Bring Your Own Device (Byod)

Mobility und Cloud beflügeln Desktop-Virtualisierung

22.06.2012
Der Einzug mobiler Endgeräte in die Unternehmen wird die Virtualisierung der Clients und Desktops nur bedingt beflügeln, aber die Bereitstellung von Applikationen und Diensten um weitere Varianten bereichern.
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Der Einzug mobiler Endgeräte in die Unternehmen wird die Virtualisierung der Clients und Desktops nur bedingt beflügeln, aber die Bereitstellung von Applikationen und Diensten um weitere Varianten bereichern.
"Dieses Jahr kommt der Durchbruch für die Desktop-Virtualisierung" - dies prognostizierten Hersteller und Marktforschungsinstitute 2009. Sie bekräftigten die Aussage 2010. Und wiederholten sie 2011. Wer 2012 nach diesem Satz sucht, wird ihn nicht finden.
Dabei versprach gerade die Desktop-Virtualisierung per VDI, viele drängende Probleme der IT-Leiter zu lösen und Wünsche der Mitarbeiter zu erfüllen: Zentrales Management bei höherer Sicherheit und Flexibilität für individuelle Anwender-Desktops - das klang doch geradezu nach sicherem Erfolgsrezept.

Bislang aber hat sich diese Technologie nicht auf breiter Basis durchgesetzt. Nach Aussagen von Chris Wolf, Vice President Research bei Gartner, werden aktuell lediglich zwei Prozent der Desktops weltweit als Virtual Desktop Infrastructure (VDI) betrieben. Warum eigentlich?

Eine Frage der Definition

"Vielleicht war diese Aussage 2009 ein wenig verfrüht. Allerdings liegt ein gewisser Optimismus in der Natur der Sache, wenn man von einer Technologie überzeugt ist", räumt Peter Goldbrunner, Director Channel Sales Germany bei Citrix, ein.Desktop-Virtualisierung werde außerdem fälschlicherweise häufig mit "VDI" gleichgesetzt.
Das VDI-Szenario ist jedoch nicht immer die passende oder die günstigere Alternative (siehe Bildergalerie). Das sieht auch Rolf Ferrenberg, Manager BU Desktop Delivery bei Arrow ECS, so: "Was bisher nicht stattgefunden hat, ist der Durchbruch der virtuellen Desktops, die, jeder für sich, in einer virtuellen Maschine ausgeführt werden."
Der Trend gehe dahin, virtuelle Applikationen und Desktops mit Applikationsservern bereitzustellen und nur in den Fällen, bei denen Anwendungen nicht oder nur eingeschränkt auf dieser Technologie lauffähig sind, auf VDI zu setzen.

Varianten der Desktop-Virtualisierung
VDI (Virtual Desktop Infrastructure / Hosted Desktop Virtualization)
Der komplette personalisierte Desktop (inklusive Betriebssystem, Daten und Benutzereinstellungen) wird zentral im Rechenzentrum auf einem virtualisierten Server bereitgestellt und betrieben. Offline-Betrieb und Zugriff von mobilen Endgeräten sind möglich. Problematisch: die benötigte Storage-Kapazität. (Quelle: Experton)
Session oder Presentation Virtualization
Früher auch als "Server Based Computing" oder "Terminal Services" bezeichnet:stellen den Zugriff auf zentral betriebene Anwendungen bereit. Problem: In der Regel ist weder eine Personalisierung noch der Offline-Betrieb möglich. Einsatzbereich: einfache Arbeitsplätze, die nur eine oder zwei Applikationen nutzen und nicht mobil sind, meist in Verbindung mit Thin Clients genutzt. (Quelle: Experton)
Application Streaming
Applikationen werden paketiert und zentral bereitgestellt, um lokal auf dem Client in einer Sandbox betrieben zu werden. Dies ist auch offline möglich. Problematisch ist, dass die Paketierung nach jedem Software-Update der jeweiligen Applikation wiederholt werden muss. Einsatzbereich ist die Bereitstellung von Anwendungen, die mit anderen Applikationen nicht kompatibel sind. (Quelle: Experton)
Managed Desktop VM
Ein Client-Image wird zentral gemanagt und an die Clients verteilt. Die eigentliche Rechenleistung wird vom Client ausgeführt, so kann er auch offline genutzt werden. Problematisch ist das Management der virtuellen Maschinen und des Basis-Clients. Einsatzbereich: Clients in Niederlassungen und Home-Offices. (Quelle: Experton Group)

Für Citrix, Microsoft und VMware ist VDI nur eine Variante der Desktop-Virtualisierung - neben Anwendungs-Virtualisierung, -Streaming oder Client-Virtualisierung. "Desktops, die von Applikationsservern mittels Microsoft Remote Desktop Services oder Citrix XenApp bereitgestellt werden, sind ebenfalls virtuell und erfreuen sich seit vielen Jahren zunehmender Beliebtheit", so Ferrenberg.

Der Optimismus der Anfangsjahre erweise sich laut Goldbrunner dennoch als berechtigt: "Die Desktop-Virtualisierung wird immer breiter eingesetzt." Die Verbreitung von Cloud-Lösungen werde diesen Trend noch verstärken. Im Bildungsbereich ebenso wie bei Banken, Versicherungen, in der öffentlichen Verwaltung, im Dienstleistungsbereich oder bei TK-Unternehmen habe sich die Desktop-Virtualisierung schon sehr gut durchgesetzt, bekräftigt auch Hagen Dommershausen, Marketing Director Central Europe bei Dell (Wyse).

Im Mac-Umfeld sei das Interesse der Neueinsteiger an der Desktop-Virtualisierung generell sehr groß, wie Alexander Pantos, Marketing Manager Consumer & SMB EMEA bei Parallels, berichtet: "Hier geht es insbesondere um die Sicherung bestehender Investitionen in (Windows-)Software."

Kosten-Killer auf den zweiten Blick

"Die Desktop-Virtualisierung hat sich hauptsächlich wegen der damit verbundenen hohen Kosten bei gleichzeitig noch zu hohem Administrationsaufwand nicht entscheidend durchgesetzt", so die Erfahrung von Thomas Reichenberger, IT-Consultant bei der ACP IT Solutions AG.
Das werde sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. "Verglichen mit virtuellen Desktops auf Applikationsservern benötigen VM-Hosted-Desktops etwa drei bis fünf Mal mehr Hardwareressourcen und eine kostspielige Microsoft-VDA-Lizenz", so Ferrenberg. Bei der Infrastruktur schlagen vor allem die Storage-Kosten zu Buche, merkt Frank Sahm, Technical Product Manager Server & Storage bei Tarox, an.

Die Kostenvorteile seien nicht sofort offensichtlich, aber durchaus erreichbar, hält Georg Dietsch, Director Enterprise Sales EMEA bei OCZ, dagegen: "Die Einführung einer VDI ist mit sehr großen Anfangsinvestitionen verbunden. Cost-Savings werden im OPEX-Bereich erzielt und lassen sich am Anfang schwer abschätzen."

Virtualisierung Markt und Meinungen
Vor dem Schritt in die Cloud
Bei Unternehmen, die gerade erst eine virtuelle Server-Landschaft aufgebaut haben, Augenmerk zuerst auf Automatisierung und Management legen, vor dem Schritt in die Cloud
Sicherheit
Virtuelle Infrastrukturen, Anwendungen und Desktops müssen mittels Firewalls, Access Policies und Virenscanner ebenso sorgfältig gegen Viren und Malware geschützt werden wie physikalische.
BYOD-Strategie
Strikte Trennung von privater und geschäftlicher Arbeitsumgebung muss gewährleistet sein, zum Beispiel mit Client-seitigem Hypervisor. Klare Betriebsvereinbarungen: Jeder Mitarbeiter muss wissen, was er darf und was nicht.
Software-Lizenzierung
Analyse der bestehenden Kundenumgebung
Backup & Disaster Recovery Strategie
Speicherstrategien, Datensicherung, Datenarchivierung, Multi-Tier-Speichertechnologien und vor allem Wiederherstellung und Migration berücksichtigen
Storage- und Netzwerk-Konzept
Um alle Features moderner Hypervisoren auszunutzen, sollten entsprechende Massenspeicherlösungen verwendet werden. Damit lässt sich die Verwendung von Service-Klassen automatisieren: Das Storage-Device informiert den Hypervisor automatisch über seine Leistungsklassen, sodass dieser entsprechend vorgegebener Regelwerke die Provisionierung von Workloads (VMs) automatisch nach vereinbarten SLAs vornehmen kann.
Organisation auf Kundenseite
Klärung und Definition: IT-Organisation (Aufbau- und Prozessorganisation, neue Rollen und Verantwortlichkeiten, neue Tools etc.) auf Kundenseite
Gesamtkonzept
Ganzheitlich Sicht über das Design und die Möglichkeiten der Implementierung behalten

Frank Sahm, Technical Product Manager Server & Storage bei Tarox, zufolge sind es vor allem die Lizenzkosten der Gastbetriebssysteme seitens Microsofts und Kosten für die erforderliche Infrastruktur - insbesondere Storage-seitig -, die der Desktop-Virtualisierung im Wege stehen.

Erfahrungswerte fehlen

Häufig könnten Anwender die Vorteile gegenüber den Terminal-Servern nicht wirklich erkennen, zumal es sich bei vielen Terminal-Server-Installationen wirtschaftlich nicht lohne, sie abzulösen, so die Erfahrung von Ansgar H. Licher, Geschäftsführer von LWsystems. Und nach Ansicht von Dr. Bernhard Schweitzer, Director Services bei Insight Deutschland, fehlt auch die Benutzererfahrung, was Georg Dietsch von OCZ bestätigt: "Die Firmen, die die Technologien eingeführt haben, berichten im positiven Sinne recht enthusiastisch von ihren Erfahrungen." Es seien eher "Gerüchte und Gefühle", die Nutzer wie Entscheider ausbremsten.

Teilweise liege es an den VDI-Produkten selbst, moniert Christian Leitenberger, Senior Consultant bei der Profi Engineering Systems AG: "Viele der VDI-Lösungen auf dem Markt sind unübersichtlich oder decken nicht alle gewünschten Funktionen ab." Obendrein seien die VDI-Lösungen der Marktführer bislang zu teuer gewesen, um einen schnellen RoI zu ermöglichen, findet Rainer Liedtke, Senior Regional Sales Manager D-A-CH, Country Manager Germany, bei Red Hat.

Diese Zeiten seien vorbei, kontert Holger Temme, Manager End User Computing Business Central Europe & RUME bei VMware: "VMware hat die Technologie weiterentwickelt, um die letzten Barrieren zu überwinden. Dabei lag der Fokus sehr stark auf der Reduzierung der Kapitalinvestitionskosten für VDI, die VMware gemeinsam mit seinen Partnern auf ungefähr 200 US-Dollar pro User reduzieren konnte. Die Desktop-Virtualisierung kann damit dem Kunden helfen, sowohl die OPEX- als auch die CAPEX-Kosten der Desktop-Landschaft zu reduzieren."

Ein weiterer Grund für die verzögerte Einführung ist die hierzulande auch fehlende Bandbreite mit ausreichender Geschwindigkeit (DSL, UMTS, LTE, HSDPA+) geschuldet. "In vielen Regionen Deutschlands war die Bandbreite für Desktop-Virtualisierung über das WAN nicht vorhanden. Dies wird sich in den nächsten Monaten und Jahren ändern", erklärt Dommershausen.

Rückenwind durch Consumerization & BYOD?

Mobile Endgeräte, ob Smartphone oder Tablets, mit unterschiedlichen Betriebssystemen, halten bereits heute Einzug in die Firmen-IT und werden die künftige Infrastruktur grundlegend prägen, darin sind sich alle Experten einig. Bei der Frage, ob dieser Trend der Virtualisierung generell und der Client- und Desktop-Virtualisierung speziell Vorschub leisten könnten, gehen die Meinungen auseinander.

Es gebe dazu noch zu wenig belastbare Erfahrungswerte, erklärt Schweitzer. Aktuell habe der Einsatz mobiler Geräte noch keinen Einfluss auf die Virtualisierungsstrategie, stimmt ihm Thomas Reichenberger von ACP zu und ist sich darin mit den meisten Befragten einig. Allerdings könnte sich das in den nächsten Jahren ändern.

Fakten für Hausgebrauch
Marktanteil von Nokia am weltweiten Absatz von Smartphones vom 1. Quartal 2007 bis zum 1. Quartal 2012
Anteil des iPhone-Umsatzes am Gesamtumsatz von Apple
Chrome wächst und wächst - Globale Marktanteile bei Webbrowsern
eBays Transformationsprozess
Weltweiter Marktanteil PC-Hersteller Q2/09 zu Q2/12 - Lenovo auf Weg zu Nummer 1
Update im Schneckentempo - Geräte mit Android-Version "Ice Sandwich Cream"
PayPal erwirtschaftet 38% des Gesamtumsatzes von eBay
Microsofts Ergebnisse bei Online-Services
Prognose der weltweiten IT-Ausgaben
Anzahl der aktiven Nutzer von Facebook in Deutschland von Juli 2009 bis April 2012 (in 1.000)
Prognostizierte Käufe von eBooks durch eReader-Besitzer in Deutschland bis zum Jahr 2015
Ausgaben für Forschung und Entwicklung der Microsoft Corporation in den Geschäftsjahren 2002 bis 2011 (in Millionen US-Dollar)
Welche Gründe waren für den Kauf eines iPhones ausschlaggebend?
Durchschnittliche Nutzung des Internets in Minuten pro Tag in den Jahren 1997 bis 2011
Bilanz der Nationalmannschaft unter Joachim Löw als Trainer von 2006 bis 2012
Umsätze von Amazon.com vom 1. Quartal 2007 bis zum 4. Quartal 2011 (in Mrd. US-Dollar)
Umsatz im Markt für Informationstechnik und telekommunikation (inklusive Consumer Electronics) in Deutschland 2007 bis 2012
Absatz von Apples iPhone weltweit vom 3. Geschäftsquartal 2007 bis zum 2. Geschäftsquartal 2012 (in Millionen Stück) Absatz von Apples iPhone 2007 bis 2011
Umsatz im Bereich ITK und Consumer Electronics in Deutschland von 2006 bis 2012 nach Segmenten (in Milliarden Euro)
Bruttoumsatz im Einzelhandel im engeren Sinne in Deutschland von 2000 bis 2012 in Milliarden Euro
Marktanteile der führenden PC-Hersteller am Absatz weltweit vom 1. Quartal 2009 bis zum 1. Quartal 2012
Anzahl der geplanten Shopping-Center in Deutschland nach Bundesländern (Stand 27.04.2010)
Prognostizierte Marktanteile am Absatz von Smartphones weltweit von 2010 bis 2015 nach Betriebssystem
Populärste Produktkategorien im Online-Handel nach Anzahl der Käufer (in Millionen)
Umsatz im Bereich Informationstechnik und Telekommunikation in Deutschland von 2008 bis 2012 (in Milliarden Euro)
Markt und Gewinnanteile von Apple, Samsung und Nokia in der Mobilfunkbranche
Handelsbilanzsaldo in Deutschland von Juni 2011 bis Juni 2012 (saison- und kalenderbereinigte Werte in Milliarden Euro)
Umsatzentwicklung von Tech-Unternehmen
Marktanteile der führenden Anbieter von Breitbandinternet in Deutschland vom 1. Quartal 2011 bis zum 1. Quartal 2012
Absatz der führenden PC-Hersteller in Deutschland vom 1. Quartal 2009 bis zum 2. Quartal 2012
Apple beherrscht wachsenden Tablet-Markt

"Desktop- und Anwendungsvirtualisierung ist oft der schnellste Weg, eine Unternehmensanwendung auf das jeweilige Endgerät zu bringen - ohne die Daten lokal vorhalten zu müssen", so Martin Drissner, Brandleader Virtualization Solutions / System-Integration bei Fritz & Macziol. "Zwar ist die Benutzerfreundlichkeit noch eingeschränkt, da die meisten Anwendungen noch nicht speziell dafür angepasst sind, aber genau das ist ja eine der Hauptanforderungen an ByoD-Modelle."

Goldbrunner sieht das ähnlich: Die Desktop-Virtualisierung ermöglicht es, dass jeder Mitarbeiter von überall aus auf seine gewohnte produktive Arbeitsumgebung zugreifen kann. Jedoch sind mit virtuellen Desktops Betriebssystem und Endgerät vollständig entkoppelt, sodass mobile Devices kein allzu großes Sicherheitsrisiko darstellen."

Die Client-Virtualisierung werde künftig auf jeden Fall ein Thema sein. Diese Einschätzung Sahms teilen viele Experten, aber nicht alle: "Cloud-basierte Anwendungen werden nach Abschluss des Normierungsprozesses immer mehr Möglichkeiten und Schnittstellen eröffnen, die eine Virtualisierung des Clients überflüssig machen", meint Gerald Hahn, Vorstandsvorsitzender bei der Softshell AG.

Inventur beim Endanwender

Laut einer Studie von Forrester Research vom Februar 2012 nutzen 52 Prozent aller "Information Worker" drei oder mehr Geräte, 60 Prozent setzen sie sowohl für den geschäftlichen als auch für den privaten Gebrauch ein - dazu gehören ein Drittel nicht-Microsoft-basierte Systeme sowie ein Viertel mobile Endgeräte.

Folgen für die Partner

Vertriebspartner müssen sich hier Spezialwissen aneignen, darin sind sich alle Channel-Beteiligten einig. Zudem wird sich ihre Rolle ändern: "Consumerization und ByoD-Programme bedeuten ganz konkret, dass Unternehmen möglicherweise keine großen Hardwareposten mehr abnehmen. Auch das Geschäft mit Softwarelizenzen steht im Cloud-Zeitalter unter Druck", mahnt Goldbrunner.
Es werde verstärkt darum gehen, Services zu entwickeln und anzubieten - in Form gehosteter Anwendungen, als Support oder auf andere Weise. Vertriebspartner sollten deshalb ihre Geschäftsmodelle kritisch überdenken. Auch Gerald Hahn schätzt, dass "selbst lokale virtualisierte Umgebungen anfangs mit Cloud-Services zusammen angeboten, später jedoch durch diese abgelöst werden. Das Stichwort der Zukunft lautet Services."

Auf Partner würden ein Wildwuchs an Hard- und Software und eine unüberschaubarer werdende Vielzahl unterschiedlichster User-Anforderungen und Wünsche zukommen, prognostiziert Lichers. Obendrein liefen Partner Gefahr, zu austauschbaren Brokern zu werden.
Wie groß diese Gefahr letztlich ist, hängt allerdings vom eigenen Geschäftsmodell des Systemhauses ab. (rb)