Schon einzelne Wörter können Gefühle auslösen: So wird "Zufriedenheit" meist als etwas Entspanntes wahrgenommen, während "Begeisterung" mit Energie in Verbindung gebracht wird. Begriffe wie "Matheklausur" oder "Zahnarzt" lösen dagegen Unbehagen aus. Wenn nun schon allein die Erwähnung einzelner Begriffe Wirkungen in uns auslöst, kann man sich leicht vorstellen, wie groß die Wirkung der jeweiligen Gesprächspartner selbst ist. Ihre Persönlichkeit, das gesamte Verhalten im Gespräch und natürlich die Wahl der Worte entscheiden somit über den Erfolg Ihrer Gespräche. Rhetorik-Experte Stéphane Etrillard über die psychologischen Effekte und die Fähigkeit, Gespräche zielgerichtet zum Erfolg zu führen.
Herr Etrillard, Sie sind Experte zum Thema Souveränität und moderne Rhetorik. Und Sie verweisen regelmäßig darauf, dass beide Themen in wichtigen Bereichen Hand in Hand gehen. Doch ist die Rhetorik nicht eher ein antikes Thema, das heute allenfalls noch für einige Spezialisten von Bedeutung ist?
Stéphane Etrillard: Natürlich ist die Rhetorik, also die Theorie und Praxis des Sprachgebrauchs, schon sehr alt. Und schon in der Antike war es das vornehmliche Ziel der Rhetorik, eine Gemeinsamkeit zwischen den Gesprächspartnern herzustellen. Dahinter stand die Erkenntnis, dass Gespräche allein auf dieser Basis tatsächlich etwas in Bewegung setzen können. Außerdem hatte die Rhetorik schon früh einen sehr praktischen Hintergrund: Wer damals in Streitfällen zu seinem Recht kommen wollte, musste sein Anliegen vor Gericht persönlich vortragen. Damit waren rhetorisch versierte Redner eindeutig im Vorteil, denn sie konnten ihre Interessen viel erfolgreicher vertreten als andere, die nicht in die Kunst der freien Rede eingeweiht waren. Auch wenn es heute seltener um Reden vor Gericht geht, hat sich hier kaum etwas geändert. Im Gegenteil, selten war der persönliche Erfolg so sehr mit gesprochener Sprache verknüpft wie heute.
Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass ein Mangel an rhetorischen Fähigkeiten ein Handikap für den persönlichen Werdegang ist. Aber hängt beispielsweise der berufliche Erfolg nicht vielmehr noch von ganz anderen Faktoren ab?
Stéphane Etrillard: Zweifellos ist die sprachliche Kunstfertigkeit für sich allein noch kein Erfolgsgarant. In der Praxis sitzt heute jedoch kein Mensch mehr ganz unabhängig im stillen Kämmerlein, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Und sobald andere Menschen ins Spiel kommen, entscheidet die Rhetorik darüber, ob Sie ein gutes Blatt auch ausspielen können oder nicht. Im Beruf - und auch privat - geht es unaufhörlich darum, andere Menschen zu überzeugen, sie auf etwas aufmerksam zu machen, sie zu begeistern und mitzureißen. Mit verschlossenem Mund oder unüberlegten Worten wird dies heute sicher niemandem mehr gelingen.
Bei der Rhetorik geht es also nicht nur um die Wahl der Worte selbst, sondern vielmehr noch um die Wirkung, die wir damit erzielen?
Stéphane Etrillard: Genau darum geht es: Vom Verhalten im Gespräch und den rhetorischen Fähigkeiten wird immer unmittelbar auf die entsprechende Person geschlossen. Nicht nur, dass ein guter Redner als intelligent gilt, während der weniger versierte das Nachsehen hat - die Wirkung der gesamten Persönlichkeit hängt entscheidend vom Kommunikationsverhalten ab. Die wahre Kunst ist es, die eigenen Interessen konsequent zu vertreten und gleichzeitig als ein souveräner Gesprächspartner wahrgenommen zu werden, mit dem man sich gerne trifft, um Sachen ins Rollen zu bringen. Ob Sie nun ein guter Rhetoriker und Gesprächspartner sind, hängt damit längst nicht nur von Ihrer eigenen Wahrnehmung ab - entscheidend ist hier die Perspektive Ihres Gegenübers.
Das leuchtet ein. Doch woher kann ich wissen, wie ich im Gespräch auf andere wirke?
Stéphane Etrillard: Dafür brauchen Sie vor allem eines: Einfühlungsvermögen. Kommunikation im Allgemeinen und Gespräche im Besonderen können überhaupt nur gelingen, wenn wir sehr genau auf unsere jeweiligen Gesprächspartner und Ihre Reaktionen achten. Ein guter Rhetoriker zu sein, heißt damit auch, sich aktiv in andere einzufühlen und im Gespräch positive Gefühle zu vermitteln.
Das Wort Rhetorik scheint oft allerdings ganz anders verstanden zu werden. Im Dunstkreis der rhetorischen Spitzfindigkeiten geht es doch immer wieder um Verbalkeulen, um den Sieg in Wortgefechten, um Angriffe und Abwehr, verbale Tiefschläge, Killerphrasen und messerscharfe Argumente. Schon die Begrifflichkeiten verweisen hier eher auf einen Zweikampf als auf ein Miteinander. Hier bleibt doch der Eindruck, dass Rhetorik ein geeignetes Mittel dafür ist, andere verbal zu besiegen.
Stéphane Etrillard: Einige, wenn auch längst nicht alle, der propagierten Methoden sind tatsächlich wirksam. Wenn Sie Ihren Gegner verbal erschlagen wollen, können Sie das natürlich tun, sofern Ihr Gegenüber die entsprechenden Gegenmittel nicht kennt. Die Frage ist dann nur: Wer hat davon einen Nutzen?
Zumindest geht man als Sieger aus einem Rededuell hervor.
Stéphane Etrillard: Doch was kommt danach? In der Praxis bringt ein einmaliger Sieg überhaupt nichts. Und in solchen Fällen werden zukünftige Gespräche vermieden oder man rüstet sich ebenfalls für das nächste Wortgefecht. Das Ergebnis ist in allen Fällen destruktiv. Wenn wir miteinander sprechen, wollen wir doch Konflikte vermeiden und nicht provozieren, gemeinsam etwas in Bewegung setzen, anstatt sich zu bekämpfen, und Lösungen finden, statt neue Barrikaden aufzubauen. Hier schließt sich der Kreis, und wir kommen auf die Grundintention der Rhetorik zurück: Gemeinsamkeiten zwischen den Gesprächpartnern herstellen, statt Grenzen zu ziehen oder Gräben auszuheben. Außerdem, und auch dieser Effekt ist keineswegs unerheblich, schadet jedes misslungene oder entgleiste Gespräch vor allem dem eigenen Ansehen.
Wieso das?
Stéphane Etrillard: Gespräche sind die wohl persönlichste Visitenkarte und tragen damit wesentlich dazu bei, welches Bild man sich von uns macht. Ein gutes, fruchtbares Gespräch ist - vor allem, wenn es um schwierige Inhalte geht - ein wahrer Glanzpunkt. Jeder Beteiligte weiß es zu schätzen, auf einen fairen und souveränen Partner zu treffen. Die Art der Gesprächsführung ist damit immer auch eine Frage des persönlichen Niveaus. Und an gelungene Gespräche erinnert sich jeder gerne, insbesondere dann, wenn zum Vorteil aller Beteiligten tatsächlich etwas erreicht wurde. Ein souveränes, niveauvolles Auftreten im Gespräch ist damit zugleich exzellente Selbst-PR. Wer sich den Ruf erwirbt, gute und lösungsorientierte Gespräche führen zu können, macht damit diese Fähigkeit zu seinem Markenzeichen. Und das werden viele Menschen zu schätzen wissen.
Doch es gibt eben auch Gesprächspartner, die ihre rhetorischen Kenntnisse dazu einsetzen, kurzfristige Siege zu erzielen. Muss ich mich hier nicht zur Wehr setzen?
Stéphane Etrillard: Natürlich, doch auch dafür stehen verschiedene Wege offen. Und der Umgang mit unfairen Gesprächspartnern ist natürlich nicht immer leicht. Doch auf Konfrontation zu setzen, bringt hier nichts. Ein eskalierendes Gespräch, das womöglich noch in gegenseitigen Anschuldigungen gipfelt und sich damit immer weiter von der Sache entfernt, kann kaum mehr zu einem guten Ergebnis führen. In solchen Fällen heißt das Mittel der Wahl daher: entlarven. Zeigen und sagen Sie Ihrem unfairen Gesprächspartner, dass Sie ihn durchschauen. Schon damit werden viele dieser Versuche unwirksam. Ihr Ziel bleibt es, alle Manipulationsversuche und unsauberen Techniken zu unterbinden. Springen Sie auf solche Winkelzüge einfach nicht an, bringen Sie stattdessen klar und deutlich zur Sprache, dass Sie viel lieber auf einem höheren Niveau miteinander sprechen wollen. Wer zu unfairen Mitteln greift, ist das Gegenteil von souverän, nämlich unsicher und will damit letztlich nur einen Mangel kaschieren. Wer im Gespräch etwas erreichen und mehr als nur heiße Luft produzieren will, hat keine "Tricks" nötig.
Dennoch geht es darum, die eigene Position nicht aus den Augen zu verlieren.
Stéphane Etrillard: Genau, und daran ist auch nicht das Geringste auszusetzen. Es ist absolut kein Widerspruch, in der Sache hart, gegenüber den Menschen jedoch fair zu bleiben. Außerdem sind Gesprächserfolge weitaus nachhaltiger, wenn wir unsere Gesprächspartner mit wirklich guten Argumenten überzeugen können. Im Gespräch wird auf zunächst theoretischer Ebene etwas erörtert, was anschließend in die Praxis umgesetzt wird. Wer wirklich überzeugt wurde, wird sich dann auch nicht gegen die Umsetzung sträuben. Wer allerdings überredet wurde, wird kein großes Interesse daran haben, die Vereinbarungen mit Elan voranzutreiben.
Herr Etrillard, ich weiß, Rhetorik ist ein komplexes Thema und lässt sich nicht auf einzelne Aspekte reduzieren. Darf ich Sie dennoch um einen Tipp für gelungene Gespräche bitten?
Stéphane Etrillard: Gelungene Gespräche entstehen aus dem Zusammenspiel vieler Faktoren. Von ganz besonderer Bedeutung ist es, im Gespräch auf die eigenen Gefühle und auch auf die des Gesprächspartners zu achten. Wer seine Antennen frühzeitig ausfährt, entwickelt schnell ein Gespür dafür, wo Einigkeit und an welchen Punkten noch Klärungsbedarf besteht. Und wir können nur ein Gefühl für unsere Gesprächspartner entwickeln, wenn wir ihnen tatsächlich zuhören. Um es auf den Punkt zu bringen: Viele Gespräche verlaufen allein deswegen ungünstig, weil sich die Beteiligten zu wenig zuhören und glauben, die Antworten bereits zu kennen. Es ist überaus wertvoll für alle Gespräche, dem Gegenüber genau zuzuhören und zu verstehen zu versuchen, was es genau meint und was ihm wichtig ist. Auf dieser Basis werden viele unnötige Konflikte und Missverständnisse von vornherein vermieden - und schon damit ist viel erreicht.
Weitere Informationen unter: www.etrillard.com (mf)