Commerce-Plattformen und Customer Experience

Neue digitale Standards im B2B

22.08.2024 von Florian Wassel
Commerce und Customer Experience im B2B-Bereich sind weit mehr als das „einfache“ Bestellen von Produkten, wie wir es von B2C-Online-Shops kennen. Denn B2B-Geschäftsmodelle sind oft sehr individuell auf Branchen oder Anwendungsfälle zugeschnitten. Daraus ergeben sich ganz spezifische Anforderungen.
TOWA ist auf die Unterstützung von „Hidden-B2B-Champions“ und den Mittelstand spezialisiert. Im Gastbeitrag für ChannelPartner berichtet CEO Florian Wassel, über die Erfahrungen und die aktuellen Herausforderungen in diesem Bereich.
Foto: TOWA

Will ein B2B-Unternehmen nicht nur die klassischen digitalen Standards erfüllen, sondern skalieren, sprechen wir von einem digitalen Umsatzanteil von mindestens 50 Prozent. Diese Zielgröße ist natürlich nicht zu erreichen, wenn nur einzelne Prozesse digitalisiert werden oder der Fokus nur auf der digitalen Bestellung von Produkten liegt.

Vielmehr gilt es, in Richtung eines digitalen Bestellmanagements zu denken, bei dem es darum geht, den gesamten Beschaffungsprozess möglichst intuitiv und mit wenigen Klicks in einer exzellenten Customer Experience abzubilden. Für eine erfolgreiche Skalierung erachte ich folgende vier Faktoren als zentral:

Die richtige IT-Architektur konfigurieren

Eine flexible IT-Architektur ermöglicht es Unternehmen, ihre Plattformen an spezifische Kundenanforderungen anzupassen und schnell auf Marktveränderungen zu reagieren. Composability ist hier das große Stichwort: Unabhängige, aber integrierte Software-Komponenten ermöglichen es - im Gegensatz zu Standard Software - Exzellenz in der Digital CX zu schaffen.

Konkret gesagt, wird die Präsentationsschicht von den Backend-Systemen getrennt, was zu schnellerer und getrennter Entwicklung und somit Agilität führt. Dabei ist es wichtig, dass die einzelnen Bausteine nahtlos ineinandergreifen und eine hohe Interoperabilität aufweisen - Konzepte wie API First erfahren daher großer Beliebtheit, erfordern jedoch sorgfältige Planung und Abwägung der Architekturoptionen, um langfristig robuste und anpassungsfähige IT-Lösungen zu gewährleisten.

Berücksichtigt werden sollte dabei, dass Backend und Frontend vollständig entkoppelt sind (Headless), um so Flexibilität und einfache Integration zu ermöglichen. Außerdem sind für Cloud-Umgebungen entwickelte Anwendungen wichtig, die Skalierbarkeit, Flexibilität und Ausfallsicherheit nutzen.

Micro-Frontends, die das Frontend in unabhängige Einheiten aufteilen, fördern zudem Agilität und erleichtern die Wartung. Und so genannte Strangler Pattern, ein Migrationsmuster, bei dem neue Funktionalitäten schrittweise in einem neuen System implementiert und das alte System stillgelegt wird, minimiert Risiken und ermöglicht eine reibungslose Transition. Diese modernen Ansätze schaffen eine flexible, skalierbare und zukunftssichere IT-Infrastruktur.

Den B2B-Use-Case verstehen

Ein tiefgreifendes Verständnis des B2B-Use-Case ist entscheidend für den Erfolg im B2B-E-Commerce. Im Gegensatz zu B2C-Modellen stehen im B2B-Bereich häufig Transaktionsprozesse und Effizienz im Vordergrund. Für die Kunden stehen Zuverlässigkeit und Lieferfähigkeit im Mittelpunkt.

Unternehmen müssen daher sicherstellen, dass ihre Plattformen die Anforderungen der B2B-Kunden erfüllen und ein unkompliziertes Beschaffungserlebnis bieten. Insbesondere bei Konzepten ohne EDI-Integration erfordert dies einen klaren Fokus auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen "Buying Personas" - vom Anwender über den Einkäufer bis hin zur Buchhaltung. Je nach Anwendungsfall erstreckt sich die Nutzung der Commerce Infrastruktur von der Baustelle für die Nachbestellung bis zur IoT Integration eines Silos.

Den Alltag der Kunden signifikant erleichtern

Was bringt dem Unternehmen selbst und vor allem seinen Kunden wirklich etwas? Diese Frage beschäftigt uns in unserer täglichen Arbeit. Sie hilft dabei, sich auf das zu konzentrieren, was am Ende des Tages wirklich zählt: Dem Kunden das Tagesgeschäft zu erleichtern.

Das kann die Entwicklung von Konfiguratoren, After-Sales-Tools und Order-Management-Systemen sein, die es dem Kunden ermöglichen, seine Geschäftsprozesse effizient zu gestalten. Durch die Bereitstellung dieser Tools können Unternehmen das Kundenerlebnis verbessern und ihren Kunden einen echten Mehrwert bieten.

Das Operating Model nicht vergessen

Technologische Raffinesse allein kann nicht über organisatorische Konflikte hinwegtäuschen. Das beste technologische Setup kann eine mangelhafte Organisation nicht kompensieren. Oft stellen eingebettete Systeme, Anreizkonzepte und Reporting-Mechanismen eine Herausforderung für die Skalierung digitaler Geschäftsmodelle dar.

Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihr Geschäftsmodell die technologischen Möglichkeiten optimal nutzt und gleichzeitig die organisatorischen Anforderungen des Betriebs erfüllt. Das bedeutet zum einen, dass im klassischen Vertrieb zwingend auch die digitalen Umsätze der Kunden provisioniert werden müssen und zum anderen, dass in der Innensicht darauf geachtet wird, dass eine sehr ausgereifte Technologie und moderne agile Entwicklungsmethoden nicht auf eine veraltete Organisation treffen. Die Organisation muss sich zwingend mitentwickeln.

Meusburger: der digitale Champion

Eine Erfolgsgeschichte schreibt das Unternehmen Meusburger. Der Vorarlberger Weltmarktführer im Bereich hochpräziser Normalien ist mit über 300 Millionen Euro Umsatz und einem Digitalisierungsgrad von 56 Prozent ein echter Digital Champion - und das bereits seit 20 Jahren.

Mit dem Umbau der Systemlandschaft hin zu einer nahtlosen Customer Experience - also der Verbindung von Kundenkonto, Webshop, Website und Konfiguratoren in einem Frontend - setzt Meusburger nun erneut Maßstäbe im B2B-Commerce.

Meusburger hat sich mit Spryker und einer API-Plattform als Middleware für Cloud-Technologien mit einer modularen Architektur entschieden. So sind einerseits alle Services erweiterbar und andererseits können weitere Systeme integriert beziehungsweise verbunden werden. Diese Flexibilität ist für Meusburger, das 93.000 Artikel für 24.000 Kunden in 77 Ländern vertreibt, ausschlaggebend für die erfolgreiche Transformation.

Dank dem tiefen Verständnis der Kundenanforderungen und Use Cases konnte eine ausgeklügelte User Experience gestaltet werden. Mit einer Plattform, die Funktionalitäten wie Stücklisten, Konfiguratoren und Bestellmanagement bündelt, wurde das Fundament für die digitale Zukunft gelegt.

B2B-Commerce-Zukunft - Wandel und Unsicherheit

Die Erwartungen der Kunden ändern sich ständig und Unternehmen müssen flexibel und anpassungsfähig sein, um diesen Entwicklungen gerecht zu werden. Insbesondere finden KI-Funktionalitäten und Automatisierungen vermehrt Platz in den Anwendungen und verändern menschliche Tätigkeiten wie Suchen und Filtern stark.

Andererseits bringt der bevorstehende Renteneintritt der Babyboomer neue Anforderungen an B2B-Commerce-Plattformen mit sich. Denn die jüngeren Generationen haben kürzere Aufmerksamkeitsspannen, wie man auf TikTok sehen kann, und scheuen beispielsweise das Telefon.

Aus dieser Gemengelage ergeben sich zahlreiche Chancen und Potenziale für Unternehmen im B2B-Commerce, um Automatisierungspotenziale zu nutzen und Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen jedoch auf die richtige IT-Architektur, flexible Softwarelösungen und eine klare Serviceorientierung setzen.

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