Deutsche Unternehmen haben die Bedeutung der digitalen Transformation erkannt. Viele Branchen nutzen bereits Technologien, die Produktivitäts- und Effizienzzuwächse sowie neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Doch nicht alle Wirtschaftszweige tun dies im gleichen Maße. Laut einer Studie des Softwareunternehmens d.velop, die den Digitalisierungsgrad von Unternehmen in zehn Branchen untersuchte, sind Logistik-Unternehmen am wenigsten digitalisiert. Dabei kann die Branche stark von Predictive Analytics profitieren, um auf den steigenden Kosten- und Wettbewerbsdruck zu reagieren. Besonders die Tourenplanung ist ein Anwendungsbereich mit hohem Potenzial, in dem Vorteile sowohl für Kunden als auch für Zusteller winken.
Logistikbranche im Wandel
Vor dem Hintergrund des noch geringen Digitalisierungsgrades in der Logistik-Branche und den exogenen Veränderungen, die sich durch Digitalisierung an sich bereits vollzogen haben oder noch vollziehen werden, steht die Logistik-Branche vor enormen Herausforderungen. Das betrifft auf der einen Seite die schiere Menge an Sendungen, die heute anfallen. Laut einer Studie des Bundesverbands Paket & Expresslogistik BIEK (PDF) wuchs der deutsche Markt für Kurier-, Express- und Paketdienstleistungen 2015 um 5,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Privatkundensegment betrug das Wachstum sogar über zehn Prozent, befeuert durch den anhaltenden Boom im Online-Handel.
Noch wichtiger sind aber die veränderten Nutzergewohnheiten. War es früher normal, einen Abholschein im Briefkasten vorzufinden und tags darauf beim Postamt in der Schlange zu stehen, fordern Empfänger immer mehr Komfort und guten Service ein. Das Tracking von Sendungen ist schon länger gängig und hilft dabei, Zustellzeiten zu minimieren und Mehrfachzustellungen zu vermeiden.
Doch anstatt die vom Dienstleister vorgegebenen Zeitfenster fraglos hinzunehmen, wollen Kunden zunehmend selbst bestimmen, wann und wo sie ihr Paket in Empfang nehmen – und zwar am besten über die Eingabe per mobiler App. Über bereits am Markt bestehende Apps von Paketunternehmen können Kunden die Zustellungen bereits auf bis zu 30 Minuten genau planen. Das bietet auch Vorteile für Logistikunternehmen, denn es hilft ihnen dabei, Zustellzeiten und Wege zu minimieren und Mehrfachzustellungen zu vermeiden.
Datenanalysen erlauben zusätzliche Services
Für Logistikunternehmen ist die Zufriedenheit des Empfängers wichtig, auch wenn dieser nicht der eigentliche Kunde ist. Seine Erfahrung bestimmt jedoch im Wesentlichen, wie der Versender die Leistung des Zustellers beurteilt. Gerade im Online-Handel wird der Versand als Teil des Produktes gesehen. Dadurch steigt für Versender die Bedeutung einer schnellen, reibungslosen Lieferung zum Endkunden.
Um die Zustellung an den Endkunden zu verbessern und die Kundenzufriedenheit zu steigern, sind korrekte und aktuelle Empfängerdaten notwendig, reine Adressdaten reichen hierfür nicht aus. Um eine Zustellbenachrichtigung per E-Mail oder SMS an den Empfänger zu schicken, müssen seine E-Mail-Adresse und Handynummer auch korrekt sein. Kommen Benachrichtigungen nicht an, haben Empfänger auch nicht die Möglichkeit, entsprechend zu planen oder Änderungen durchzugeben. Die Folge sind verpasste Zustelltermine, Kosten für erneute Zustellversuche und frustrierte Kunden.
Darüber hinaus werden Informationen darüber benötigt, ob es sich beim Empfänger um einen Firmen- oder Privatkunden handelt (Geschäftszeiten von Unternehmen unterscheiden sich deutlich von Verfügbarkeiten von Privatempfängern), welche Zustellzeiten der Empfänger in der Vergangenheit bevorzugt ausgewählt hat, oder ob er einer Zustellung an Nachbarn oder Paketshops zugestimmt hat. Somit lassen sich Auslieferungen so planen, dass keine zweite Anlieferung erfolgen muss, weil der Empfänger nicht angetroffen wurde.
Kosten- und Effizienzvorteile für Logistiker
Zugleich kann Predictive Analytics die Effizienz von Transporten verbessern und so Kosten senken. Besonders im B2B-Bereich spielt dies eine große Rolle: Von den 2,7 Millionen LKW, die laut Daten des Kraftfahrtbundesamtes 400 Millionen Fahrten auf deutschen Straßen im letzten Jahr absolvierten, handelte es sich bei rund einem Drittel um Leerfahrten. Bewegungsdaten von Fahrzeugen, die zunehmend in Echtzeit erhoben werden, können als Basis für Prognosen herangezogen werden, um Touren effizienter zu planen und Leerfahrten zu vermeiden.
Echtzeit-Daten über Straßen und Wetterbedingungen können aber auch herangezogen werden, um Staus zu umfahren und geeignete Fahrzeuge und Fahrzeugausrüstung auswählen. Warum sollte man mit einem großen LKW unterwegs sein, wenn ein kleiner Transporter den Bedarf deckt? In diese Prognosen können ebenso historische Daten über das Sendungsverhalten der Absender einfließen, um zu ermitteln wann und wo Bedarf an Transportkapazität entsteht. So steigen die Lieferungen von Schokoladenfabriken vor Ostern und Weihnachten.
Ebenso sehen Logistiker vermehrte Transporte von Elektronikhändlern, wenn ein neues iPhone auf dem Markt kommt. Es wäre auch denkbar, Werbeankündigungen eines Herstellers für ein neues Produkte auf Webseiten oder den Streams in sozialen Netzwerken für Kapazitätsplanungen mit einzubeziehen.
Predictive Analytics braucht Datenqualität
Die genannten Beispiele zeigen, dass in Logistik-Unternehmen vorhandene historische Daten dazu genutzt werden können, alltägliche Entscheidungen in Zukunft zu verbessern. Dabei gilt allerdings: Prognosen sind immer nur so gut wie die zugrundeliegenden Daten. Entsprechend wichtig ist eine qualitätsgesicherte, solide Datenbasis.
Um dies auch wissenschaftlich zu untermauern, wurde speziell für Predictive Analytics in Kooperation mit der Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart ein Prototyp entwickelt. Mit diesem sollte der Zusammenhang zwischen Datenqualität und der Güte von Prognosen veranschaulicht werden. Im Rahmen einer Bachelor-Arbeit wurde dieser Zusammenhang nun auch erstmals empirisch untersucht.
Der Autor der Arbeit, Paul Titze, Student am Fachbereich Information und Kommunikation des Studiengangs Wirtschaftsinformatik und digitale Medien an der HdM, überprüfte mit Hilfe verschiedener Testszenarien, in denen Datenanalysen mit Hilfe von Stammdaten von verschiedener Qualität durchgeführt wurden, den Zusammenhang zwischen qualitativ hochwertigen Stammdaten und den Ergebnissen der Analyse via Supervised Machine Learning.
Ergebnis: Vor allem beim Supervised Learning, bei dem die Stammdaten die Grundlage für das Lernen des Algorithmus bilden, konnten mit einer durch Stammdatenmanagement qualitativ hochwertig aufbereiteten Datengrundlage deutlich bessere Vorhersagen erzielt werden als beim Machine Learning mit einem unbehandelten Datenset.
Die Ergänzung der zentralen Stammdatensätze über Kunden um Interaktions- und Transaktionsdaten (Bewegungsdaten) führt zu genaueren Kundenprofilen, die eine vollständige und aktuelle Sicht auf Kunden ermöglichen. Damit vermeiden Unternehmen falsche Prognosen und darauf aufbauend fehlerhafte (Geschäfts-)Entscheidungen.