Mitte 2023 wurden erste KI-Anwendungen in die Netzwerk-Architekturen eingebaut, Mitte 2024 sind sie dort bereits selbstverständlich, wie Vertreter der Netzwerkbranche in einer Expertenrunde feststellten. "KI begegnet uns heute fast schon überall; biometrische Daten von Fußballspielern landen bei ihr genauso wie Informationen aus Verkehrsleitsystemen", resümiert Andreas Helling, Manager of Systems Engineering bei Extreme Networks.
Und darüber ist er als Vertreter einer Netzwerk-Company heilfroh, denn all diese von Sensoren erfassten Daten müssen über Netzwerke, via Luft und Kabel, transportiert werden. Und weil die Menge der zu transferierenden Daten dabei stetig zunimmt, steigen auch die Anforderungen an die Bandbreite.
Verkehrssteuerung - auf der Straße und im Netzwerk
"Für uns bei Extreme Networks ist KI extrem wichtig geworden", so Helling weiter. "60 unserer Entwickler beschäftigen sich allein nur damit, und hier arbeiten wir auch sehr eng mit Microsoft." Und er nennt auch ein konkretes Anwendungsbeispiel: So konfiguriert die KI heute schon selbständig sichere WLAN-Segmente, nachdem der Systemadministrator die Vorgaben "gepromptet" hat.
"Auch bei uns haben Themen wie KI und 'Machine Learning' einen extrem hohen Stellenwert, wie unsere jüngste Investition belegt", sagt Cisco-Managerin Kristina Appelt. In der Tat hat der Netzwerkmarktführer Anfang Juni 2024 einen Investitionsfond in der Höhe von einer Milliarde Dollar aufgelegt. Daraus sind schon Mittel zu KI-Startups wie Cohere, Mistral AI und Scale AI geflossen.
Was Cisco aber schon heute tut, ist die sogenannte "Predictive Maintenance". Das heißt, die KI identifiziert Probleme im Netzwerk, bevor sie überhaupt entstehen, aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit und den daraus gewonnenen Daten. "Mit Large-Language-Model-Technologien wie ChatGPT werden Administratoren künftig Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, mit denen sie Netzwerke einfacher konfigurieren und managen können. In dem Bereich Security ist dies heute schon mit dem Cisco AI Assistant Realität", so Appelt weiter. Dieser digitale Assistent kann etwa die Firmenrichtlinien ("Policies") in der Firewall direkt umsetzen und beispielsweise Access-Listen selbständig erstellen.
Den Bau von Rechenzentren beschleunigen
"Ich glaube, dass KI in der IT-Industrie zunächst dafür verwendet wird, um Simulationsdaten zu erzeugen", prophezeit Michael Sicklinger, Sales Director DACH bei Arista Networks. Seiner Meinung nach könnte die KI beim Bau von Rechenzentren unterstützend eingreifen, etwa um die günstigsten Luftströmungsprofile zu berechnen. Damit ließe sich dann im Betrieb viel Kühlungsenergie einsparen.
Ferner gibt es nach seiner Erfahrung schon erste Ansätze, wie die KI den Systemadministrator in seinem "Daily Business" entlasten kann. "Diese Software beruht auf der Vielzahl von Daten, die wir im Laufe der vergangenen Jahre gesammelt und ausgewertet haben", erklärt Sicklinger. Dieses Stück Code ist etwa in der Lage, Ausfälle in Gigabit-Netzen rechtzeitig vorherzusagen.
Dies gelte insbesondere für optische Transceiver, die etwa zwei Wochen vor ihrem endgültigen Ableben ein etwas anderes Verhalten aufweisen, das die KI detektieren kann. "Dann können die Transceiver kontrolliert gewechselt werden, das erspart dem Systemadministrator Überstunden und Wochenendarbeit", verkündet der Arista-Manager. Angesichts des Fachkräftemangels ist das sicherlich nicht die schlechteste Lösung.
"Das Thema KI dürfen wir keinesfalls aus dem technischen Winkel allein betrachten", ergänzt Christian Förg, Senior Vice President Region Germany bei Alcatel Lucent Enterprise (ALE). Hier verweist der Manager auf dem von der EU am 21. Mai 2024 verabschiedeten AI Act und auf die gegenseitige Anerkennung der Standards durch das BSI und sein französisches Pendant ANNSI am 17. Mai 2024.
Die EU gibt den Rechtsrahmen vor
"Wir als europäischer Hersteller setzen sehr stark darauf, dass Technologie sich nur in einem gesicherten Rechtsrahmen entfalten kann", erklärt der ALE-Vertreter. Und diese Erkenntnis setzt sich bei immer mehr Akteuren im EU-Raum durch: "Wir sollten nicht nur Fremdtechnologie nutzen, sondern auch eigene Intellectual Property schaffen und weiterentwickeln", so Förg weiter.
Deshalb setzt Alcatel Lucent Enterprise auf weitgehend autonom agierende KI-Systeme und sieht sich dabei selbst in der Rolle des AI-Enablers. Dies sei laut Förg noch möglich, etwa im IoT-Umfeld, wo es auf die Kollaboration zwischen menschlichen und maschinellen Endpunkten ankommt. Hierfür hat Alcatel Lucent Enterprise eine eigene Kollaborationsplattform entwickelt. Nur auf dieser ist die ebenfalls von dem Anbieter eigenentwickelte KI-Software "Network Advisor" lauffähig. "Damit ist gesichert, dass die dabei erhobenen Daten das Ökosystem des Kunden nicht verlassen", so Förg weiter.
Als Beispiel für derartig sensible Daten nennt der Manager die bei der Video-Überwachung zwischengespeicherten Bilder: Diese werden zu 90 Prozent von Fehlalarmen verursacht, weil bestimmte Sensoren überreagieren oder die Situation von der KI (noch) falsch interpretiert wird. Deshalb müssen wird diese Daten auch wieder unwiederbringlich löschen.
Kunden aufklären
"Als Systemintegrator muss ich mir auch die Sicht der Kunden zu Eigen machen", hier bringt Jens Müller, Teamleiter Business Development Network Solutions bei Controlware, einen neuen Aspekt mit in die Diskussion herein. "Viele unserer Kunden sind jetzt schon überfordert - durch den Zwang zur Digitalisierung und Automatisierung, den steigenden Bedarf an Security-Lösungen und jetzt kommt auch noch die KI obendrauf", so Müller weiter.
Deshalb legt der Controlware-Manager sehr viel Wert auf die ausführliche Aufklärung der Kunden. Dann muss der Systemadministrator dort eben noch eine Zusatzfortbildung absolvieren. Wenn das nicht passiert, erlebt Müller oft Situationen bei Kunden, bei denen sie sich weigern, ihre IT-Systeme auszutauschen. 'Never change a running firewall', heißt es dann oft, obwohl die seit zehn Jahren laufende Firewall löchrig ist, wie ein Schweizer Käse. "Das ist nicht mehr kontrollierbar", behauptet Müller.
Es fehlt an Fachkräften, also muss die KI ran, oder? So einfach ist es dann doch noch nicht. "KI kann zumindest überprüfen, ob die von Unternehmen vorgegebenen Security-Regeln eingehalten werden. Das nimmt den Systemadministratoren viel Last ab", so die bisherigen Erfahrungen des Controlware-Managers.
Und er nennt noch ein weiteres lohnendes Einsatzgebiet für die KI: die Telemetrie: "Telemetriedaten werden in Netzwerken ohnehin erhoben, und die KI 'lernt' heute von den Daten, auf die sie Zugriff erhält. Je mehr Telemetriedaten sie bekommt, umso bessere Vorschläge kann sie dem Systemadministrator unterbreiten. In Zukunft wird sie die vorgeschlagenen Maßnahmen vielleicht sogar selbstständig ergreifen."
Die Wissensdatenbank
Müllers Kollege Frank Melber, Director Customer Services & Cyber Defense", weist auf eine heute schon verfügbare KI-Anwendung hin, die etwa den Zugang zum Wissen vereinfacht: "Kein Mensch liest heute noch Handbücher, das sind oft Tausende von Seiten. Wenn diese Dokumente aber von der KI 'verstanden' wurden, kann man einfach Fragen an das KI stellen und bekommt in der Regel präzise Antworten auf diese Fragen. Das spart unglaublich viel Zeit ein und man erhält sehr schnell Zugriff auf das entsprechend gesuchte Wissen".
Die zweite wichtige KI-Anwendung ist auch für Melber die "Predictive Maintenance", also die gezielte Vorhersage von Ereignissen in IT-Umgebungen: "Die KI erkennt Muster in der Verhaltensweise der IT-Systeme und kann die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ereignis mit hoher Genauigkeit vorhersagen", so der für Kundendienst und Cyber-Abwehr verantwortliche Controlware-Manager.
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