbsbehörden.
Aber würde die Gleichbehandlung von stationären Händlern und E-Tailern nicht das endgültige Aus für den Fachhandel bedeuten?
Heckel: Wenn die Nachfrage im Netz so hoch ist, dass ein Händler stationär keinen Umsatz mehr macht, sollte er seine Umsätze eben im Netz erzielen. Es ist eine grundlegende Herausforderung für jeden Kaufmann, dort zu sein, wo die Kunden sind.
Gilt das auch für die stationären Media-Markt- und Saturn-Geschäfte?
Heckel: Ich glaube nicht, dass der stationäre Retail ausstirbt. Es wird immer bestimmte Sortimente geben, die eine Beratung mit echtem Herzblut erfordern und deshalb werden die Leute auch in Zukunft noch gerne samstags in die Märkte gehen. Da brauchen sich die Kollegen im Retail nicht zu fürchten.
Das Online-Comeback von Saturn und Media Markt ist in Branchenkreisen durchwegs auf ein negatives Echo gestoßen. Wie bewerten Sie als E-Commerce Fachmann die Arbeit Ihrer Kollegen?
Heckel: Ich finde das nicht so schlecht. Man muss bedenken, dass Media Markt und Saturn ja auf einen riesigen technischen Apparat aufsetzen. Man darf die Herausforderung nicht unterschätzen, was es bedeutet, hunderte von Retail-Läden mit dem Online-Angebot zu synchronisieren. Media-Saturn hat jetzt begonnen und ich weiß, dass sie die Shops noch weiterentwickeln werden. Man wird das Jahr für Jahr verbessern und dann wird es einmal ganz anders aussehen. Auch wir würden mit unserem Shop aus dem Jahr 2003 heute viel Spott abkriegen. Da steckt immer viel Entwicklungsarbeit drin.
Setzen die Kollegen bei Media-Saturn, wenn es um die Weiterentwicklung der Shops geht, auch auf Ihre Fachkenntnis?
Heckel: Nein, das sind zwei getrennte Dinge. Ich bin kein Berater von Media-Saturn. Ich habe genug zu tun mit der Entwicklung unseres eigenen Systems. Wir haben jetzt den Facebook-Shop gestartet, bringen bald die Mobile Webseite und bauen auch unsere Logistik in Erfurt aus. Es gibt noch viel Arbeit und auf mich warten auch bei Redcoon genügend Herausforderungen. (mh)