Finanzminister Christian Lindner (FDP) will am eingeschlagenen Konsolidierungskurs festhalten und forderte kürzlich "weiterhin kritische Überprüfungen bestehender Ausgaben und Priorisierungen." Jetzt sollen dieser "kritischen Überprüfung" auch die Mittel für Digitalisierungsprojekte in der Verwaltung zum Opfer fallen. Sie sollen Berichten zufolge von derzeit 377 auf lediglich 3,3 Millionen Euro zusammengestrichen werden.
Experten und Verbände gehen dagegen naturgemäß auf die Barrikaden. Die FAZ zitiert zum Beispiel Irene Bertschek, Leiterin des Forschungsbereichs "Digitale Ökonomie" am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW. Sie bemängelt, dass die Bundesregierung einer digitalen öffentlichen Verwaltung noch immer nicht die Bedeutung beimesse, die ihr zustehe.
"Die Digitalisierung der Verwaltung ist Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit auch anderer Bereiche und damit für die Handlungs- und Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft", sagte Bertschek dem Blatt. Und der neue Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst erklärte der Zeitung gegenüber: "Wer ausgerechnet bei der Digitalisierung spart, spart an der völlig falschen Stelle. Investitionen in die Digitalisierung sind Investitionen in Deutschlands Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit."
Auch Patrick Häuser, Hauptstadtbüroleiter des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi), ist enttäuscht. Auf Anfrage von ChannelPartner erklärte er: "Die Ampel hatte einen digitalpolitischen Aufbruch versprochen. Davon ist kaum noch etwas zu spüren. Deutschland sollte wieder in die digitalen Top 10 Europas aufsteigen, so das selbst gesteckte Ziel. Das wäre gerade bei der Verwaltungsdigitalisierung dringend geboten, wo wir auf einem schlechten 19. Platz stehen.
Dass ausgerechnet dafür das Budget im nächsten Haushalt gekürzt werden soll, kann Häuser nicht nachvollziehen. "Zwar sind wir bei der Digitalisierung des Staates bisher nicht in erster Linie an fehlendem Geld gescheitert, doch die Kürzung von über 99 Prozent steht symptomatisch für die geringe Priorität, die die Bundesregierung diesem wichtigen Projekt noch zuspricht", kritisiert der BITMi-Sprecher.
"Die geplante Streichorgie ist der Sargnagel für die Digitalisierung der Verwaltungen", erklärt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder auf Anfrage von ChannelPartner. "Wer A sagt, muss auch B sagen. Digitalisierung zu wollen, ihr aber die Mittel zu entziehen, ist nicht nur inkonsequent, es wirft Deutschland gegenüber den führenden Digitalstandorten noch weiter zurück. Wer bei der Digitalisierung spart, spart an der völlig falschen Stelle. Statt eines Kahlschlags bräuchten wir eine gezielte Anhebung der Investitionen in Digitalprojekte der Verwaltungen und der öffentlichen Hand."
eco Verband lehnt Kürzungen ab und fordert Digitalbudget
Neben der Kürzung der Mittel für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) soll auch das Budget für den "Digitalpakt Schule 2.0" verschoben werden. Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco-Verbandes sagt dazu: "Die Bundesregierung darf nicht den Rotstift bei der Digitalisierung der Verwaltung anlegen, es darf beim Digitalpakt Schule 2.0. keine weiteren Verzögerungen geben und es braucht endlich ein eigenes Digitalbudget wie es auch im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Ansonsten endet der von der Ampel angekündigte digitale Aufschwung im digitalen Kahlschlag."
Süme weist zudem darauf hin, dass Digitalisierung für Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft immense Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen bietet. Daher wünsche er sich "ein nachhaltiges Signal in Richtung 'Vorfahrt für Digitalisierung' auch im finalen Haushaltsplan 2024".
"Mit Knausern und Kürzungen wird es Deutschland definitiv nicht gelingen, den Rückstand bei der Digitalisierung aufzuholen", mahnt Süme. Aus Sicht des Verbandes der Internetwirtschaft haben Bund, Länder und Kommunen eine Vorbildfunktion in puncto Digitalisierung und müssen hier Vorreiter sein. Insbesondere im Bereich der digitalen Verwaltung würden gerade auf unterschiedlichen politischen Ebenen wichtige Projekte vorangetrieben, dieser Digitalisierungsschub dürfe nun nicht abreißen.
"Es geht nicht nur darum, mehr Geld im Gießkannenprinzip zu verteilen, sondern insbesondere da wo es am meisten brennt, die notwendigen Ausgaben zielgerichtet und rasch einzusetzen", fordert Süme. "Das gilt im Besonderen für das Onlinezugangsgesetz, die Registermodernisierung und digitale Identitäten, da sie zentrale Hebel für staatliche Handlungsfähigkeit und digitale Innovationen bilden."
Etwas differenzierter betrachtet die Haushaltskürzungen Wolfgang Hahl, Mitglied der Geschäftsführung beim IT-Dienstleister Enthus. Seiner Ansicht nach es nur konsequent, wenn die Politik nun die Budgets für Projekte kürzt, die seit Jahren kaum Fortschritte gemacht haben und einen Stichtag nach dem anderen verstreichen ließen: "Es geht darum, verantwortungsbewusst mit den öffentlichen Mitteln umzugehen und Projekte umzusetzen, die einen klaren Mehrwert für den Staat, die Gesellschaft und die Bürger bieten. Digitalisierungs- und IT-Projekte dürfen nicht als Selbstzweck betrachtet werden, sondern müssen tatsächlich nützlich sein und den Alltag der Bürger verbessern. Als verantwortungsbewusstes Unternehmen möchten wir nicht einfach nur von den Budgets der öffentlichen Hand profitieren, sondern einen wirklichen Beitrag leisten", so der Manager.
Zwischenfazit zu Gigabitstrategie und Startup-Strategie
Erst kürzlich hatten Bitkom und VATM ein jeweils recht durchwachsenes Fazit von Strategien der Bundesregierung gezogen. Der VATM sah bei der Gigabitstrategie "Licht und Schatten". Zum Beispiel sah VATM-Präsident David Zimmer bei den Rahmenbedingungen für einen schnellen und flächendeckenden Ausbau. "noch viel Luft nach oben". Auch die Gigabitförderung zahle nicht auf die Ziele der Gigabitstrategie ein. "Es fehlt eine bessere Förderpriorisierung, eine sinnvolle Verknüpfung zwischen eigenwirtschaftlichem und gefördertem Ausbau, damit tatsächlich auch alle Haushalte angeschlossen sind, wenn der Glasfaserausbau in einem Ort beendet wird", kritisierte der VATM.
Der Bitkom hatte die Startup-Strategie der Bundesregierung unter die Lupe genommen - und dafür nur die Note "ausreichend" vergeben. "Die Stimmung unter den Startups zeigt: Das Tempo bei der Umsetzung der Vorhaben muss in der zweiten Hälfte der Legislatur erhöht werden", sagte Bitkom-Präsident Wintergerst dazu. Seiner Ansicht nach sollte die Bundesregierung bei der Umsetzung der Startup-Strategie "mutiger und schneller sein".