Eigentlich sollte es ein völlig unspektakulärer Relaunch werden: Mit einer freundlichen Notiz wies T-Systems Multimedia Solutions die Belegschaft darauf hin, dass der neue Webauftritt jetzt fertig sei. Niemand in der Geschäftsleitung ahnte, wie groß die folgende Diskussion sein würde. Binnen weniger Minuten brach im Intranet der Dresdner Telekom-Tochter ein wahrer Sturm los: 153 Angestellte nutzten die frisch eingeführte Kommentarfunktion, um ihre Meinung zur Website zu äußern - und längst nicht alle waren begeistert. Ein Mitarbeiter fand das Design "schrottig", ein Kollege bemängelte "total veraltete Technik". Andere Mitarbeiter starteten kurzerhand eine Online-Abstimmung - mit vernichtendem Ergebnis: 88 Prozent der Teilnehmer waren dafür, wieder zum alten Webauftritt zurückzukehren.
"Wir sind ganz schön ins Schwitzen gekommen", erinnert sich Christine Rogge. Die Marketingleiterin von T-Systems Multimedia Solutions war gezwungen, sofort zu reagieren: Die Geschäftsleitung sichtete alle Kritikpunkte und versprach im Intranet, bis zum nächsten Tag, 12 Uhr, eine Liste mit Verbesserungen umzusetzen. "Um 12.01 Uhr kamen schon die ersten Nachfragen", lacht Rogge. Besonders harte Kritiker in den eigenen Reihen rief die Managerin sogar an, um Verbesserungsideen zu bekommen. Der Erfolg: Nach einer Woche waren die gröbsten Kanten am neuen Webauftritt ausgebügelt, aus der Belegschaft kam sogar vereinzelt Lob. Für die erfahrene Managerin markierte der Vorfall einen Wendepunkt: "Die Firma hat uns gezwungen zu reagieren. So etwas hätte es vor zehn Jahren nicht gegeben - ganz einfach, weil damals kein Rückkanal existierte".
Facebookisierung der Unternehmen
Der Fall illustriert gut einen neuen Trend: Die Zeiten, in denen Chefs nur einmal im Jahr von ihren Angestellten hörten - nämlich nach der Mitarbeiterbefragung - sind endgültig vorbei. Mitarbeiterbefragung ist demnächst Dauerzustand. Der Grund: Immer mehr Firmen nutzen auch intern Wikis, soziale Netzwerke und Microblogging, um Arbeitsabläufe zu verbessern. Doch mit den Werkzeugen des Web 2.0 ziehen unweigerlich die Regeln des Mitmachnetzes ein: Mitarbeiter erwarten Transparenz, wollen ständig von ihren Chefs ständig informiert werden - und selbstverständlich ihre Meinung äußern. "Die Unternehmen werden facebookisiert", so fasst Wolfgang Prinz, Professor am Fraunhofer Institut für angewandte Informationstechnik FIT, die Entwicklung zusammen.
Was das für den Chef von morgen bedeutet, erlebt Marketingleiterin Rogge schon heute. T-Systems Multimedia Solutions setzt im Intranet schon Social-Media-Tools ein, die in anderen Betrieben allenfalls geduldet werden. "Die Mitarbeiter sind es gewohnt, dass die Geschäftsleitung sie einmal pro Woche per Blog informiert", gibt Rogge als Beispiel. Bei vielen Entscheidungen wird Feedback aus der Belegschaft eingeholt. "Zuletzt bei der Frage, ob wir Raucherkabinen einführen sollen", erzählt Rogge. Nachdem sich im Intranet viele Befürworter fanden, wurden die Kabinen übrigens angeschafft. Leichter ist die Arbeit für Chefs wie Rogge durch das Web 2.0 im eigenen Haus allerdings nicht geworden. "Man kann nichts mehr auf die leichte Schulter nehmen - das kostet wesentlich mehr Zeit als früher."
Wie weit das Sofort-Feedback am Arbeitsplatz gehen kann, zeigt die Software Rypple, die in einigen amerikanischen Firmen schon eingesetzt wird. Das Prinzip: Der Mitarbeiter definiert im Programm einen Kreis von Kollegen und Vorgesetzten. Ihnen kann er jederzeit Fragen zuschicken wie "War meine Präsentation heute morgen gelungen?" (Fragen dürfen nicht länger als 140 Zeichen sein). So angesprochene Personen können über eine einfache Daumen-hoch/runter-Funktion ihre Meinung kundtun. Der Clou: Der Mitarbeiter kann zwar erkennen, wie er angekommen ist, aber nicht, wer welches Urteil abgegeben hat.
Dauerbeurteilung für Chefs
Viele Chefs der alten Schule drücken bei so viel Offenheit im Unternehmen nicht gerade auf den Like-Knopf. "Ich bekomme oft die Frage gestellt ‚Wie kann ich das verhindern?‘", berichtet Ralf Karabasz, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Synergie, Bonn. Karabasz veranstaltet regelmäßig Trainings für Manager und kennt die Stimmungslage in den Führungsetagen. "Viele fragen sich, ob sie sich in Zukunft wirklich permanent bewerten lassen müssen", so Karabasz.
Die Antwort ist ziemlich leicht: vermutlich schon. Denn der Vormarsch der Mitmachkultur lässt sich nicht aufhalten. Das hat zwei Gründe: Zum einen ziehen die so genannten Digital Natives in die Arbeitswelt ein, also Menschen, die mit dem Netz groß geworden sind. Und sie erwarten selbstverständlich, hier die gleichen Tools nutzen zu können wie in der Freizeit. Das zeigen zahlreiche Studien: 21 Prozent der Arbeitnehmer etwa würden einen Job ablehnen, wenn das Unternehmen Social Networks wie Facebook und private E-Mail-Nutzung während der Arbeitszeit verbietet, ergab erst im Mai eine Studie der IT-Sicherheitsfirma Clearswift.
Zum anderen haben die Firmen gar keine Möglichkeit, die Mitmachkultur dauerhaft aus den Unternehmen fernzuhalten. "Wenn die Mitarbeiter intern ihre Meinung nicht äußern können, dann tun sie es einfach außerhalb", erklärt Fraunhofer-Experte Prinz. Nicht zuletzt das Beispiel von T-Systems beweist das: Für die Umfrage hätten die Mitarbeiter auch ohne weiteres ein kostenloses Webtool verwenden können. Die Geschäftsleitung hätte die Abstimmung also, selbst wenn sie gewollt hätte, nicht verhindern können.
Kommunikation 2.0
Die neue Offenheit wird die Arbeit von Chefs in Zukunft stark verändern: Wenn ein Geschäftsführer im Jahr 2020 seinen Rechner morgens einschaltet, dann sieht er nicht nur die aktuellen Umsatzzahlen, sondern auch, wie die Stimmungslage in der Belegschaft aussieht. Bei T-Systems MMS wird an dieser Vision mit einem so genannten Newsroom bereits gearbeitet. "Wir prüfen und publizieren ständig, was die Mitarbeiter sagen - auch in ihren öffentlichen Blogs", berichtet Rogge.
Viele Manager werden also dazulernen müssen. "Es gibt keinen Pauseknopf mehr", fasst Weiterbildungsprofi Karabasz zusammen. Will sagen: Der Chef muss ständig in die Belegschaft hineinhorchen und im Zweifel offen, schnell und ehrlich reagieren. "Aber eigentlich sind das Dinge, die auch die Führungskraft 1.0 beherrschen musste", meint Karabasz.
Doch nicht nur die Chefs müssen sich auf die Arbeitswelt 2.0 einstellen. "Digital Natives fällt es manchmal schwer, den richtigen Kommunikationsstil zu finden", beobachtet Professor Prinz, stellvertretender Institutsleiter am FIT. Konkret: Einige Youngsters haben Probleme, vom flapsigen Facebook-Ton auf den etwas ernsteren Stil im Intranet umzuschalten. "Beide Seiten müssen lernen", folgert Prinz.
Jobwelt 2020 - die wichtigsten Trends
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Soziale Netzwerke und Microblogging gehören zu den normalen Arbeitsmitteln in vielen Unternehmen. Sie werden zum Beispiel genutzt, um Teamarbeit zu koordinieren.
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Mit den Tools des Web 2.0 ziehen auch die Regeln des Mitmachnetzes am Arbeitsplatz ein: Jeder Mitarbeiter kann Entscheidungen des Managements kommentieren oder Verbesserungsvorschläge machen.
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Feedback gibt es auch innerhalb der Belegschaft ständig und unmittelbar. Beispiel: Die Präsentation eines Kollegen kann sofort mithilfe einer Feedback-Software "geliked" werden.
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Chefs, die Kommandostil pflegen, sterben aus. Die Führungskraft 2.0 hat nicht nur den Umsatz, sondern auch immer die Stimmung in der Belegschaft im Blick. Gefragt ist ein neuer Typ Chef, der eher als Moderator fungiert.