Die digitale Transformation setzt Unternehmen die sprichwörtliche Pistole auf die Brust. Entweder sie passen sich den technologischen Innovationen des Marktes an, oder sie gehen das Risiko ein, von innovativeren Konkurrenten verdrängt zu werden. "Disrupt or be disrupted", wie man im englischen Sprachraum so schön sagt.
Dass die digitale Transformation nicht mehr aufzuhalten ist, dass sie den Markt verändert, und zwar den globalen genauso wie immer mehr auch den lokalen, dass sie ein grundlegend neues Verständnis althergebrachter Geschäftsprozesse nötig macht - all das ist längst im Management der meisten Unternehmen angekommen. Und doch verschlafen gerade auch deutsche Firmen die Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse, ganz so als hätten sie noch viele Jahre Zeit dafür. Das Problem dabei ist: Die digitale Transformation mag auf langsame Unternehmen warten, ihre Kunden werden es sicherlich nicht.
Mittelstand mit Defiziten bei der Digitalisierung
Laut einer für die deutsche Wirtschaft repräsentativen Studie, die der Branchenverband Bitkom im Januar 2017 durchgeführt hat, gibt es in deutschen Unternehmen noch immer eine eklatante Beratungsresistenz, wenn es um Digitalisierungsstrategien geht. Vor allem der Mittelstand scheint sich externen Beratungsleistungen vehement zu verweigern: Laut Bitkom nehmen nur 18 Prozent aller Unternehmen in Deutschland mit einer Größe zwischen 20 und 499 Mitarbeitern externe Beratungsleistungen in Anspruch. Für ganze 75 Prozent kam und kommt dies nicht in Frage.
Ganz anders dagegen große Unternehmen mit 500 oder mehr Mitarbeitern, hier haben immerhin bereits 49 Prozent externes Fachwissen eingeholt. Dabei hätten gerade kleinere Unternehmen, so Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder, große Probleme damit, das Wissen um die Notwendigkeit der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse auch umzusetzen. Vor allem müsse bedacht werden, so Rohleder, "dass gerade disruptive Innovationen nur selten in der Branche selbst entwickelt werden – wer hier vorne mit dabei sein will ist gut beraten, sich externe Unterstützung zu suchen."
Besonders drastisch ist die Situation laut Bitkom-Studie im Handel, wo tatsächlich ganze 76 Prozent aller Unternehmen auf externe Beratungsdienstleistungen verzichten. Die Gründe für die vehemente Beratungsresistenz deutscher Unternehmen kann die Bitkom-Studie zwar nicht erschließen, aber sie zeigt doch, wie wenig Priorität die Digitalisierung noch immer genießt. Dabei treffen die Folgen der digitalen Transformation nicht nur besonders IT-lastige Branchen, sondern vor allem auch traditionelle Branchen wie gerade eben auch den Handel, der vom unmittelbaren Kundenkontakt lebt – und der verändert sich durch die digitale Transformation so grundlegend wie wohl nie zuvor.
Die digitale Transformation verändert die Kundenansprache
Drei einfache Beispiele helfen beim Verständnis dafür, wie die digitale Transformation nicht nur unternehmensinterne IT-Services verändert, sondern auch auf Kundenseite neue Anforderungspotenziale weckt.
Erstens schafft der Mobility-Trend nicht nur flexiblere Mitarbeiter, sondern fördert auch die Kundenerwartung nach mobilen Geschäftslösungen. Für viele Unternehmen steht bei Mobility-Initiativen noch immer die eigene Unternehmens-IT im Vordergrund, die interne Geschäftsprozesse mobilisieren soll und so idealerweise zeitlich wie räumlich unabhängigere Mitarbeiter ermöglicht. Dabei wird oft vergessen, dass das Thema Enterprise Mobility seinen Ursprung bein den privaten Endkonsumenten genommen hat.
Weite Teile der Bevölkerung besitzen mittlerweile ein Smartphone und benutzen dieses auch täglich. Die gleiche Unabhängigkeit von Ort und Endgerät, die Smartphone-Apps und mobiles Internet bieten, erwarten diese Nutzer inzwischen nicht mehr nur von Apple, Google und Co., sondern zunehmend auch von ihrem Möbelhaus, dem Supermarkt um die Ecke oder ihrer Bank.
Zweitens bietet Big Data ein heute noch kaum ergründetes Potenzial zur Betriebsoptimierung. Das führt auf Kundenseite gleichzeitig aber auch zur Erwartung einer maximal-individuellen Ansprache. Je weiter die Digitalisierung in einem Unternehmen voranschreitet, umso mehr Daten werden generiert und gespeichert – und im Idealfall über Analyse-Tools auch ausgewertet und zur Optimierung von Prozessabläufen herangezogen.
Gerade individuelle Kundendaten lassen sich aber nicht nur intern für die Optimierung betrieblicher Prozesse nutzen, sondern auch extern für eine persönliche Kundenansprache. Und genau das erwarten die Konsumenten heutzutage. An Stelle der anlasslosen Massenkommunikation muss immer mehr der individuelle Kundendialog stehen. Wer im Online-Supermarkt wiederholt vegetarische Produkte einkauft, der freut sich beim nächsten Log-in vielleicht über vegetarische Kochtipps, meidet aber sicherlich die Konkurrenz, die ihn mit unpersönlichen Massen-Mailings zu Fleischprodukten überhäuft.
Drittens hat die Public Cloud viele IT-Prozesse enorm vereinfacht, dabei aber gleichzeitig auch auf Kundenseite die Nachfrage nach genau dieser Einfachheit geweckt. Im Vergleich zur traditionellen IT, mit Capex-Investitionen und manuellem Support von Hard- und Software, bietet die Cloud IT-Abteilungen einfach skalierende IT-Ressourcen, die bedarfsgerecht als Opex-Ausgaben abgerechnet werden.
Dabei haben sich aber inzwischen auch Endkonsumenten an Cloud-Dienste wie Dropbox oder Office 365 mit ihrer verblüffenden Kombination aus einfacher Benutzeroberfläche und komplexen Funktionen gewöhnt. So ähnlich wie Kunden mit Blick auf den Mobility-Kontext mobile Geschäftslösungen erwarten, setzen sie in vielerlei Hinsicht inzwischen also auch die von Cloud-Diensten gewohnte Einfachheit voraus.
Wer die digitale Transformation verschläft, verliert Kunden
Im Ergebnis lässt sich daraus ein sehr deutliches Fazit ziehen: Wer die digitale Transformation verschläft, der spielt mit seiner Kundenbasis. Die drei hier kurz skizzierten Beispiele zeigen, dass die Digitalisierung auch große Vorteile innerhalb der Unternehmens-IT bietet, und damit auch den Fachabteilungen schlagkräftigere IT-Services zur Verfügung stehen. Auch hier lassen sich Innovationsvorteile gegenüber Marktkonkurrenten realisieren, denn je schneller und leistungsstärker die IT ist, umso schneller können beispielsweise neue Produkte entwickelt und ausgerollt werden.
Dabei wird aber leider nur zu oft die Bedeutung der Kundensseite vernachlässigt. Natürlich tragen mobile Mitarbeiter das Potenzial einer flexibleren und damit leistungsfähigeren Belegschaft in sich. Natürlich können durch Big-Data-Analysen optimierte Geschäftsabläufe zu Kosteneinsparungen verhelfen. Und natürlich vereinfacht und beschleunigt die Cloud derzeit jahrzehntelang praktizierte IT-Prozesse.
Letztlich ist es aber der Kunde, der über Erfolg oder Misserfolg eines Produktes entscheidet. Und hier stehen im Zuge der digitalen Transformation eben Erwartungen von zum Beispiel mobil-optimierten Lösungen, personalisierter und individueller Kundenansprache und größtmöglicher Einfachheit verbunden mit umfangreichem Funktionsumfang im Raum. Die digitale Transformation ist kein Selbstzweck zur Steigerung der eigenen IT-Fähigkeiten. Wer die Digitalisierung aufschiebt, der wird schon bald nicht mehr in der Lage sein, die immer anspruchsvoller werdenden Kundenanforderungen zu erfüllen. (haf)