Conrad ist der Multichannel-Spitzenreiter, gefolgt von Saturn und Media Markt – laut der Beratungssparte von IBM ist im deutschen Elektronikhandel alles in Butter: Vor der Konkurrenz durch Amazon und Notebooksbilliger brauchen sich die genannten Händler demnach nicht zu fürchten. Und auch die Probleme von Retail-Größen wie Media-Saturn angesichts des Netz-getriebenen Wandels im Kundenverhalten sind halb so schlimm: Glaubt man dem „Omni-Channel-Maturity Index“ von IBM Global Business Services, nimmt die Elektronikbranche vielmehr eine Vorreiter-Rolle für die Neuausrichtung des stationären Handels ein.
Insgesamt 33 deutsche Handelsunternehmen haben die Strategieberater von IBM unter die Lupe genommen. „Die Unterschiede sind beträchtlich, doch die Tendenz ist eindeutig: die Integration schreitet voran, die Kanäle ergänzen sich, aber verdrängen sich nicht gegenseitig“, erklärt Roland Scheffler, Partner bei IBM Global Business Services, zu der Untersuchung. Anhand von 65 Einzelkriterien habe man das Zusammenspiel und die Performance von Online- und stationärem Handel untersucht. Zwar hätten viele Einzelhändler ihre Geschäftsmodelle offensichtlich noch nicht ausreichend an die neuen Anforderungen angepasst, doch sei man auf dem richtigen Weg: „Die Multikanalanbieter haben durch ihr vorhandenes stationäres Geschäft sehr gute Chancen, gegen die reinen Onlinehändler wie Amazon und Zalando erfolgreich zu sein“, so Scheffler.
Am besten schnitten in der IBM-Studie die großen Elektronik-Händler ab – und das obwohl Saturn und Media Markt erst wenige Monate im Online-Geschäft aktiv sind und in Branchenkreisen bisher viel Kritik einstecken mussten. Mit Abstand führend ist in der Studie allerdings Conrad Electronics. Das Unternehmen erreichte mit 83 Prozentpunkten (Saturn: 66 Prozent, Media Markt: 63 Prozent) die höchste Punktzahl und ist außerdem Top-Performer im Hinblick auf die Funktionalitäten des Online-Auftritts und die Online-Bestellmöglichkeiten in den Filialen vor Ort.
Abgeschlagen ist laut IBM dagegen der Lebensmittelhandel. Kein einziges Unternehmen schaffte es in die Top Ten. Dabei spiele allerdings eine entscheidende Rolle, dass die Filialnetze der großen Anbieter in Deutschland vergleichsweise sehr eng gespannt seien, die Logistik-Anforderungen aufgrund der Kühlkette sehr hoch seien und dass der deutsche Lebensmittelhandel mit den geringsten Margen in Europa arbeite. Online-Handel lohne sich in dem Bereich bisher nur für wenige Spezialanbieter.
Zweifel am Erfolgsrezept von IBM
Multichannel, also die wechselseitige Verknüpfung der Vertriebskanäle Online und Offline, ist im Handel tatsächlich einer der Haupttrends. Während Branchenvertretungen wie der Versandhandelsverband bvh oder die Wirtschaftsforscher vom Kölner E-Commerce Center Handel sich bereits länger mit dem Thema beschäftigen, ist das Interesse von IBM am Multichannel-Handel allerdings etwas überraschend. Betrachtet man jedoch die dem „Omni-Channel"-Ranking zugrunde liegenden Kriterien, wird einiges über die Studie deutlich: Neben klassischen Multichannel-Funktionen wie der Online-Anzeige von stationären Warenverfügbarkeiten oder der Abholung von Online-Bestellungen im Ladengeschäft wird so ziemlich alles abgefragt, was irgendwie mit dem Themen Handel und E-Commerce zu tun hat. Das Spektrum reicht dabei von der Social Media-Aktivität der untersuchten Unternehmen über deren Online-Shopsystem bis hin zum Kundenservice. Die IBM-Studie ist damit bestens geeignet die Ansicht vieler Kritiker zu bestätigen, wonach der Multichannel-Trend vor allem für IT-Dienstleister ein gefundenes Fressen ist, um ihren Kunden ein buntes Service-Sammelsurium zu verkaufen.
Näher betrachtet belohnt das Punktesystem von IBM nämlich in erster Linie Unternehmen, die mit viel Aufwand eine möglichst hohe Aktivität in einer Vielzahl von Kanälen entfalten. Inwiefern sich dahinter ein echter Kundennutzen verbirgt, wird dagegen offensichtlich nicht hinterfragt. Und ob die entsprechende Hyper-Kanal-Aktivität dann auch noch wirtschaftlich sinnvoll darstellbar ist, steht ohnehin auf einem ganz anderen Blatt.
Gerne würde man wissen, wie in der IBM-Studie Unternehmen abgeschnitten hätten, die auf eigene Weise einen für alle Seiten nutzenbringenden Weg durch das Kanal-Wirrwarr suchen. Zum Beispiel Cyberport, dass neben dem Online-Geschäft mit seinen Showroom-artigen Stores ein höherwertiges Verkaufskonzept inklusive eigenem Pricing und Zusatzservices verfolgt. Oder PC-Spezialist, das Online- und Stationärgeschäft bewusst nicht verknüpft, sondern den Onlineshop nutzt, um Skaleneffekte für das Einkaufsvolumen der Verbundgruppe und die Online-Sichtbarkeit der Partner zu erzielen. (mh)