Früher war in der Informatikerweiterbildung nicht alles besser. Es war nicht einmal anders. Ulrich Klauck abeitete nach Informatikstudium und Promotion drei Jahre in der Industrie. Das war vor 18 Jahren und schon damals sparte sein mittelständischer Arbeitgeber an Fortbildungen. Heute ist Klauck Studiendekan Informatik an der Hochschule Aalen und appelliert: „Fortbildung tut dringend Not. Nach etwa fünf Jahren ist Anwendungswissen veraltet." Praktiker aus der Softwareentwicklung sehen die Verfallsdauer deutlich kürzer: nach 18 Monaten sei das Wissen nichts mehr wert.
Tragisch ist: "Mittelständler vernachlässigen IT-Fortbildungen", teilte auch der Branchenverband Bitkom im Frühjahr mit. Laut Erhebung in der Europäischen Union hatte nur rund jedes fünfte mittelständische Unternehmen in Deutschland für seine Mitarbeiter IT-Fortbildungen umgesetzt. Im Vergleich von 31 europäischen Ländern liegt die Bundesrepublik damit gerade einmal auf Platz 13. Zu wenig für ein Land, das eine Technologieführerschaft für sich beansprucht. Spitzenreiter ist Norwegen. Größere Unternehmen sind bei der IT-Fortbildung deutlich spendabler als kleine: Mehr als drei Viertel der deutschen Unternehmen mit 250 oder mehr Beschäftigten gönnten ihren Mitarbeitern eine IT-Weiterbildung.
Dieser sechste Platz im europäischen Vergleich hilft wenig, da sich die IT-Branche hierzulande vor allem aus kleinen und mittelständischen Firmen mit weniger als 250 Mitarbeitern zusammen. Drei von vier Beschäftigten der IT-Branche ordnet der Bundesverband IT-Mittelstand, Aachen, kleinen und mittleren Unternehmen zu. Und die sparen nach wie vor, wie Professor Klauck schon vor Jahrzehnten erfahren hat. Er rät zur Fortbildung mit Zertifikat, also Abschlussprüfung, „weil bei einer Bewerbung der Beleg einer bestandenen Prüfung viel mehr wert ist als die bloße Teilnahmebescheinigung an einem Fortbildungskurs."
„Die Bedeutung von Zertifikatslehrgängen nimmt deutlich zu", sagt Enis Akmut, Produkt-Manager bei Integrata in Stuttgart, einem der größten Bildungsunternehmen Deutschlands mit umfangreichem IT-Fortbildungsangebot. Bis vor fünf Jahren seien Seminare für Softwareentwicklung und –testing mit anschließender Zertifizierung bei Integrata nahezu unbedeutend gewesen. „Heute kommt kein Entwickler mehr daran vorbei."
Fachliches Wissen mit Verfallsdatum
Thomas Michel ist Geschäftsführer der Dienstleistungsgesellschaft für Informatik in Bonn, der deutschen Zertifizierungsstelle für den europäischen Computerführerschein. Er stellt fest, dass „die Teilnehmerzahlen in herstellerabhängigen Kursen rückläufig, die in herstellerunabhängigen steigend sind". Zertifikate dokumentieren nach seinen Angaben fachliches Wissen mit Verfallsdatum: „Das System der Zertifizierung lebt von der Re-Zertifizierung, nur so kann lebenslanges Lernen dokumentiert werden."
Eine standardisierte Qualifikation zum Softwaretester nach dem International Software Testing Qualifications Board (ISTQB) ist laut Michel die Fortbildung zum Certified Tester. „Diese Zertifizierung ist ein Muss für jeden Softwareentwickler." Fast 7000 Teilnehmer legen die Prüfung jährlich ab, was einer Steigerung um 25 Prozent gegenüber Vorjahr entspricht. „Fortbildungen steigern das Einkommen und unterstützen Karrieren", ist Michel überzeugt. Ein Dreitageskurs zum Certified Tester kostet etwa 1500 Euro. „Wegen dieser für Entwickler häufig notwendigen Fortbildung kann er nach erfolgreichem Abschluss nicht 500 Euro mehr Gehalt fordern", sagt Stephan Pfisterer, Arbeitsmarktexperte beim Bitkom. Eventuell könne man den Lehrgang bei der nächsten Gehaltsverhandlung mit in den Ring werfen. Mehr aber nicht.
Pfisterer beobachtet in den vergangenen zehn Jahren einen deutlichen Rückgang an geforderten Zertifikaten in Stellenausschreibungen für IT-Fachkräfte. „Was nicht bedeutet, dass sie nicht gefragt sind." Vor Jahren seien genannte Kurse für Personaler eine Brücke dafür gewesen, das nicht vorhandene Wissen über die notwendigen Skills zu kompensieren. „Wer ein Zertifikat hat, kann etwas", war die Überlegung. Heute gebe es weniger Quereinsteiger in der Informatik. Viele haben eine solide Ausbildung oder ein Studium und so Professionalität in die IT gebracht. Zertifikate ersetze diese Entwicklung aber nicht.
An der Hochschule Aalen belegt jeder zehnte Student zusätzlich zum Studium Zertifikatslehrgänge. Manche sind heute Standard und werden für bestimmte Tätigkeiten einfach vorausgesetzt. Beispielsweise in SAP, Microsoft, Oracle oder Linux. Dieses Quartett hat zertifizierte Schulungspartner und teilweise eigene Fortbildungsakademien.
Zertifizierungen der großen Hersteller
SAP Education bietet seit 1996 ein umfangreiches Zertifizierungsprogramm an und hat seitdem mehr als 350.000 Teilnehmer zertifiziert. Das Angebot richtet sich primär an Partner, Mitarbeiter von Kunden und Freiberufler, es umfasst 130 Prüfungen in 27 Sprachen. Die Kurse kann man in SAP-Schulungszentren weltweit und bei zahlreichen Bildungspartnern belegen. Jährlich steigt die Teilnehmerzahl zwischen 20 und 30 Prozent. Das Wachstum kommt vor allem durch die Nachfrage nach neuen Technologien wie Mobility. Meist finanzieren die Arbeitgeber die Kurse ihrer Mitarbeiter.
SAP hat zwei Zertifizierungsstufen: Associate und Professional Professional-Zertifizierungen sind zugeschnitten auf Berater und Kundenmitarbeiter mit mehr als vier Jahre Praxiserfahrung. Die Prüfungen sind daher sehr stark erfahrungsbasiert. Hierfür werden modulare Schulungen angeboten, die den Bedürfnissen des Einzelnen angepasst werden können. Für die Zertifizierung im Asssociate-Level gibt Schulungen im Klassenraum sowie virtuelle Lernmöglichkeiten. Jährlich nehmen weltweit rund 500.000 an den Schulungen teil, nur ein Teil schließt den Kurs mit einer Prüfung, dem Zertifikat, ab. Das Marktforschungsunternehmen IDC hat in seinem Report ‚Wordwide IT Education and Training 2013‘ der SAP eine führende Position bei weltweiter IT-Fortbildung bescheinigt.
Oracle hat ebenfalls eine eigene Weiterbildungseinrichtung, die Oracle University. Sie bietet weltweit etwa 150 Kurse an, alle auch in Deutschland. Sie richten sich an Administratoren, Entwickler, Architekten und diejenigen, die die Datenbankanwendungen implementieren. Neben der Oracle-Academy haben Interessenten auch die Möglichkeit, die Kurse bei zertifizierten Bildungspartnern zu besuchen. Manche Teilnehmer zahlen die Kurse aus eigener Tasche, bei anderen übernimmt der Arbeitgeber die Kosten.
Microsoft bietet seit 1992 ein umfassendes Programm zur professionellen IT-Zertifizierung an, mit dem sich bereits Millionen Menschen weltweit weitergebildet haben. Das Angebot richtet sich an Einsteiger, aber auch an Fortgeschrittene und Experten. Der Kurs zum Microsoft Technology Associate vermittelt grundlegende Technologiekonzepte und gilt als Einstieg in die Microsoft-Welt. Bei der Zertifizierung zum Microsofts Certified Solutions Associate werden die wesentlichen Plattformkenntnisse einer IT-Umgebung überprüft, und Microsoft Certified Solutions Expert bestätigt etablierten IT-Experten breite und fundierte Fachkenntnisse zu Microsofts Technologielösungen. Microsofts Certified Solutions Master schließlich ist der Nachweis, dass die Absolventen Lösungen für äußerst komplexe Geschäftsanforderungen entwerfen und implementieren können. Die Trainingskurse werden ausschließlich von Microsoft Learning Partnern angeboten.
Das Linux Professional Institute (LPI) entwickelt professionelle Zertifizierungen für das Betriebssystem GNU/Linux, unabhängig von Software- oder Schulungsanbietern. Es bietet das Zertifizierungsprogramm Linux Professional Institute Certification (LPIC) in drei Stufen an. In der ersten Stufe wird allgemeines Linux-Wissen geprüft, das für Anwender, Systemadministratoren, Entwickler und Berater wichtig ist. Die höheren Stufen tendieren deutlich in Richtung Systemadministratoren. Die Prüfungen können in bestehender Reihenfolge abgelegt werden. Das Zertifikat gibt es erst, wenn die Prüfung bestanden und – falls möglich – das Zertifikat der Ebene darunter vorhanden ist. LPI-Prüfungen kann man über das Prüfungszentrum von Pearscon VUE oder auf Messen und Kongressen ablegen. Kurse, die auf die Zertifizierungsprüfungen vorbereiten, finden sich bei Trainingsanbieter, aber nicht beim LPI. Seit 1999 hat das LPI weltweit mehr als 120.000 LPIC-Zertifizierungen ausgeliefert. (tö)
Autor: Peter Ilg