Touchpoint Management

"Mitarbeiter muss man einbinden"

29.08.2013 von Renate Oettinger
Wie man Kundenbeziehungen meistert und die Mitarbeiter vom "Müssen" ins "Wollen" bringt, sagt Anne M. Schüller.
Vor allem in großen Gruppen können Meeting-Teilnehmer gute Kundenkonzepte entwickeln.
Foto: carlosseller - Fotolia.com

Noch nie gab es so viele Berührungspunkte wie heute, um neue Kunden zu gewinnen, diese an sich zu binden und schließlich zu aktiven Empfehlern zu machen. Um diese Potenziale auszuschöpfen, sind Anweisungen von oben wenig ergiebig. Vielmehr gilt es, die Mitarbeiter vom standardisierten "Müssen" ins kundenorientierte "Wollen" zu bringen. Dies ist auf zweierlei Wegen möglich, wie Anne M. Schüller, Buchautorin und Business-Coach, zeigt.

Frau Schüller, wenn es um das Thema Kunde geht, hört man in letzter Zeit oft zwei mehr oder weniger neue Begriffe: Touchpoints und Touchpoint Management. Was sind denn eigentlich Touchpoints?
Anne M. Schüller: Touchpoints sind Berührungspunkte mit den Mitarbeitern, Produkten, Services und Marken eines Anbieters. Aus Sicht des Kunden betrachtet erfolgen diese
- in direkter Form (Verkäuferbesuch, Newsletter, Anzeige, Website, Messestand, Hotline, Rechnung, Reklamation etc.) oder
- in indirekter Form (Meinungsportal, User-Forum, Testbericht, Blog, Presseartikel, Mundpropaganda, Weiterempfehlung etc.).

Dabei kann es in den ‚Momenten der Wahrheit‘ an jedem Touchpoint zu positiven wie auch negativen Erlebnissen kommen, die eine Kundenbeziehung stärken oder zermürben beziehungsweise eine Marke kräftigen oder bröckeln lassen. Deshalb empfehle ich, immer gemeinsam mit den Mitarbeitern zu überlegen, wie man die Interaktion mit den Kunden an jedem Touchpoint besser gestalten, deren Leben vereinfachen und ihren Nutzen vergrößern kann. Oder wie man ihnen Zeit schenken und sie immer wieder neu überraschen und begeistern kann.

Im Touchpoint Management sollte man also die Mitarbeiter aktiv involvieren?
Schüller: Ja, denn wer unternehmerisch handelnde Mitarbeiter will, muss diese an unternehmerisches Denken heranführen. Dabei kommt es eben nicht nur auf das Wissen um Kundenbedürfnisse und Ideenreichtum an, sondern auch auf das ‚Wollen‘ der Mitarbeiter. Denn ‚Muss-Gesichter‘, die wie Aufziehpuppen ihre vorgegebenen Standards abarbeiten, mögen Kunden gar nicht gern.
Touchpoint-Optimierungen sollten deshalb im Wesentlichen von den Mitarbeitern selbst erarbeitet werden. Deren ‚Wollen‘ erreicht man immer dann am besten, wenn sie freiwillig sagen, sie könnten sich vorstellen, etwas in Zukunft so und so zu machen. Begeisterung für die Sache wird auf diesem Weg gleich mitgeliefert. Und wichtiger noch: Die geplanten Maßnahmen werden dann auch engagiert umgesetzt. Denn sie wurden nicht von oberster Stelle vordiktiert, sondern in Eigenregie entwickelt. So entsteht am Ende der ‚Mein-Baby-Effekt‘. Und sein Baby lässt man bekanntlich nicht im Stich.

Das leuchtet ein. Wie lässt sich das alles aber nun konkret umsetzen?
Schüller: Wenn die Optimierung einzelner Touchpoints als Tagesordnungspunkt in den Meeting-Ablauf eingebaut wird, ermöglicht dies kontinuierliche Verbesserungen in kürzester Zeit. Denn sogenannte ‚Quick wins‘, also schnelle Erfolge, sind in unseren rasanten Businesszeiten viel effizienter als das langsame Voranschreiten im Rahmen von Großprojekten.

Ganz konkret bestimmt man ein erstes Meeting und einen ersten Touchpoint, mit dem es losgehen soll. Am Ende des Meetings entscheiden Sie dann, welcher Touchpoint beim nächsten Mal an die Reihe kommt. So können sich alle gut darauf vorbereiten. Legen Sie einen Zeitraum fest, den Sie maximal für die Bearbeitung dieses Punktes ansetzen wollen, damit sich Diskussionen nicht endlos in die Länge ziehen: zum Beispiel 30 Minuten.

Auf der nächsten Seite lesen Sie u.a., wie diese 30 Minuten aufgeteilt werden sollen.

Das zeichnet Alpha-Menschen in Meetings aus
Die Merkmale der Alpha-Menschen
In Meetings und Verhandlungen sowie in der Zusammenarbeit von Teams registriert man oft: Gewisse Frauen oder Männer haben in ihnen das Sagen. Das sind nicht immer die ranghöchsten Personen. Die Merkmale dieser "Alpha-Menschen" zählen wir im Folgenden auf.
Alpha-Menschen sind selbstbewusst und strahlen dies aus.
Für fast alle offiziellen und informellen Leader gilt: Sie wissen, was sie können, und zu welchen Leistungen sie bereit und fähig sind; des Weiteren, was sie in der Vergangenheit bereits geleistet haben. Und hierauf sind sie stolz.
Alpha-Menschen sprechen eine klare und kraftvolle Sprache.
Alpha-Menschen sind extrem leistungs- und ergebnisorientiert. Sie reden deshalb nicht in langen Schachtelsätzen, um den heißen Brei herum. Sie bevorzugen kurze, knackige Sätze mit einer klaren Botschaft.
Alpha-Menschen können sich selbst motivieren.
Alpha-Menschen können und wollen etwas bewegen. Und sie haben Ziele. Entsprechend viel Energie haben sie und strahlen sie aus.
Alpha-Menschen beziehen Position und verstecken sich nicht.
Alpha-Menschen gehen nie auf Tauchstation. Sie analysieren vielmehr für sich die Situation, um zum passenden Zeitpunkt Position zu beziehen. Denn sie wissen: Gerade wenn die meisten Menschen dazu neigen, den Kopf einzuziehen, ist Führung gefragt.
Alpha-Menschen übernehmen Verantwortung.
Alpha-Menschen sind Tat-Menschen. Sie scheuen sich nicht, Verantwortung auch dann zu übernehmen, wenn eine Entscheidung oder Aufgabe risikobehaftet ist.
Alpha-Menschen sind fokussiert (und gut präpariert).
Alpha-Menschen sind keine Hasardeure. Im Gegenteil! Bevor sie das Wort ergreifen, analysieren sie die Situation und wägen zum Beispiel die Pros und Contras ab. Erst dann beziehen sie Position.
Alpha-Menschen können und wollen andere Personen (ver-)führen.
Echte Leader haben stets das übergeordnete Ziel vor Augen. Und weil sie gut vorbereitet sind, können sie ihre Aufmerksamkeit darauf konzentrieren: Was sagt mein Gegenüber? Welche Bedürfnisse artikuliert er? Welche Signale sendet er aus?
Alpha-Menschen nutzen (Körper-)Sprache als Instrument.
Alpha-Menschen wissen: Es hängt oft davon ab, wie man etwas sagt, ob man sein Ziel erreicht. Entsprechend gezielt wählen sie ihre Worte abhängig vom Gegenüber oder der Gesprächssituation.
Alpha-Menschen bringen die Dinge auf den Punkt.
Alpha-Menschen wollen etwas bewegen. Deshalb werden sie innerlich unruhig, wenn sie das Gefühl haben: Hier werden die Dinge zerredet.
Alpha-Menschen markieren ihr Revier.
Alpha-Menschen wissen, was sie wollen – und was sie nicht wollen. Entsprechend klar bringen sie es auch zum Ausdruck, wenn (potenzielle) Entscheidungen, ihnen "gegen den Strich gehen".

Meeting: ein Touchpoint in 30 Minuten

Und wie laufen die 30 Minuten dann ganz genau ab?
Schüller: Das geht wie folgt:
5 Minuten: Beschreibung eines nicht länger tragbaren Istzustandes, am besten via Storytelling: Dabei wird etwa über eine Reklamation berichtet, die ein Kunde an einem bestimmten Touchpoint hatte, welche Probleme das brachte und welche Konsequenzen das nach sich zog.
5 Minuten: Sammlung von Ideen, wie man diesen Punkt optimieren und damit Ärger in Zukunft vermeiden kann. Hier brauchen wir zunächst Quantität. Deshalb sollen die Teilnehmer in dieser Phase still und leise arbeiten, damit jeder seine Ideen unbeeinflusst in Worte fassen kann. Diese werden auf Kärtchen notiert und an eine passende Wand gepinnt.
10 Minuten: Jeder, der ein Kärtchen geschrieben hat, erläutert seine Idee kurz und knapp. Anschließend erfolgt eine Kurzdiskussion.
5 Minuten: Mehrheitsentscheid für die favorisierte Idee. Der Chef - er ist Moderator dieses Prozesses, damit die Teilnehmer inhaltlich arbeiten können - hat dabei nie das erste, sondern immer das letzte Wort. Warum? Damit die ‚Weisheit der Vielen‘ genutzt werden kann. Denn das ‚Machtwort‘ des Chefs lässt wertvolle Initiativen und dringend benötigte Kreativität oft einfach versanden. Natürlich hat der Chef, wenn vereinbart, ein Veto-Recht. Davon sollte er allerdings nur ganz ausnahmsweise Gebrauch machen. Sonst erzieht er sich lauter Mündel, die meinungslos an seinen Lippen hängen und auf Anweisungen warten.
5 Minuten: To-do-Plan erstellen, also: Wer macht was mit wem bis wann. Dazu gehört auch ein Folgetermin, um zu besprechen, wie sich die Sache entwickelt, ob weiter feinjustiert werden muss und welche Ergebnisse erzielt worden sind.

30 Minuten sind nicht viel, doch lässt sich, wie man sieht, bei konzentriertem Arbeiten in dieser Zeit sehr viel erreichen. Sie erwähnten auch noch einen zweiten Weg. Wie sieht denn dieser aus?

Ein zweiter sehr effizienter Weg ist ein Touchpoint-Großgruppen-Event. Dabei können an einem einzigen Tag zwischen 50 und 100 Mitarbeiter zu unterschiedlichen Touchpoint-Themen konkrete Konzepte entwickeln.



Und wie läuft eine solche Großgruppenveranstaltung idealerweise ab? Sie haben diese ja schon bei einigen Software-Herstellern durchgeführt.
Schüller: Stimmt. Zunächst steht am Vormittag ein etwa dreistündiger Impulsvortrag auf dem Programm, der bereits all die Aspekte enthält, die dann am Nachmittag vertieft werden sollen. Hierzu engagiert man am besten einen externen Experten, der sich als Advokat des Kunden versteht, neue Sichtweisen beleuchtet, Beispiele erzählt, vor Abgründen und Irrwegen warnt und auch unangenehme Wahrheiten zur Sprache bringt. Das ist eine Rolle, die nur ein Außenstehender einnehmen kann. Solches Querdenken ist offiziell ja immer erwünscht, aber für Mitarbeiter aus dem eigenen Haus meist viel zu gefährlich. Denn es kann Karrieren bedrohen. Deshalb sollten Unternehmen sich unbedingt den Luxus eines externen Querdenkers leisten.

Am Nachmittag werden die Teilnehmer dann in Arbeitsgruppen zusammengeführt. Diese bestehen idealerweise aus fünf bis sieben Personen - abteilungsübergreifend zusammengesetzt und auf gleicher Hierarchie-Ebene angesiedelt. Sind mehrere Hierarchie-Ebenen anwesend, arbeiten die Top-Führungskräfte in einer eigenen Arbeitsgruppe. Denn Hierarchie bremst den Arbeitsfluss einer Gruppe Gleichrangiger, anstatt ihn zu fördern. Auf jedem Tisch liegen Arbeitsmaterialien sowie eine bereits vorbereitete Aufgabenstellung: Eine konkrete Touchpoint-Thematik, zu der die Gruppe dann gemeinsam ein unternehmerisches Konzept erstellt.

Ein unternehmerisches Konzept? Wie sieht das denn im Einzelnen aus? Und wie geht das Ganze dann in die Umsetzung?
Schüller: Ich verwende dazu einen Musterablauf, bei dem zunächst die Ist-Situation besprochen, dann die Soll-Situation definiert und schließlich ein detaillierter Maßnahmenplan erstellt wird. Dazu gehört auch ein Zeit- und Budgetplan sowie ein Instrument, das den Erfolg überwacht und misst. Ich bin übrigens immer ganz paff, welche tollen Ergebnisse dabei entstehen. Einige davon habe ich in meinem Buch ‚Touchpoints‘ ja auch präsentiert.

Für die Konzepterstellung veranschlage ich etwa 90 Minuten. Gibt man mehr Zeit, bleiben die Teilnehmer meist zu lange im Lamentieren über die Ist-Situation. Die erarbeiteten Ergebnisse werden vom jeweiligen Gruppensprecher im Plenum präsentiert. Umsetzungsentscheidungen werden sofort durch 2/3-Mehrheitsentscheid getroffen. Der Chef hat dabei übrigens nie das erste, sondern höchstens das letzte Wort. Komplexe Themen mit einem höheren Abstimmungsbedarf werden zeitnah im Anschluss an die Veranstaltung weiterbearbeitet und zügig entschieden. (oe)

Das Buch zum Thema:
Anne M. Schüller: Touchpoints. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute. Managementstrategien für unsere neue Businesswelt. Gabal, 3. Auflage 2013, 350 S., 29,90 Euro
Ausgezeichnet als Mittelstandsbuch des Jahres und mit dem Deutschen Trainerbuchpreis 2012

Das Hörbuch zum Thema
Anne M. Schüller: Touchpoints. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute. Managementstrategien für unsere neue Businesswelt, ungekürzte Hörbuchfassung, 8 CDs, ISBN 978-3-86936-501-5, € 49,90, Die Autorin Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, zehnfache Buch- und Bestsellerautorin und Business-Coach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als Europas führende Expertin für Loyalitätsmarketing und ein kundenfokussiertes Management. Sie zählt zu den gefragtesten Referenten im deutschsprachigen Raum und ist Gastdozentin an mehreren Hochschulen. Wenn es um das Thema Kunde geht, gehört sie zu den meistzitierten Experten. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der deutschen, österreichischen und schweizerischen Wirtschaft.
Weitere Informationen: www.anneschueller.de