ERP-Systeme sind das Herzstück der IT-Landschaft eines Unternehmens. In den letzten Jahren bildeten immer mehr Firmen einen Teil ihrer ERP-Prozesse auf mobilen Endgeräten ab, um effizienter arbeiten können. Daher gewinnen mobile ERP-Funktionen zunehmend an Relevanz. Das zeigt die Studie "ERP in der Praxis" vom Oktober 2014. Die Analysten der Trovarit AG haben dazu gemeinsam mit Wissenschaftlern der RWTH Aachen 2.400 Anwenderunternehmen zu ihrer ERP-Lösung befragt. Zwei wichtige Ergebnisse: 30 Prozent der Teilnehmer benötigen mobile ERP-Funktionen, für zehn Prozent sind mobile Komponenten ein entscheidendes Kriterium beim Kauf einer ERP-Lösung, mit gleichem Gewicht wie Usability und Prozessunterstützung.
Bei mobilen Funktionen wiesen viele ERP-Systeme zum Zeitpunkt der Studie allerdings noch Schwächen auf. Der Punkt "Mobile Einsetzbarkeit der ERP-Software" belegte im Rahmen der Studie mit deutlichem Abstand den letzten Platz unter den bewerteten Zufriedenheitsfaktoren - mit der bislang schlechtesten Durchschnittsnote, die jemals für einen einzelnen Zufriedenheitsaspekt unabhängig von der Software-Lösung vergeben wurde. Dr. Karsten Sontow, Vorstand der Trovarit AG, erklärt dies mit einer zunehmende Diskrepanz zwischen der Erwartungshaltung der Anwender und dem, was die ERP-Lösungen aus ihrer Historie heraus zu leisten imstande seien: "Anwender erwarten den schnellen Zugriff per Tablet und Smartphone mit guter Usability, werden aber enttäuscht, weil es nur wenige, dediziert auf Smartphones und Tablets zugeschnittene Anwendungen gibt. Die ERP-Hersteller investieren aber derzeit massiv in mobile Funktionen.
Insgesamt 66 Prozent der ERP-Installationen werden der Trovarit-Studie zufolge bislang über Notebooks abgerufen, nur 15 bis 22 Prozent laufen über Tablets und Smartphones. Diese Zahlen belegen auch die Diskrepanz zwischen den Erwartungen und der betrieblichen Praxis. "Wegen der längeren Modernisierungszyklen von im Schnitt zwei Jahren schlagen sich die Investitionen der ERP-Anbieter noch nicht in der installierten Basis nieder. Viele Unternehmen befinden sich gerade in einer Übergangsphase", so Sontow.
Herausforderung: Entwicklung einer mobilen Strategie
Insbesondere Firmen mit veralteten ERP-Systemen stehen hier vor einer großen Herausforderung. Sie müssen Schnittstellen zu den mobilen Applikationen schaffen, Prozesse teilweise völlig neu definieren und die neue mobile Software pflegen. Das kann mitunter sehr komplex und teuer werden. "Ich empfehle hier einen pragmatischen Ansatz. Unternehmen sollten im ersten Schritt ihre Geschäftsprozesse analysieren. Wo ergibt eine mobile Anwendung Sinn? Welche Benutzergruppen profitieren? Für welche Anwendung besteht Optimierungs-Potenzial?", erklärt Christian Hestermann, Research Director ERP bei Gartner.
Er rät Unternehmen, dass IT- und Fachabteilungen gemeinsam eine ganzheitliche mobile ERP-Strategie entwickeln, Verantwortlichkeiten klar zuordnen und nicht in Silos denken. Dazu gehöre es auch, das CRM-System mit dem ERP-System zu verknüpfen. "Viele Firmen sind bei der Implementierung leider etwas nachlässig. Sie gehen in isolierten Schritten vor oder treffen Ad hoc-Maßnahmen, hier eine App, dort eine App. Dann besteht die Gefahr von Insellösungen", so Christian Hestermann.
Potenzial und Erfolg messen
Daher bildet die Analyse der Geschäftsprozesse immer die Basis einer mobilen ERP-Strategie. Teilweise entstehen durch neue mobile Anwendungen auch neue Geschäftsprozesse oder -felder. Ein Beispiel sind Produkt-Konfiguratoren für Tablets, etwa in der Automobilindustrie. Von einer derartigen Anwendung profitieren vor allem Vertriebsmitarbeiter, die ihren Kunden bei einer Integration mit dem ERP-System auch Informationen zu Preisen und Verfügbarkeit übermitteln können.
"Entscheidend ist immer die Frage: Kann ich den Erfolg einer mobilen Anwendung messen? Das hängt immer vom Einzelfall und den jeweiligen Anforderungen des Unternehmens ab", gibt Hestermann zu bedenken. Bei Servicetechnikern, die ihre Diagnose- und Auftragsdaten direkt über ihr Tablet erfassen und damit einen Case schneller bearbeiten, liegt der Nutzen klar auf der Hand. Gleiches gilt für das Personal im Lager, das über mobile Apps Waren ein- und ausbucht. Weniger eindeutig ist die Bewertung etwa beim Analyse-Dashboard des Managers, der damit aktuelle Berichte, Diagramme oder Business-Charts auf seinem Endgerät abrufen kann.
Technische Umsetzung
Erst wenn der Business-Case geklärt ist, stellen sich die Fragen nach der technischen Umsetzung: Welche Geräte setzen wir ein? Welches Framework? Welches Sicherheitskonzept? Programmieren wir die App selbst, oder nutzen wir die vorhandene App eines Herstellers? Welches App-Modell ist gefragt: Native Apps, webbasierte Apps auf Basis von HTML 5 oder hybride Apps, die beide Modelle verbinden?
Native Anwendungen sind fest auf dem Mobilgerät installiert, arbeiten oft auch offline und können Funktionen des mobilen Geräts wie GPS-Modul, Kamera oder Mikrofon für ihre Funktionen nutzen. Allerdings muss eine native App für jedes mobile Betriebssystem angepasst werden, sei es Apple iOS, Google Android, Blackberry oder Windows Mobile. Das führt zu deutlich höheren Entwicklungs- und Wartungskosten.
Klassische Web-Apps laufen als mobile Web-Seiten mit erweitertem Funktionsumfang in einem Browser auf dem Smartphone oder Tablet, das heißt sie benötigen eine Internetverbindung. Ihr wesentlicher Vorteil gegenüber nativen Apps: Sie arbeiten unabhängig von der Plattform und dem Betriebssystem auf allen mobilen Geräten. Modernere Web-Apps mit HTML 5 bieten zudem Offline-Unterstützung.
"Die Wahl des App-Modells hängt vom jeweils konkreten Business Case ab, der mobil abgebildet werden soll. Und letztendlich ist es eine Kostenfrage. Mittlerweile gibt es diverse Frameworks, die eine Entwicklung von nativen und hybriden Apps sowie von Web-Apps auf einer gemeinsamen Code-Basis erlauben. Die Zukunft liegt hier in hybriden Apps, die plattformunabhängig arbeiten", sagt Christian Hestermann von Gartner.
Funktionsvielfalt versus Usability
Viele native Apps der Hersteller enthalten ein begrenztes Spektrum an Funktionen, die speziell auf einen Use-Case zugeschnitten sind. Beispiele wären Apps für die Reisekostenabrechnung oder im Vertrieb der Besuchsbericht beim Kunden. "Diese kleinen, wenig komplexen Apps kapseln bestimmte Teilfunktionen, sollten aber auch Workflows oder Prozesse unterstützen. Die Besuchs-App benötigt Infos aus dem ERP-System etwa zu Preisen und Verfügbarkeit, damit der Vertrieb effizient arbeiten kann", erklärt Trovarit-Vorstand Karsten Sontow. "Unternehmen sollten die mobilen Aufgaben der Mitarbeiter als durchgängige Prozesse begreifen und auf flexible Apps setzen, die plattformunabhängig arbeiten."
Dabei dürfen Unternehmen eines nicht vergessen: Die mobile App muss weiterhin einfach zu bedienen sein und sollte nicht zu viele Funktionen enthalten. Unterstützt eine App zu viele Einzelprozesse, leidet die Usability. Ein schwieriger Spagat - auch für die Anbieter von ERP-Systemen. ( CIO.de/mb)