Die Mobilfunkbranche ist ratlos. Ständig wird sie von technischen Entwicklungen überrollt, die sie zu neuen Investitionen in Netze und Endgeräte zwingen, so dass sie kaum noch zum Geldverdienen kommt. Diesen Eindruck gewann man in dieser Woche auf der "Mobile Broadband Devices"-Konferenz, zu der das Marktforschungsunternehmen Informa Telecoms & Media nach Berlin eingeladen hatte. Wie eine Schulklasse steckten 23 Herren und eine Dame von Europas wichtigsten Netzbetreibern und Hardware-Herstellern in der siebenten Etage des Radisson-Hotels am Alexanderplatz die Köpfe zusammen und grübelten über die Zukunft. "Die Nachfrage nach mobilen Breitbandanwendungen ist da und die Technik ist auch vorhanden", eröffnete Klaus von den Hoff, Leiter des Geschäftsbereiches Telekommunikation der Unternehmensberatung Arthur D. Little, die Konferenz. "Woran hapert es also?"
Zahl der Breitbandnutzer weltweit (in Millionen).
Quelle: Future Mobile Broadbandreport, Informa Telecoms & Media
Weltweit gibt es 89 Millionen mobile Breitbandnutzer, verkündet Malik Kamal-Saadi, Principal Analyst von Informa Telecoms & Media. Das ist ziemlich wenig, wenn man die Zahl mit der Gesamtmenge von mehr als zwei Milliarden Mobilfunkkunden vergleicht. In vier Jahren soll es aber schon mehr als eine Milliarde Breitbandkunden geben, von denen die meisten drahtlose Zugangstechniken nutzen. Die notwendige Technik ist schon aufgebaut: 148 HSDPA-Mobilfunknetze wurden in den vergangenen zwei Jahren errichtet, die Downloadraten bis zu 7,2 Mbit/s ermöglichen, sowie sechs Netze mit dem Upload-Turbo HSUPA, der bis zu 1,45 Mbit/s erlaubt.
Die Zahlen klingen gut. Nur wer nutzt die schöne neue Technikwelt wirklich? "Unsere Einnahmen im Datenbereich werden immer noch zum größten Teil mit SMS erzielt", sagt Helene Vigue, Business Devices Manager des Mobilfunkbetreibers Orange, der in über 20 Ländern aktiv ist. "Das ändert sich nur langsam, obwohl die Übertragungsraten in den vergangenen zehn Jahren 500 Mal schneller geworden sind."
Chaos auf Netzbetreiberseite
Schuld an der Zurückhaltung der Kunden könnte auch das Chaos auf Netzbetreiberseite sein. "Der Zugang zum mobilen Breitband ist zu fragmentiert", ärgert sich Malik Kamal-Saadi. Zwar gebe es schon mehr als 200 3G-Mobilfunknetze und über 300 verschiedene Endgeräte, aber sie funken in elf verschiedenen Frequenzbereichen und setzen auf konkurrierende Standards. UMTS ist nicht das universelle mobile Telekommunikationssystem geworden, als das es einst geplant wurde. Wenn jedes Land mit einer anderen Übertragungstechnik arbeitet, lassen sich nur schwer Skaleneffekte erzielen, die den Aufbau der Netze und die Entwicklung der Endgeräte verbilligen.
Auch die Aufnahme von WiMAX in den 3G-Standard der International Telecommunications Union (ITU) wurde auf der Konferenz in Berlin nicht unbedingt mit Wohlwollen aufgenommen. Zwar berichtet Ivano Costa, WiMAX-Projektmanager von Telecom Italia, stolz von den Testläufen mit Übertragungsraten von bis zu 20 Mbit/s. Aber auch die Italiener beschränken sich seit zwei Jahren auf lediglich zwei Testnetze mit fünf Antennen in Rom und Turin. "WiMAX ist kein heißes Thema für uns, weil die Technik keine Verbesserungen bringt", sagt Ingo Marten, Vice President Business Sales von T-Mobile Deutschland, leicht bockig. "Es gibt genug Bandbreite durch DSL, HSDPA, Edge und Wifi." Er muss so reden, weil die Deutsche Telekom der größte DSL-Anbieter in Deutschland ist und acht Milliarden Euro für ihre deutsche UMTS-Lizenz hingeblättert hat. Die WiMAX-Frequenzen in Deutschland wurden dagegen für einen Gesamtpreis von nur 56 Millionen an Newcomer wie Clearwire, Inquam oder Deutsche Breitbanddienste versteigert.
Das N810 kann Nokia auch schnell mit WiMAX liefern
Eigentlich müssten alle UMTS-Lizenzinhaber WiMAX ablehnen, doch die Front bröckelt. Vodafone ist schon im August dem Branchenverband WiMAX-Forum beigetreten und der drittgrößte US-Mobilfunker Sprint will im kommenden Jahr 100 Millionen US-Amerikaner mit seinem WiMAX-Netzwerk XOHM erreichen. "Bei WiMAX werden ganz andere Geschäftsmodelle ausprobiert als im Mobilfunk", erkärt Nokia-Manager Ari Virtanen, verantwortlich für Konvergenzprodukte und Multimedia. "Die Anbieter verhalten sich mehr wie Internetprovider und locken mit günstigen Flatrates." Für sein Unternehmen ist das natürlich gut, weil Nokia dadurch wieder neue Geräte auf den Markt bringen kann. Im ersten Quartal 2008 wird es ein Nokia Internet Tablet mit WiMAX geben. Der Name ist noch nicht bekannt, aber sie müssen es auf jeden Fall für XOHM liefern. "Es ist sehr einfach, das N810 in einer WiMAX-Version herauszubringen", sagt Virtanen. Dazu müssen nur ein paar andere Chips eingebaut werden.
Keine dumme Röhre
Nokia könnte sofort loslegen, muss aber mit jedem neuen Gerät vorsichtig taktieren. "Wir wollen, dass jeder Nutzer das richtige Internet auf seinem Gerät verwenden kann", sagt er. "Aber wir müssen Rücksicht auf die Wünsche der Netzbetreiber nehmen." Das neu gestartete Ovi-Portal soll die Mobilfunkbetreiber von Nokias Ideen überzeugen, aber da muss das Unternehmen noch viel Aufklärungsarbeit leisten. "Wir wollen keine dumme Röhre werden, durch die der Nutzer sich einfach das Internet aufs Handy holt", sagt Helene Vigue von Orange. Dann wird nämlich das lukrative Geschäft mit den Telefonminuten wegbrechen, wie der WiMAX-Test von Telecom Italia zeigt: Die beliebtesten Nutzungsarten sind Websurfen und kostengünstige Internet-Telefonate. Orange blockiert deswegen seit April in Großbritannien auf seinen subventionierten Nokia N95 die Internet-Telefonie nach dem SIP-Standard und will weiter daran festhalten. Angeblich weil die SIP-Software nicht absturzsicher ist. "Wenn wir ein Gerät subventionieren, wollen wir über die Qualität sicher sein", ist die wenig einleuchtende Erklärung von Helene Vigue. Schließlich funktioniert auf unsubventionierten N95 alles wunderbar.
Orange Shop in London: Nokia N95 nur ohne VoIP
"Das große Geschäft der Zukunft wird sicher nicht mit Sprachminuten gemacht. Aber womit?", fasst Warren Buckley, Group Director Mobility des britischen Festnetzanbieters BT, die Ratlosigkeit der Branche zusammen. Sein Unternehmen wendet sich systematisch an Technikexperten und Early Adopters, um von ihnen zu lernen, was die Kunden in Zukunft kaufen möchten. Diese Strategie muss aber nicht immer aufgehen, zeigt der Vortrag von Andrew Hudson, Strategieexperte der Vodafone Group: Die Technikenthusiasten und Visionäre verlangen oft auf ganz andere Funktionen als die große Herde der einfachen Anwender. Die Unternehmen müssen sich also ganz vorsichtig vorantasten. "Wir wissen zwar immer so ungefähr, was demnächst angesagt sein könnte", sagt Timo Komulainen, Director Mobile Solutions von Samsung in Europa. "Aber dann überrollt uns wieder so etwas Unerwartetes wie der iPod."
Highend-Smartphone Samsung F700
Schon heute könnte Samsung ein Notebook von der Größe eines Smartphones bauen. Aber niemand würde es kaufen, weil es extrem teuer wäre. Auch die Liste der möglichen Funktionen im Handy wird immer länger: GSM, GPRS, EDGE, UMTS, GPS, Radio, Kamera, WLAN, Bluetooth, USB und Fernsehempfang sind nur ein kleiner Ausschnitt. "Wie zur Hölle sollen wir bloß all diese Features in ein einziges Gerät packen?", klagt Komulainen. Weil man nie genau weiß, was der Kunde wünscht und wofür er auch bezahlen würde, werden die Mobiltelefone mit immer mehr Funktionen vollgepackt. Viele davon sind eigentlich überflüssig. Nur welche? Samsung setzt deshalb auf eine Geräte-Architektur nach dem Lego-Prinzip: Der MIPI SLIMbus ist ein Standard-Kabelbaum, der das Herzstück jedes Handys bildet. Neue Komponenten werden einfach angesteckt und über Standardschnittstellen in der Software zum Laufen gebracht. Damit kann man jede Woche ein neues Handy auf den Markt bringen.