Arbeitgeber tragen nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht das Betriebsrisiko, wenn ihre Geschäfte per allgemeiner Lockdown-Verordnung schließen mussten. Sie haben damit auch nicht die Pflicht zur Entgeltfortzahlung an Minijobber, die während der harten Phasen der Pandemie, in der große Teile des öffentlichen Lebens ruhen mussten, nicht arbeiten konnten. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem ersten Corona-Urteil (5 AZR 211/21). Der Präzedenzfall kam aus Niedersachsen.
"Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage", erklärten die höchsten deutschen Arbeitsrichter. Aus dem Fehlen eines finanziellen Nachteilsausgleichs für Minijobber durch den Staat bei Corona-Arbeitsausfall lasse sich "keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten".
Und die Richter schickten eine Botschaft in Richtung Politik: Während es für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einen Ausgleich für Arbeitsausfall durch den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld gebe, stünden geringfügig Beschäftigte wie die Klägerin vor "Lücken in dem sozialversicherungspflichtigen Regelungssystem". Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Susanne Ferschl, sprach von einem Weckruf an die neue Regierung, die Sicherungslücken bei Minijobs endlich zu schließen. Das Minijob-Versprechen brutto gleich netto sei im Krisenfall ein Bumerang für Beschäftigte.
Verhandelt wurde über die Klage einer Minijobberin aus einem Nähmaschinengeschäft in Bremen. Sie kann nach dem Urteil nicht auf Entgelt während einer Schließung im April 2020 pochen - es ging um 432 Euro. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen in Niedersachsen folgten die Bundesrichter nicht der Argumention der Klägerin, die Geschäftsschließungen durch die Bremer Behörden gehörten zum Betriebsrisiko, das der beklagte Kleinunternehmer zu tragen habe.
Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing hält die Entscheidung für nachvollziehbar. "Die Pandemie ist ein allgemeines Lebensrisiko, sie trifft die ganze Gesellschaft", sagte Thüsing der Deutschen Presse-Agentur. "Es ist kein Risiko, das allein dem Arbeitgeber zugeordnet werden kann, der damit auch nicht das Lohnrisiko trägt." Die Fachanwältin Nina Hartmann sprach dagegen von einem überraschenden Urteil, das sich gegen Auffassung der Vorinstanzen und andere Arbeits- und Landesarbeitsgerichte stelle.
"Die ersten Corona-Verordnungen waren die am weitesten reichenden", so der Vorsitzende Richter Rüdiger Linck in der der Verhandlung. Ob alle Verordnungen in Deutschland diese Tragweite hatten, müsste im konkreten Fall geprüft werden. Wichtig war Linck die Feststellung, dass es für die Klägerin in der kleinen Filiale keine Beschäftigungsalternative gab.
Welche Auswirkungen das Urteil hat, ist nicht genau zu sagen. Allein im deutschen Einzelhandel gibt es nach Angaben des Handelsverbandes HDE etwa 808.000 geringfügig Beschäftigte. Von den behördlich angeordneten Geschäftsschließungen war ein Teil des Handels betroffen, nicht aber der Bereich Lebensmittel und Drogerien.
Weder der HDE noch die Gewerkschaft Verdi konnten beantworten, wie viele Minijobber während der Lockdownphasen so wie die Klägerin kein Entgelt erhielten. Immerhin richtete das Urteil den Blick auf eine große Zahl von Menschen, die auf Minijobs angewiesen sind. Es gebe aber derzeit keine Anzeichen für eine riesige Klagewelle, sagten Sprecher des Verbandes, der Gewerkschaft und des Bundesarbeitsgerichts.
In größeren Betrieben wie Warenhäusern seien Minijobber vielfach mit anderen Aufgaben beauftragt worden, sagte Petra Ringer von Verdi. Manche seien auch in den Lebensmittelhandel gewechselt. "Da wurden händeringend Menschen gebraucht." Wie es in den vielen kleinen Fachgeschäften aussah, konnte niemand so recht sagen. "Aber es wird Probleme gegeben haben", so Ringer.
Arbeitsrechtler Thüsing rechnet nicht damit, dass Minijobber, die bei angeordneten Betriebsschließungen ihr Entgelt erhielten, es nun zurückzahlen müssen. "Es wird nicht zu Rückzahlungsforderungen kommen. In den meisten Verträge gibt es auch Ausschlussfristen." Minijobber sind Arbeitnehmer mit höchstens 450 Euro monatlichem Arbeitsentgelt oder einem Arbeitseinsatz von maximal 70 Tagen im Jahr. Sie zahlen keine Beiträge zu den Sozialversicherungen. (dpa/rs)