Sehen und gesehen werden

Keine Angst vor Online-Gerede!

16.08.2012
Die digitale Mundpropaganda hält jede Menge Chancen bereit. Anne M. Schüller stellt sie vor.
Mundpropaganda ist für gute Anbieter eine Riesenchance - auch online.
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Die Angst vor dem Shitstorm, einer Lawine negativer Online-Kommentare, geht um. Ja, solches Gerede im Web kann Unternehmen enormen Schaden zufügen. Doch digitale Mundpropaganda hält auch jede Menge Chancen bereit - wenn man diese aktiv zu nutzen versteht.

Keine Frage: Für wirklich gute Anbieter ist digitale Mundpropaganda eine Riesenchance. Wenn ich allerdings mit Unternehmern darüber diskutiere, dann stellt sich heraus: Die Angst vor negativer Mundpropaganda im Web ist unendlich groß. Und wenn ich auf Vorträgen meine Zuhörer befrage, dann glaubt die Mehrzahl, dass insgesamt negative Mundpropaganda bei Weitem überwiegt. Doch das ist - falsch!

Positive Mundpropaganda überwiegt

"Der verbreitete Glaube, dass sich Menschen nur dann Zeit zum Posten nehmen, wenn sie eine negative Erfahrung loswerden wollen, ist einfach nicht wahr!", sagt Steve Kaufer, CEO des Reisebewertungsportals TripAdvisor. "Die überwiegende Mehrzahl der über 20 Millionen Meinungen, die wir erhalten haben, ist positiv."

Eine Nielsen-Studie aus dem Jahr 2010 zeigt, dass nur 33 Prozent aller Europäer dazu neigen, im Web eher über negative Produkterfahrungen zu berichten. Der weltweite Schnitt liegt übrigens bei 41 Prozent. "Die Ersten, die kommen", so Kommunikationsberater Michael Domsalla, "sind immer die Guten. Weil nur die, die Dich lieben, Zeit investieren, um das anderen mitzuteilen."

Befragt man Konsumenten nach der letzten Mundpropaganda, die von anderen an sie weitergegeben wurde, erinnern sich 89 Prozent an positive Berichte aus ihrem Umkreis, nur 7 Prozent an negative. Dies ergab eine Studie mit 30.000 Teilnehmern, die die Trnd AG im Jahr 2010 zusammen mit der Wirtschaftshochschule ESCP Europe durchgeführt hat. "Konsumenten interessieren sich für gute Nachrichten und geben diese selbst gern weiter", resümiert Studienleiter Martin Oetting.

Sich von der besten Seite zeigen

Warum das so ist? Das Web hat - wie auf einem realen Dorfplatz - viel mit Sehen und Gesehen-Werden zu tun. Da will man sich von seiner besten Seite zeigen. Und bei Menschen, die man weniger kennt, will man - wie im wahren Leben auch - einen guten Eindruck machen. Wer möchte in seinem Umfeld schon als Miesepeter und ewiger Nörgler gelten? Jedenfalls kann man all denen, die Geschäfte machen oder ab und an auf Jobsuche sind, nur raten, sich im Web von ihrer Schokoladenseite zu zeigen.

Für die Unternehmen bedeutet all dies:

1. Sorgen Sie dafür, dass Sie zu den wirklich Guten gehören!

2. Gestalten Sie Online-Mundpropaganda maßgeblich mit!

Wenn sie nun im Social Web über sich selber reden, dann lautet die wichtigste Regel wie folgt: Stellen Sie keine Ego-Botschaften (wir sind, wir haben, wir können) ein, sondern Inhalte, die die anvisierten Zielpersonen berühren - und Emotionalität zum Schwingen bringen. Sind solche Inhalte innovativ, witzig, nützlich, einzigartig, bizarr oder in einer anderen Form bemerkenswert, dann werden sie garantiert kommentiert, gevotet, gerankt, geliked, geplusst und weitergereicht.

Positive Mundpropaganda stimulieren

Wenn hingegen noch nicht über Sie im Web gesprochen wird, dann gilt es, (hoffentlich) positive Reaktionen gezielt anzuregen. Denn selbst wer tatsächlich begeistert ist, denkt nicht immer vollautomatisch über Mundpropaganda nach. Da heißt es, seine Kunden ein wenig zu impfen. Und das geht so: "Diskutieren Sie in unserem Forum über ... ." Oder: " Erzählen Sie uns doch auf Facebook Ihre Geschichte zu … ." Oder: "Bitte bewerten Sie uns auf … ."

Beginnt nun ein virtuelles Gespräch über Sie, dann heißt es agieren: den Ball aufnehmen, antworten, fragen, um Ratschläge bitten, Wissen teilen statt horten, dialogisieren - und danken. Bei Gesprächen im wahren Leben tun Sie all das ja auch. Sie wollen ein charmanter, eloquenter, wertvoller, gern gesehener Gesprächspartner sein. Dabei ist im Social Web eine Reaktion auf positive Hinweise mindestens genauso wichtig wie das Umgehen mit Kritik.

Anders als bei klassischen Kundenbefragungen äußern User im Web rundweg unbeeinflusst ihre ehrliche Meinung. Jede Bewertung - egal ob positiv oder negativ - ist dabei ein kostbares Geschenk: Eine Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein oder aber eine Gelegenheit, Schwachstellen aufzudecken, Fehler abzustellen, Verbesserungsprozesse einzuleiten, Innovationen anzustoßen, einen zaudernden Kunden zurückzuholen, Kundenverlusten vorzubeugen und seinen guten Ruf zu retten.

Denn was einen Kunden ärgert, das stört womöglich andere auch. Negativkommentare kommen ja keineswegs nur von Querulanten. Gerade all denjenigen, denen Sie besonders am Herzen liegen, haben ein echtes Interesse daran, dass erklärt wird, wie es zu einer Negativ-Situation kommen konnte, und was unternommen wird, um solche Fälle in Zukunft zu vermeiden.

Selbst negative Bewertungen sind positiv

"Der schlechteste Kunde ist Ihr bester Freund" sagt Jeff Jarvis, einflussreicher Blogger und Bestseller-Autor. Profis betrachten Beschwerden und kritische Hinweise im Web als Chance, sich zu verbessern. Nur für ignorante Anbieter sind sie ein Ärgernis. Für die Besten hingegen sind sie kostenloses Echtzeit-Consulting. Denn wer ganz gezielt um Online-Bewertungen bittet, profitiert gleich auf mehrfache Weise:

- Das Wohlwollen steigt, denn Menschen werden gerne nach ihrer Meinung gefragt. Die meisten von uns sind beseelt von dem Wunsch, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Und wir alle hungern nach Aufmerksamkeit und Anerkennung.

- Man erhält ungefilterte Meinungen in Echtzeit. So lassen sich Mängel schnell aufdecken - und dann schnell abstellen. Kritiker können so zum Retter Ihrer Produkte und Services werden. Denn schon ein einziger unzufriedener Kunde kann, wenn sich das im Web verbreitet, einen beträchtlichen Schaden anrichten.

- Der Umsatz steigt. Als Faustregel gilt: Von Produkten, zu denen es exzellente Bewertungen - auch als Folge einer gut bearbeiteten Reklamation - gibt, werden zehn Prozent mehr verkauft. Hingegen werden Produkte, die keine Bewertungen haben, gar nicht gekauft.

- Kunden werden zu Testern und entwickeln dabei oft kostenlose neue gute Ideen. Kluge Firmen machen sich dies schon lange systematisch zunutze. Immer mehr Produkte entstehen durch die Mithilfe von ambitionierten Marktteilnehmern oder werden durch sie optimiert.

Und schließlich: Das im Netz geäußerte Lob kann als O-Ton in Ihrer Werbung und auf Ihrer Webseite eingesetzt werden. Denn Konsumenten glauben nicht länger dem Werbegeplärre von Hochglanzbroschüren und Verkäufergeschwadern. Zunehmend vertrauen wir auf das, wozu Andere uns raten - und folgen solchen Hinweisen nahezu blind. Alles Weitere steht in meinem neuen Buch ‚Touchpoints‘.

Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller: Touchpoints. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute. Managementstrategien für unsere neue Businesswelt, Gabal, März 2012, 350 S., 29,90 Euro, ISBN: 978-3-86936-330-1
Weitere Infos: www.touchpoint-management.de

Die Autorin Anne M. Schüller ist Diplom-Betriebswirtin, zehnfache Buch- und Bestsellerautorin und Management-Consultant. Sie gilt als Europas führende Expertin für Loyalitätsmarketing und zählt zu den gefragtesten Business-Speakern im deutschsprachigen Raum. Über 20 Jahre hatte sie leitende Vertriebs- und Marketingpositionen in internationalen Dienstleistungsunternehmen inne und dabei mehrere Auszeichnungen erhalten. Zum Touchpoint Management hält sie Vorträge und Seminare.

Kontakt:
Anne Schüller Marketing Consulting, Harthauser Str. 54, 81545 München, Tel.: 089 6423208, E-Mail: info@anneschueller.de, Internet: www.anneschueller.de