Jürgen Hill, Teamleiter Technologie: Hört endlich mit den deutschen Buzz-Words auf
Ich kann das übliche CeBIT-Bashing nicht mehr hören. Ja, die Messe hat Fehler, aber der Standort Deutschland braucht die CeBIT unbedingt weiterhin, wenn er im globalen IKT-Markt noch wahrgenommen werden will. Und dabei ist es egal, ob jetzt 150.000 oder 200.000 Besucher ihren Weg nach Hannover fanden. Wichtiger wäre eher die Überlegung, ob die CeBIT jedes Jahr neue Buzz-Wörter erfinden muss, die außerhalb Deutschlands niemand kennt – wie etwa "d!conomy". Sorry liebe CeBIT, alle Welt redet von Digitalisierung oder Digitalization, aber nicht von d!conomy. Gerade bei Besuchern und Ausstellern aus dem amerikanischen und asiatischen Raum stößt dies auf Unverständnis.
Über den Fakt, dass die CeBIT im Vergleich zur CES in Las Vegas und zum MWC in Barcelona (--> siehe unser Fazit) keine Neuheiten- und Trend-Messe mehr ist, kann man sicherlich nächtelang bei einem Glas Hannoveraner Gilde-Bier philosophieren. Die einen werden es bedauern, andere wiederum dürften es begrüßen – denn es entschleunigt die CeBIT. Statt Neuheiten hinterher zu rennen, bleibt an den Ständen wieder Zeit, um in Fachgesprächen nach Lösungen für die Business-Probleme zu suchen. Und dies ist denn auch vielleicht die zentrale Botschaft der CeBIT 2015: Keine Investment ohne Business-Case, ganz egal, ob es sich um Software, Hardware oder Communication/Netzwerk dreht.
Die Geschichte(n) der CeBIT - eine multimediale Reise
Malte Jeschke, Leitender Redakteur im Team Technologie: Lösungen, nicht Produkte
In Sachen CeBIT-Bashing kann ich dem Kollegen Hill nur beipflichten – ich kann es nicht mehr hören. Geht es um B2B-Lösungen für Unternehmen, ist für mich die CeBIT nach wie vor das wichtigste Stelldichein. Und so waren auch in diesem Jahr viele spannende Lösungen zu sehen, die gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen dabei helfen können, sich den geänderten Anforderungen zu stellen. Auf Schlagworte wie Digitalisierung oder Transformation kann ich da verzichten.
Heute erwartet der Endkunde beispielsweise eben auch vom kleinen Handwerksbetrieb, dass der Monteur vor Ort Zugriff auf alle relevanten Informationen des Kunden hat. Derlei Lösungen lassen sich auch von kleinen Unternehmen mit überschaubaren Investitionen realisieren – wenn denn auch alle anderen Rahmenbedingungen stimmen würden – Stichwort Breitbandausbau.
Aber wenn wir schon bei Schlagwörtern sind, in diesem Jahr dürfte für viele Firmen das Thema hybride Infrastrukturen durchaus ein spannendes sein, die Angebote sind in jedem Fall vorhanden, wie die CeBIT unter Beweis gestellt hat. Denn hier standen an vielen Ständen nicht die konkreten Produkte, sondern die Anwendungsszenarien der Firmen im Vordergrund – gut so!
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Zwei weitere Meinungen
Christian Vilsbeck, Senior Editor im Team Technologie
Wenn man kurz vorher auf dem trubeligen Mobile World Congress war, dann empfindet man beim Gang durch die CeBIT-Hallen fast gähnende Langeweile. Auf der MWC gab es wieder ein Neuheitenfeuerwerk, die Trends der Branche waren dort greifbar – nicht nur im Bereich der mobilen Welt, auch beim Internet der Dinge, bei Security-Themen und Big Data-Lösungen.
Langeweile auf der CeBIT ist natürlich übertrieben, es fehlt die Hektik wie auf der MWC oder einer CeBIT in den 90er Jahren. Aber genau das macht den Charme der aktuellen CeBIT aus. Man ist nicht gehetzt und schaut im Gespräch stets auf die Uhr, weil der nächste Termin schon drückt. Das empfinden auch viele Hersteller so: Es bleibt mehr Zeit, über Probleme und Lösungen mit Kunden zu diskutieren. So war aus meinen Terminen mit CEOs, CTOs, VPs & Co. aus dem Mobile-, Storage- und Security-Bereich zu hören, dass sie sehr zufrieden sind, in Ruhe Kundenpflege betreiben zu können. Und auch das Knüpfen neuer Kontakte sei auf einer "ruhigen" Messe viel besser machbar; Interessenten zeigen mehr Kontaktfreude zu Unternehmen als auf völlig überfüllten Ständen.
Die CeBIT würde also gut daran tun, weiter den Business-Nutzen der Messe hervorzuheben. Denn es gab sie wieder: Horden von Schulklassen und Besucher mit Freikarten, die mit großen Tüten auf Schlendertour durch die Hallen waren. Damit wird natürlich die Besucherzahl künstlich erhöht, aber neue Austeller gewinnt die CeBIT so nicht. Im Gegenteil, viele zeigen sich eher genervt, wenn dadurch der Business-Fokus der Messe verwässert wird. Übrigens glauben auch viele Aussteller, dass die CeBIT in Bälde wieder mit der Hannover Messe, wo es viel um Industrie 4.0 geht, verschmelzen könnte. Die Themen nähern sich eh immer mehr an.
Bernhard Haluschak, Redakteur im Team Technologie: Zeit für den Kunden
Business as usual war diese CeBIT 2015 für mich sicherlich nicht, denn Schlagwörter wie "Digitale Transformation", "Industrie 4.0" oder "Internet of Things" (IoT) wehten durch die weiten Hallen der Technologie-Messe. Viele Besucher taten sich mit den Begrifflichkeiten schwer, doch verweilte man interessiert an einem Stand, wurde man sofort aufgeklärt. Allerdings beschlich einem irgendwie das Gefühl, dass man alles schon mal letztes Jahr gehört hat – nur etwas anders interpretiert.
Doch wenn es um das eigentliche Business geht, habe ich überwiegend positives Feedback erhalten. Die Aussteller waren durchweg mit ihren Messeauftritten zufrieden. Allerdings nutzen immer mehr Aussteller die CeBIT, um neue Kontakte zu knüpfen oder zum Networking und nicht um Geschäftsabschlüsse zu tätigen – und das merkte man. So wurde der interessierte Standbesucher ausführlich über die Lösungen des jeweiligen Ausstellers informiert und man nahm sich dabei viel Zeit. Es entstand nicht der Eindruck, dass der Redner nur sein Programm abspult, sondern tatsächlich auf die Fragen und Probleme des Besuchers beziehungsweise potenziellen Kunden eingeht.
Insgesamt standen auf der CeBIT 2015 die Produkte beziehungsweise die Lösungen im Vordergrund. Dabei gaben sich die Hersteller große Mühe, Lösungen zu präsentieren, die individuell auf die Kundenbedürfnisse wie kleine und mittelständische Unternehmen oder Enterprise-Kunden zugeschnitten werden können. Speziell fiel mir das im IT-Infrastrukturbereich, wenn es um Data-Center-Ausrüstung, Server oder Cloud-Services ging, auf.
Übrigens, besonders positiv fiel mir bei meinen Standterminen auf: Das ständige Nörgeln der Aussteller über die Qualität der Besucher fehlte und man konzentrierte sich auf das Wesentliche – weiter so.
Was CeBIT dem Channel und gewerblichen Endkunden bot
Dr. Ronald Wiltscheck, Chefredakteur ChannelPartner:
Nicht nur im Planet Reseller (Hallen 14 und 15) fanden Reseller interessante Lösungen und Ansprechpartner aus der Industrie, sondern auch in den Hallen 2 bis 6, ferner in der Netzwerkhalle 13 und sogar bei den start-ups in Halle 11. Zugegebenermaßen glich diese Halle eher einem ausgeräumten Möbelhaus (Zitat eines Ausstellers), aber auch dahin verwirrten sich einige Interessenten. Und dass es 2015 nicht mehr so viele CeBIT-Besucher gab wie anno dazumal (Jahrtausendwende), tat der Messer spürbar gut.
Überhaupt sollte die Messegesellschaft endlich aufhören, stets auf die absoluten Besucherzahlen zu schielen. Das bringt nichts. Die Zahl der potentiellen Fachbesucher ist nun mal begrenzt und wird auch in den kommenden Jahren nicht steigen. Irgendwelche von der Messegesellschaft kommunizierten "gestiegenen Besucherzahlen" sind einzig und allein auf Privatanwender, vor allem auf Schüler, Studenten und Rentner zurück zu führen. Kaufkräftige Privatkunden müssen nun mal von Montag bis Freitag ihr Geld hart verdienen, und wenn sie sich neue Consumer-Produkte ansehen wollen, da fahren sie eher an einem Wochenende im September zur IFA nach Berlin oder zu der HiFi-Messe "High End" im Mai nach München.
CIOs, IT-Leiter, Systemadministratoren und ITK-Systemhäuser können aber mit dem auf der CeBIT aufgefahrenen Angebot am B2B-Lösungen schon einiges anfangen. Ob es es um Unternehmenssoftware (ERP; CRM, eCommerce), um Storage- und Netzwerklösungen, um on-Premise- und Cloud-Systeme geht, in Hannover findet sich schon eine breite (wenn auch keine komplette) Auswahl an ITK-Equipment.
Und die wenigen in die niedersächsische Landeshauptstadt eingeflogenen Repräsentanten von US-amerikanischen Anbieter kommen manchmal aus dem Staunen nicht heraus: "Wo sonst find ich Software-Lösungen für mehrere hunderttausende Dollar neben Kassensystemen, USB-basierten Ladegeräten und PC-Komponenten im einstelligen-Euro-Segment?", fragte zum Beispiel Larry Augustin, CEO von SugarCRM, der sich die Zeit für einen längeren Messerundgang nahm. Er bedauerte es fast ein wenig, dass mit dem Niedergang der Comdex eine derartige CeBIT-ähnliche Messe in den USA nicht mehr statt findet.
Andere Aussteller sprachen mal wieder mal von der guten bzw. gestigenen Qualität der Gespräche. Laut Markus Baumann, Vertriebsleiter EMEA beim deutschen Softwarehersteller Matrix42 ist das aber auf die gute Vorbereitung der Fachbesucher zurück zu führen. "Sie informieren sich im Vorfeld der Messe im Internet ganz gezielt über die ausstellenden Unternehmen und ihre Lösungen und kommen zu uns mit ganz konkreten Frage, diesen Trend beobachten wir seit drei Jahren", so Baumann weiter.
Es lohnt sich denn auch immer, die am Stand vorbeischlendernden Flaneure gezielt anzusprechen und auf die eigenen Produkte und Services aufmerksam zu machen. Vorbildlich tun dies die Mitarbeiter der Symantec- und NetApp-Partners PMCS. Da kann sich schon mal ein in Räuberzivil gekleideter Mann mittleren Alters als der IT-Leiter eines mittelständischen Unternehmens entpuppen. Diese Erfahrung machte zum Beispiel Jörg Lösche, Geschäftsführer beim Netzwerkanbieter Netgear.
Mein persönliches Fazit der CeBIT 2015: Es gibt weniger Besucher, und das ist gut so. So kommt man entspannter zu den vorher vereinbarten Terminen und erhält auf diese Weise unter Umständen öfter die Gelegenheit, neue Anbieter zu entdecken, neue Menschen kennen zu lernen und damit neue Business-Kontakte zu knüpfen. Denn seien wir nun mal ehrlich: Wirklich neue Produkte findet man auf der CeBIT schon seit 20 Jahren nicht mehr. Man nutzt die Messe fast nur noch zum Networken, da braucht es keine großen Stände mehr, die bilden oft nur ein schmückendes Beiwerk.
Auf diesen Trend muss sich die Messegesellschaft einstellen: Die Netto-Ausstellungsfläche wird weiter zurück gehen. 2016 sollten wir mehr (ruhige) Meeting-Räume bekommen.