Mittelstand – kaum ein Wort wird im Wirtschaftsleben so strapaziert wie dieses. Fast jede Firma, die Waren produziert oder vertreibt, gibt kleine und mittlere Unternehmen ("KMU", engl. "SMB" für "small and medium sized business") als Zielgruppe an. Und lässt nichts unversucht, sie von den eigenen Produkten oder Dienstleistungen zu überzeugen.
Aber warum ist der Mittelstand für den produzierenden Sektor – auch in der IT-Branche – so wichtig? Dabei gibt es nicht mal eine juristische Definition des Begriffs "Mittelstand" (siehe Kasten auf unten). Warum diese beispiellose Hofierung des Mittelstands, ja fast schon Verehrung?
"Die mittelständischen Unternehmen sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft", weiß Michelle Stonebank, Senior Manager Channel Sales & Distribution Germany bei Symantec. Gleicher Meinung ist Peter Dewald, Geschäftsführer der Sage Software GmbH: "Der Mittelstand ist der große Motor der deutschen Wirtschaft: 99,6 Prozent aller Unternehmen – und damit 3,67 Millionen Firmen – können zu diesem Segment gezählt werden."
Besonders dem Mittelstand gehe es nach der Wirtschaftskrise gut, findet Bernd Heinrichs, Managing Director Mittelstandsvertrieb Deutschland und Distribution D-A-CH bei Cisco. Er weiß: "Mittelständische Unternehmen stellen derzeit neues Personal ein, expandieren und planen langfristige Investitionen in Technologien." Dem kann Oliver Gürtler, Direktor Partner Strategy & Programs bei Microsoft, nur zustimmen: "Während der Wirtschaftskrise waren es gerade die KMUs, die sich deutlich besser behaupten konnten als Konzerne. Durch eine schnelle Anpassung an die neue Situation gelang es ihnen, sich erfolgreich am Markt zu positionieren."
Auch Marc Müller, Geschäftsführer Vertrieb bei Tech Data, findet lobende Worte für mittelständische Unternehmen: "Das Segment ist stabil und zuverlässig. Besonders positiv entwickelt sich derzeit der klassische Maschinen- und Anlagenbau. Softwarehäuser und IT-Dienstleister, die Services in diesem Umfeld anbieten, profitieren von den gut gefüllten Auftragsbüchern."
Mittelstand – der Versuch einer Definition
Eine allgemein akzeptierte oder gar gesetzlich vorgeschriebene Definition des Mittelstandes gibt es nicht. Man kann allerdings eine Abgrenzung einerseits nach quantitativen und andererseits nach qualitativen Kriterien versuchen.
Definition nach quantitativen Kriterien:
Gemäß dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn werden unabhängige kleine und mittlere Unternehmen (KMU; engl. SMB) mit bis zu 500 Mitarbeitern und Jahresumsätzen von bis zu 50 Mio. Euro als Mittelstand angesehen. Unter diesen Betrieben werden Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und einem Umsatz von weniger als 1 Mio. Euro zu den kleinen Unternehmen gezählt und solche mit 10 bis 500 Mitarbeitern und maximal 50 Mio. Euro Umsatz zu den mittleren Unternehmen.
Der Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland umfasst nach dieser Definition
a) 99,6 Prozent aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen, in denen
b) 65,9 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten angestellt sind und
c) 38,3 Prozent aller Umsätze erwirtschaftet werden.
Definition nach qualitativen Kriterien:
Der Mittelstand kann mit Familienunternehmen gleichgesetzt werden, was durch die Einheit von Eigentum, Leitung, Haftung und Risiko gekennzeichnet ist. Es geht also um die Einheit von wirtschaftlicher Existenz und Führung sowie die verantwortliche Mitwirkung der Unternehmensführung an allen unternehmenspolitisch relevanten Entscheidungen (Konzernunabhängigkeit).
Für Oliver Mauritz, Leiter Partnerbetreuung und Expansion bei der Synaxon AG, liegt die Faszination des Mittelstandes vor allem in seiner Heterogenität. "In der Vielfalt der angebotenen Produkte, Lösungen und Leistungen findet jeder Kunde, was er braucht und was zu ihm passt." Und Mirza Hayit, Geschäftsführer von Haufe-Lexware Services, erklärt: "Gerade dieses große Potenzial innerhalb des Mittelstandes ist für uns als Hersteller interessant." Zumal, wie Symantec-Managerin Stonebank vorrechnet, "die größeren Firmen im deutschen Mittelstand in manchen Ländern Europas sicher zu den größeren Unternehmen überhaupt zählen würden."
Die Herausforderungen
Für Außenstehende scheint es also, dass der Mittelstand zuletzt alles richtig gemacht hat und ohne größere Sorgen seinen Geschäften nachgehen kann. Dem ist aber nicht so, denn auch mittelständische Firmen stehen jeden Tag vor neuen Herausforderungen. Doris Albiez, Vice President Geschäftspartner und Mittelstand bei IBM Deutschland, sagt zum Beispiel, dass "die Globalisierung für Mittelständler einen enormen Wettbewerbs- und Innovationsdruck bedeutet und jeder darauf angewiesen ist, sich mit seinen Produkten und Leistungen deutlicher im Markt abzuheben als bisher".
Marcus Adä, Vice President Sales bei Ingram Micro, sieht die Konsequenzen kommen: "Mittelständler müssen sich weg von der bisher oft regionalen Ausrichtung zum international bis global agierenden Unternehmen entwickeln." Aufgrund beschränkter finanzieller und personeller Ressourcen gelte es dabei, Abläufe zu optimieren und Prozesse effizient zu gestalten. Leichter gesagt als getan, denn Dietmar Schnabel, Geschäftsführer D-A-CH & Osteuropa bei Blue Coat Systems, kennt das Dilemma: "Gerade KMUs haben meist nur eine kleine oder sogar gar keine eigene IT-Abteilung und sehen die IT oft als lästige Pflicht an."
Und was passiert in solchen Fällen? Genau! Man vertraut sich Spezialisten an, die von der Materie etwas verstehen. Haufe-Lexware-Manager Hayit sagt: "In der Regel hat der klassische Mittelstand seine IT-Ressourcen ausgelagert und setzt auf das Know-how von IT-Resellern und IT-Dienstleistern." Symantec-Managerin Stonebank weiß, dass IT-Projekte nur mit kluger und innovativer Beratung erfolgreich werden. "Diese strategische Aufgabe muss der IT-Partner im Mittelstand leisten."
Genau diese Verantwortung spricht indirekt auch Microsoft-Manager Gürtler an: "Die Anforderungen an IT und Infrastruktur sind in mittelständischen Unternehmen im Grunde ähnlich wie die Anforderungen in Konzernen und Großunternehmen. Nur verfügen die KMUs meist nicht über die gleichen fachlichen und finanziellen Möglichkeiten wie die großen Wettbewerber."
Auch Synaxon-Manager Mauritz weiß um die Bedeutung der Systemhäuser und IT-Dienstleister: "Sie stärken und stützen den Mittelstand durch die Bereitstellung von Infrastruktur bei der IT-gestützten Abwicklung von Projekten. Dabei liegt der Vorteil in der Flexibilität und der unbürokratischen Anpassungsfähigkeit auf die Individualität des Kunden." Die Aussage von IBM-Managerin Albiez kann vielleicht stellvertretend für alle Hersteller gesehen werden: "Mittelstandsgeschäft ist für uns Partnergeschäft. Wir machen unseren Umsatz komplett über den Channel."
Die Rolle des Dienstleisters
Doch wie geht man als IT-Händler bei Mittelstandskunden am besten vor? Helfen kann dabei die Inanspruchnahme von Diensten der Broadline-Distributoren. Tech-Data-Manager Müller gibt zu bedenken, dass kein Fachhandelspartner alle Segmente kompetent abdecken könne: "Der Netzwerkgedanke wird auch für den Fachhandel immer wichtiger." Nicht ganz uneigennützig erwähnt er, dass "wir Netzwerke mit anderen Partnern und Webplattformen zu aktuellen Themen wie Managed Print Services oder Mobility zur Verfügung stellen. Sie beinhalten alle Social-Network-Funktionalitäten und ermöglichen einen Dialog und Erfahrungsaustausch, Wissenstransfer sowie eine konkrete Projektunterstützung."
Da will auch Ingram-Micro-Manager Adä nicht zurückstecken: "Bei Ingram Micro stehen seit jeher die Fachhändler und Systemhäuser im Fokus, die mittelständische Kunden bedienen. Wir unterstützen sie über den gesamten Projektzyklus hinweg. Dies beginnt bei Schulungen und Pre-Sales-Beratung und erstreckt sich über das Bereitstellen individueller Finanzierungspakete bis hin zur Betreuung im After-Sales-Service."
Doch worauf kommt es an, wenn ein Reseller heutzutage ein zuverlässiger Partner für den Mittelstand sein will? Die Aussagen der Hersteller und Distributoren sind im Kern gleich. Ingram-Micro-Manager Adä behauptet, dass der Verkauf einzelner Produkte nicht mehr ausreiche. "Reseller, die mittelständische Unternehmen bedienen, müssen sich zunehmend in Richtung Lösungsvertrieb orientieren, wobei auch eine hohe Beratungskompetenz und Innovationsbereitschaft gefragt sind."
Für Tech-Data-Manager Müller "ist es ein entscheidender Vorteil, wenn sich Reseller auch mit technisch komplexeren Lösungen auseinandersetzen und sich zu Spezialthemen weiterbilden. Bei komplexen Anfragen sollte es eine Projektunterstützung durch Spezialisten geben; beispielsweise in Form von Know-how-Transfer oder einer Ressourcen- oder Aufgabenaufteilung."
Ähnlich sieht es Symantec-Managerin Stonebank: "Wir verlangen von unserem Fachhandel im Rahmen unseres Channel-Programms, dass er gezielt Fachwissen zu unseren wichtigen Themen aufbaut. Unter dem Strich wird Umsatz als ausschlaggebender Faktor von Expertenwissen abgelöst. Investition in Wissen entlohnen wir unter anderem mit mehr Marge und Projektschutz."
Haufe-Lexware-Manager Hayit bringt einen anderen Gedanken ins Spiel: "Ein Reseller sollte tiefergehende Kenntnisse über die Bedürfnisse und Aufgabenstellungen seiner Mittelstandskunden haben. Auch sollte er über die IT-Abteilung hinaus Kontakt zu verschiedenen Fachabteilungen und den kaufmännischen Entscheidern im Unternehmen haben."
"Augenhöhe und Know-how"
IBM-Managerin Albiez drückt kurz und knapp aus, worauf es bei IT-Dienstleistern im Mittelstand ankommt: "Augenhöhe und Know-how". Zur Augenhöhe gehöre, dass die Geschäftspartner beim Kunden vor Ort sind und "dessen Sprache sprechen", also die Anforderungen seines Geschäftsmodells und seiner Branche verstehen. Daneben sei auch fundiertes Know-how der IBM-Produkte und -Lösungen erforderlich. "Dabei unterstützen wir die Partner mit Trainingsangeboten und Akademien. So werden wir nach den im vergangenen Jahr gestarteten Power, Storage und Service Academies zusätzlich eine Cloud Academy anbieten."
Für Synaxon-Manager Mauritz sind Flexibilität sowie Angebotsbreite und -tiefe entscheidend, die der Vielfältigkeit des Mittelstandes entsprechen. "Außerdem müssen die geforderten Lösungen qualitativ, quantitativ und monetär an die Kundenwünsche angepasst sein." Cisco-Manager Heinrichs schlägt in die gleiche Kerbe: "Mittelständische Firmen haben kleinere Budgets als Großkonzerne. IT-Reseller und IT-Dienstleister sollten demnach Produkte entwickeln, die genau auf die Bedürfnisse des Mittelstandes zugeschnitten sind und mit weniger Kapazitäten ein hohes Maß an Leistung erbringen."
Blue-Coat-Manager Schnabel bringt noch einen weiteren Aspekt ins Spiel: "Von den Wiederverkäufern fordern wir Engagement und Begeisterung für unsere Produkte, proaktive Beziehungen zu den Kunden sowie ein sehr gutes Verständnis der Nöte und Sorgen des Mittelstands."
Durch die Zusammenarbeit mit Systemhäusern wird der Mittelstand aber nicht aller Sorgen ledig. Cisco-Manager Heinrichs weiß, dass mittelständische Unternehmen "durchschnittlich etwa 18 Stunden pro Woche für die Lösung von Problemen aufwenden, die durch Kommunikationshindernisse und -verzögerungen verursacht werden". Nicht ganz selbstlos fügt er hinzu: "Hier kann Cisco mit Kommunikations- und Netzwerklösungen helfen, die die Zusammenarbeit innerhalb der Unternehmen sowie mit Partnern und Zulieferern wesentlich effektiver gestalten und mehr Kundennähe schaffen."
Sage-Manager Dewald denkt dagegen in eine dritte Richtung: "Die positive Entwicklung der deutschen Wirtschaft wird maßgeblich gebremst durch zu hohe bürokratische Hürden und umständliche Rechtsvorschriften." Kein Dienstleister kann den Mittelstand hier direkt entlasten, denn dies müsse der Gesetzgeber tun. Sage biete jedoch auf die Bedürfnisse des Mittelstandes angepasste Lösungen an, die die Effizienz der Unternehmen, zum Beispiel in den Bereichen Rechnungswesen, Warenwirtschaft und Lagerhaltung, Kundenmanagement oder Personalmanagement, deutlich steigern können.
Hindernisse und Vorschriften
Symantec-Managerin Stonebank sieht jedoch auch neue Gefahren für den Mittelstand kommen: "Das Know-how im Mittelstand übt eine große Anziehungskraft auf Dritte aus. Der Verfassungsschutz warnt schon, dass ausländische Geheimdienste insbesondere gegen kleine und mittelständische Unternehmen über das Internet Wirtschaftsspionage betreiben." Kleine und mittelständische Firmen würden diese Gefahr unterschätzen, ebenso die Folgen von IT-Ausfällen. Wichtig sei es daher, "diese Firmen über die Risiken aufzuklären und ihnen zu helfen, ihre Informationen zu sichern. Sei es klassisch mit Software in deren Netz, Managed-Service-Diensten, Cloud-Diensten oder jeder Art von Mischbetrieb zwischen diesen Modellen."
Blue-Coat-Manager Schnabel weiß, dass IT-Sicherheit immer ein fester Punkt auf der Agenda der Mittelständler bleiben werde. "Denn Hackern und Cyber-Kriminellen ist die Unternehmensgröße ziemlich egal." Die Bedrohungslage ändere sich also nicht - ob Großkonzern, Mittelstand oder Kleinunternehmen. "KMUs benötigen deshalb genauso ausgeklügelte und professionelle IT-Sicherheitslösungen wie Großunternehmen, jedoch unter Berücksichtigung der knapperen personellen und budgetären Ressourcen."
Im Zeitalter der ständig steigenden Vernetzung gibt Microsoft-Manager Gürtler zu bedenken, dass es "ausschlaggebend ist, die Informationskanäle eines Unternehmens zu bündeln". Dazu zählt er die nahtlose Integration der mobil arbeitenden Mitarbeiter (gemeint sind Vertrieb, Service, Home Office), die Zulieferer und die Kunden. "Für sie alle gilt es, eine zentrale Plattform zu etablieren, die Zugriff auf Informationen und Zusammenarbeit ermöglicht." Und weiter: "Mit SharePoint oder den Unified Communications-Anwendungen bietet Microsoft dafür die nötigen Produkte. Die Verfügbarkeit aus der Cloud liefert dabei die ideale Unterstützung. Die IT je nach Bedarf zu mieten eröffnet kleinen und mittelständischen Unternehmen auch ohne eine umfangreiche Kapitalbindung die Möglichkeit, neue Technologien zu nutzen."
Haufe-Lexware-Manager Hayit findet, dass "zum Leidensdruck im Mittelstand Informationsüberflutung, redundante Datenhaltung, manueller Pflegeaufwand, Medienbrüche, Fachkräftemangel und laufende gesetzliche Neuerungen gehören". Die vorhandenen Systeme seien diesen Anforderungen oft nicht gewachsen. Und da sich die Welt in Zeiten von Cloud Computing, mobilem Internet ("Apps") und Wissensmanagement (Collaboration) immer schneller drehe, bedeute das für alle Mitarbeiter "den Zwang zu lebenslangem, berufsbegleitendem Lernen".
Wie man es auch dreht und wendet - ob Sicherheitsprobleme, bürokratische Hindernisse, gesetzliche Vorschriften, Informationsflut, budgetäre Engpässe oder Wettbewerbsdruck durch Konzerne: Mittelständische Unternehmen können nur dann bestehen, wenn ihnen der Rücken für ihr eigentliches Geschäft freigehalten wird. Und wenn sie die Verantwortung für den IT-Sektor in die Hände von Spezialisten geben. So wie bisher. (tö)