Neue Möglichkeiten bei der Pirateriebekämpfung

13.12.2006 von Katharina Scheja
Rechtsanwältin Katharina Scheja über den Kampf gegen Produktpiraterie, die neue Durchsetzungsrichtlinie und den Status der Umsetzung in Deutschland.

Am 13.11.2006 sorgte die Beschlagnahme von 117 Containern mit gefälschter Ware am Hamburger Hafen bundesweit für Schlagzeilen. In einer Aufsehen erregenden Aktion hatten die Hamburger Zollbehörden die Einfuhr von u.a. Turnschuhen, Spielzeugen und Uhren in die Bundesrepublik Deutschland vereitelt und die Plagiate im Marktwert von 383 Millionen Euro sichergestellt. Dieser Fall zeigt einmal mehr, dass Deutschland nach wie vor zu den größten Absatzgebieten für Pirateriewaren in Europa gehört. Die deutsche Regierung hat in einer Vielzahl von Stellungnahmen ihre Besorgnis hierüber geäußert.

Im Jahresbericht Gewerblicher Rechtsschutz für das Jahr 2005 ist festgestellt, dass die Zollbehörden allein im Jahr 2005 Waren im Wert von 213 Millionen Euro sichergestellt haben. Die Anzahl der beschlagnahmten Produkte stieg von 4,8 Millionen auf 11,5 Millionen. Nach dem Schlag der Hamburger Zollbehörden lässt sich feststellen, dass die Zollbehörden niemals erfolgreicher waren, was Anzahl und Wert der beschlagnahmten Produkte angeht. Zigaretten, Sport- und Konsumartikel wie Mobiltelefone, Audio- und Videogeräte sowie - traditionell - Uhren, Schmuck und Modeartikel sind stark von Produktpiraterie betroffen. Während noch in den 90gern Asien ein bekanntes Zentrum für die Produktion von Fälschungen war, haben sich nun auch die neuen, östlichen EU-Mitglieder einen Teil des Marktanteils erkämpft und bieten sich als Produktionsstätten aufgrund niedriger Produktionskosten und dem freien Zugang zum EU-Markt an, der nur in geringem Umfang vom Zoll kontrolliert werden kann. Zusätzlich haben sich neue Vertriebskanäle und -techniken entwickelt.

Der Jahresbericht hebt die Bedeutung des Internets als Vertriebsplattform gefälschter Produkte hervor. Zugleich werden eher kleinere Stückzahlen mit "Schneckenpost" verschickt, als großen Warenladungen. So können mobile Zollaufgriffe und Polizeikontrollen umgangen und das Risiko der Aufdeckung und des Warenverlusts gemindert werden.

Was sind die rechtlichen Rahmenbedingungen aufgrund deren der Zoll eingreifen kann und welche weiteren gesetzlichen Maßnahmen gibt es?

Grenzbeschlagnahme in Deutschland

Die EU Richtlinie 1383/2003 vom 22.07.2003 zur Grenzbeschlagnahme wurde in Deutschland schnell umgesetzt. Im Februar 1995 wurde die Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz eingerichtet (im folgenden kurz: ZGR). Die Aufgabe der ZGR besteht in der Koordination von Grenzbeschlagnahmen, der Einrichtung technischer Informationssysteme und der Unterstützung der Rechteinhaber. Seit 1995 ist die Anzahl der Unternehmen, die einen Antrag auf Grenzbeschlagnahme gestellt haben und mit der ZGR zusammenarbeiten von 52 auf 433 gestiegen. Die ZGR ist stolz auf ihre international führende Stellung und Bekanntheit. Europaweit ist die Rechtslage angeglichen und harmonisiert, so dass Grenzbeschlagnahmen im ganzen Gebiet der EU durchgeführt werden können, wenn hierzu ein entsprechender Antrag des Rechteinhabers vorliegt.

Die EU-Richtlinie ermöglicht Grenzbeschlagnahmen dann, wenn der Verdacht auf Marken, Urheber- oder Patentverletzungen besteht. Deutschland hat den Anwendungsbereich darüber hinaus auf unerlaubten Parallelimport, Unternehmenskennzeichen und Gebrauchsmuster erstreckt. Der Rechteinhaber muss einen Antrag, der EU- und/oder deutschlandweit wirkt und eine Sicherheit in Form einer Bürgschaft stellen sowie eine für den Einzelfall festgesetzte, aber niedrige Bearbeitungsgebühr zahlen, um eventuelle Lager- und Versicherungskosten abzudecken. Wenn der Zoll eine Beschlagnahme vorgenommen hat, kann der hiervon Betroffene Importeur Widerspruch einlegen. In diesem Fall muss der Rechteinhaber innerhalb von 4 Wochen eine gerichtliche Entscheidung vorlegen, um die Beschlagnahme aufrechtzuerhalten. Falls kein Widerspruch eingelegt wird, kann der Zoll die Zerstörung der Waren anordnen.

Im Prinzip hört sich dies ermutigend an und hat - wie aufgezeigt - auch zu einer Reihe eindrucksvoller Erfolge geführt. Es muss aber bedacht werden, dass - laut einer unbestätigten Aussage der Zollbehörden - nur ungefähr 1 Prozent aller Importe kontrolliert werden. Die überwältigende Mehrheit aller Waren erreicht oder verlässt Deutschland ohne irgendwelche Überprüfungen.

Die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden

Es muss daher begrüßt werden, dass zwischenzeitlich auch die deutschen Strafverfolgungsbehörden - nach Jahren der eher zögerlichen Annäherung an diese Aufgabe - ihre Verantwortlichkeit beim Kampf gegen die Produktpiraterie engagiert wahrnehmen. Bei der vorsätzlichen Verletzung von Immaterialgüterrechten handelt es sich wegen entsprechender Vorschriften im Marken- Urheber- und Patentgesetz um spezialgesetzliche Straftatbestände. Dies hat zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund des Legalitätsprinzips zur Einleitung von Ermittlungsverfahren im öffentlichen Interesse oder aufgrund entsprechender Strafanträge verpflichtet ist.

In einer Reihe von Präzedenzentscheidungen hat auch die Rechtsprechung die Position der Regierung unterstrichen, dass es sich bei Produktpiraterie nicht um ein Kavaliersdelikt handelt, sondern um eine ernstzunehmende Kriminalitätsform, die sehr oft durch organisierte Gruppen im Rahmen weiterer strafbarer Aktivitäten systematisch betrieben wird. Das Gesetz sieht einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünf Jahren in Fällen gewerblicher Verletzung von gewerblichen Schutzrechten vor. Die deutschen Gerichte haben diesen Strafrahmen in einer Vielzahl von Fällen voll ausgeschöpft.

Im Bereich der Softwarepiraterie hat beispielsweise das Landgericht Frankfurt am Main im Jahre 2004 (Az.4.5/2 KLsl 04) eine Freiheitsstrafe von drei Jahren ausgesprochen. Das Gericht befand, dass der Angeklagte in 37 Fällen unlizenzierte Kopien von Microsoft Office 97 bei eBay angeboten hat. Im selben Jahr verurteilte das Landgericht Bochum einen Softwarehändler wegen Manipulation und Verkauf von gefälschter Microsoft Software in 119 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren (Urteil des Landgerichts Bochum vom 22.07.2004, Az. 12 Kls 35 Js 34/04).

Trotz dieser grundsätzlichen Tendenz hängt die Effizienz und Schnelligkeit des Eingreifens der Strafverfolgungsbehörden stark von den Umständen des Einzelfalles und der Belastung der Behörde mit weiteren Fällen ab. Dabei ist zu beobachten, dass die schnellsten und erfolgreichsten Fälle solche sind, die der Rechteinhaber im wesentlichen weitgehend selbst ermittelt und vorbereitet hat. Viele Unternehmen setzen hierzu nicht nur das Erfahrungswissen ihrer Mitarbeiter und Vertriebsleute ein, sondern auch interne Ermittlergruppen und Rechtsanwälte. Fälle, die durch detaillierte Übersichten, Berichte, Beweismittel und Herausarbeitung weiterer relevanter Informationen so aufbereitet wurden, dass sie von der Staatsanwaltschaft direkt übernommen werden können, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem schnellen und effizienten Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden führen. Es kann daher zu Recht festgestellt werden, dass die große Last der Aufdeckung von Rechtsverletzungen, der Informationsbeschaffung und der Durchsetzung auf den Schultern der Rechteinhaber liegt.

Informationsbeschaffung in Deutschland und die Umsetzung der "Enforcement Richtlinien"

In diesem Zusammenhang ist die entscheidende Frage die folgende: Wie kann der Rechteinhaber Informationen über den Hersteller und Distributor von rechtsverletzenden Produkten erhalten?

Natürlich haben die meisten Rechteinhaber ihre Unternehmen in einer Art und Weise organisiert, die die effiziente Sammlung von Informationen über potentielle Rechtsverletzer ermöglicht: Sie haben für die thematische Evaluierung von Geschäftsdatenbanken, interne Vertriebsinformationen, Informationen durch offizielle Geschäftspartner und andere Informanten intern einen Kanal für die Sammlung und Verarbeitung solcher Informationen geschaffen. Trotzdem muss festgestellt werden, dass die Ermittlung von Informationen eine mühevolle Aufgabe bleibt. Die Auskunftsansprüche des Rechteinhabers sind noch immer unzureichend. § 30 der Abgabenordnung unterstellt die von den Zollbehörden ermittelten Unterlagen und Informationen im Wesentlichen dem Steuergeheimnis und verhindert ihre Offenbarung an den Rechteinhaber. Dies erschwert es dem Rechteinhaber in der Regel, die Kette nachzuverfolgen, um rechtliche Schritte nicht nur gegen die Händler von Piraterieware, sondern auch gegen die großen Hersteller und Importeure dieser Produkte einzuleiten. Für strafrechtliche Verfahren kann der Rechteinhaber Akteneinsicht beantragen - es kann jedoch passieren, dass Teile von wesentlichen Informationen im Hinblick auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Verletzter nicht offen gelegt werden. Darüber hinaus sind in Fällen der Internetpiraterie Ansprüche gegen Access- oder Serviceprovider im Hinblick auf Namen, Adressen und Bankdetails nur den Strafverfolgungsbehörden möglich, die diese im Zuge offizieller Ermittlungen befragen können. Die Schwierigkeit der Informationsbeschaffung bleibt damit die Achillesferse der Rechteinhaber in ihrem Kampf gegen Produktpiraterie.

Die zugrunde liegende Gesetzeslage ist derzeit nicht zufrieden stellend. Es bestehen zwar Auskunftsansprüche gegen den Verletzter sowie Dritte im Hinblick auf die Lieferkette. Die Durchsetzung ist aber vielfach schwierig. Versierte Verletzter werden solche Informationen überhaupt verweigern und eine Anzahl von Regelungslücken finden, um den Auskunftsanspruch zu umgehen.

Die Durchsetzungsrichtlinie und der Status der Umsetzung in Deutschland

Mit großer Erwartung wurde daher die Durchsetzungsrichtlinie (Richtlinie 2004/48/EC) erwartet. Die Richtlinie enthält in der Tat eine erhebliche Ausweitung der Auskunftsansprüche von Rechteinhabern. Ohne zuviel in die Details der Richtlinie zugehen, ist sofern insbesondere auf Art. 6 (Beweise) und Art. 8 (Auskunftsansprüche) hinzuweisen. Beide Vorschriften erleichtern die Beweislast des Verletzten und erstrecken Informationsansprüche auch auf dritte Parteien - insbesondere Access- und Serviceprovider. Darüber hinaus müssen unter den in der Richtlinie genannten Voraussetzungen alle Unterlagen und Informationen, insbesondere auch Bank- und Finanzdokumentationen, übergeben werden. Der bisher vorliegende Entwurf des Bundesjustizministeriums kommt diesen Vorgaben nach (Referentenentwurf .des Bundesministeriums der Justiz vom 3. Januar 20064). Die Vorgaben der Richtlinie werden hierin - z. B. in § 19 a MarkenG - umgesetzt. § 19 a MarkenG bestätigt, dass der Rechteinhaber die Vorlage von Unterlagen oder Sachen verlangen kann, die im Besitz des Verletzers sind, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung besteht. Dieser Anspruch erstreckt sich auf Bank-, finanzielle und wirtschaftliche Dokumente aller Art, wenn eine gewerblich begangene Verletzung vorliegt. Dieser Anspruch kann auch im Wege des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Dabei soll das Gericht die Geschäftsinteressen des Rechtsverletzers im Auge behalten und ggf. schützen. Leider ist bisher unklar, welche Art von Schutz der Gesetzgeber sich hier vorstellt.

Der derzeitige Referentenentwurf sieht auch eine fast gleiche Umsetzung von Art. 8 der Richtlinie in Bezug auf Auskunftsansprüche gegen Dritte vor. Derartige Auskunftsansprüche bestehen nach dem Referentenentwurf dann, wenn
a) der Dritte im Besitz rechtsverletzender Ware im gewerblichen Umfang ist,
b) verdächtigt ist, rechtsverletzende Dienstleistungen im gewerblichen Umfange anzunehmen,
c) im gewerblichen Umfang unterstützende Leistungen angeboten zu haben,
d) bei der Erbringung der rechtsverletzenden Aktivitäten genutzt wurden oder
e) in die Produktion, die Herstellung rechtsverletzender Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen involviert waren.

Die Rechtsverletzung muss auf jeden Fall offensichtlich sein und im Rahmen eines Rechtsstreites gegen den Verletzter geltend gemacht werden. Wichtig ist auch, dass der Dritte "gewerblich" agiert hat. Hierdurch ergeben sich neue Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Pirateriebekämpfung, insbesondere durch Auskunftserlanung durch die Inanspruchnahme von Dritten, zumal auch hier wiederum diese Ansprüche im Wege des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden können.

Es ist jedoch unklar, wann der Referentenentwurf in Gesetzeskraft gelangt. Die Durchsetzungsrichtlinie hat den Mitgliedsstaaten eine Umsetzung bis zum April 2006 aufgegeben. Die vorherige Regierung plante die Umsetzung im Herbst 2005, was aber durch die überraschend angesetzten Neuwahlen der Regierung Schröder aufgehalten wurde. Der Referentenentwurf liegt seit dem 3. Januar 2006 vor. Trotzdem ist derzeit ein Termin für die Umsetzung des Referentenentwurfes und die Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens nicht in Sicht. Es mag also noch Zeit vergehen, bis die neuen Regelungen tatsächlich in Gesetzeskraft treten. Und bis dahin? In wieweit eine direkte Anwendung der Vorschriften der Richtlinie möglich ist, ist unter Juristen umstritten. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass deutsche Gerichte die Vorschriften der Richtlinie bei der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften im bestimmten Umfange jetzt schon berücksichtigen. Dies eröffnet neue Möglichkeiten bei der Pirateriebekämpfung und darauf sollten sich Rechteinhaber sowie auch Rechtsverletzer jetzt schon einstellen.

Quellen: http://www.zoll.de/f0_veroeffentlichungen/c0_produktpiraterie/y0_2006/l45_container/index.html;

2 http://www.bmj.bund.de/enid/4a7f0237aa52201e9e33e0f9e2d50b9b,0/November/ss6_ssss_2__6_-_Markenforum_2__6_zd.html

3 Bundesministerium der Finanzen: "Gewerblicher Rechtsschutz Jahresbericht 2005" - http://www.zoll-d.de/e0_downloads/d0_veroeffentlichungen/v5_gwr_jahresbericht_2005.pdf

4 http://1.1.1.1/492105796/506465992T061130175257.txt.binXMysM0dapplication/pdfXsysM0dhttp://www.urheberrecht.org/topic/enforce/bmj/2006-01-03-DurchsetzungsG-E.pdf (Dr. Katharina Scheja/mf)