Eine IDC-Studie unter 276 IT- und Fachbereichsentscheidern aus deutschen Unternehmen mit über hundert Mitarbeitern brachte ans Licht, dass heute 57 Prozent der Beschäftigten zumindest teilweise mobil arbeiten, Tendenz steigend. Das gilt auch für mobile Anwendungen. Während IT-Abteilungen aktuell im Schnitt rund zehn mobile Apps für die Anwender zur Verfügung stellen, sollen es im Verlauf des Jahres 17 Apps werden.
Besonders großes Augenmerk liegt dabei auch auf ERP-Anwendungen. Doch wie weit sind hier die Hersteller? "Nach unserer Erfahrung haben die meisten mittelständischen ERP-Anbieter noch keine mobile Strategie, sondern nur Insellösungen in Form vereinzelter Apps", erklärt Christian Huthmacher, Vorstand der Commsult AG aus Potsdam, die sich auf Plattformen für mobile Apps spezialisiert hat. Die deutschen Anbieter seien hier vom Markt überrollt worden, während amerikanische Hersteller wie Lawson oder IFS bereits viel weiter darin fortgeschritten seien, echte Mobility-Plattformen zu integrieren.
Lieber mobile App statt mobile Website
Bestehende Apps sind häufig das Resultat aus Kundenprojekten und dementsprechend starr, meint Huthmacher. State of the Art geht anders: "Eine Reihe von Anbietern baut kleine Web-Seiten, mit denen das ERP-System mobil bedient werden kann. Das kann für einzelne Einsatzgebiete relativ weit führen, aber den Komfort, den Nutzer moderner Apps gewöhnt sind, wie Wischtechnik und Einfachheit, bieten diese Lösungen nicht", stellt Huthmacher fest. Einer Studie von Compuware zufolge gaben von 3500 befragten Anwendern 85 Prozent an, dass sie lieber mit einer mobilen App als einer mobilen Website arbeiten.
Wenig plattformübergreifende Apps
Die Formen der Bereitstellung von Apps sind unterschiedlich, teilweise nutzen die ERP-Anbieter noch interne Plattformen, um die Apps zu verteilen. Viele setzen jedoch auch auf iTunes oder Google Play. Ob die Anwender aber bereit sind, auf eigene Faust Apps herunterzuladen, dürfte stark variieren. Die IDC-Studie ergab, dass öffentliche App-Portale von vielen Mitarbeitern nicht genutzt werden, mehr als die Hälfte der Mitarbeiter stellt eine klassische Anfrage an die IT-Abteilung, um Anwendungen auf das Smartphone oder den Tablet-PC zu bekommen.
Eine weitere Herausforderung ist der Wunsch, dass Apps auch außerhalb der Netzabdeckung arbeiten. "Besonders schwer tun sich viele ERP-Anbieter mit der Offline-Fähigkeit ihrer mobilen Angebote. Wenn Mitarbeiter unterwegs sind, müssen wichtige Prozesse wie Auftragserfassung, Service und Instandhaltung auch offline funktionieren", konstatiert Huthmacher. Das sei mit HTML-Seiten nicht möglich. Zudem seien eine Menge Logik auf dem mobilem Gerät und eine Server-Middleware-Plattform nötig.
Problematisch ist zudem, dass die wenigsten Anbieter wirklich plattformübergreifende Apps bauen, teilweise wird nur Apple iOS bedient, häufiger auch Android, Windows bleibt meist auf der Strecke. Echte Prozessunterstützung mit echten mobilen Apps ist noch immer eine Seltenheit.
HTML5 sorgt für den Durchbruch von Enterprise Apps
Doch Besserung ist in Sicht: "Es zeichnet sich ab, dass es immer mehr Tools gibt. Zudem setzt sich mit HTML5 eine Technik durch, die eine Entwicklungsumgebung mitbringt und immer breitere Akzeptanz findet. Diese Entwicklung hilft den ERP-Anbietern", so Huthmacher. Gut mit HTML5 gemachte Apps könnten sowohl offline als auch auf allen mobilen Endgerätetypen laufen - ein besonders wichtiger Aspekt für alle Anwender, die sich nicht auf eine bestimmte Endgeräteplattform wie iOS, Android oder Windows festlegen wollen.
Das sieht auch Gartner so und prognostiziert für das Jahr 2014, dass HTML5 die wichtigste Entwicklungsumgebung für Unternehmen wird. Damit werde sich die Zahl der Apps nochmals stark vermehren, während die klassischen Softwareprogramme immer weniger werden, meinen die Marktanalysten. Und wann kommt der Punkt, an dem sich Enterprise Apps so anfühlen wie eine moderne App von der Stange?
"Die Tools, die so etwas möglich machen, entwickeln sich gerade. Spätestens 2015 wird man dort sein", schätzt Gartner. Doch es gibt durchaus Hürden, denn jedes Unternehmen hat sehr eigene Prozesse. Standard-Apps helfen also kaum - Individualisierung muss sein, ist aber noch entsprechend teuer.
Abas
ERP-Hersteller Abas stellt den mobilen Zugriff über Smartphones und Tablets als Web-Anwendung zur Verfügung. Dazu gehören "Mobile Sales" mit CRM- und verkaufsrelevanten Daten aus dem ERP-System, "Mobile Service" für die Planung und Abwicklung von Serviceeinsätzen sowie "Mobile Purchase" für das Beschaffungs-Management.
Zudem ist die Browser-Anwendung "Mobile Shop Floor" für Betriebsdatenerfassung (BDE) auf Industriegeräten verfügbar. Rund fünf Prozent der Anwender nutzen die mobilen Lösungen. "Wir registrieren derzeit eine stark steigende Nachfrage in diesem Bereich, besonders groß ist das Interesse an den Industrieanwendungen und Mobile Sales", berichtet Christoph Harzer, Communication Manager bei Abas.
Delta Barth
Mit einer App für das Instandhaltungs-Management "Deleco" können Störungsmeldungen erfasst, bearbeitet und softwaregestützte Wartungsarbeiten direkt an der Maschine ausgeführt werden. Informationen wie beispielsweise die Wartungshistorie der Maschine oder angelegte Dokumente stehen vor Ort zur Verfügung.
Eine App für das Management von Adress- und Kundendaten lässt sich per Touch bedienen und durch die Verbindung zu Google Maps auch für die Routenplanung nutzen. Die Apps laufen auf Smartphone und Tablet-PC mit Apple iOS und Android, sie kommunizieren über das Internet mit einem Web-Service des ERP-Systems. Herunterladen lassen sich die Apps über das Download-Portal von Delta Barth.
"Die Apps werden zudem in die Arbeitsweisen und IT-Landschaften der Anwender integriert. Über einen externen App-Store könnte diese Betreuung nicht sichergestellt werden", sagt Annett Barth, Geschäftsführerin der Delta Barth Systemhaus GmbH. Auch hier nutzen bisher erst rund fünf Prozent der User die mobile Software. Auf dem Plan stehen neue Apps für Lagerumbuchungen, Materialabbuchungen für Fertigungsaufträge, Zubuchungen bei Fertigmeldungen von Fertigungsaufträgen und Inventuraufnahmen sowie für das Projekt-Management.
Godesys
Anwender von Godesys ERP 5.5 können mit "Godesys Touch", einer Erweiterung des "Godesys Open Business Framework", laut Hersteller einfach eigene Smartphone-Anwendungen erstellen, die die Funktionsbibliotheken des Godesys-ERP-Systems nutzen. Godesys Touch und Beispiel-Apps für CRM Sales und Service stehen Anwendern kostenfrei zur Verfügung.
Die Anwendungen sind HTML5-basiert und damit auf allen mobilen Plattformen lauffähig. Godesys gehört damit zu den wenigen Anbietern im ERP-Markt, die eine durchgängige Multi-Device-Strategie haben. "Da Godesys Touch im Rahmen der üblichen Release-Pflege unterstützt wird, ist es auch fester Bestandteil der etablierten Distributionswege. So können Freigabe und Support einfach kontrolliert werden", erklärt Godelef Kühl, Vorstandsvorsitzender der Godesys AG.
Man überlege jedoch aus Marketing-Gründen, ob auch die externen App Stores bedient werden sollten. Der Nutzungsgrad sei noch niedrig, allerdings hätten die Apps für zahlreiche Update-Entscheidungen eine hohe Bedeutung, sodass im Jahr 2014 von einem Anstieg bei mobilen Projekten auszugehen sei.
Infor
Anbieter Infor setzt bei Enterprise Apps vor allem darauf, seinen Kunden die Plattform "Infor Motion" zur Verfügung zu stellen, über die sie selbst individuelle mobile Lösungen für unterschiedliche Betriebssysteme aufbauen können.
Zudem gibt es eine Reihe fertiger Out-of-the-Box-Apps im Apple App Store, Android soll in Kürze folgen. Zu den fertigen Lösungen gehören "Infor Road Warrior" für den Vertrieb, "Infor Motion ActivityDeck" für Erinnerungen oder anstehende Freigaben sowie die Spesen-App "Infor Expense Management Mobile".
Microsoft
Für das ERP-System "Dynamics AX" hat Microsoft Apps für Reisekostenabrechnung, Zeiterfassung und mobilen BI-Zugriff mit dem "Business Analyzer" im Angebot, im Bereich Retail gibt es eine mobile Kasse. Hauptsächlich handelt es sich um Windows-Apps, beim Thema CRM wird auch iOS bedient.
"Der Trend geht aber zu plattformunabhängigen Angeboten via HTML5", sagt Frank Naujoks, Product Marketing Manager Dynamics AX. Die Dynamics Apps werden über Windows und Windows Phone App Stores angeboten. "Wichtig für uns als Anbieter ist der Bereich Qualitätssicherung, da es durchaus unternehmenskritische Anwendungen in diesen Apps gibt", erklärt Naujoks.
Allerdings stehe die Entwicklung sowohl von der Angebotsseite als auch bei der Nachfrage noch am Anfang.
Oxaion
Neben Individuallösungen bietet Oxaion Standard-Apps, die für Anwender kostenlos zur Verfügung stehen. Dazu gehören Apps im Bereich CRM zu Kunden, Artikeln, Aufträgen, Lagerauskünften bis hin zu Reports und Kennzahlen.
Grundsätzlich lassen sich laut Hersteller alle ERP-Funktionen auf mobilen Endgeräten implementieren. Oxaion-Apps laufen derzeit auf iOS und Android und sind über iTunes und Google Play verfügbar. Bisher nutzen weniger als zehn Prozent der Anwender mobile Apps.
Sage
Die neue "ERP X3 Sales-App" von Sage ist für das iPad konzipiert, an Vertriebsmitarbeitern ausgerichtet und lässt sich sowohl online als auch offline nutzen.
Die Sales-App gibt es im Apple App Store. Mit der App "Sage Office Line Mobile" können Anwender auf das Auskunfts- und das Kennzahlensystem der Office Line-Lösung zugreifen, sie ist für iOS, Android und sogar Windows 8 im Apple App Store und bei Google Play erhältlich. "Für Partner-Anpassungen unserer ERP-Lösung Office Line haben wir einen internen App Store.
Ein direktes Kaufen, Herunterladen und Installieren der Partnerlösung ist darüber aktuell nicht vorgesehen. Der Vertrieb erfolgt weiterhin über den dort angegebenen Business-Partner-Kontakt", erklärt Eckhardt Weinholz, Produkt Marketing Manager bei Sage. Auch für Sage ERP b7 ist eine mobile App für Android und iOS verfügbar.
SAP
Über 200 mobile Apps gibt es aktuell im SAP Store, sie wurden von SAP, aber auch von Partnern erstellt, darunter sind On-Premise-Produkte und Cloud-Services. Der Walldorfer Hersteller unterscheidet das Angebot der mobilen Unternehmensanwendungen in drei Kategorien: Es gibt Apps für Geschäftsbereiche wie SCM und CRM, branchenspezifische und produktive Apps, zum Beispiel um zeit- und ortsunabhängig Urlaubsanträge freizugeben oder Reisekosten abzurechnen.
„Insbesondere zielt der SAP Store neben den Ansprechpartnern auf der IT-Seite auch auf den Fachbereich und die einzelnen Mitarbeiter beim Kunden ab“, erklärt Wolfgang Faisst, Leiter SAP Store & Commercial Infrastructure Solution Management bei der SAP AG. Die Apps seien für Smartphones und Tablet-PCs aller Hersteller und Plattformen – Apple iOS, Google Android, Microsoft Windows – optimiert und würden von SAP entsprechend zertifiziert.
Neben den nativen Apps gibt es auch Anwendungen wie SAP Fiori, die auf HTML5-Technik basieren und damit über jeden Browser aufgerufen werden können. Man habe sich für einen internen App Store entschieden, um spezifisch auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen zu können, berichtet auch Faisst. Jeder Besucher habe seinen persönlichen Bereich, in dem er alle seine Einkäufe auf einen Blick sehen könne und Transparenz über das verfügbare Angebot erhalte.
Zudem stelle der Store für die SAP-Partner einen Online-Vertriebsweg dar, mit dem sie einen erweiterten Kundenkreis ansprechen könnten. Im Apple Appstore gibt es lediglich Demo-Versionen von SAP-Apps. Laut SAP hat bereits ein Großteil der Anwender, die SAP Business One nutzen, die mobile App dafür heruntergeladen und nutzt diese für den einfachen Systemzugang von unterwegs. (pg)