Präsentismus, also die Arbeit trotz Kranksein, hat viele Gesichter und erfordert individuelle Antworten seitens der Unternehmen. Das zeigt eine Analyse von 285 Studien zum Thema, die im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) erstellt wurde. Der "Krankenstand" alleine greift zu kurz, um den Gesundheitszustand von Beschäftigten zu beschreiben, so ein Ergebnis. Ebenso wurde sichtbar, wie teuer das Widersetzen gegen den ärztlichen Rat des Zuhausebleibens langfristig kommt.
"Arbeiten trotz Krankheit ist besonders in Berufen mit hoher sozialer Verantwortung verbreitet, etwa bei Lehrern oder Pflegeberufen", berichtet BAuA-Sprecherin Claudia Oldenburg. Motiv ist häufig ein organisatorisches Problem, dass etwa niemand die Arbeit abnehmen könnte oder man den gesunden Kollegen nicht die eigene Arbeit aufbürden will. "Dahinter steht hohe Verantwortung gegenüber dem Unternehmen oder dem Kunden", so Oldenburg.
Besser daheim bleiben
Eine Verantwortung, die teuer kommt. Denn die Kosten durch Präsentismus liegen sogar über jenen durch krankheitsbedingte Fehlzeiten. "Langfristig verspüren 'Präsentisten' eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und nachweisbar steigt auch ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem ist man als Kranker weniger aufmerksam, arbeitet ungenauer, unkonzentrierter und unproduktiver oder ist weniger freundlich gegenüber dem Kunden." Verhängnisvoll ist auch, dass eine Präsentismus-Phase oft in einen langen Krankenstand mündet.
Präsentismus kann - nur unter bestimmten Umständen - auch positive Folgen haben. So zeigen einige Studien Vorteile für chronische Muskel-Skelett-Erkrankungen sowie für psychische Erkrankungen, sobald die akute Phase überwunden ist. "Die Tätigkeit und das soziale Umfeld am Arbeitsplatz können auch eine Form der Therapie sein. Eine Anpassung an die Ressourcen des Einzelnen ist hier wichtig und sinnvoll. Für Unternehmen ist es oft viel besser, wenn jemand vier Stunden kommt als gar nicht", erklärt Oldenburg.
Gesunde Organisationen
Die Studienautoren schlagen eine "Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit" vor. Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeiter seien besonders in einer Hochleistungsgesellschaft mit alternder Bevölkerung Gebot der Stunde, "da eine nachhaltig gesunde und eine nachhaltig produktive Organisation zwei Seiten derselben Medaille sind." Unternehmen sollten die Gesundheit der Mitarbeiter auch jenseits von Fehlzeitenstatistiken und Unfallzahlen differenziert beobachten und entsprechend darauf reagieren.
Es gibt demnach viel mehr als nur Personen, die sich ihrer Empfindung und äußerer Einschätzung zufolge gesund und andere, die krank diagnostiziert und krank geschrieben sind, appellieren die Forscher. Manche fühlen sich psychisch oder physisch beeinträchtigt, ohne dass sie dies zum Arztbesuch oder zum Fernbleiben von der Arbeit motiviere, manche gehen mit Beeinträchtigung gegen den ärztlichen Rat zur Arbeit. Gesondert davon sollte man Menschen mit erb- oder verhaltensbedingten Risikofaktoren sehen, sowie Wiedergenesene, die ins Berufsleben eingegliedert werden. (pte/rw)